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10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern sowie A. und B. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.207/2002 vom 26. November 2002 | |
Regeste |
Art. 195 Abs. 1 und 2 StGB; Förderung der Prostitution. |
Wer die Handlungsfreiheit einer mündigen Person gezielt schwächt und ihre Abhängigkeit ausnützt, sodass sie sich mehrmals Dritten gegen Geld sexuell hingibt, führt sie in die Prostitution im Sinne von Art. 195 Abs. 2 StGB ein. Gleich verhält es sich, wenn der Täter das Opfer im Hinblick auf geldwerte Vorteile unter Druck setzt oder dessen besondere Unterlegenheit ausnützt (E. 1.4). |
Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen zu den Tatbestandselementen im konkreten Fall (E. 1.5). |
Bei unmündigen Personen bedeutet "Zuführen" im Sinne von Art. 195 Abs. 1 StGB, sie zu veranlassen, sich mehr als ein Mal gegen Geld anderen Personen sexuell hinzugeben. Im Unterschied zu Absatz 2 der Norm genügt es hier, wenn ein altersmässig oder sonst wie überlegener Täter die Jugendlichkeit des Opfers ausnützt und es zur Prostitution drängt oder überredet. Das Ausnützen einer Abhängigkeit oder das Handeln eines Vermögensvorteils wegen ist nicht erforderlich (E. 2.3). | |
Sachverhalt | |
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Zwischen dem 18. und 23. Dezember 1996 führte X. die Beschwerdegegnerin 1 zum Zwecke der Prostitution in verschiedene Etablissements ein, unter anderem auch in den Y-Club und in eine Diskothek in Luzern. Im Y-Club erbrachte sie mehreren Männern Liebesdienste für Geld. Mit einem der Kunden vollzog sie den Beischlaf.
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Bemüht, Karriere zu machen, unterschrieb die Beschwerdegegnerin 1 in der genannten Zeit alles, was X. ihr vorlegte, unter anderem auch eine Schuldanerkennung über Fr. 33'000.-. Diese setzte X. später ein, um seiner Drohung Nachdruck zu geben, die Beschwerdegegnerin 1 und ihre Familie "medienmässig fertig zu machen". Schliesslich beauftragte X. ein Inkassobüro damit, die Geldforderung gegen die Beschwerdegegnerin 1 einzutreiben. Er verkaufte ferner diverse Akt- und Erotikfotos von ihr an eine grosse Tageszeitung. Diese veröffentlichte die Fotos kurz vor dem Auftritt der Beschwerdegegnerin 1 an einem Gesangswettbewerb.
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Abgesehen von verschiedenen sexuellen Handlungen zum Nachteil der noch nicht mündigen B. (Beschwerdegegnerin 2) brachte X. sie mit der ihm eigenen kraftvollen "Überredungskunst" dazu, zwei Männer gegen Entgelt oral zu befriedigen. Diese Handlungen fanden im Frühling 1997 statt.
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B.- Das Obergericht des Kantons Bern sprach X. am 8. April 2002 wegen dieser und weiterer Taten zweitinstanzlich schuldig des Fahrens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand, der Vereitelung einer Blutprobe, der sexuellen Handlungen mit Kindern, der mehrfachen sexuellen Nötigung, der sexuellen Handlungen mit Abhängigen, der mehrfachen vollendeten und versuchten Förderung der Prostitution, der versuchten Nötigung sowie der Erpressung und bestrafte ihn mit 30 Monaten Gefängnis, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Strafamtsgerichts Bern vom 20. Oktober 1995. Es schied für die vor dem 20. Oktober 1995 begangenen Delikte eine Strafquote von 15 Monaten aus. Schliesslich verpflichtete das Obergericht X., der Beschwerdegegnerin 2 eine Genugtuung von Fr. 15'000.- und der Beschwerdegegnerin 1 eine Genugtuung von Fr. 2'000.- zu bezahlen. X. führt dagegen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Strafpunkt in Anwendung von Art. 277 BStP teilweise gut.
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- eine unmündige Person der Prostitution zuführt (Abs. 1);
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- eine Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit oder eines Vermögensvorteils wegen der Prostitution zuführt (Abs. 2);
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- die Handlungsfähigkeit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beeinträchtigt, dass er sie bei dieser Tätigkeit überwacht oder Ort, Zeit, Ausmass oder andere Umstände der Prostitution bestimmt (Abs. 3);
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- eine Person in der Prostitution festhält (Abs. 4).
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Art. 195 StGB ist bei der Revision des Sexualstrafrechts von 1992 an die Stelle der altrechtlichen Art. 198, 199, 200 und 201 StGB getreten. Die Bestimmung schützt sowohl Personen davor, gegen ihren Willen dazu gebracht zu werden, sich zu prostituieren, als auch die Entscheidungsfreiheit von Personen, die bereits als Prostituierte arbeiten. Der Gesetzgeber wollte die Strafbarkeit der ethisch missbilligenswerten Kuppelei und Zuhälterei auf Fälle einschränken, in denen der Täter die aufgrund einer Unterlegenheit bzw. Abhängigkeit verminderte Handlungsfreiheit des Opfers ausnützt (vgl. Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes [Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie] vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1009 ff., 1082). Ob die Willens- und Handlungsfreiheit des Opfers eingeschränkt war, bestimmt sich nach dessen individuellen Fähigkeiten im gesamten jeweiligen Kontext.
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Die Norm schützt die sexuelle Selbstbestimmung im Bereich der Prostitution nur vor besonderen, abschliessend umschriebenen Beeinträchtigungen. Denn das Strafrecht gründet auf dem Menschenbild, Erwachsene könnten innerhalb der Beschränkungen, die das tägliche Leben mit sich bringen, ihren Willen grundsätzlich frei bilden und umsetzen.
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1.4 Prostitution besteht im gelegentlichen oder gewerbsmässigen Anbieten und Preisgeben des eigenen Körpers an beliebige Personen zu deren sexueller Befriedigung gegen Geld oder geldwerte Leistungen (Botschaft, BBl 1985 II 1082 f.). Es genügt grundsätzlich jede hetero- oder homosexuelle Handlung, mit der ein Kunde oder eine Kundin über einen körperlichen Kontakt befriedigt werden soll. Prostitution liegt schon vor, wenn sich das Opfer erst vereinzelt in der oben umschriebenen Weise Dritten angeboten und hingegeben hat. Es ist somit nicht erforderlich, dass die Prostitution regelmässig ![]() | 17 |
Der Prostitution führt zu, wer eine andere Person "in das Gewerbe einführt und zu dessen Ausübung bestimmt" (Botschaft, BBl 1985 II 1083). Wie sich aus dem dargelegten Begriff der Prostitution ergibt, genügt es bereits, wenn der Täter die Person im Hinblick auf eine bloss gelegentliche Ausübung der Prostitution in diese Tätigkeit einführt. Nicht erforderlich ist die Absicht, die Person bleibend in das "Gewerbe" einzuführen und sie zur Prostitution im Sinne einer Lebensform zu bestimmen. Das ergibt sich auch aus der französischen und italienischen Gesetzesfassung ("poussé autrui à se prostituer" bzw. "sospinge altri alla prostituzione"). Der Täter muss aber mit "einer gewissen Intensität" auf sein Opfer einwirken, wobei bereits ein Drängen oder Insistieren genügen soll (Botschaft, S. 1083; REHBERG, a.a.O., S. 26; TRECHSEL, a.a.O., Art. 195 StGB N. 4). Bei unmündigen Opfern nach Art. 195 Abs. 1 StGB genügt in der Regel ein geringerer Druck als gegenüber Erwachsenen (vgl. etwa STRATENWERTH, a.a.O., N. 8 mit Beispielen). Ein "Zuführen" kann - nicht nur bei Erwachsenen - darin bestehen, dass der Täter Räume organisiert oder Kunden vermittelt (REHBERG/SCHMID, a.a.O., S. 410 f.; vgl. auch BGE 121 IV 86 E. 2b, wo das Merkmal "Zuführen" jedoch nicht angefochten war und damit vom Bundesgericht nicht überprüft wurde). Weil die gezielte Einwirkung des Täters auf das Opfer dessen Willens- und Handlungsfreiheit nennenswert beeinträchtigen muss, ist ein "Zuführen" zu verneinen, wenn der Täter dem Opfer bloss die Gelegenheit eröffnet oder ![]() | 18 |
Führt der Täter eine erwachsene Person der Prostitution zu, ist nach Absatz 2 der Bestimmung zusätzlich erforderlich, dass er eine Abhängigkeit des Opfers ausnützt oder "eines Vermögensvorteils wegen" handelt.
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Der auch in den Art. 188, 192 und 193 StGB verwendete Begriff der Abhängigkeit ist bei Art. 195 StGB weit zu verstehen (Botschaft, BBl 1985 II 1084). Ob eine Abhängigkeit vorliegt, entzieht sich einer allgemeinen Umschreibung und ist nach den Umständen des jeweiligen Falles zu ermitteln. In Betracht kommen neben dem in Art. 193 StGB genannten Arbeitsverhältnis jede andere hinreichend schwere Form von Abhängigkeit. Das kann etwa bei Hörigkeit (Botschaft, S. 1084), Drogensucht, finanziellen Abhängigkeiten usw. anzunehmen sein (vgl. Botschaft, S. 1084; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 9; TRECHSEL, a.a.O., Art. 195 StGB N. 6; JENNY, a.a.O., Art. 195 StGB N. 8).
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Nach der zweiten Variante muss der Täter das Opfer "eines Vermögensvorteils wegen" der Prostitution zuführen, d.h. mit Blick auf eine eigene vermögenswerte Besserstellung handeln. Das Tatbestandsmerkmal "verschmilzt" mit dem Motiv des Täters (Botschaft, BBl 1985 II 1084). Insoweit klingt die moralische Missbilligung der Zuhälterei des früheren Rechts an (vgl. Art. 201 aStGB), worin der Gesetzgeber neu keinen hinreichenden Strafgrund erblickte (Botschaft, S. 1082). Daraus leitet die herrschende Lehre zutreffend ab, eine erwachsene Person für geldwerte Vorteile der Prostitution zuzuführen sei nach Art. 195 Abs. 2 StGB nur strafbar, wenn das Opfer unter Druck gesetzt oder dessen besondere Unterlegenheit ausgenützt werde, so dass seine Handlungsfreiheit im Ergebnis ähnlich stark eingeschränkt sei wie bei den anderen Formen des Delikts. Insofern liegt das Schwergewicht beim Begriff des Zuführens und nicht beim Merkmal des Handelns um des vermögenswerten Vorteils wegen (STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 10; ebenso TRECHSEL, a.a.O., Art. 195 StGB N. 7 mit weiteren Hinweisen).
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1.5 Nach Auffassung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer die Beschwerdegegnerin 1 im Sinne von Art. 195 Abs. 2 StGB der ![]() | 22 |
Die kantonale Behörde hat ihre Entscheidung so zu begründen, dass das Bundesgericht die Gesetzesanwendung überprüfen kann (vgl. Art. 277 BStP). Dies setzt voraus, dass im Urteil das Ergebnis der Beweisführung - soweit es für die Beurteilung der Sache von Bedeutung ist - festgestellt wird (so für die eidgenössische Berufung in Zivilsachen ausdrücklich Art. 51 Abs. 1 lit. c Satz 1 OG). Aus dem Ergebnis der Beweisführung muss in einem Fall wie hier ersichtlich sein, weshalb die Voraussetzungen von Art. 195 Abs. 2 StGB bejaht wurden (vgl. ERHARD SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, Bern 1993, N. 600; MARTIN SCHUBARTH, Nichtigkeitsbeschwerde 2001, Bern 2001, N. 154; vgl. Urteil 6S.476/1992 vom 28. Dezember 1993, E. 3a).
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Das angefochtene Urteil genügt diesen eidgenössischen Mindestanforderungen für die Begründung kantonaler Urteile nicht. Im angefochtenen Urteil finden sich relevante Sachverhaltsfeststellungen verstreut an mehreren Stellen, wobei Überflüssiges gleichgeordnet mit Wesentlichem referiert wird. Unter diesen Umständen ist es dem Bundesgericht nicht möglich, die Gesetzesanwendungen nachzuprüfen.
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Abgesehen davon ist das angefochtene Urteil aus folgenden Gründen gestützt auf Art. 277 BStP aufzuheben. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, worin das "Drohen, Drängen und Insistieren" des Beschwerdeführers bestanden haben soll. Soweit die Vorinstanz annimmt, der Beschwerdeführer habe die Schuldanerkennung der Beschwerdegegnerin 1 dazu benutzt, seine Drohung zu "untermauern", die Beschwerdegegnerin 1 und ihre Familie "medienmässig fertigzumachen", und er habe ein Inkassobüro mit der Eintreibung der Geldforderung beauftragt sowie kurz vor einem wichtigen Auftritt der Beschwerdegegnerin 1 Fotos an eine Zeitung verkauft, geht nicht genügend deutlich hervor, inwiefern dieses Verhalten mit den entgeltlichen Dienstleistungen der Beschwerdegegnerin 1 im Y-Club und den gemeinsamen Besuchen von verschiedenen "Etablissements" im Zusammenhang gestanden haben soll und die Handlungsfreiheit der Beschwerdegegnerin 1 dadurch deutlich beschränkt gewesen sei. Nur wenn dies festgestellt wäre, liesse sich beurteilen, ob darin ein Druck im Sinne von Art. 195 Abs. 2 StGB zu erblicken ist.
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Sodann erachtet die Vorinstanz Art. 195 Abs. 2 StGB als vollendet, soweit die Beschwerdegegnerin 1 im Y-Club "gegen Entgelt ![]() | 26 |
Schliesslich steht im angefochtenen Urteil nichts zur Frage der Abhängigkeit der Beschwerdegegnerin 1. In Bezug auf das von der Vorinstanz bejahte alternative Erfordernis des Handelns im Hinblick auf einen Vermögensvorteil ist dem angefochtenen Urteil nur zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer "schlussendlich kein Vermögensvorteil erwachsen ist". Zur entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Beschwerdegegnerin 1 die von ihren Kunden erhaltenen Gelder oder einen Teil davon dem Beschwerdeführer hätte abgeben sollen bzw. ob der Beschwerdeführer konkret erwartete bzw. erwarten konnte, von der Tätigkeit der Beschwerdegegnerin 1 finanziell unmittelbar zu profitieren, schweigt sich die Vorinstanz aus.
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Aus diesen Gründen ist der angefochtene Entscheid in diesem Punkt bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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2.4 Zur Begründung der Beschwerde im Zivilpunkt gehört grundsätzlich, dass gesagt wird, welche zivilrechtlichen Bestimmungen und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Unterlässt der Beschwerdeführer eine solche Begründung und verweist er statt dessen nur auf seine Ausführungen zum Strafpunkt, dann betrachtet er seinen Antrag zum Zivilpunkt nur als Folge ![]() | 34 |
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