![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
11. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.258/2001 vom 26. November 2002 | |
Regeste |
Art. 195 Abs. 3 und 4, Art. 196 und Art. 58 Abs. 1 StGB; Förderung der Prostitution, Menschenhandel, Sicherungseinziehung. |
Für die Tatbestandsvariante des Festhaltens in der Prostitution muss der Täter Druck auf eine ausstiegswillige oder -bereite Person ausüben, um sie daran zu hindern, sich von der Prostitution abzuwenden. Wer auf Prostituierte einwirkt, damit sie den Ausstieg aus der Prostitution gar nicht erst erwägen, erfüllt die Strafnorm nicht (E. 2.3). |
Menschenhandel begeht, wer wirtschaftlich schlecht gestellte junge Frauen im Ausland anwirbt und für seine Bordelle in der Schweiz verpflichtet sowie teilweise weitervermittelt. Die bloss formale "Einwilligung" der Betroffenen in die Tätigkeit und deren Umstände ist unbeachtlich, wenn sie auf die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Herkunftsland zurückzuführen ist (E. 3). |
Die Sicherungseinziehung einer Schusswaffe durch den Strafrichter verletzt Bundesrecht, wenn die Waffe keinen Bezug zu einer Straftat hat (E. 4.1 und 4.2). Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Waffenrechts (E. 4.2). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Dagegen erhoben sowohl die Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft kantonale Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 24. Januar 2001 wegen mehrfachen Menschenhandels (Art. 196 StGB), mehrfacher Förderung der Prostitution (Art. 195 Abs. 3 und 4 StGB), mehrfacher Bestechung (Art. 288 aStGB), je mehrfacher Anstiftung zur Begünstigung (Art. 305 StGB) und zu einem Vergehen im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG, mehrfachen Vergehens gegen Art. 23 Abs. 2 ANAG sowie Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG zu einer Zuchthausstrafe von viereinhalb Jahren und einer Busse von Fr. 10'000.-. Das Gericht sprach X. von den Vorwürfen der Anstiftung zum Amtsmissbrauch, der Förderung der Prostitution im Sinne von Art. 195 Abs. 2 StGB sowie der einfachen Körperverletzung frei. Ferner beschloss es die Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Pistole "Erma" mit 74 Patronen sowie die Einziehung verschiedener Gegenstände und von Bargeldbeträgen im Gesamtwert von Fr. 23'864.-.
| 2 |
Die Verurteilte erhob dagegen kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde am 22. Dezember 2001 ab, soweit es darauf eintrat.
| 3 |
B.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen.
| 4 |
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist.
| 5 |
Aus den Erwägungen: | |
6 | |
1.2 Nach Art. 195 Abs. 3 StGB wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer die Handlungsfreiheit einer Person, die sich prostituiert, dadurch beeinträchtigt, dass er sie bei ihrer Tätigkeit überwacht oder Ort, Zeit, Ausmass oder andere Umstände der Prostitution bestimmt. Geschütztes Rechtsgut ist die Entscheidungsfreiheit der Prostituierten, die nicht verletzt werden darf ![]() | 7 |
Ob unzulässiger Druck im Sinne der Bestimmung ausgeübt wird, entscheidet sich nach den Umständen des jeweiligen Falles. Das Bundesgericht hielt die Strafbarkeit für gegeben im Falle von Animierdamen, deren Anwesenheit und Tätigkeit streng kontrolliert wurden und die aufgrund der Rahmenbedingungen (obligatorische Zimmermiete, Forfaits) ihren Lebensunterhalt nur durch Prostitution verdienen konnten. Daran änderte nichts, dass die Frauen den durch Prostitution erwirtschafteten Verdienst behalten konnten (Urteile 6S.446/2000 vom 29. März 2001, E. 3 und 6S.570/1997 vom 9. Oktober 1997, E. 2, besprochen von HANS WIPRÄCHTIGER, Aktuelle Praxis des Bundesgerichts zum Sexualstrafrecht, ZStrR 117/1999 S. 146 f.). Das Bundesgericht bestätigte ferner die Verurteilung des Betreibers eines "Begleitservices", der die angestellten Prostituierten zu praktisch permanenter Einsatzbereitschaft verpflichtete und sie ständig durch Chauffeure überwachen liess, die auch das Geld einzogen (BGE 125 IV 269 E. 2 S. 271 f.). Schliesslich bejahte das Bundesgericht die Förderung der Prostitution bei einem Täter, der ausländische Prostituierte illegal in die Schweiz brachte, diese und bereits illegal in der Schweiz sich aufhaltende Prostituierte beherbergte, ihnen Arbeit im Gewerbe in Saunas und Nachtclubs vermittelte, sie jeweils dorthin begleitete und überwachte, den Erlös ihrer Arbeit entgegennahm und ihnen einen Teil davon wieder auszahlte, sowie ihnen Darlehen gab, die sie abarbeiten mussten (Urteil 6P.162/2001 vom 22. März 2002, E. 6).
| 8 |
Nicht gegen Art. 195 Abs. 3 StGB verstiess hingegen der Geschäftsführer eines Saunaclubs, der sich damit begnügte, von den ![]() | 9 |
10 | |
Hier kontrollierte sie die Frauen umfassend. Sie nahm ihnen bei der Ankunft in der Schweiz den Pass und das Rückflugticket als Sicherheit dafür ab, dass die Frauen ihre Salons nicht (vorzeitig) verliessen und Schulden von durchschnittlich Fr. 12'000.- für die Unterstützung bei der Einreise und für die Reise selbst abbezahlten. Die tatsächlichen Kosten der Vermittlung und Einreise von Prostituierten in die Schweiz betrugen jeweils rund Fr. 10'000.-. Die Beschwerdeführerin drohte den Frauen bei ihrer Ankunft in der Schweiz eine "Konventionalstrafe" von Fr. 10'000.- an, falls sie den jeweiligen Salon vorzeitig verlassen würden. In der Folge lebten und arbeiteten die Prostituierten in den Salonräumlichkeiten. Sie mussten jeden Tag 17 Stunden arbeiten (Präsenzzeit) und der Beschwerdeführerin ihre gesamten Einnahmen, einschliesslich Trinkgelder von mehr als Fr. 50.-, abliefern. X. zog 60% der Einnahmen für sich ab. Die restlichen 40% standen den Prostituierten zu, wobei diese damit zuerst ihre Schulden abbezahlen mussten, wofür sie durchschnittlich mindestens einen Monat brauchten. Überdies ![]() | 11 |
1.4 Die Beschwerdeführerin hatte eine bestimmende Machtposition über die bei ihr arbeitenden Prostituierten. Sie beruhte auf dem wirtschaftlichen und sozialen Druck, der auf den Frauen lastete, und auf ihrer schwachen Stellung als mittellose illegale Aufenthalterinnen. Diese waren angesichts ihres illegalen Aufenthaltsstatus, ihrer fehlenden Deutschkenntnisse und der sozialen Isolation darauf angewiesen, von der Beschwerdeführerin beherbergt zu werden und bei ihr arbeiten zu können. Wie die Vorinstanz zutreffend und eingehend darlegt, hat die Beschwerdeführerin diese Zwangslage nicht ![]() | 12 |
Die Beschwerdeführerin begnügte sich nicht damit, einen Ort zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung zu stellen und den Prostituierten im Übrigen ihre Freiheit zu belassen. Sie unternahm im Gegenteil alles, um die Frauen während ihres Aufenthaltes in der Schweiz wie Gefangene zu halten und ihnen die Umstände der Ausübung ihres Gewerbes in allen Einzelheiten aufzuzwingen. Die illegal arbeitenden Prostituierten waren zu keiner Zeit in der Lage, die Salons bzw. die Schweiz vorzeitig zu verlassen. Sie sahen sich vielmehr gezwungen, die Freiheitsbeschränkungen durch die Beschwerdeführerin zu erdulden und während ihres Aufenthaltes möglichst viel Geld zu verdienen, wenn ihre Tätigkeit in der Schweiz für sie überhaupt rentabel sein sollte. Der Umstand, dass eine Anzahl der Frauen routinierte Prostituierte gewesen sein sollen, vermag am ungewöhnlich hohen Grad der Beschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit nichts zu ändern. Im Übrigen entfällt die Strafbarkeit des Ausbeuters nach Art. 195 Abs. 3 StGB nicht, wenn die Opfer sich auf die Ausbeutung einlassen. Es verhält sich damit ganz ähnlich wie beim Wucher (Art. 157 StGB). Die Förderung der Prostitution ![]() | 13 |
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin die für sie anschaffenden Frauen durch eine Vielzahl von Massnahmen einem starken und anhaltenden Druck aussetzte, dem sie sich kaum entziehen konnten. Durch diesen Druck waren die Prostituierten in ihrer Entscheidung, ob und wie sie dem Gewerbe nachgehen wollten, objektiv gesehen nicht mehr frei. Ob sie dazu ihr formales Einverständnis gegeben hatten, ist unbeachtlich, da sie angesichts ihrer prekären wirtschaftlichen Verhältnisse in Thailand insoweit nicht über die dafür notwendige Entscheidungsfreiheit verfügten (vgl. BGE 128 IV 117 E. 4b und c zu Art. 196 StGB). Schliesslich ist nicht zweifelhaft, dass die Beschränkung der Handlungsfreiheit der für die Beschwerdeführerin anschaffenden Frauen ihrem Willen oder zumindest ihren Bedürfnissen widersprach. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen mehrfacher Förderung der Prostitution nach Art. 195 Abs. 3 StGB ist damit bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
| 14 |
15 | |
16 | |
Diese Bestimmung schützt wie Art. 195 Abs. 3 StGB die persönliche Freiheit der betroffenen Person (Botschaft, BBl 1985 II 1082). Unter "Festhalten in der Prostitution" versteht die Botschaft "Vorkehren aller Art, die diesem Zwecke dienen, wie z.B. Gewalt, Drohung, das Verstricken in Abhängigkeiten, namentlich auch finanzieller Art". Die Tatbestandsvariante sei erfüllt, wenn die in ihrer ![]() | 17 |
Die Doktrin versteht unter "Festhalten in der Prostitution" ähnlich der Botschaft das Hindern der betroffenen Person, sich von der Prostitution abzuwenden. Nach STEFAN TRECHSEL (Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, Art. 195 N. 10) ist Art. 195 Abs. 4 StGB erfüllt, wenn der oder die Prostituierte daran gehindert werde, diese Tätigkeit aufzugeben. Der Täter müsse auf diesen Entschluss des Opfers in einer Weise einwirken, welche die Intensität einer Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB erreiche. Für JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID (Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich 1997, S. 412) muss aufgrund des geschützten Rechtsguts sinngemäss vorausgesetzt werden, dass die betroffene Person ihre entsprechende Tätigkeit überhaupt oder mindestens in der Schweiz aufgeben möchte, der Täter darum wisse und mittels Zwang wie z.B. Gewalt, psychischem Druck, Drohung, Wegnahme der Ausweispapiere oder verstärkter Abhängigkeiten auf den Willen der Person Einfluss nehme. Der Umstand, dass die betroffene Person lediglich bestimmte Kunden nicht zu bedienen oder einzelne Sexualpraktiken nicht zu erbringen wünsche, reiche demgegenüber nicht aus (zustimmend BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit Suisse, Bd. I, Bern 2002, Art. 195 N. 54 S. 794, der auch den Wunsch nicht genügen lässt, die Prostitution einzuschränken oder an einem anderen Ort auszuüben). Ganz ähnlich verlangen GÜNTER STRATENWERTH (Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 9 N. 12) und GUIDO JENNY (Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 4. Bd., Bern 1997, Art. 195 N. 13) den Willen der betroffenen Person, sich von der Prostitution zu lösen, und Druck von Seiten des Täters oder der Täterin, der das verhindere. Beide Autoren ![]() | 18 |
19 | |
2.3 Der blosse Wortlaut des Art. 195 Abs. 4 StGB lässt sowohl die Interpretationen in den Gesetzesmaterialien und der Lehre als auch jene der Vorinstanz zu. Nach der Botschaft und der ihr folgenden Doktrin regelt die Deliktsvariante Fälle, in denen der Täter eine Person, welche die Prostitution ganz aufgeben möchte, mittels Druck davon abhält, ihren Willen umzusetzen (vgl. oben E. 2.1). Diese restriktiven Voraussetzungen - Wille der betroffenen Person, sich von der Prostitution zu lösen, und ein sie daran hindernder Druck des Täters - ergeben sich aus der Notwendigkeit, die einzelnen Tatbestandsvarianten voneinander abzugrenzen und entsprechen Sinn und Zweck der Norm. Art. 195 Abs. 3 StGB erfasst abgeschwächte Formen des Festhaltens in der Prostitution durch Kontrolle der Tätigkeit und Bestimmung der Modalitäten ihrer Ausübung ![]() | 20 |
Die Vorinstanz nimmt nicht an, eine oder mehrere der Frauen, die sich in den Salons der Beschwerdeführerin prostituierten, hätten ihre Tätigkeit aufgeben wollen oder seien zumindest dazu bereit gewesen. Damit verletzt die Verurteilung wegen "Festhaltens in der Prostitution" gemäss Art. 195 Abs. 4 StGB Bundesrecht.
| 21 |
22 | |
Die Einwände der Beschwerdeführerin sind im Lichte von BGE 128 IV 117 unbegründet.
| 23 |
24 | |
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung setzt eine Verurteilung wegen Menschenhandels voraus, dass die betroffene ![]() | 25 |
Nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichts zum altrechtlichen Tatbestand des Frauen- und Kinderhandels (Art. 202 aStGB) war nur strafbar, wer mit Frauen tatsächlich Handel trieb, nicht aber, wer sie zum Einsatz im eigenen Bordell anwarb (BGE 96 IV 118). Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung in BGE 128 IV 117 einer zeitgemässen Überprüfung unterzogen. Unter Berücksichtigung der seither ergangenen Gesetzesänderung (vgl. BBl 1985 II 1086f.) sowie der internationalen Abkommen hat das Bundesgericht neu erkannt, dass Art. 196 StGB auch auf die Tätigkeit des Geschäftsführers anwendbar ist, der im Ausland Prostituierte für sein Bordell in der Schweiz anwirbt und verpflichtet (BGE 128 IV 117 E. 6d).
| 26 |
3.2 Die Beschwerdeführerin hat von der Schweiz aus über Vermittler in Thailand junge Frauen aus armen Verhältnissen von Thailand in die Schweiz bringen lassen, wo sie in ihren Bordellen als Prostituierte arbeiteten. Teilweise vermittelte die Beschwerdeführerin die Frauen an andere Bordelle. Sie hat damit Art. 196 Abs. 1 StGB objektiv und subjektiv erfüllt, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat. Angesichts ihrer prekären wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Thailand war das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frauen eingeschränkt, weshalb ihr bloss formales ![]() | 27 |
28 | |
Die Vorinstanz rechtfertigt die Einziehung damit, dass die Pistole entgegen der Auffassung der Erstinstanz geeignet sei, die Sicherheit von Menschen im Sinne von Art. 58 Abs. 1 StGB zu beeinträchtigen, weil sie "ohne grosse Mühe wieder zusammengesetzt und schussbereit gemacht werden" könne. Die Erstinstanz habe übersehen, dass mit der Pistole noch 74 Patronen beschlagnahmt worden seien. "Daher" seien die Gegenstände gestützt auf Art. 58 StGB einzuziehen.
| 29 |
Abweichend davon hatte die Erstinstanz noch erkannt, bei der zerlegten und funktionsuntauglichen Pistole handle es sich nicht um ein "eigentliches Tatwerkzeug". Da nichts auf eine davon ausgehende andauernde Gefahr für die Sicherheit anderer, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung hinweise, sei die Pistole der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft "auf erstes Verlangen" herauszugeben.
| 30 |
31 | |
![]() | 32 |
33 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |