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43. Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.569/2001 vom 8. Oktober 2002 | |
Regeste |
Strafbare Handlungen an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz. Räumlicher Geltungsbereich des schweizerischen Strafrechts; schweizerische Gerichtsbarkeit (Art. 11, 97 und 98 LFG; Tokioter Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen; Chicagoer Übereinkommen über die internationale Zivilluftfahrt). | |
Sachverhalt | |
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Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 18. Mai 2001, in Bestätigung des Entscheides des Bezirksgerichts Zürich, der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig, begangen dadurch, dass er am 9. Mai 1999 während der Zwischenlandung in Yaoundé (Kamerun) dem Polizeibeamten A. durch einen heftigen Kopfstoss in dessen Gesicht das Nasenbein brach. Es verurteilte X. deshalb sowie wegen verschiedener weiterer Straftaten, die dieser nach seiner Rückführung in die Schweiz verübt hatte, zu einer unbedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 14 Monaten. In Bezug auf die weiteren Vorfälle an Bord des schweizerischen Luftfahrzeugs wurde X. (mangels Rechtmässigkeit der gegen ihn vorgenommenen Amtshandlungen beziehungsweise unter Zubilligung von Notwehr) freigesprochen respektive das Verfahren (infolge Eintritts der Verjährung) eingestellt.
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X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem (sinngemässen) Antrag, das Urteil des Obergerichts sei in Bezug auf den Schuldspruch wegen einfacher Körperverletzung aufzuheben.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Beschwerdeführer stützt sich zur Begründung seines Standpunktes im Weiteren auf das Tokioter Abkommen vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (SR 0.748.710.1) und auf das Chicagoer Übereinkommen vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt (SR 0.748.0) sowie ferner auf eine Stellungnahme des Bundesrates zu einer von Nationalrat Jean-Jacques Schwaab am 13. Juni 2000 eingereichten Motion betreffend die Bundesregelung hinsichtlich der zwangsweisen Ausschaffung von Asylbewerbern (00.3269).
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"1 Im Luftraum über der Schweiz gilt das schweizerische Recht.
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2 Für ausländische Luftfahrzeuge kann der Bundesrat Ausnahmen zulassen, soweit dadurch die Vorschriften dieses Gesetzes über die Haftpflicht und die Strafbestimmungen nicht berührt werden.
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3 An Bord schweizerischer Luftfahrzeuge im Ausland gilt das schweizerische Recht, soweit nicht das Recht des Staates, in oder über welchem sie sich befinden, zwingend anzuwenden ist.
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Art. 97 LFG ("Strafbare Handlungen an Bord von schweizerischen Luftfahrzeugen") lautet:
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"1 Das schweizerische Strafrecht gilt auch für Taten, die an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz verübt werden.
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2 Mitglieder der Besatzung eines schweizerischen Luftfahrzeugs unterstehen dem schweizerischen Strafrecht, auch wenn sie die Tat ausserhalb des Luftfahrzeugs im Zusammenhang mit ihren dienstlichen Verrichtungen verübt haben.
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3 Die gerichtliche Beurteilung ist nur zulässig, wenn sich der Täter in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird oder wenn er der Eidgenossenschaft wegen dieser Tat ausgeliefert wird.
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4 Artikel 6 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches gilt ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Täters."
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Art. 98 LFG ("Gerichtsbarkeit") bestimmt:
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"1 Die an Bord eines Luftfahrzeuges begangenen strafbaren Handlungen unterstehen unter Vorbehalt von Absatz 2 der Bundesstrafgerichtsbarkeit.
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2 Übertretungen im Sinne von Artikel 91 werden nach den Verfahrensvorschriften des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes durch das Bundesamt verfolgt und beurteilt.
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3 Sind die strafbaren Handlungen an Bord ausländischer Luftfahrzeuge über der Schweiz oder an Bord schweizerischer Luftfahrzeuge ausserhalb der Schweiz verübt worden, so kann die für die Strafverfolgung zuständige schweizerische Behörde von der Durchführung des Strafverfahrens absehen."
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Art. 6 Ziff. 2 StGB, auf den Art. 97 Abs. 4 LFG verweist, bestimmt:
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"Der Täter wird in der Schweiz nicht mehr bestraft:
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wenn er im Ausland wegen des Verbrechens oder Vergehens endgültig freigesprochen wurde;
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wenn die Strafe, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
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Ist die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so wird der vollzogene Teil angerechnet."
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3.1 Die inkriminierte Tat wurde an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz verübt. Daran ändert nichts, dass sich das Luftfahrzeug im Zeitpunkt der Tat nicht im Flug, sondern, aus Anlass einer Zwischenlandung, auf dem Boden befand und dass die Aussentüren des Flugzeugs geöffnet waren und Passagiere ein- und ausstiegen. Die inkriminierte Tat ereignete sich gleichwohl im Sinne von Art. 97 Abs. 1 LFG "an Bord" eines schweizerischen Luftfahrzeugs, weil sich der Beschwerdeführer und der Polizeibeamte, ![]() | 28 |
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Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 3 LFG, dass an Bord schweizerischer Luftfahrzeuge im Ausland das schweizerische Recht gilt, soweit nicht das Recht des Staates, in oder über welchem sie sich befinden, zwingend anzuwenden ist. Art. 11 Abs. 3 LFG ist vorliegend aber entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht anwendbar, und es ist schon aus diesem Grunde nicht zu prüfen, ob die inkriminierte Tat gemäss dem Recht des Staates Kamerun "zwingend" nach dem kamerunischen Strafrecht zu beurteilen sei. Denn gemäss Art. 11 Abs. 4 LFG bleiben unter anderem die Vorschriften dieses Gesetzes über die räumliche Geltung der Strafbestimmungen in allen Fällen vorbehalten. Zu diesen Vorschriften gehört Art. 97 Abs. 1 LFG, wonach das schweizerische Strafrecht auch für Taten gilt, die an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz verübt werden. Art. 97 Abs. 1 LFG sieht nicht vor, dass das schweizerische Strafrecht nur zur Anwendung gelangt, wenn nicht zwingend das ausländische Strafrecht anzuwenden ist. In Bezug auf die Anwendung des Strafrechts sind Art. 11 Abs. 4 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 LFG Spezialbestimmungen, die vor Art. 11 Abs. 3 LFG Vorrang haben. Die Frage, ob das Recht des Staates, in oder über welchem sich das Luftfahrzeug befindet, zwingend anzuwenden sei (Art. 11 Abs. 3 LFG), stellt sich mithin nicht, da bei strafbaren Handlungen an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeuges ausserhalb der Schweiz gemäss Art. 11 Abs. 4 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 LFG in jedem Falle das schweizerische Strafrecht gilt.
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Dies ergibt sich entgegen der Meinung des Beschwerdeführers auch aus der Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Luftfahrtgesetzes im Jahre 1962 (BBl 1962 I 717 ff.), welche unter anderem Art. 11 betreffend die räumliche Geltung des Gesetzes zum Gegenstand hatte. Zwar wird in der Botschaft ausgeführt, dass die in Art. 11 Abs. 3 LFG vorgeschlagene Ausweitung des Geltungsbereichs des schweizerischen Rechts dort, wo sie zu einer Verletzung des völkerrechtlich massgebenden Territorialitätsprinzips und zu positiven Normenkollisionen führen würde, nur subsidiär gelten dürfe, nämlich nur so weit, als nicht das Recht des Staates, in oder über welchem sich das Luftfahrzeug befindet, zwingend anzuwenden ![]() | 31 |
Das Luftfahrtgesetz sieht nicht einmal vor, dass bei einer strafbaren Handlung an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeuges ausserhalb der Schweiz das Strafrecht des Staates, in oder über welchem sich das Luftfahrzeug im Zeitpunkt der Tat befindet, wenigstens dann anwendbar sei, wenn es für den Täter das mildere ist (s. JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, partie générale I, N. 469). Die Regelung des räumlichen Geltungsbereichs des schweizerischen Strafrechts bei strafbaren Handlungen an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz unterscheidet sich insoweit etwa von der Regelung in Art. 5 StGB (betreffend Verbrechen oder Vergehen im Ausland gegen Schweizer) und Art. 6 StGB (betreffend Verbrechen oder Vergehen von Schweizern im Ausland), wonach das Recht des Begehungsortes anzuwenden ist, wenn es für den Täter das mildere ist. Die Regelung gemäss Art. 97 Abs. 1 LFG ("Flaggenprinzip") entspricht insoweit vielmehr Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ("Territorialitätsprinzip").
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Die Straftat der einfachen Körperverletzung, welche der Beschwerdeführer an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeuges während der Zwischenlandung in Yaoundé (Kamerun) beging, fällt daher gemäss Art. 97 Abs. 1 LFG unter den Anwendungsbereich des schweizerischen Strafrechts.
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4.1 Das Tokioter Abkommen vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene ![]() | 35 |
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Hätte sich das schweizerische Luftfahrzeug im Zeitpunkt der inkriminierten Tat noch im Sinne von Art. 1 Ziff. 2 und 3 des Tokioter Abkommens im Flug befunden, so wären gemäss Art. 3 Ziff. 1 des Abkommens die schweizerischen Behörden zur Verfolgung der Tat zuständig gewesen, auch wenn sich das Luftfahrzeug zur Zeit der Tat bereits im Hoheitsgebiet des Staates Kamerun befunden hätte, ![]() | 37 |
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Dies bedeutet aber nicht, dass die Bejahung der schweizerischen Gerichtsbarkeit im vorliegenden Fall gegen das Tokioter Abkommen verstösst. Das Abkommen regelt die Strafgerichtsbarkeit, wie erwähnt, nicht umfassend und abschliessend. Es regelt unter anderem Fälle der vorliegenden Art nicht, in denen ein Passagier eine strafbare Handlung an Bord eines in einem bestimmten Vertragsstaat eingetragenen Luftfahrzeugs nach Beendigung des Landelaufs im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates begeht. Dass in solchen Fällen das Tokioter Abkommen und somit dessen Art. 3 Ziff. 1 betreffend die Gerichtsbarkeit des Eintragungsstaates nicht zur Anwendung gelangt, lässt indessen nicht den Umkehrschluss zu, dass eine Regelung des nationalen Rechts, die auch für strafbare Handlungen an Bord eines Luftfahrzeugs nach Beendigung des Landelaufs ausserhalb des Eintragungsstaates die Gerichtsbarkeit des Eintragungsstaates vorsieht, gegen das Abkommen verstosse. Das Abkommen schliesst, wie Art. 3 Ziff. 3 ausdrücklich festhält, selbst in den Fällen, in denen es zur Anwendung gelangt, eine Strafgerichtsbarkeit, die nach nationalem Recht ausgeübt wird, nicht aus. Es kann daher in den Fällen, in denen es nicht zur Anwendung gelangt, nicht gleichsam implizit eine nach nationalem Recht ausgeübte Strafgerichtsbarkeit ausschliessen.
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4.2 Das Chicagoer Übereinkommen vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt, das für die Schweiz am 4. April 1947 in Kraft getreten ist, regelt die vorliegend zu entscheidende Frage ![]() | 40 |
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Erwägung 6 | |
6.1 Wohl ist anzunehmen, dass die inkriminierte Straftat nach dem Recht des Staates Kamerun unter den Anwendungsbereich des kamerunischen Strafrechts und unter die Strafgerichtsbarkeit der kamerunischen Behörden fällt. Dies bedeutet aber nicht, dass das schweizerische Strafrecht nicht anwendbar und die schweizerische Gerichtsbarkeit nicht gegeben sei. Vielmehr kann die Straftat grundsätzlich sowohl von den kamerunischen Behörden nach dem kamerunischen Recht (gemäss dem "Territorialitätsprinzip") als auch von ![]() | 42 |
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Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass diese Voraussetzungen erfüllt seien.
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Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass und weshalb die zuständige schweizerische Behörde in Anwendung von Art. 98 Abs. 3 LFG von der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einfacher Körperverletzung zum Nachteil des Kantonspolizeibeamten hätte absehen sollen.
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Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass die gerichtliche Beurteilung in Anbetracht dieser Bestimmung unzulässig sei.
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7. Die einfache Körperverletzung, welche der Beschwerdeführer an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs während einer Zwischenlandung in Yaoundé (Kamerun) bei geöffneten Aussentüren beging, fällt somit nach der im Ergebnis zutreffenden Auffassung der Vorinstanz unter den Anwendungsbereich des schweizerischen Strafrechts und unter die schweizerische Gerichtsbarkeit. Die Frage, ![]() | 49 |
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