BGE 129 IV 68 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.253/2002 vom 3. Dezember 2002 | |
Regeste |
Art. 169 StGB; Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte. | |
Sachverhalt | |
A.- Beim Pfändungsvollzug durch das Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland wurde am 20. Juni 2000 im Rahmen einer Betreibung gegen X. unter anderem ein Personalcomputer gepfändet, dessen Wert auf Fr. 800.- geschätzt wurde. Im August 2000 reichten zwei Gläubiger das Verwertungsbegehren ein. Da X. in der Zwischenzeit nach Wil/SG umgezogen war, beauftragte das Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland das Betreibungsamt Wil mit der Durchführung der Verwertung.
| 1 |
Als der Beamte des Betreibungsamtes Wil unter anderem den gepfändeten Personalcomputer zur Verwertung abholen wollte, gab X. ihm durch unterschriebene Erklärung vom 31. Oktober 2000 an, der Personalcomputer sei verkauft worden.
| 2 |
Am 23. Januar 2001 erstattete das Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland gegen X. Strafanzeige wegen Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte im Sinne von Art. 169 StGB. Im Strafverfahren sagte X. am 19. Juli 2001 als Beschuldigter aus, dass er den Personalcomputer in Tat und Wahrheit nicht verkauft habe. Er habe dem Beamten die Unwahrheit gesagt, um zu verhindern, dass dieser das Gerät mitnehme. Der Computer befinde sich nach wie vor in seiner Wohnung. X. wurde vom Gerichtspräsidenten aufgefordert, den Computer beim Gericht abzugeben. Am 7. September 2001 lieferte X. das Gerät beim Gericht ab.
| 3 |
B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X. am 4. April 2002 in Bestätigung des Entscheids des Gerichtspräsidenten 1 des Gerichtskreises V Burgdorf-Fraubrunnen vom 13. Dezember 2001 wegen Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte im Sinne von Art. 169 StGB zu einer Gefängnisstrafe von zehn Tagen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Es ordnete gestützt auf Art. 58 StGB die Einziehung des Personalcomputers zu Handen wem rechtens an.
| 4 |
C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
| 5 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
| 6 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
7 | |
Die Umschreibung der Tathandlungen in Art. 169 StGB lehnt sich an jene in Art. 163 und Art. 164 StGB an (ALBRECHT, Kommentar Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Bd., 1990, N. 25 zu Art. 169 aStGB; TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, N. 7 zu Art. 169 StGB; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 1983, S. 182). Nach Art. 163 StGB ("Betrügerischer Konkurs und Pfändungsbetrug") macht sich unter den darin genannten weiteren Voraussetzungen der Schuldner strafbar, der sein Vermögen zum Schein vermindert, namentlich Vermögenswerte beiseite schafft oder verheimlicht. Das Verheimlichen von Vermögenswerten im Sinne dieser Bestimmung kann auf verschiedene Weise geschehen, zum Beispiel durch Verstecken oder durch die wahrheitswidrige Behauptung, es seien keine (weiteren) Vermögenswerte vorhanden (ALBRECHT, a.a.O., N. 33 zu Art. 163 aStGB; siehe auch BGE 102 IV 172 E. 2a).
| 8 |
Aus dem Umstand, dass in Art. 169 StGB im Unterschied zu Art. 163 StGB das Beiseiteschaffen und das Verheimlichen von Vermögenswerten nicht ausdrücklich erwähnt sind, folgt nicht die Straflosigkeit dieser Handlungen (ALBRECHT, a.a.O., N. 25 zu Art. 169 aStGB). Wer gepfändete Gegenstände verbirgt oder an einen anderen Ort schafft, wo sie dem Zugriff des Betreibungsamtes entzogen sind, verfügt im Sinne von Art. 169 StGB über sie; das tut er sogar schon dann, wenn er durch diese Handlungen die Verwertung der Gegenstände bloss vorübergehend verhindert (BGE 75 IV 62 E. 3 S. 64; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., 1995, § 23 N. 41).
| 9 |
10 | |
Das Verstecken eines Vermögenswerts kann als eine tatsächliche Verfügung betrachtet werden. Hingegen ist die blosse wahrheitswidrige Angabe gegenüber dem Betreibungsbeamten, der Vermögenswert sei veräussert worden und daher nicht mehr beim Veräusserer vorhanden, nicht eine Verfügung über den Vermögenswert. Die gegenteilige Auffassung geht über eine - zulässige - extensive Auslegung von Art. 169 StGB hinaus und verletzt daher das unter anderem in Art. 1 StGB festgelegte Legalitätsprinzip. Wohl werden durch eine solche wahrheitswidrige Angabe die Interessen der Gläubiger an der Befriedigung ihrer Ansprüche aus dem Erlös der Verwertung des gepfändeten Vermögenswerts in ähnlicher Weise gefährdet wie etwa durch ein Verstecken oder Beiseiteschaffen des gepfändeten Vermögenswerts. Dies bedeutet aber bloss, dass solche wahrheitswidrige Angaben allenfalls strafwürdig sind. Daraus folgt indessen nicht, dass die Täuschung des Betreibungsbeamten durch wahrheitswidrige Angaben über den Verbleib eines gepfändeten Gegenstandes als Verfügung über den Vermögenswert im Sinne von Art. 169 StGB qualifiziert werden darf.
| 11 |
2.3 Indem der Beschwerdeführer dem Betreibungsbeamten wahrheitswidrig erklärte, der gepfändete Personalcomputer sei veräussert worden und daher nicht mehr bei ihm vorhanden, hat er nicht im Sinne von Art. 169 StGB über einen Vermögenswert verfügt. Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte verstösst somit gegen Bundesrecht.
| 12 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |