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17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staats- anwaltschaft und Kantonsgericht des Kantons Graubünden (Staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde) |
6P.138/2004 / 6S.377/2004 vom 11. Februar 2005 | |
Regeste |
Grobe Verkehrsregelverletzung durch ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren (Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV). | |
Sachverhalt | |
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Der Bezirksgerichtsausschuss Hinterrhein verurteilte X. am 11. Mai 2004 wegen (einfacher) Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) sowie Art. 27 Abs. 1 SVG zu einer Busse von 300 Franken.
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In Gutheissung der von der Staatsanwaltschaft Graubünden eingereichten Berufung verurteilte der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden X. am 28. Juli 2004 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV (durch ungenügenden Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug) und wegen (einfacher) Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG (durch Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) zu einer Busse von 500 Franken.
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X. erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Mit beiden Rechtsmitteln ficht er einzig seine Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung an. Er macht geltend, er habe sich durch die Einhaltung eines ungenügenden Nachfahrabstandes (Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV) aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen lediglich der (einfachen) Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig gemacht.
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Aus den Erwägungen: | |
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Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und ![]() | 6 |
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Die Rechtsprechung hat keine allgemeinen Grundsätze zur Frage entwickelt, bei welchem Abstand in jedem Fall, d.h. auch bei günstigen Verhältnissen, eine einfache Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG anzunehmen ist. Im Sinne von Faustregeln sind die Regel "halber Tacho" (entsprechend 1,8 Sekunden) und die Zwei Sekunden-Regel weitherum bekannt (RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2002, N. 694; BAPTISTE RUSCONI, Code Suisse de la circulation routière, Commentaire, 3. Aufl. 1996, Art. 34 SVG N. 5.2; vgl. auch BGE 104 IV 192 E. 2b). Der französische Code de la route sieht neuerdings, seit 2002, in Art. R. 412-12 Ziff. 1 letzter Satz ausdrücklich die Zwei Sekunden-Regel (als Minimum) vor.
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Die Rechtsprechung hat auch keine allgemeinen Grundsätze zur Frage entwickelt, bei welchem Abstand in jedem Fall, d.h. auch bei günstigen Verhältnissen, eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG anzunehmen ist. Die Gerichtspraxis zur Verletzung der Verkehrsregeln betreffend den Abstand ![]() | 9 |
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Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der Rechtsprechung ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 130 IV 32 E. 5.1; BGE 126 IV 192 E. 3; BGE 123 IV 88 E. 2a und E. 4a; BGE 118 IV 285 E. 4). Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also unbewusst fahrlässig gehandelt hat (BGE 130 IV 32 E. 5.1 mit Hinweis). In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht (BGE 118 IV 285 E. 4 mit Hinweisen). Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (Urteile des Bundesgerichts 6S.100/2004 vom 29. Juli 2004 und 6S.11/2002 vom 20. März 2002).
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3.2.3 Der Beschwerdeführer folgte mit seinem Personenwagen über eine Strecke von mindestens 800 Metern auf dem linken Fahrstreifen einer durch eine Mittelleitplanke richtungsgetrennten Autostrasse mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h einem anderen Personenwagen, der im Begriff war, zwei Fahrzeuge zu überholen. Die Fahrbahn war trocken, und die Sicht war gut. Unmittelbar vor dem voranfahrenden Personenwagen befanden sich auf der Überholspur keine Fahrzeuge. Der Abstand des Beschwerdeführers zum Vordermann betrug über die gesamte Wegstrecke ca. 10 Meter. Dies entspricht bei der vom Beschwerdeführer behaupteten Geschwindigkeit von 110 km/h 1/11 Tacho, mithin einem zeitlichen Abstand von ca. 0,33 Sekunden. Ein derart geringer Abstand bei einer Geschwindigkeit von über 100 km/h auf dem ![]() | 14 |
3.2.4 Der Beschwerdeführer folgte dem voranfahrenden Personenwagen vorsätzlich in dem von ihm gewählten Abstand. Es ging ihm offenkundig darum, den Vordermann zur Beschleunigung der Fahrt oder aber zum Wechsel auf den rechten Fahrstreifen zu drängen, was jedoch in Anbetracht der auf diesem Streifen verkehrenden langsameren Fahrzeuge nicht ohne Risiko möglich gewesen wäre. Die Fahrweise des Beschwerdeführers war über die gesamte Strecke von mindestens 800 Metern rücksichtslos und erfüllt daher auch subjektiv den Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV.
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