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17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. F.A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_646/2007 vom 24. April 2008 |
Art. 117 StGB; Art. 53 ff. HMG. |
Art. 3 und 26 HMG; Sorgfaltspflichten bei der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 30. April 2004 erstattete F.A., der Ehemann der verstorbenen K.A., bei der Bezirksanwaltschaft Zürich Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung. Mit Schreiben vom 24. Mai 2005 reichte Dr. med. Morten Keller-Sutter vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich ein im Auftrag der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich erstelltes Aktengutachten ein. Mit Verfügung vom 12. Juli 2005 stellte die Untersuchungsbehörde das Strafverfahren mangels gewichtiger Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten ein.
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C. Auf Rekurs von F.A. hob der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich die Einstellungsverfügung am 3. Oktober 2005 auf und wies die Sache zur weiteren Untersuchung an die Staatsanwaltschaft zurück. Diese liess in der Folge durch den Direktor der Onkologie-Klinik des Universitätsspitals Zürich, Prof. Dr. med. A. Knuth, ein Obergutachten erstellen. Gestützt auf das am 20. Februar 2006 erstattete Obergutachten sowie Gutachtensergänzungen wurde das Strafverfahren mit Verfügung vom 21. August 2006 ein zweites Mal eingestellt. Den von F.A. dagegen erhobenen Rekurs wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 29. August 2007 ab.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts richten sich die Sorgfaltspflichten des Arztes im Allgemeinen nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Beurteilungs- und Bewertungsspielraum, der dem Arzt zusteht, sowie den Mitteln und der Dringlichkeit der medizinischen Massnahme. Der Arzt hat indes nicht für jene Gefahren und Risiken einzustehen, die immanent mit jeder ärztlichen Handlung und auch mit der Krankheit an sich verbunden sind. Zudem steht dem Arzt sowohl in der Diagnose ![]() | 8 |
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3.4 Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers sind die Vorschriften des Heilmittelgesetzes zu den klinischen Heilmittelversuchen nicht einschlägig. Vorliegend ging es nicht um eine systematische Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit eines Heilmittels im Sinne von Art. 5 lit. a VKlin. Zwar lehnte sich die Behandlungsmethode (präoperative Infusion) und die Dosierung ![]() | 10 |
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4.1 Soweit der Beschwerdeführer die Zulassung des 5-FU von B. bestreitet, wendet er sich wie erwähnt (E. ...) gegen eine nicht willkürliche Tatsachenfeststellung der Vorinstanz. Unbestritten ist hingegen, dass die Arznei in einer höheren als im Beipackzettel und im Kompendium vorgesehenen Dosierung verabreicht wurde. Wird ein Medikament ausserhalb der zugelassenen Indikation oder Dosierung abgegeben, so liegt ein sog. "off-label use" vor ("médicament administré hors étiquette", vgl. BGE 130 V 532 E. 5.3; BGE 131 V 349 E. 2 f.). Das Heilmittelgesetz verbietet den "off-label use" von Arzneimitteln nicht. Er ist bei Beachtung der allgemeinen heilmittelgesetzlichen Sorgfaltspflichten somit grundsätzlich zulässig (vgl. URS JAISLI, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, N. 45 zu Art. 3 HMG; PETER MOSIMANN/MARKUS SCHOTT, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, N. 21 Art. 9 HMG; FRANK T. PETERMANN, Off-Label - Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label Use von Pharmazeutika, in: Health Insurance Liability Law [Hill], 2007, Fachartikel Nr. 2). Art. 3 HMG statuiert für den Umgang mit Heilmitteln eine allgemeine Sorgfaltspflicht, wonach alle Massnahmen getroffen werden müssen, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, damit die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet wird. Diese allgemeine Sorgfaltspflicht wird für den Bereich der Arzneimittel in Art. 26 Abs. 1 HMG konkretisiert: Bei der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimitteln müssen die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden (vgl. Botschaft zum Heilmittelgesetz, BBl 1999 S. 3487; HEIDI BÜRGI, Basler ![]() | 12 |
In diesem Sinne haben die Schweizerische Kantonsapothekervereinigung und die Swissmedic in einer Stellungnahme festgehalten, dass es Ärzten im Rahmen ihrer Therapiefreiheit möglich ist, Arzneimittel zu verschreiben oder anzuwenden, für die keine Zulassung der Swissmedic vorliegt. Die Verantwortung für einen solchen Arzneimitteleinsatz tragen alleine die behandelnden Ärzte, wobei sie die ärztliche Sorgfaltspflicht im Allgemeinen und die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften bei der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln nach Art. 26 HMG im Besonderen beachten müssen. Sie müssen demnach insbesondere eine hinreichende Aufklärung der betroffenen Patienten nachweisen und plausibel darlegen können, weshalb - gestützt auf die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften - ausnahmsweise ein Arzneimittel ohne behördliche Zulassung eingesetzt wurde. Diese Verpflichtung ist umso stärker zu gewichten, je weniger über den Einsatz eines Arzneimittels wissenschaftlich bekannt ist (vgl. "Ausführungen der Schweizerischen Kantonsapothekervereinigung und der Swissmedic betreffend des Einsatzes von Arzneimitteln im Sinne des off-label use" vom 24. Juli 2006, E. D Ziff. 2; publiziert: www.swissmedic.ch).
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4.2 Nach dem Ausgeführten haben sich Ärzte beim "off-label use" somit an die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften zu halten. Vorliegend ist indes umstritten, ob solche anerkannten Regeln für die gewählte Behandlung überhaupt schon bestanden, oder ob die hochdosierte 5-FU Therapie damals mangels wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse noch rein experimentellen Charakter hatte. Diese Unterscheidung ist insofern bedeutsam, als medizinisch etablierte Standardeingriffe nach einhelliger Meinung in der medizinrechtlichen Literatur weit weniger strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterliegen als experimentelle Heilversuche, insbesondere hinsichtlich der präinvasiven Aufklärungs- und Risikoabwägungspflichten (vgl. DANIEL BUSSMANN, Die strafrechtliche Beurteilung von ärztlichen Heileingriffen, Zürich 1984, S. 89 ff.; ERWIN DEUTSCH, Medizinrecht, 4. Aufl., N. 539 ff.; MONIKA GATTIKER, das Humanforschungsgesetz [HFG]: ein Gesetzesentwurf mit Lücken, AJP 2006 S. 1536; DIETER HART, ![]() | 14 |
4.3 Die Vorinstanz kommt in Anlehnung an das Obergutachten zum Schluss, dass es sich um eine gängige Therapieform mit üblicher Dosierung handelte, welche im Einklang mit dem damals aktuellen Stand der Medizin war. Ob eine Behandlungsmethode, die noch Gegenstand einer laufenden grossangelegten Vergleichsstudie war, bereits als etablierter Behandlungsstandard gelten kann, erscheint grundsätzlich fraglich. Mangels wissenschaftlich abgesicherter Erkenntnisse und angesichts ungewisser Risiken sind solche Verfahren normalerweise den insoweit experimentellen Heilversuchseingriffen zuzuordnen. Die Vorinstanz bringt indes gewichtige Argumente vor, weshalb die durchgeführte Behandlung trotz damals laufender Studie als Standard einzustufen ist. Das angewendete Medikament "5-FU B." sei aufgrund einer vom Kantonsapotheker erteilten Sonderbewilligung zugelassen gewesen. Bereits im Jahr 1997 habe eine schwedische Studie die Überlegenheit der präoperativen Radio-Chemotherapie nachgewiesen. Bei der seit 1995 laufenden und 2004 publizierten deutschen Studie sei bei einem Patientenkollektiv von rund 800 Personen der präoperative Einsatz von 5-FU mit dem postoperativen verglichen worden. Die Schweizer Onkologen seien über diese Studie und die dabei angewandten Dosierungen auf dem Laufenden gewesen. Die übliche Verträglichkeit der Dosierung von täglich 1000 mg pro m2 Körperoberfläche sei schon aus der Behandlung anderer Karzinome (Speiseröhre) bekannt gewesen. Vorliegend wurde daher aufgrund der 1.52 m2 Körperoberfläche der ![]() | 15 |
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5.1 Die Vorinstanz erwägt als möglicherweise todesursächliche Sorgfaltspflichtverletzung den verspäteten Behandlungsabbruch. Sie schliesst sich diesbezüglich jedoch in einer willkürfreien Beweiswürdigung den gutachterlichen Ausführungen an. Danach sind Übelkeit und Durchfall häufige Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten, welche für sich noch keinen Behandlungsabbruch, sondern andere Gegenmassnahmen nahelegen. Erst das Auftreten neurologischer Störungen habe den Verdacht auf die 5-FU Infusion lenken müssen. Die Neurotoxizität hätte am 14. März 2002 bereits einige ![]() | 17 |
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5.3 In Bezug auf die für den fatalen Behandlungsausgang mitursächliche Verunreinigung beanstandet der Beschwerdeführer die Einstellung zu Recht. Die Vorinstanz übernimmt die gutachterliche Einschätzung, wonach mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit (>50 %) die toxischen Abbauprodukte im B. 5-FU Präparat für den Krankheitsverlauf verantwortlich zu machen sind". Nach den vorstehenden Erläuterungen ist die Toxizität nunmehr die einzig verbleibende, strafrechtlich relevante Todesursache. Die diesbezüglichen Verantwortlichkeiten sind daher näher abzuklären. Fest steht, dass der deutsche Medikamentenhersteller - ohne darauf hinzuweisen - das Lösungsmittel Tris verwendete. Spätestens seit einer Publikation aus dem Jahr 1994 war in der Fachwelt bekannt, dass kardiotoxische Substanzen entstehen können, wenn 5-FU im ![]() | 19 |
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