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19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.289/2001 vom 20. März 2002 | |
Regeste |
Art. 189 Abs. 1, Art. 190 Abs. 1 StGB, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, psychisches Unterdrucksetzen; Art. 193 Abs. 1 StGB, Ausnützen der Notlage. |
Ausnützen einer Abhängigkeit. Eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit im Sinne von Art. 193 StGB kann zwischen einem Psychotherapeuten und seiner Patientin bestehen. Abgrenzung zwischen therapiebedingter Abhängigkeit und psychischem Druck gemäss Art. 189 und 190 StGB (E. 3b und c). | |
Sachverhalt | |
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An nicht mehr genau ermittelbaren Tagen in der Zeit zwischen Dezember 1992 und November 1993 kam es in den Räumlichkeiten des Blauen Kreuzes an der A.strasse in Zürich, in der Wohnung von Y., im Fahrzeug von X. sowie in einem unbekannten Waldstück auf der Fahrt von Zürich nach Mollis zu mindestens 20 bis 30 Vorfällen, die immer nach dem gleichen Muster abliefen. X. bat Y. jeweils, in seine Arme zu kommen. Er drückte sie dann an sich, hielt sie und stöhnte, um ihr seine sexuelle Erregung zu zeigen. Danach öffnete er seine Hose und forderte sie mit einem Wink oder auch mit den Worten, sein Glied sei so sauber wie sein Gesicht, und sie solle ihn nicht enttäuschen, dazu auf, ihn oral zu befriedigen. Meistens ejakulierte er in ihrem Mund. Zudem verlangte er von ihr, sich auf ihn zu legen, wobei er dann ihre Vagina berührte und küsste sowie unter den Kleidern an ihre Brüste griff. Im Anschluss an diesen Sexualkontakten sagte er ihr, er wisse nun, dass sie ihn gern habe. Nach einem ähnlichen Muster kam es ungefähr zwei Mal im Ferienhaus von X. in Mollis und in der Wohnung von Y. zu sexuellen Handlungen. In diesen Fällen verlangte X. von Y., ihn auch "im Darm" zu befriedigen und dazu Mandelöl zu verwenden. Y. kam dieser Aufforderung jeweils nach, nahm sein Glied in den Mund und befriedigte ihn gleichzeitig mit dem Finger im After.
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Ebenfalls zwischen Dezember 1992 und November 1993 rief X. Y. jeden Morgen gegen 07.15 Uhr sowohl bei ihr zuhause als auch in ein Ferienheim des Blauen Kreuzes telefonisch an. Er erkundigte sich jeweils einleitend nach ihrem Zustand, um ihr anschliessend zu sagen, "er halte sein Glied, er habe Lust und ob sie sein Glied auch halte", wobei er sich "auf diese Weise selber sexuell befriedigte". Um sich Y. gefügig zu machen, setzte er die gleichen Mittel ein wie ![]() | 3 |
An einem nicht näher bestimmbaren Nachmittag zwischen Dezember 1992 und November 1993 kam Y. vollkommen betrunken zu einer Therapiestunde bei X. in dessen Büro beim Blauen Kreuz. Im Verlauf der Therapie steckte X. seinen Finger in die Scheide von Y. An einem ebenfalls nicht mehr genau bestimmbaren Tag im Frühling 1993 nach einer Therapiestunde in den Räumlichkeiten des Blauen Kreuzes fuhr X. die vollkommen betrunkene Y. zu ihr nach Hause, brachte sie dort im Schlafzimmer ins Bett, zog ihr die Kleider aus und küsste ihren Körper während zwei Stunden. Y. war bei beiden Vorfällen dermassen betrunken, dass sie von den Übergriffen nichts mitbekam.
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B.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X. am 13. Juli 1997 wegen mehrfacher sexueller Nötigung gemäss Art. 189 Abs. 1 StGB, mehrfacher Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB, und mehrfacher Schändung nach Art. 191 StGB, alles begangen zum Nachteil von Y., zu einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren. Ferner wurde X. verpflichtet, Y. eine Genugtuung von Fr. 22'000.- sowie die Kosten der auf Grund der eingeklagten Straftaten anfallenden psychotherapeutischen Behandlungen zu bezahlen.
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Auf Berufungen X.'s und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie Anschlussberufung der Geschädigten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 15. Juli 1998 den erstinstanzlichen Schuldspruch, erhöhte jedoch die Strafe auf 4 Jahre Zuchthaus und die Genugtuungssumme auf Fr. 25'000.-. Zudem verpflichtete das Gericht X. zur Zahlung der Therapiekosten der Geschädigten.
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Mit Beschluss vom 25. Oktober 1999 hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine von X. erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde gut und wies die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Obergericht zurück. Am 25. Februar 2000 überwies dieses die Sache an die Staatsanwaltschaft zur Entfernung nicht verwertbarer Urkunden und zur Wiederholung und Ergänzung der Untersuchung im Sinne der kassationsgerichtlichen Erwägungen.
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C.- Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung, zu welcher X. das persönliche Erscheinen erlassen wurde, fällte das Obergericht am 18. Dezember 2000 ein neues Urteil. Es sprach X. wiederum der mehrfachen sexuellen Nötigung, der mehrfachen Vergewaltigung sowie der mehrfachen Schändung schuldig und bestrafte ihn mit 4 Jahren Zuchthaus. Es verpflichtete ihn zur ![]() | 8 |
Am 19. Juli 2001 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde X.'s ab, soweit es darauf eintrat. Eine dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde von X. hat das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
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D.- X. führt gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Dezember 2000 eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Im Gegensatz zum früheren Recht (Art. 188 aStGB) setzt eine sexuelle Nötigung gemäss Art. 189 StGB nicht mehr die Widerstandsunfähigkeit des Opfers voraus. Immer ist aber eine erhebliche Einwirkung erforderlich (BGE 122 IV 97 E. 2b; BGE 126 IV 124 E. 3a).
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bb) Die sexuellen Nötigungstatbestände verbieten den Angriff auf die sexuelle Freiheit. Sie gelten als Gewaltdelikte und sind damit prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Dabei stellt aber die Tatbestandsvariante des Unter-psychischen-Druck-Setzens klar, dass sich die tatbestandsmässige Ausweglosigkeit der ![]() ![]() | 16 |
Diese ursprünglich auf dem Hintergrund von sexuellem Kindsmissbrauch entwickelte Rechtsprechung (BGE 124 IV 154; BGE 122 IV 97) gilt gemäss BGE 126 IV 124 E. 3d S. 130 auch im Erwachsenenstrafrecht. Das Bundesgericht hat jedoch schon früh darauf hingewiesen, dass Erwachsenen mit entsprechenden individuellen Fähigkeiten eine stärkere Gegenwehr zuzumuten ist als Kindern (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101). Das bedeutet, dass die im Zusammenhang mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern entwickelten Grundsätze zum Nötigungsmittel des psychischen Druckes, die den Besonderheiten einer Ausnützung des Erwachsenen-Kind-Gefälles Rechnung tragen, sich nicht generell und unbesehen auf Erwachsene übertragen lassen. So kommt etwa dem einem Kind auferlegten Schweigegebot in aller Regel eine andere Bedeutung zu als bei einem Erwachsenen. Gleiches gilt für die Androhung des Entzugs der Zuneigung oder die Angst vor der (erzieherischen) Unnachgiebigkeit oder Strenge des Täters. Bei Erwachsenen kommt ein psychischer Druck daher nur bei ungewöhnlich grosser kognitiver Unterlegenheit oder emotionaler wie sozialer Abhängigkeit in Betracht. Wie schon in BGE 124 IV 154 E. 3c S. 161 angedeutet, genügt demgegenüber das Ausnützen allgemeiner Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse für sich genommen nicht, um einen relevanten psychischen Druck im Sinne von Art. 189 Abs. 1 und Art. 190 Abs. 1 StGB zu begründen.
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b) Art. 193 Abs. 1 StGB erfüllt, wer eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt. Art. 193 StGB tritt als leichterer Angriff auf die sexuelle Freiheit gegenüber den Art. 187, 188, 189, 190, 191 und 192 StGB zurück (JENNY, Kommentar, Art. 193 StGB N. 16 ff.).
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Zwischen einem Psychotherapeuten und seinem Patienten kann allein schon auf Grund der therapeutischen Beziehung ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Tatbestandes der Ausnützung der Notlage gemäss Art. 193 Abs. 1 StGB bestehen (eingehend BGE 124 IV 13 E. 2c/cc S. 16-18 zum entsprechenden Art. 197 Abs. 1 aStGB). Bei der "in anderer Weise" begründeten Abhängigkeit steht nach einhelliger Auffassung der sexuelle Missbrauch von Patienten durch Psychotherapeuten im Vordergrund (JENNY, Kommentar, Art. 193 StGB N. 9 mit Hinweisen). Daraus ergibt sich, dass nicht allein schon ![]() | 19 |
Wann eine therapiebedingte Abhängigkeit in einen psychischen Druck übergeht, der unter Art. 189 und 190 StGB fällt, lässt sich nicht allgemein beantworten (dazu etwa JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID, Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich 1997, § 58 Ziff. 3.1, S. 406; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizer Strafrecht, BT I, 5. Aufl., Bern 1995, § 7 N. 50 und § 8 N. 9). Für die Abgrenzung wird namentlich der Charakter der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung als Gewaltdelikte zu beachten sein. Die Auslegung der Art. 189 und 190 StGB hat sich insbesondere an der Frage der (zumutbaren) Selbstschutzmöglichkeit des Opfers zu orientieren (vgl. JENNY, Kommentar, Art. 189 StGB N. 14 f.; BRIGITTE SICK, Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff, Wien 1993, S. 336). Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder beliebige Zwang, nicht schon jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale Verhalten, auf Grund dessen es zu einem ungewollten Geschlechtsverkehr kommt, eine sexuelle Nötigung darstellen kann (SICK, a.a.O., ebd.; ausführlich zum Ganzen MAIER, a.a.O., S. 402 ff.). Mit Blick darauf wird für die Abgrenzung zwischen dem psychischen Druck nach den Art. 189 und 190 StGB und der Abhängigkeit gemäss Art. 193 StGB unter anderem darauf abzustellen sein, ob der Täter mit zusätzlichen Einwirkungen (als der blossen Ausnützung des Therapeuten-Patienten-Gefälles) auf das Opfer wesentlich dazu beitrug, dieses in eine (subjektiv) ausweglose Lage zu bringen. Dabei wird der Schwere der Beeinflussung entscheidende Bedeutung zukommen.
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bb) Die Ausführungen in den Urteilen der Vorinstanzen zur Person der Geschädigten vermitteln das Bild einer (im Tatzeitraum) schwachen Persönlichkeit mit geringem Selbstwertgefühl, die in ihrer Kindheit von ihren Eltern verstossen worden war, in jungen Jahren alkoholabhängig wurde, ungefähr ab dem 17. Altersjahr auf der Strasse lebte und sich mit Prostitution durchbringen musste. Der Beschwerdeführer war für die Geschädigte nicht nur Therapeut, sondern er nahm für sie eine Vaterstellung ein. Er hatte im Leben von Y. einen entsprechend hohen Stellenwert. Er war für sie wie ein "Geländer, an welchem sie sich halten konnte", "eine Stütze und eine Hilfe", was der Beschwerdeführer wusste. Ihm war auch bekannt, dass Y. bei manchen mittäglichen Treffen alkoholisiert war. Obschon er in jedem Gespräch daran arbeitete, dass die Geschädigte lerne, sich zu wehren und nicht zu machen, was die andern ihr sagten, unterlief er diese Bemühungen, indem er seine Vertrauensstellung missbrauchte, um gerade diese Schwächen der Geschädigten für seine sexuelle Befriedigung auszunützen. Y. widersetzte sich den sexuellen Forderungen des Beschwerdeführers lange Zeit kaum, weil sie Angst hatte, ihn zu verlieren. Der Beschwerdeführer hatte ihr ein Schweigegebot auferlegt, da ihm eine Offenlegung der Vorfälle die Stelle kosten könnte. Mit dem Hinweis, dass er "allen erzählen würde, was für eine Person sie sei", wenn sie seinen Wünschen nicht nachkomme, belastete und schüchterte er sie zusätzlich ein. Da sie seine Hilfe und väterliche Zuneigung benötigte und durch eine Anzeige nicht aufs Spiel setzen wollte, fühlte sie sich den sexuellen Forderungen des Beschwerdeführers ausgeliefert.
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Angesichts der schwerwiegenden Probleme der Geschädigten und ihrer Persönlichkeitsstruktur bestand zwischen ihr und dem Beschwerdeführer allein schon therapiebedingt eine Abhängigkeit. Diese wurde durch die Vater-Tochter-ähnliche-Beziehung zusätzlich verstärkt. Y. war durch ihre Jugendzeit (Verstossenwerden durch den Vater) und vor allem durch ihre Alkoholerkrankung physisch und psychisch ![]() | 23 |
d) Zusammenfassend ergibt sich, dass die Abhängigkeit der Geschädigten vom Beschwerdeführer keinen für die Annahme eines ![]() | 24 |
e) aa) Die Vorinstanz hat einerseits vollständig auf den von der Anklageschrift geschilderten Sachverhalt abgestellt. Andererseits hat sie die Schilderungen der Geschädigten als glaubwürdig angesehen und damit vollständig übernommen. Während die Anklageschrift nur eine Verhaltensweise des Beschwerdeführers schildert, die als physische Gewalt gewertet werden könnte (Festhalten der Unterarme und Hände, Sich-mit-dem-ganzen-Körpergewicht-auf-die-Geschädigte-Legen, Niederdrücken in die Matratze), gehen aus den von der Vorinstanz gewürdigten Aussagen der Geschädigten weitere ähnliche Handlungen des Beschwerdeführers hervor. Die Geschädigte gab an, der Beschwerdeführer habe sie mit einer Art Würgegriff immer am Hals packen wollen und ihr auch die Kleider vom Leib gerissen.
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Die Vorinstanz führt aus, die Anklage gehe hauptsächlich von einem psychischen Druck des Beschwerdeführers aus und nur am Rande von physischer Gewalt. Die gegenüber der Anklageschrift ergänzenden und präzisierenden Ausführungen der Geschädigten wirkten sich nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Daraus wird nicht deutlich, ob die Vorinstanz gestützt auf den Anklagegrundsatz nur auf den in der Anklageschrift geschilderten Sachverhalt abstellt und nicht auf die zusätzlichen Schilderungen der Geschädigten, oder ob sie zu Gunsten des Beschwerdeführers rechtlich davon ausgeht, sein Verhalten erfülle lediglich das Tatbestandsmerkmal des Unter-psychischen-Druck-Setzens und nicht auch dasjenige der Gewalt. Unter diesen Umständen wird die Vorinstanz bei der Neubeurteilung prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer die Geschädigte mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr oder zu sexuellen Handlungen nötigte und deshalb die Tatbestände der Art. 189 und 190 StGB erfüllte.
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