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7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.171/2006 vom 15. Februar 2007 | |
Regeste |
Ausnützung der Notlage bzw. Abhängigkeit (Art. 193 StGB); sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB); Schändung (Art. 191 StGB). |
Eine physiotherapeutische Behandlung begründet in der Regel keine Abhängigkeit im Sinne von Art. 193 StGB (E. 5). |
Der Therapeut, der seine Patientin über den Behandlungsinhalt täuscht und unvermittelt eine sexuelle Handlung an ihr vornimmt, begeht keine sexuelle Nötigung nach Art. 189 StGB (E. 6). |
Die Patientin ist zum Widerstand unfähig im Sinne von Art. 191 StGB, wenn sie aufgrund ihrer besonderen Körperlage den Angriff des Therapeuten auf ihre geschlechtliche Integrität nicht erkennen kann und überraschenderweise durch diesen sexuell missbraucht wird (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 7). | |
Sachverhalt | |
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B. Das Bezirksgericht Zürich sprach X. mit Urteil vom 21. Juni 2005 der Ausnützung einer Notlage gemäss Art. 193 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 12 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Zudem verpflichtete es ihn, A. eine Genugtuung von 2000 Franken zu bezahlen.
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C. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 6. Februar 2006 im Berufungsverfahren das Urteil des Bezirksgerichts im Schuldpunkt, reduzierte jedoch die erstinstanzlich ausgefällte Strafe auf 8 Monate Gefängnis und setzte die Genugtuung auf 4000 Franken fest.
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D. X. führt gegen das obergerichtliche Urteil vom 6. Februar 2006 eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. A. beantragt Abweisung der Beschwerde im Zivilpunkt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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3.2 Die Vorinstanz nimmt die rechtliche Würdigung des Sachverhalts in Übereinstimmung mit der ersten kantonalen Instanz vor und schliesst unter Verweis auf deren Urteil zunächst die Tatbestände der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) und der Schändung (Art. 191 StGB) als nicht gegeben aus. Hingegen hält sie dafür, das Verhalten ![]() | 8 |
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Bei der Ausnützung von Abhängigkeitsverhältnissen macht sich der Täter eine erheblich eingeschränkte Entscheidungsfreiheit oder Abwehrfähigkeit der abhängigen Person und ihre dadurch gegebene Gefügigkeit bewusst im Hinblick auf ein sexuelles Entgegenkommen zunutze (BGE 131 IV 114 E. 1 S. 118). In der Regel wird das Ausnützen einer Notlage bzw. Abhängigkeit durch die besagten Strafnormen abschliessend erfasst. Nur in den Fällen, in denen der vom Täter ausgeübte Druck die Intensität einer Nötigung erreicht, kommen die Tatbestände der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung in Betracht (BGE 128 IV 106 E. 3b S. 113).
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Die sexuellen Nötigungstatbestände gelten als Gewaltdelikte und sind damit prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Nicht jeder beliebige Zwang, nicht schon jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale Verhalten, auf Grund dessen es zu einer ungewollten sexuellen Handlung kommt, stellt eine sexuelle Nötigung dar (BGE 131 IV 167 E. 3.1 S. 170). Die Tatbestände schützen vor Angriffen auf die sexuelle Freiheit nur insoweit, als der Täter den zumutbaren Widerstand des Opfers überwindet oder ausschaltet. Das ![]() | 11 |
Der Tatbestand der Schändung nach Art. 191 StGB (frz. "actes d'ordre sexuel commis sur une personne incapable de discernement ou de résistance"; ital. "atti sessuali con persone incapaci di discernimento o inette a resistere") ergänzt den strafrechtlichen Schutz, indem er den Missbrauch einer vorbestehenden Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit unter Strafe stellt, und ist insofern im Verhältnis zu den Nötigungsdelikten subsidiär. Diese gehen vor, sobald der Täter einen Rest von Widerstand überwindet, um das Opfer sexuell zu missbrauchen (vgl. BGE 119 IV 230 E. 3a).
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Erwägung 5 | |
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5.3 Nach einhelliger Auffassung steht bei der "in anderer Weise" (als durch ein Arbeitsverhältnis oder eine Notlage) begründeten Abhängigkeit der sexuelle Missbrauch durch Psychotherapeuten im Vordergrund (BGE 128 IV 106 E. 3b S. 112). In der Psychotherapie vertraut sich der psychisch leidende Patient einseitig mit all seinen Problemen, Sorgen und Schwächen dem Behandelnden an und legt dabei ganz persönliche Gefühle, Phantasien, Ängste und Wünsche offen. Daraus kann sich im Verlaufe der Therapie eine ![]() | 15 |
Sexuelle Übergriffe in professionellen Beziehungen sind auch in anderen Berufsgruppen bekannt. Bei der Behandlung durch Angehörige der Medizinal- und Pflegeberufe wie etwa Physiotherapeuten, Chiropraktiker oder Zahnärzte wird dem Berufsvertreter nicht zuletzt wegen seines Wissensvorsprungs und der fachlichen Stellung vielfach grosses Vertrauen entgegengebracht (WERNER TSCHAN, Missbrauchtes Vertrauen, 2. Aufl., Basel 2005, S. 1 ff., 107 ff.). Auch kann ein Patient aufgrund seiner körperlichen Leiden objektiv oder subjektiv auf eine bestimmte Fachperson angewiesen sein. Doch seine Entscheidungsfreiheit wird durch die physische Behandlung kaum je wesentlich eingeschränkt. Eine besondere psychische Verletzlichkeit und Intimität wird dadurch nicht herbeigeführt oder verstärkt, weshalb ein wesentlicher Unterschied zur Psychotherapie besteht. Im Allgemeinen ist daher die Beziehung zwischen Therapeut und Patient bei einer medizinischen Pflegebehandlung, namentlich der Physiotherapie, nicht geeignet, ein hinreichend starkes Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von Art. 193 StGB zu begründen (PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich, Diss. St. Gallen 1997, S. 224).
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5.4 Ausgehend vom verbindlich festgestellten Sachverhalt ist nicht zu erkennen, dass die physiotherapeutische Behandlung die Patientin in ihrer Entscheidungsfreiheit (wesentlich) eingeschränkt haben soll. Dass sie seit Jahren unter einer angeschlagenen Gesundheit litt, die Physiotherapie gut verlief und ein persönlicher Austausch mit dem Therapeuten stattgefunden hat, lässt entgegen der Auffassung der Vorinstanz einen solchen Schluss nicht zu. Wohl ist nicht zu übersehen, dass sie dem Beschwerdeführer als Physiotherapeuten vertraute, doch ist ein Vertrauensverhältnis weder notwendig noch hinreichend für die Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne von Art. 193 StGB (vgl. BGE 131 IV 114 E. 1 S. 117). Ein ausgeprägtes Machtgefälle wie in BGE 124 IV 13 E. 2c geschildert, auf Grund dessen die Patientin als abhängig erschiene, liegt ![]() | 17 |
Erwägung 6 | |
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Erwägung 7 | |
7.1 Gemäss Art. 191 StGB wird wegen Schändung mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer eine ![]() | 20 |
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7.4 Der vorliegende Fall ist gleich zu entscheiden. Die nackt und auf dem Bauch liegende Patientin konnte wegen ihrer Lage auf dem Behandlungstisch ebenfalls nicht sehen, was mit ihr geschah. Den ![]() | 23 |
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