BGE 134 IV 193 | |||
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20. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen A. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich |
6B_235/2007 vom 13. Juni 2008 |
Willkür in der Beweiswürdigung (Art. 9 BV). Natürlicher Kausalzusammenhang zwischen ungeschütztem Geschlechtsverkehr und HIV-Infektion. |
Fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB); fahrlässiges Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 2 StGB). Fahrlässigkeit und erlaubtes Risiko (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ungeschützte Sexualkontakte einer HIV-infizierten Person. |
Eine Verurteilung der HIV-infizierten Person wegen (fahrlässiger) schwerer Körperverletzung fällt ausser Betracht, wenn der Partner mit dem ungeschützten Sexualkontakt einverstanden ist, ohne frühere Risikokontakte und damit die Möglichkeit einer HIV-Infektion des anderen ausschliessen zu können; es sei denn, auf Seiten des Opfers bestehe ein konkret entscheidrelevantes Wissensdefizit (E. 9.3). | |
Sachverhalt | |
A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führte gegen A. eine Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung und vorsätzlichen Verbreitens menschlicher Krankheiten. Mit Einstellungsverfügung vom 26. November 2004 wurde das Strafverfahren eingestellt. Die Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen.
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Die Staatsanwaltschaft erhob indessen Anklage wegen fahrlässiger Begehung der gleichen Delikte. In der Anklageschrift vom 28. Juli 2005 wird A. vorgeworfen, er habe die Geschädigte X. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr im Frühjahr/Sommer 2002 mit dem HI-Virus angesteckt. Dazu sei es gekommen, obwohl er früher mehrfach mit B. ungeschützt sexuell verkehrt und diese ihm im Juli 2000 mitgeteilt habe, dass sie HIV-positiv sei. Im Wissen um die Möglichkeit, von B. oder einer anderen Person mit dem HI-Virus angesteckt worden zu sein, habe A. es unterlassen, einen HIV-Test zu machen, und die Geschädigte über das Ansteckungsrisiko nicht aufgeklärt. Damit habe er den ungeschützten Geschlechtsverkehr - auf die Nichtexistenz der eigenen HIV-Positivität und das Ausbleiben einer Infizierung vertrauend - in pflichtwidriger Unvorsicht ausgeführt.
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B. Das Bezirksgericht Zürich sprach A. am 27. März 2006 der fahrlässigen schweren Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB) sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 2 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 9 Monaten. Es verpflichtete ihn, der Geschädigten X. eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.- zu bezahlen und ihr den aus der HIV-Infizierung entstandenen Schaden vollumfänglich zu ersetzen. Für die Bemessung des Schadenersatzes verwies es die Geschädigte auf den Zivilweg.
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C. Gegen das Urteil des Bezirksgerichts erhob A. Berufung (im Schuldpunkt) und X. Anschlussberufung (im Zivilpunkt). Mit Urteil vom 28. März 2007 sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. vollumfänglich frei. Auf die Zivilforderungen der Geschädigten trat es nicht ein.
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D. X. führt gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. März 2007 Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Beschwerdegegner der schweren fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten im Sinne von Art. 231 Ziff. 2 StGB schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.
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X. verlangt weiter, der Beschwerdegegner sei zu Schadenersatz und Genugtuung zu verpflichten, es seien ihm die Kosten des vorinstanzlichen und des vorliegenden Verfahrens vollumfänglich aufzuerlegen, und sie sei für beide Verfahren angemessen zu entschädigen. Schliesslich stellt sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
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E. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich lässt sich mit dem Antrag auf Gutheissung der Beschwerde vernehmen. A. beantragt deren vollumfängliche Abweisung.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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"Beim Virus des Angeschuldigten handelt es sich um eine bisher nicht charakterisierte Rekombinante. (...) Mehrere Sequenzvergleiche mit verschiedenen Datenbanken aus der Schweiz und im öffentlichen internationalen Bereich ergaben keine nahe verwandten HIV-1-Isolate. Es handelt sich deshalb nicht um ein weit verbreitetes, gut charakterisiertes Virus."
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Die zusammenfassende Beurteilung der Sachverständigen lautete:
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"Für die Beurteilung einer möglichen Virusübertragung zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten ist der Umstand relevant, dass die Sequenz MB15181_2 und MB15181_3 des Angeschuldigten einen gemeinsamen Ast mit allen Sequenzen der Geschädigten bilden, der durch die statistische Analyse ebenfalls sehr gut abgesichert ist. Die Isolate der Geschädigten entspringen aus einem Ast, der dem Angeschuldigten zuzuordnen ist, und sie liegen alle innerhalb des Sequenzenschwarms des Angeschuldigten."
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"Die Infektion erfolgte deshalb in der Richtung vom Angeschuldigten auf die Geschädigte. (...) Diese Schlussfolgerungen sind ebenfalls vereinbar mit den klinischen Befunden, wonach aufgrund der niedrigen CD4-Werte des Angeschuldigten die Infektion bei ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit früher als bei der Geschädigten erfolgte."
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"Mit Hilfe der vorliegenden Virussequenzen kann zwar die Richtung der Virusübertragung festgestellt werden, es ist aber nicht möglich festzustellen, ob die Übertragung direkt oder indirekt, d.h. über eine in dieser Untersuchung nicht vertretene weitere Person, welche vom Angeschuldigten infiziert worden wäre und das Virus dann auf die Geschädigte übertragen hätte, erfolgte. Aufgrund der Tatsache, dass der wiederholte ungeschützte Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten unbestritten ist und dass laut Akten in der fraglichen Zeit keine weiteren Sexualpartner vorhanden waren, kann eine Infektion der Geschädigten durch eine solche Drittperson jedoch praktisch ausgeschlossen werden."
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3.3.1 Den Aussagen der Beschwerdeführerin zufolge käme in der Tat nur der Beschwerdegegner als Infektionsquelle in Betracht, weil er der einzige Mann gewesen wäre, mit dem sie ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Darauf sei aber nicht abzustellen. Gerade im Kernpunkt, nämlich der Frage, mit welchen Männern und wie oft sie in der fraglichen Zeit Geschlechtsverkehr hatte, habe die Beschwerdeführerin nicht konzis, widerspruchsfrei und gleichbleibend ausgesagt. Anfänglich habe sie ihre Beziehung zu F. zwischen April 2001 und Mai 2002 verschwiegen. Sodann habe sie zwar eine kurze Beziehung zu einer Discobekanntschaft ("G.") erwähnt, später aber einräumen müssen, dass sie mit G. im Mai 2002 zweimal Geschlechtsverkehr hatte. Ferner falle auf, dass sie zum Kontakt in der Disco aussagte, sie habe sich "immer geschützt", obwohl sie nur von einer Discobekanntschaft erzählte. Damit sei nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit noch mit anderen Männern verkehrte, und es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um ungeschützten Geschlechtsverkehr gehandelt habe.
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3.4 Die Beschwerdeführerin begründet ihre Willkürrüge im Einzelnen wie folgt: Es gebe keine Hinweise darauf, dass sie im relevanten Zeitraum Juni 2002 noch mit weiteren Personen ungeschützt sexuell verkehrt habe. Die Möglichkeit, dass der Beschwerdegegner H. im Juni/Juli 2002 mit dem HI-Virus angesteckt haben soll, diese wiederum einen unbekannten Dritten, der das Virus im Juni 2002 auf sie übertragen haben könnte, sei eine rein theoretische Möglichkeit, denn: (1.) All dies müsste sich innerhalb eines Monates, nämlich im Juni 2002, abgespielt haben. (2.) H. wohnte primär in Spanien und besuchte den Beschwerdegegner nur einmal in der Schweiz. (3.) Zu diesem Zeitpunkt weilte die Beschwerdeführerin gemäss Vorinstanz bereits in Brasilien, war also schon angesteckt. Die Variante, dass das HI-Virus über nur eine unbekannte Drittperson übertragen worden sei, just in dem Zeitraum (Juni 2002), als der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierten, erscheine als blosse Spielerei, zumal es sich bei dem festgestellten HI-Virus um eine seltene Virusart handle. Die Zweifel der Vorinstanz an der Tatbestandsverwirklichung seien höchstens theoretischer und abstrakter Natur, die auch in Berücksichtigung der Unschuldsvermutung nicht massgebend seien. Bezeichnend sei, dass nicht einmal mehr die Verteidigung vor Vorinstanz die objektive Tatbestandsverwirklichung in Frage gestellt habe.
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Erwägung 4 | |
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Nach heutigem Wissensstand kann indessen der Nachweis gelingen oder wenigstens erleichtert werden, wenn fest steht, wer sich zuerst infiziert hat (FRIDOLIN BEGLINGER, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003, Art. 231 StGB N. 41). Statistische Tests und ein Vergleich der Virenstämme ermöglichen unter Umständen sowohl Rückschlüsse auf die Infektionsquelle als auch auf den Zeitpunkt der Infektion (BEGLINGER, a.a.O., Art. 231 StGB N. 41, mit zahlreichen Beispielen).
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Genau dies leistet im vorliegenden Fall das Gutachten vom Nationalen Zentrum für Retroviren vom 5. August 2004. Aufgrund der DNA-Extraktion der Blutproben der Prozessbeteiligten, den Subtypenbestimmungen und phylogenetischen Analysen der HI-Viren ist erstellt, dass die Beschwerdeführerin mit einem zweifelsfrei vom Beschwerdegegner abstammenden HI-Virus infiziert wurde und dieser bereits vor Juni 2002 infiziert war. Davon geht auch der angefochtene Entscheid aus.
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4.3 Die hypothetische Annahme, der Beschwerdegegner könnte H. in Marbella (Spanien) mit dem HI-Virus angesteckt haben, diese wiederum eine Dritt- bzw. Viertperson (in der Schweiz), welche dann die Beschwerdeführerin angesteckt hätte, ist im höchsten Mass unwahrscheinlich. Selbst wenn man zu Gunsten des Beschwerdegegners für das vorliegende Verfahren annimmt, er habe H. im Juni 2002 tatsächlich infiziert, bleibt sie eine bloss abstrakte Möglichkeit. Konkrete Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor, weder für die (zweite) Übertragung des HI-Virus auf den unbekannten Dritten und noch weniger für die (dritte) Übertragung auf die Beschwerdeführerin. Die Vorinstanz lässt vermuten, H. könnte das Virus dem Unbekannten bei ihrem Aufenthalt in der Schweiz weitergegeben haben, während die Beschwerdeführerin - vom 16. Juli 2002 bis 2. August 2002 - in Brasilien weilte, doch trug diese das Virus zum damaligen Zeitpunkt bereits in sich. Obwohl die Vorinstanz selbst feststellt, dass ihre Infektion "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" im Juni 2002 erfolgte, prüft sie alsdann die Hypothese einer unrealistischen Kettenübertragung bis August 2002. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den eigenen Ausführungen, sondern weicht auch ohne triftige Gründe von den Feststellungen des behandelnden Arztes und der Gutachter ab.
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Erwägung 5 | |
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Der Eventualbegründung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdegegner hatte in den letzten Jahren mit verschiedenen Frauen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Dabei war ihm das Risiko, das mit ungeschützten sexuellen Kontakten einhergeht, bekannt und er wusste, wie man sich davor schützen kann. Er selber bezeichnete sein Verhalten als "Kamikaze". Im Juli 2000 eröffnete ihm eine seiner Sexualpartnerinnen, B., dass sie HIV-positiv sei. Danach vollzog er mit ihr den Geschlechtsverkehr nur noch mit Kondom. Eine eigene Infektion mit dem HI-Virus schloss er aus und einem HIV-Test unterzog er sich nicht, weil er nie irgendwelche Symptome eines Primärinfektes, ähnlich einer Erkältung oder einer leichten Grippe, verspürte. Zu Gunsten des Beschwerdegegners geht die Vorinstanz davon aus, dass er sich kurz vor der Infizierung der Beschwerdeführerin - z.B. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr mit H. - infiziert hat. Der Ursprung seiner Infektion blieb ungeklärt, wobei die Untersuchung ergeben hat, dass B. als Infektionsquelle ausgeschlossen werden kann.
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Die Vorinstanz verneint eine Fahrlässigkeit vorab damit, dass keine Rechtspflicht bestehe, sich nach jedem ungeschützten Geschlechtsverkehr einem HIV-Test zu unterziehen, ehe man sich mit dem nächsten Sexualpartner auf einen ungeschützten Verkehr einlasse. Zu beachten sei sodann, dass das Ansteckungsrisiko pro Sexualkontakt zwischen 0,2-50 % betrage. Die Hälfte aller infizierten heterosexuellen Männer wisse während zehn Jahren nicht um ihre HIV-Infektion, 70-80 % der Neuinfizierten zeigten tatsächlich grippeähnliche Symptome (Fieber, Drüsen- und Lymphknoten-Schwellungen, usw.) und die "Fieberschubtheorie" sei in der Bevölkerung ziemlich weit verbreitet. Trotz des beruflichen Erfolgs und seiner Weltoffenheit könne dem Beschwerdegegner nicht mehr Wissen angelastet werden als dem Durchschnittsmenschen. Die Frage, ob er sich in guten Treuen auf das Ausbleiben von "Fieberschüben" habe verlassen dürfen, könne aber offenbleiben. Selbst wenn man eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit darin erblicken wollte, dass er sich nach der Eröffnung von B. (im Juli 2000) nicht auf das HI-Virus testen liess, fehlte es an der Voraussetzung des hypothetischen Kausalzusammenhangs. Da nämlich anzunehmen sei, dass er sich erst kurz vor der Beschwerdeführerin (im Juni 2002) das HI-Virus zugezogen habe, hätte ein HIV-Test zu jenem Zeitpunkt ein negatives Testresultat erbracht. Es könne somit nicht gesagt werden, dass sein Verhalten mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete.
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5.2 Die Beschwerdeführerin wendet dagegen zusammengefasst ein, das Strafverfahren wegen (Eventual-)Vorsatzes sei nur deshalb eingestellt worden, weil die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen sei, dem Beschwerdegegner lasse sich der Wille zur Tatbestandsverwirklichung nicht rechtsgenügend nachweisen. Als Fahrlässigkeit sei ihm aber vorzuwerfen, dass er im Wissen um die Möglichkeit seiner eigenen HIV-Infektion und der Ansteckungsgefahr ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierte, was zur HIV-Übertragung geführt hat. Wer einen konkreten Hinweis habe, dass er Träger des HI-Virus sein könnte, und dennoch ungeschützt sexuell verkehre, verhalte sich nicht sorgfältig und überschreite das noch als zulässig zu bezeichnende Risiko. Das ergebe sich nicht zuletzt aus den Safer-Sex-Regeln. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz könne und müsse von jeder Person mit einem konkreten Hinweis auf die eigene HIV-Infektion verlangt werden, dass sie nur noch geschützten Geschlechtsverkehr praktiziere, bis sie das Risiko durch einen negativen HIV-Test ausgeschlossen habe.
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Erwägung 7 | |
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7.2 Der Ausgangspunkt aller Vorsichts- bzw. Sorgfaltspflichten liegt im prinzipiellen Verbot, fremde Rechtsgüter zu gefährden. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Das Gleiche gilt für entsprechende allgemein anerkannte Verhaltensregeln (in Form von Empfehlungen, Richtlinien, Merkblättern usw.), auch wenn diese keine Rechtsnormen darstellen (BGE 118 IV 130 E. 3a S. 133 mit Hinweisen; ferner BGE 126 IV 13 E. 7a/bb; BGE 127 IV 62 E. 2d und e). Das schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (BGE 127 IV 62 E. 2d S. 65). Danach hat derjenige, welcher eine gefährliche Handlung ausführt, alles Zumutbare vorzukehren, damit die Gefahr nicht zu einer Verletzung fremder Rechtsgüter führt (ANDREAS DONATSCH/BRIGITTE TAG, Strafrecht I, 8. Aufl., Zürich 2006, S. 338).
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Nach dem Prinzip des erlaubten Risikos lässt sich eine Gefährdung fremder Rechtsgüter, die über das allgemeine Lebensrisiko nicht hinausgeht, nicht verbieten, sondern gefordert werden kann nur die Einhaltung eines bestimmten Mindestmasses an Sorgfalt und Rücksichtnahme (BGE 117 IV 58 E. 2b S. 61 f.; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Bern 2005, § 9 Rz. 34 und 37 S. 159 f.). Beim erlaubten Risiko tritt an die Stelle des Verbots jeglicher Gefährdung das Gebot, die Gefahr auf dasjenige Minimum einzuschränken, das gar nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ausgeschlossen werden kann, wenn man die entsprechende Tätigkeit überhaupt zulassen will (STRATENWERTH, a.a.O., § 9 Rz. 37 S. 160). Dabei geht es um die Frage, welche Risiken allgemein in Kauf zu nehmen sind, und nicht um eine Ermässigung der Sorgfaltsanforderungen (BGE 117 IV 58 E. 2b S. 62).
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Erwägung 8 | |
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Das Problem des erlaubten Risikos stellt sich bei der Gefahr einer HIV-Übertragung namentlich insofern, als etliche Personen unerkannt Virusträger sind. In der Lehre ist umstritten, ob es diesen Personen erlaubt ist, unabgeschirmt gefährliche Kontakte einzugehen, obwohl sie womöglich mit ihrer HIV-Infektion rechnen müssen (für erlaubtes Risiko: KARL-LUDWIG KUNZ, Aids und Strafrecht, Die Strafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107/1990 S. 49 ff.; ablehnend: BEGLINGER, a.a.O., Art. 231 StGB N. 33; CHRISTIAN HUBER, Ausgewählte Fragen zur Strafbarkeit der HIV-Übertragung, ZStrR 115/1997 S. 116 f.; ferner ders., HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung im Lichte des Art. 231 StGB sowie der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, SJZ 85/1989 S. 152 f.). Nach zutreffender Auffassung kann die Gefahr der Übertragung des HI-Virus nicht generell ein erlaubtes Risiko darstellen, das der Partner (z.B. der nichts ahnende Ehegatte bei einseitiger Untreue) in jedem Fall hinzunehmen hätte. Der gegenteiligen Auffassung, die darauf abstellt, dass mangels Rechtspflicht und zuverlässiger faktischer Erkennbarkeit kein Sorgfaltsgebot existiere, sich vor infektionsgefährdeten Kontakten der eigenen Gesundheit zu vergewissern (KUNZ, a.a.O., S. 52), kann nicht gefolgt werden. Zum einen vermag das Fehlen einer - ausdrücklichen - Rechtspflicht, sich einem HIV-Test zu unterziehen, die Frage nicht zu beantworten, unter welchen Umständen die Grenze des erlaubten Risikos überschritten wird. Zum anderen wird übersehen, dass sich die staatlichen Empfehlungen gerade an die nichtwissentlich HIV-Infizierten richten (BEGLINGER, a.a.O., Art. 231 StGB N. 33).
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Massgebend bleibt somit, ob der Risikostifter zur Zeit der Tat konkrete Anhaltspunkte für die eigene HIV-Infektion hat, was aufgrund der jeweiligen Umstände im Einzelfall zu beurteilen ist. Als Anhaltspunkt gilt grundsätzlich jeder erkannte bzw. bewusst erlebte Risikokontakt in der Vergangenheit, etwa ungeschützte Intimkontakte mit einer Person, deren sexuelles Vorleben er nicht kennt. Bei Vorliegen solcher Verdachtsmomente ist der Risikostifter gehalten, auf ungeschützten Geschlechtsverkehr solange zu verzichten, wie er die eigene HIV-Infektion nicht mit hinreichender Sicherheit ausschliessen kann. Wer trotz Kenntnis der Möglichkeit seiner HIV-Infektion in Missachtung der Safer-Sex-Regeln weiterhin ungeschützt verkehrt, handelt pflichtwidrig und schafft eine objektiv erhöhte Gefahr für die Rechtsgüter seiner Sexualpartner, die das erlaubte Risiko übersteigt.
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8.3 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz besteht der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit nicht darin, der Beschwerdegegner habe sich keinem HIV-Test unterzogen. Vorzuwerfen ist ihm vielmehr nur, dass er beim Geschlechtsverkehr mit der Beschwerdeführerin die ihm zumutbaren Schutzvorkehrungen nicht getroffen hat, obwohl er zur Zeit der Tat konkrete Anzeichen für die eigene HIV-Infektion hatte. Die aufgeworfene (aber offengelassene) Frage, ob er sich in guten Treuen auf das Ausbleiben von Fieberschüben habe verlassen dürfen, ist zu verneinen. Aufgrund der staatlichen Kampagnen zur AIDS-Prävention gilt als bekannt, dass der ungeschützte Geschlechtsverkehr mit unbekannten oder wechselnden Sexualpartnern ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringt und das Risiko durch entsprechende Schutzmassnahmen zu minimieren ist (Benützen von Präservativen). Bei risikobelastetem Vorverhalten ist diese Schutzmassnahme von jedermann zu verlangen, erst recht von einer gebildeten, weltoffenen und erfahrenen Person wie dem Beschwerdegegner. Unerheblich sind schliesslich die Überlegungen der Vorinstanz zum Ansteckungsrisiko im Allgemeinen. Die Pflicht zu Schutzvorkehrungen besteht unabhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit der Übertragung des HI-Virus. Denn es ist unmöglich zu wissen, ob nicht gerade der eine ungeschützte Sexualkontakt den Partner infiziert (BGE 131 IV 1 E. 2.2 S. 6). Auf den diesbezüglichen Wissensstand kommt es weder beim vorsätzlich noch beim fahrlässig handelnden Täter an. Im Übrigen stellt die Tatbestandsvariante der unbewussten Fahrlässigkeit klar, dass die Unvorsicht nicht nur pflichtwidrig ist, wenn der Täter auf die Folgen seines Verhaltens keine Rücksicht nimmt, sondern auch, wenn er die Gefährdung für die Rechtsgüter des Opfers überhaupt nicht bedenkt (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB).
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Erwägung 9 | |
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Die Selbstgefährdung ist stets straflos. Die Mitwirkung daran (d.h. die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung) ist es auch, solange der sich selbst Gefährdende das Risiko im selben Masse übersieht wie der Mitwirkende. Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung ergibt sich aus der Straflosigkeit des Suizids und - vorbehältlich Art. 115 StGB - der Teilnahme hierzu. Wenn schon die Teilnahme an einer Selbsttötung und auch an einer vorsätzlichen Selbstverletzung straflos bleibt, kann um so weniger die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung strafbar sein. Dahinter steht die normative Wertentscheidung, dass kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird (BGE 131 IV 1 E. 3.2; BGE 134 IV 149 E. 4.5).
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Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer ein überlegenes Sachwissen in Bezug auf die in Frage stehende Gefahr hat (BGE 125 IV 189 E. 3a S. 194) oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (BGE 131 IV 1 E. 3.3 mit Hinweisen).
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9.3 Entsprechendes muss gelten, wenn keiner der beiden Sexualpartner (mit Sicherheit) weiss, dass einer von ihnen HIV-infiziert ist. Wer sich auf ungeschützte sexuelle Kontakte einlässt, ohne dass er frühere Risikokontakte und damit die Möglichkeit einer HIV-Infektion seines Partners ausschliessen kann, setzt sich selbst einer Gefährdung für seine Rechtsgüter aus. Die Zurechnung des Verletzungserfolgs scheitert daher in der Regel an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers, wenn sich das Risiko der HIV-Übertragung realisiert. Das gilt nach dem Gesagten jedoch nur, solange beide Sexualpartner das Risiko einer früheren HIV-Infektion und die Ansteckungsgefahr im gleichen Mass überblicken. Besteht auf Seiten des Opfers ein konkret entscheidrelevantes Wissensdefizit, ist die Selbstgefährdung nicht mehr von seinem Willen getragen und daher nicht freiverantwortlich. In diesem Fall ist die Risikoverwirklichung dem Mitwirkenden zuzurechnen (vgl. KUNZ, a.a.O., S. 55 f.).
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9.5 Dass sich der Beschwerdegegner das HI-Virus nicht bei B., sondern bei anderer Gelegenheit zugezogen hatte (E. 5.1), ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin das HIV-Infektionsrisiko zur Tatzeit nicht im gleichen Mass überblicken konnte. War ihr Entschluss aber nicht freiverantwortlich und gewollt, scheidet die Annahme einer straflosen Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung aus. Auf Seiten des Beschwerdegegners bleibt belanglos, welches seine Infektionsquelle war. Richtig ist, dass es für die Zurechnung des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht genügt, dass der Täter ein (unerlaubtes) Risiko für dessen Eintritt geschaffen oder gesteigert hat. Vielmehr muss sich im Erfolg gerade jenes Risiko verwirklicht haben, dessentwegen das Verhalten als pflichtwidrig gilt (zum Erfordernis des sog. Risikozusammenhanges siehe STEFAN TRECHSEL, a.a.O., Art. 18 StGB N. 40; ANDREAS DONATSCH, Sorgfaltsbemessung und Erfolg beim Fahrlässigkeitsdelikt, Habilitationsschrift Zürich 1987, S. 189 ff.; STRATENWERTH, a.a.O., § 16 Rz. 21 S. 458 und § 9 Rz. 42 S. 163; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., München 2006, § 11 N. 69 ff., insbes. N. 84 ff. und 87; vgl. auch BGE 133 IV 158 E. 6.1 S. 168). Dem Beschwerdegegner ist als Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen, dass er mit der Beschwerdeführerin ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierte, obwohl er sich in der Vergangenheit auf zahlreiche Sexualkontakte einliess, von denen er nicht wusste und nicht weiter abgeklärt hat, ob er sich dabei mit dem HI-Virus angesteckt hatte. Dadurch setzte er zunächst sich selbst und dann seine Partnerinnen einem HIV-Infektionsrisiko aus, das sich im Erfolg der Körperverletzung der Beschwerdeführerin realisiert hat (E. 4.4). Der erforderliche Risikozusammenhang ist damit gegeben, weshalb die Verwirklichung des Risikos dem Beschwerdegegner zuzurechnen ist.
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