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20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofs vom 5. Juni 2000 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 190 StGB; Vergewaltigung in der Ehe; psychisches Unterdrucksetzen. |
Der Tatbestand kann erfüllt sein, wenn sich das Opfer in einer ausweglosen Situation befindet, in der es ausser Stande ist, sich zu widersetzen (E. 3c). |
Der Tatbestand der Vergewaltigung, begangen gegenüber der Ehefrau, beurteilt sich nach den gleichen Kriterien wie eine Vergewaltigung gegenüber einer anderen Frau (E. 3d). | |
Sachverhalt | |
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Sie trennte sich am 28. März 1998 von ihm und erhob am 20. Juli 1998 Strafklage wegen Drohung, Tätlichkeit und sexueller Nötigung.
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B.- Das Kantonsgericht St. Gallen sprach am 2. Dezember 1999 (im Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Bezirksgerichts St. Gallen vom 8. Dezember 1998) A. frei von den Anklagen der mehrfachen Nötigung und der mehrfachen Drohung (vor dem 20. Juli 1998). Es erklärte ihn schuldig der mehrfachen Vergewaltigung, der Drohung und der Tätlichkeit. Es verurteilte ihn zu 18 Monaten Zuchthaus und 5 Jahren Landesverweisung, jeweils mit Aufschub des Vollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren. Es verpflichtete ihn, B. Fr. 3'000.- Schadenersatz und Fr. 10'000.- Genugtuung zu zahlen.
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C.- A. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts (mit Ausnahme der Freisprüche) aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus ihren Aussagen gehe aber nicht nur hervor, unter welchem gewaltigen Druck sie gestanden habe, sondern auch, wie wohlwollend sie ihm gegenüber immer noch eingestellt sei. Es sei nachvollziehbar, warum sie ihn nicht früher verlassen habe. Die kaum Achtzehnjährige sei ihm anfänglich sehr hörig gewesen und habe sich in einer zweiten Phase zu einer Trennung oder Scheidung ausser Stande gefühlt, weil sie vermutet habe, er würde dann ausgewiesen. Sie habe zudem ihre Ehe retten wollen. Es hätten sich ihr auch kaum Alternativen geboten. Angesichts vielschichtiger psychischer und sozialer Abhängigkeiten erscheine es nachvollziehbar, dass sie in dieser bedrückenden, zermürbenden, angstbesetzten und gewaltträchtigen Beziehung solange ausgeharrt und nicht früher Anzeige erstattet habe.
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Das stets wiederholte Drängen und Fordern, die zermürbenden Streitereien und das tagelange Schweigen, das Wüten und Demolieren, die subtilen psychischen Verletzungen, das gezielte Zerstören ![]() | 8 |
Die Vielfalt der Druckmittel und das wiederkehrende, an Psychoterror grenzende Drangsalieren seien zudem ganz besonders geeignet, einen jungen, unsicheren und gerade in Liebesbeziehungen verletzlichen Menschen ohne tragendes soziales Auffangnetz zu ängstigen und zu zermürben und damit unerträglichem Druck auszusetzen. Angesichts einer gewissen, sich zur Tortur steigernden psychophysischen Dauerbelastung einerseits sowie der vielschichtigen Beziehung zu ihm und in ihrer latenten Sehnsucht nach einer harmonischen und langandauernden Partnerschaft anderseits sei verständlich und nachvollziehbar, dass sie in eine Zwangssituation geraten sei, aus der sie keinen andern Ausweg mehr gefunden habe, als den ehelichen Beischlaf zu erdulden, zumal nach der jeweiligen Hingabe der Druck kurzfristig etwas nachgelassen habe. Angesichts ihrer Persönlichkeit sowie der aus ihrer sozialen Lage resultierenden Idealvorstellungen sei der Druck auch nach individuellem Massstab von hinreichender Intensität gewesen. Damit sei das Tatbestandsmerkmal des psychischen Drucks objektiv erfüllt.
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b) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 190 StGB. Nicht jedes Verhalten, das im Durchschnittssprachgebrauch vielleicht als "Psychoterror" bezeichnet werden könnte, sei psychisches Unterdrucksetzen. Vorausgesetzt werden müsse ein qualifizierter, systematischer, zielgerichteter, eigentlich planmässiger Aufbau dieses psychischen Drucks, unter Ausnützung einer bestimmten Autoritäts- oder Vormachtstellung, der das Opfer schlicht nicht mehr auszuweichen vermöge.
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Aus den Schilderungen der Ehegattin werde jedoch spürbar, dass sie gerade nicht zum Widerstand unfähig gewesen sei. Sie habe sich durchaus zu wehren gewusst, habe auch geschlagen, laut werden können und Gegenstände herumgeworfen (was von der Vorinstanz allerdings nicht erwähnt werde). Es sei auch vorgekommen, dass sie ihn "fertig gemacht" habe. Nur krasse, sofort einsichtig werdende Fälle rechtfertigten eine Verurteilung. Im Rahmen einer noch gelebten ehelichen Beziehung müsse eine deutlich höhere Schwelle zu ![]() | 11 |
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a) Die Tatbestandsvariante des psychischen Unterdrucksetzens verlangt nicht eine Widerstandsunfähigkeit. Immer ist aber eine erhebliche Einwirkung erforderlich, wobei sich die Bestimmung der erforderlichen Intensität als heikel erweisen kann (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101). Das Bundesgericht berücksichtigte im Falle eines kindlichen, leicht debilen Opfers, das vom 10. bis zum 15. Altersjahr von einem in Lebensgemeinschaft mit der Mutter des Opfers lebenden Täters sexuell missbraucht worden war, im Wesentlichen auf der einen Seite die Persönlichkeit des Opfers, sein Alter, seine ablehnende Haltung und seine prekäre familiäre Stellung sowie auf der anderen Seite die Autoritätsposition, den Charakter und das Schweigegebot des Täters (BGE 124 IV 154 E. 3b betr. BGE 122 IV 97). Im vergleichbaren Falle eines zehnjährigen Mädchens war entscheidend, dass der Täter seine generelle Überlegenheit als Erwachsener, seine vaterähnliche Autorität, die freundschaftlichen Gefühle sowie die Zuneigung des Kindes ausgenützt und es damit in einen lähmenden Gewissenskonflikt getrieben hatte, der es ausser Stand gesetzt hatte, sich zu widersetzen (BGE 124 IV 154 E. 3c). Das Bundesgericht hatte ein psychisches Unterdrucksetzen von Erwachsenen bisher nicht zu beurteilen, jedoch darauf hingewiesen, dass Erwachsenen mit entsprechenden individuellen Fähigkeiten eine stärkere Gegenwehr zuzumuten ist als Kindern (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101).
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c) Die Vorinstanz schildert anschaulich die durch den Beschwerdeführer geschaffene Situation als ein stetes Wechselspiel von noch verweigertem und dann erduldetem Beischlaf. Der Gattin sei eine (weitergehende) Widersetzung nicht zumutbar gewesen. Die vielfältigen Druckmittel und das wiederkehrende, an Psychoterror grenzende Drangsalieren sei besonders geeignet gewesen, die achtzehnjährige, unsichere, anfangs hörige und in Liebesbeziehungen verletzliche Frau ohne tragendes soziales Netz zu ängstigen und zu zermürben. Die Vorinstanz qualifiziert die geschilderte Situation zu Recht als psychisches Unterdrucksetzen.
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Vom Opfer wird nämlich nicht ein "Widerstand" verlangt, der über eine mögliche und zumutbare Abwehr hinausgehen würde. Erforderlich ist eine ausweglose Situation, so dass dem Opfer eine Widersetzung unter solchen Umständen nicht zuzumuten ist, dass es ausser Stande gesetzt wird, sich zu widersetzen (BGE 124 IV 154 E. 3b bzw. E. 3c). Sein Nachgeben muss unter den konkreten Umständen verständlich erscheinen (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101; REHBERG/SCHMID, a.a.O., S. 392 f.). Bereits im früheren Recht war Vergewaltigung anzunehmen, wenn die Frau unter dem Druck des ausgeübten Zwangs zum Voraus auf Widerstand verzichtet oder ihn nach anfänglicher Abwehr aufgegeben hat (BGE 118 IV 52 E. 2b). Das neue Recht stellt keine strengeren Anforderungen.
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d) Entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Ansicht erfasst Art. 190 StGB - wie andere Tatbestände - jegliches tatbestandsmässige Verhalten. Eine einschränkende Auslegung auf "Extremfälle" kommt nicht in Betracht. Art. 190 StGB schützt die sexuelle Freiheit von Personen weiblichen Geschlechts allgemein und in gleicher Weise; für die Annahme einer Vergewaltigung in der Ehe kann nicht die Überwindung einer "höheren Schwelle" verlangt werden.
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