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37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Bewährungsdienst Zürcher Oberland (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.146/2002 vom 13. August 2002 | |
Regeste |
Art. 43 StGB; Vollstreckung aufgeschobener Strafen. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 11. Februar 1997 verfügte das Amt für Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Zürich den Vollzug der ambulanten Massnahme. Am 4. Juli 2000 ordnete der Sonderdienst des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich, gestützt auf Art. 2 Abs. 8 VStGB 1 (SR 311.01), den Aufschub des Vollzugs weiterer Freiheitsstrafen von sechs beziehungsweise drei Tagen Haft an.
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D.- Mit Beschluss vom 1. März 2002 ordnete das Obergericht des Kantons Zürich den Vollzug der aufgeschobenen Strafen an.
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E.- X. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Auf eine erneute Begutachtung könne verzichtet werden. Das Gericht könne die Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer erneuten Massnahme stellten, gestützt auf die früheren Gutachten und Arztberichte selber beantworten. Am 12. November 1991 habe Dr. B. ein Gutachten zu Händen des Obergerichtes erstellt. Das Ergänzungsgutachten desselben Sachverständigen datiere vom 8. Oktober 1993. Er liege somit rund sieben Jahre zurück. Dieser ![]() | 9 |
Aus dem Verlauf der Therapie bei Dr. A. schliesst die Vorinstanz sodann, dass sich der Verurteilte auch gegenüber diesem Therapeuten nicht auf eine eigentliche Therapie eingelassen habe.
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Der Vollzug der aufgeschobenen Strafe sei deshalb anzuordnen.
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Indem sich die Vorinstanz auf die alten Gutachten abstütze und die Entwicklung in der Zwischenzeit nicht berücksichtige, komme ![]() | 13 |
Weiter wäre der heutige Vollzug der 3 1/2 Jahre Gefängnis unverhältnismässig. Es sei neben der langen Zeitspanne zwischen den strafbaren Handlungen und dem möglichen Strafvollzug zu berücksichtigen, dass er sich für mehrere Jahre in einer Therapie befunden habe.
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3.1 Bei der Anordnung von Massnahmen ist die rechtliche Situation klar. Es ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer Massnahme, soweit sie dem psychiatrischen Fachbereich zuzuordnen sind, regelmässig gutachterlich abgestützt sein müssen. Bei stationärer Unterbringung geistig Abnormer ergibt sich dies aus dem gesetzlichen Obligatorium gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Selbst dort, wo der Gesetzgeber einigen Spielraum offen liess, indem er eine entsprechende Pflicht von der Erforderlichkeit einer gutachterlichen Abklärung abhängig macht (Art. 44 Ziff. 1 Abs. 2 StGB), verhält er sich nicht anders. Die Beantwortung der relevanten Fragen dürfte den Erfahrungshorizont von Angehörigen der Justiz in der Regel sprengen. Überdies wird das dem Richter zugebilligte Ermessen faktisch nicht zum Tragen kommen, weil sich zumeist im Voraus kaum sagen lässt, welche Art von Massnahme in Frage kommen könnte. Schliesslich ist auch im Zusammenhang mit Massnahmen nach Art. 44 StGB zu beachten, dass selbst bei eindeutigen Störungsbildern, wie sie etwa bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit nicht selten sind, das Phänomen der Komorbidität nicht ausser Acht gelassen werden darf. Alkohol- und Drogenmissbrauch gehen häufig einher mit anderen psychischen Störungen, oft mit Persönlichkeitsstörungen (NORBERT NEDOPIL, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., Stuttgart/New York 2000, S. 100 und 116). Deshalb dürfen sich die Entscheidungsträger bei Fragen nach der Notwendigkeit von ![]() | 16 |
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Für die jährliche Prüfung einer Entlassung aus der Massnahme gemäss Art. 45 Ziff. 1 StGB hat der Gesetzgeber keine Begutachtung vorgeschrieben. Die Vollzugsbehörden sind einzig gehalten, einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen. Damit wird bei therapeutischen Massnahmen der behandelnde Arzt zur Stellungnahme eingeladen. Der Arzt wird sich wohl primär zum Verlauf der Behandlung und zum Therapieerfolg äussern. Eine Pflicht zur Begutachtung lässt sich aus dieser Vorschrift nicht ableiten. Ein solcher Bericht kann den Anforderungen an ein Gutachten indessen per se nicht genügen. Einem Therapeuten muss diejenige Neutralität abgesprochen werden, welche von einem Gutachter gemäss ständiger Gerichtspraxis verlangt wird, der für den Entscheid über die Anordnung einer Massnahme beizuziehen ist (vgl. etwa Urteile des Bundesgerichts 6P.43/2000 vom 26. April 2000, E. 1b; 6S.444/1999 vom 4. Oktober 2000, E. 2, je mit Hinweisen).
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Bei Entscheiden von grösserer Tragweite, wie etwa Entscheiden über die Entlassung aus einer Verwahrung, ist es allerdings fraglich, ob nicht doch weitere Entscheidungsgrundlagen erforderlich sind. Nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichts wird zwar ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen nicht generell als notwendig bezeichnet. Immerhin hat das Bundesgericht aber darauf hingewiesen, dass sich in Fällen einer lange dauernden Internierung die fachliche Beurteilung durch einen aussenstehenden Psychiater unter bestimmten Umständen aufdrängen könnte (BGE 121 IV 1 E. 2). Sodann ist zu beachten, dass der Entwurf des Bundesrates von 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches - in diesem Punkt von beiden Räten bestätigt (AB 1999 S 1124; AB 2001 N 574 u. 581) -, für die Entlassung aus einer Verwahrung zwingend ![]() | 19 |
3.3 Im Zusammenhang mit der Abänderung von Massnahmen beziehungsweise der Anordnung von Ersatzmassnahmen hat sich der Gesetzgeber zu den Entscheidungsgrundlagen nicht geäussert. Eine Beantwortung dieser Frage lässt sich aber zwanglos der Regelung entnehmen, wie sie bei der Anordnung von Massnahmen besteht. Der Richter, der beispielsweise gemäss Art. 44 Ziff. 3 Abs. 2 StGB prüft, ob eine andere sichernde Massnahme anzuordnen ist, kann seinen Entscheid nur gestützt auf Grundlagen treffen, wie sie ihm als Sachrichter auch bei der erstmaligen Anordnung zur Verfügung stehen müssen. Wo die Einweisung in eine Klinik nach Art. 43 StGB zu prüfen ist, hat er so zu verfahren, wie es Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 StGB zwingend vorschreibt. Er hat mithin die Beurteilung des körperlichen und des geistigen Zustandes des Betroffenen und seinen Entscheid über die Art der anzuordnenden Massnahme auf ein Gutachten abzustützen. Ein kurzer Arztbericht, der nach ![]() | 20 |
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Gericht gemäss Art. 43 Ziff. 5 Abs. 1 und 3 StGB den Arzt anzuhören hat, soweit nach Abschluss einer Massnahme der Vollzug einer Reststrafe zur Diskussion steht. Diese Bestimmung bezieht sich von ihrer Systematik und ihrem Wortlaut her einzig auf den Fall einer erfolgreichen Massnahme. Ein solcher ärztlicher Bericht ist auf das Thema beschränkt, ob der Erfolg der Massnahme durch den Strafvollzug erheblich gefährdet würde. Eine generelle Begutachtungspflicht im Zusammenhang mit der Abänderung von Massnahmen lässt sich daraus nicht ableiten.
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Auch bei sonstigen Beweisvorkehren im Strafverfahren ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Wo genügende Grundlagen bereits vorliegen, dürfen diese als Entscheidungsgrundlagen herangezogen werden. Gemäss neuerer Rechtsprechung ist dabei nicht an das formale Kriterium eines bestimmten Alters des in Frage stehenden Gutachtens anzuknüpfen. Es kann auf ein älteres Gutachten abgestellt werden, wenn sich die Verhältnisse seit dessen Erstellung nicht verändert haben. So ist es durchaus möglich, dass ein Sachverständiger sich bereits im Hauptverfahren oder später im Verlaufe des Vollzugs so umfassend zu Fragen der Behandelbarkeit des Exploranden oder zur Eignung einer Behandlung geäussert hat, dass sich daraus die Antworten auf die Fragen ableiten lassen, welche sich stellen, wenn eine Massnahme später scheitert. Überdies dürfte in vielen Fällen das Spektrum von möglichen Massnahmen bereits zum Zeitpunkt des Sachurteils nicht sehr gross sein. Entsprechend sind in einem späteren Verfahrensstadium auch keine zusätzlichen Abklärungen erforderlich, um Alternativen beurteilen zu können. Nicht zuletzt mit Blick auf den Mangel an qualifizierten Sachverständigen in der Schweiz sind die Anforderungen an ![]() | 23 |
Erwägung 4 | |
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