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13. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und vice versa (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_401/2007 / 6B_426/2007 / 6B_473/2007 vom 8. November 2007 | |
Regeste |
Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit (Art. 11 und 63 aStGB; Art. 19 und 47 StGB). | |
Sachverhalt | |
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Am 24. Februar 2004 suchte X. den zum Unfallzeitpunkt Dienst habenden Flugverkehrsleiter (Fluglotsen) A. - den er für den Tod ![]() | 2 |
B.
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B.a Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 26. Oktober 2005 der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) schuldig und bestrafte ihn - unter Zubilligung einer Verminderung der Schuldfähigkeit in mittlerem bis schwerem Grade - mit 8 Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 610 Tagen Untersuchungshaft und vorzeitigem Strafvollzug.
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B.b Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob am 30. Oktober 2006 das Urteil des Obergerichts in teilweiser Gutheissung der von X. eingereichten kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt sowie im Kostenpunkt auf und wies die Sache insoweit im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
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B.c Infolge dieses Rückweisungsentscheids wurden die von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und von X. gegen das Urteil des Obergerichts vom 26. Oktober 2005 beim Bundesgericht eingereichten Beschwerden mit Verfügungen des Präsidenten der Strafrechtlichen Abteilung vom 8. Januar 2007 als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
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C. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 18. Juni 2007 - unter Berücksichtigung der Erwägungen im Entscheid des Kassationsgerichts und unter Zubilligung einer Verminderung der Schuldfähigkeit in hohem Grade - wegen vorsätzlicher Tötung (Art. 111 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 5 1/4 Jahren, unter Anrechnung von 1'210 Tagen Untersuchungshaft und vorzeitigem Strafvollzug.
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D. Gegen das Urteil des Obergerichts vom 18. Juni 2007 erhebt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 27. Juli 2007 Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Strafsache kassatorisch zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen oder reformatorisch mit der Ausfällung einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren in der Sache selbst zu entscheiden.
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E.
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E.b Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt mit Eingabe vom 17. August 2007 gegen die Präsidialverfügung Beschwerde in Strafsachen. Sie stellt die Anträge, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und der Beschwerde sei im Sinne von Art. 103 BGG die aufschiebende Wirkung zu erteilen, angesichts der bereits per 24. August 2007 verfügten Haftentlassung allenfalls im Rahmen einer superprovisorischen Verfügung.
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Mit einer weiteren Eingabe vom gleichen Tag ersucht die Oberstaatsanwaltschaft um die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 104 BGG, wobei sie beantragt, die Präsidialverfügung betreffend Haftentlassung sei aufzuheben beziehungsweise es sei die Sicherheitshaft oder der vorzeitige Strafantritt anzuordnen, dies angesichts der bereits per 24. August 2007 verfügten Haftentlassung allenfalls im Rahmen einer superprovisorischen Verfügung.
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E.c Mit Eingabe vom 19. August 2007 stellt X. in Unkenntnis der vorstehend genannten Eingaben der Oberstaatsanwaltschaft vorab und vorsorglich unter anderem die Begehren, allfällige Anträge der Staatsanwaltschaft auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung beziehungsweise auf Anordnung vorsorglicher Massnahmen in den Verfahren der Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen die Haftentlassungsverfügung vom 15. August 2007 und gegen das Obergerichtsurteil vom 18. Juni 2007 abzuweisen. Zudem ersuchte X. um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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F. Mit Verfügung vom 21. August 2007 erteilte der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts den beiden Beschwerden der Oberstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Obergerichts und gegen die Präsidialverfügung des Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts, welche in einem Verfahren vereinigt wurden, in Anwendung von Art. 103 Abs. 3 BGG die aufschiebende Wirkung.
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G. Mit Beschluss der Strafrechtlichen Abteilung vom 21. August 2007 wurde X. in den Verfahren der beiden Beschwerden der Staatsanwaltschaft dessen Gesuch entsprechend die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
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H.
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H.a Mit Eingabe vom 3. September 2007 erhebt X. gegen das Urteil des Obergerichts vom 18. Juni 2007 seinerseits Beschwerde in ![]() | 17 |
In derselben Eingabe vom 3. September 2007 nimmt X. auch zu den beiden Beschwerden der Oberstaatsanwaltschaft gegen die Haftentlassungsverfügung und gegen das Obergerichtsurteil Stellung, deren Abweisung er beantragt.
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Ausserdem stellt X. in seiner Eingabe vom 3. September 2007 das Begehren, es sei festzustellen, dass die Verfügung des Präsidenten der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 21. August 2007 (betreffend Erteilung der aufschiebenden Wirkung) Art. 5 Ziff. 1 und 4 sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletze.
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H.b Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt unter Hinweis auf ihre eigenen Beschwerden die Abweisung der Beschwerde von X.
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I. Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Stellungnahmen zu den Beschwerden verzichtet.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 6 | |
6.1 Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Schuldfähigkeit sind Ausfluss des das ganze Strafrecht beherrschenden Schuldprinzips. Zwischen voller Schuldfähigkeit und völliger Schuldunfähigkeit sind kontinuierliche Abstufungen denkbar. Gegenüber dem Schuldunfähigen kann nach der klaren gesetzlichen Regelung unstreitig keine Strafe ausgesprochen werden, auch wenn die Tatkomponenten noch so schwer wiegen. Dies macht deutlich, dass der Verminderung der Schuldfähigkeit nicht die objektive Schwere der Tat entgegengehalten werden darf. Vielmehr ergibt sich aus der Straflosigkeit des Schuldunfähigen, dass gegen einen in sehr starkem Masse vermindert schuldfähigen Täter nur eine im Vergleich mit der Strafe für den uneingeschränkt schuldfähigen Täter sehr geringe Strafe ausgesprochen werden darf. Entsprechend ist die Strafe bei einer Verminderung der Schuldfähigkeit in mittlerem Grade verglichen mit der Strafe, die für die gleiche Tat eines uneingeschränkt Schuldfähigen ausgefällt würde, in mittlerem Ausmass zu ![]() | 23 |
Diese Rechtsprechung findet in der Lehre, soweit sie dazu überhaupt ausdrücklich Stellung nimmt, jedenfalls im Grundsatz wohl überwiegend Zustimmung (siehe etwa HANS WIPRÄCHTIGER, Basler Kommentar, StGB I, 2. Aufl. 2007, Art. 48a StGB N. 6 f.; CHRISTIAN SCHWARZENEGGER/MARKUS HUG/DANIEL JOSITSCH, Strafrecht II, 8. Aufl. 2007, S. 97 f.; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 11 aStGB N. 6). Sie stösst aber auch auf Ablehnung. Es wird eingewendet, dass damit der Verminderung der Schuldfähigkeit ein viel zu grosses Gewicht beigelegt werde und die zahlreichen weiteren strafzumessungsrelevanten Tat- und Täterkomponenten zu stark in den Hintergrund gedrängt würden, was im Ergebnis zu Strafen führe, die unverhältnismässig mild seien und den verschiedenen Strafzwecken nicht gerecht würden (siehe HANS MATHYS, Zur Technik der Strafzumessung, SJZ 100/2004 S. 173 ff.).
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Die verminderte Schuldfähigkeit ist, wie die Schuldunfähigkeit, ein Zustand des Täters. Die Verminderung der Schuldfähigkeit bezieht sich, wie die Schuldunfähigkeit, auf die Tat. Diese setzt sich aus objektiven und subjektiven Tatumständen zusammen. Die objektiven und subjektiven Umstände der Tat, mithin die Tatkomponenten, können einem vermindert schuldfähigen Täter bei der Strafzumessung nur nach Massgabe der noch vorhandenen Rest-Schuldfähigkeit zugerechnet werden. Auch beispielsweise die objektive Schwere der Tat und die Art der Tatausführung sind daher bei einem vermindert schuldfähigen Täter nur nach Massgabe der noch vorhandenen Rest-Schuldfähigkeit für die Strafzumessung relevant.
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Anders verhält es sich hingegen mit den Täterkomponenten, d.h. mit den strafzumessungsrelevanten Umständen, welche nicht zu den objektiven und subjektiven Tatumständen gehören. Die strafzumessungsrechtliche Relevanz dieser Täterkomponenten bleibt von der Verminderung der Schuldfähigkeit, die sich auf die Tat bezieht, unberührt. Daher hat der Richter nicht die aus den Tat- und Täterkomponenten insgesamt sich ergebende (hypothetische) Strafe, sondern allein die aus den Tatkomponenten resultierende (hypothetische) Strafe nach Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit ![]() | 26 |
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Die Beschwerdeführerin sieht einen solchen besonderen Umstand darin, dass der Beschwerdeführer weder geisteskrank noch schwachsinnig ist und sein Bewusstsein nicht ansatzweise aufgehoben war, sondern er an einer krankhaften andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leidet und zudem anlässlich der Tat in seinem Bewusstsein erheblich beeinträchtigt war.
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Dieser Umstand ist indessen nicht relevant. Massgebend ist allein, dass die Verminderung der Einsichts- und/oder der Steuerungsfähigkeit auf einer Ursache beruht, welche als Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit oder des Bewusstseins oder als mangelhafte geistige Entwicklung im Sinne von Art. 11 aStGB zu qualifizieren ist. Wenn eine dieser gesetzlichen Voraussetzungen - wie im ![]() | 31 |
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6.6 Zusammenfassend ergibt sich somit Folgendes. Bei der Verminderung der Schuldfähigkeit ist die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe nach Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit zu reduzieren. Die Täterkomponenten sind davon unabhängig zu bewerten. Allerdings können einzelne Tatsachen, welche die Verminderung der Schuldfähigkeit begründen, unter Umständen auch für die Gewichtung von bestimmten Täterkomponenten von Bedeutung sein. Die Reduktion der nach Einschätzung des Richters aus den Tatkomponenten resultierenden Einsatzstrafe um 75 % bei einer vom Richter gestützt auf ein als überzeugend erachtetes psychiatrisches Gutachten dem Täter zugebilligten schweren Verminderung der Schuldfähigkeit verstösst nicht gegen Bundesrecht. Eine Reduktion exakt in diesem Umfang ist aber bundesrechtlich nicht zwingend. Der Richter kann in Ausübung seines Ermessens die aus den Tatkomponenten resultierende ![]() | 33 |
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