![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Jürg Scherrer gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.64/2004 vom 6. Oktober 2004 | |
Regeste |
Art. 261bis Abs. 4 StGB, Art. 16 BV, Art. 10 EMRK, Art. 19 UNO-Pakt II; Rassendiskriminierung, Meinungsäusserungsfreiheit, politische Auseinandersetzung. |
Die Freiheit der Meinungsäusserung verbietet es, in der politischen Auseinandersetzung eine Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB leichthin zu bejahen. Den Tatbestand erfüllt nicht bereits, wer über eine geschützte Bevölkerungsgruppe etwas Unvorteilhaftes äussert, solange die Kritik im Gesamtzusammenhang sachlich bleibt und sich auf objektive Umstände stützt (E. 3). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Die Freiheits-Partei weist darauf hin, dass u.a. die Einwanderer (so genannte Flüchtlinge) aus dem Kosovo einen unverhältnismässig hohen Anteil an der zunehmenden Gewaltbereitschaft und Kriminalität in der Schweiz haben. Darum verlangt die FPS die Rückschaffung sämtlicher Einwanderer aus dem Kosovo innert der ursprünglich verfügten Frist. Es hat sich mittlerweile zur ständigen Praxis ermittelt (recte: entwickelt), dass aufgenommene Asylanten die Schweiz nie mehr verlassen und nach einer 12-jährigen Aufenthaltsdauer in unserem Land die praktisch bedingungslose Einbürgerung verlangen können. Die FPS will keine neuen Schweizer, die eine kriminelle Vergangenheit aufweisen.
| 2 |
Der Gerichtspräsident 8 des Gerichtskreises II Biel-Nidau sprach Jürg Scherrer am 13. Mai 2003 wegen Veröffentlichung des oben zitierten Textes der Rassendiskriminierung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 2'000.-. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 4. November 2003 dieses Urteil.
| 3 |
Jürg Scherrer erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids.
| 4 |
Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt in seiner Vernehmlassung vom 6. August 2004 die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
| 5 |
![]() | |
6 | |
7 | |
Dieser Tatbestand schützt die Würde des einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion. Der öffentliche Friede wird mittelbar geschützt als Folge des Schutzes des Einzelnen in seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe (BGE 128 I 218 E. 1.4 S. 222).
| 8 |
9 | |
Der Beschwerdeführer stellt zu Recht nicht in Frage, dass die in der Medieninformation genannten Einwanderer aus dem Kosovo - verstanden als Kosovo-Albaner - eine von Art. 261bis StGB geschützte Gruppe darstellen und dass seine Äusserung öffentlich erfolgt ist. Er bestreitet hingegen, dass in der von ihm verfassten Stellungnahme eine gegen die Menschenwürde verstossende Herabsetzung oder Diskriminierung liege.
| 10 |
2. Wie bereits der erstinstanzliche Richter erklärt die Vorinstanz, dass die vom Beschwerdeführer veröffentlichte Mitteilung nicht auf Grund des Wortlauts der einzelnen Sätze zu beurteilen sei. Vielmehr sei der Bedeutungsgehalt der Information als Ganzes, wie er vom durchschnittlichen Leser wahrgenommen werde, zu würdigen. ![]() | 11 |
2.1 Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Strafbarkeit von Äusserungen nach dem Sinn, den der unbefangene Durchschnittsadressat diesen unter den jeweiligen konkreten Umständen gibt. Handelt es sich um einen Text, so ist dieser nicht allein anhand der verwendeten Ausdrücke - je für sich allein genommen - zu würdigen, sondern auch nach dem Sinn, der sich aus dem Text als Ganzes ergibt (BGE 117 IV 27 E. 2c S. 29 f.). Äusserungen, die im Rahmen politischer Debatten getätigt werden, sind nicht immer strikte an ihrem Wortlaut zu messen, da bei solchen Auseinandersetzungen oft gewisse Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind (BGE 128 IV 53 E. 1a S. 58 f.; BGE 105 IV 194 E. 2a S. 196).
| 12 |
Die Bestimmung des Inhalts einer Äusserung ist eine Tatfrage, die im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft werden kann (BGE 124 IV 121 E. 2b S. 125). Die Ermittlung des Sinns, den ihr ein unbefangener Durchschnittsadressat beilegt, ist dagegen eine in diesem Rechtsmittelverfahren zu prüfende Rechtsfrage.
| 13 |
14 | |
Nach Auffassung der Vorinstanz sieht der Durchschnittsbürger in der Medienmitteilung eine Abqualifizierung der Kosovo-Albaner, weil sie die erwähnte Behauptung der überdurchschnittlichen Kriminalitätsrate bzw. Gewaltbereitschaft in der Schweiz mit der politischen Forderung verknüpft. Es werde der Eindruck erweckt, bei den Kosovo-Albanern handle es sich um eine "grundsätzlich zu kriminellen Handlungen und zur Gewaltanwendung neigende Bevölkerungsgruppe", ja es werde das Bild des "pauschal kriminellen ![]() | 15 |
Die vom Beschwerdeführer erhobene Kritik an der Auslegung der Medienmitteilung erweist sich somit als begründet. Es fragt sich demzufolge einzig, ob die Behauptung, dass die Einwanderer aus dem Kosovo einen unverhältnismässig hohen Anteil an der zunehmenden Gewaltbereitschaft und Kriminalität in der Schweiz haben, und die daran anschliessende Forderung nach Rückschaffung dieser Einwanderer innert der ursprünglich verfügten Frist je für sich allein oder in ihrer Verknüpfung eine Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB darstellen.
| 16 |
17 | |
3.1 Bei der Auslegung von Art. 261bis StGB ist der Freiheit der Meinungsäusserung (Art. 16 BV; Art. 10 EMRK; Art. 19 UNO-Pakt II) Rechnung zu tragen (vgl. ALEXANDRE GUYAZ, L'incrimination de la discrimination raciale, Diss. Bern 1996, S. 184 ff.; FRANZ RIKLIN, Die neue Strafbestimmung der Rassendiskriminierun ![]() | 18 |
Diese vor allem für ehrverletzende Äusserungen entwickelten Leitlinien sind grundsätzlich auch bei der Auslegung des Straftatbestands der Rassendiskriminierung zu beachten. Der Meinungsäusserungsfreiheit darf zwar keine so weitreichende Bedeutung gegeben werden, dass das Anliegen der Bekämpfung der Rassendiskriminierung seiner Substanz beraubt würde (vgl. Urteil des EGMR i.S. Jersild gegen Dänemark vom 23. September 1994, Serie A, Bd. 298, Ziff. 27). Umgekehrt muss es in einer Demokratie aber möglich sein, auch am Verhalten einzelner Bevölkerungsgruppen Kritik zu üben. Eine Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB ist daher in der politischen Auseinandersetzung nicht leichthin zu bejahen. Jedenfalls erfüllt den Tatbestand nicht bereits, wer über eine von dieser Norm geschützte Gruppe etwas Unvorteilhaftes äussert, solange die Kritik insgesamt sachlich bleibt und sich auf objektive Gründe stützt (BGE 124 IV 121 E. 2b S. 124 f.; Urteil 6S.148/2003 vom 16. September 2003, E. 2.2; vgl. auch ANDREAS DONATSCH/WOLFGANG WOHLERS, Strafrecht IV, 3. Aufl., Zürich 2004, S. 216). Äusserungen im Rahmen der politischen ![]() | 19 |
20 | |
3.3 Die in der fraglichen Medienmitteilung ebenfalls erhobene Forderung, die Einwanderer aus dem Kosovo seien innert der ursprünglich verfügten Frist zurückzuschaffen, bezieht sich auf die Ausübung des den Asylbehörden zustehenden Ermessens. Der Beschwerdeführer strebt nicht an, den Kosovo-Albanern ausländerrechtliche Grundrechte generell zu versagen und sie dadurch gegenüber Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen schlechter zu stellen. Vielmehr setzt er sich mit seiner Forderung, die vorläufige ![]() | 21 |
22 | |
23 | |
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat der Bundesrat Personen, die in der Schweiz die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder in schwerwiegender Weise verletzt haben, von der am 7. April 1999 den Flüchtlingen aus dem Kosovo gewährten, ![]() | 24 |
Da straffällige Einwanderer aus dem Kosovo somit gerade nicht in den Genuss der vorläufigen Aufnahme bzw. der verlängerten Ausreisefristen kommen, stösst die Forderung, dieser Bevölkerungsgruppe wegen ihrem behaupteten überdurchschnittlichen Anteil an der Kriminalität in der Schweiz die genannten Vorteile zu verweigern, weitgehend ins Leere. Ein sachlicher Bezug ist einzig insoweit erkennbar, als man berücksichtigt, dass kaum je alle Straftaten aufgedeckt werden. Ausgehend von der aufgestellten Behauptung erscheint es daher bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar anzunehmen, bei Angehörigen dieser Gruppe bestehe ein erhöhtes Risiko, dass die vorläufige Aufnahme zu Unrecht gewährt werde.
| 25 |
3.4.2 Nach dem Gesagten erscheint der ins Feld geführte erhöhte Anteil der Kosovo-Albaner an der Kriminalität in der Schweiz kaum als durchschlagendes Argument für deren Rückschaffung innert der ursprünglich beschlossenen Fristen. Trotzdem erscheint die inkriminierte Medienmitteilung im Gesamtzusammenhang nicht unsachlich, zumal im politischen Meinungskampf gewisse Vereinfachungen üblich sind (vgl. E. 3.1). In ihrem Mittelpunkt steht nämlich die Kritik am Entscheid des Bundesrates, Personen aus dem Kosovo weiterhin die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Gleichzeitig wird die Ausländerpolitik des Bundes insgesamt kritisiert. Der Fall der Kosovo-Albaner wird aufgegriffen, um ein Beispiel für die aus Sicht des Beschwerdeführers zu liberale Politik des Bundesrats zu geben. Dies zeigt namentlich der Hinweis, dass "unter anderem" die Einwanderer aus dem Kosovo eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate aufwiesen. Der grundsätzliche Anstrich der Kritik findet sich sodann im angefügten Satz, die Freiheitspartei wolle keine neuen Schweizer, die eine kriminelle Vergangenheit hätten. Für den Durchschnittsleser ergibt sich aus der Verknüpfung der beiden - für sich betrachtet - nicht tatbestandsmässigen Textteile ![]() | 26 |
Wird berücksichtigt, dass in der demokratischen Auseinandersetzung auch politische Entscheide, die sich auf einzelne Bevölkerungsgruppen beziehen, in einer gewissen Breite kritisiert werden dürfen, erscheint die fragliche Medienmitteilung nicht als Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB. Denn sie greift die Bevölkerungsgruppe der Kosovo-Albaner über den konkreten Entscheid hinaus als solche nicht an und stellt sie nicht als minderwertig hin.
| 27 |
28 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |