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Informationen zum Dokument  BGE 135 IV 37  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 2.4
Erwägung 2.4.3
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6. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_115/2008 vom 4. September 2008
 
 
Regeste
 
Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz); Abgrenzung zwischen Vergehen (Art. 86 HMG) und Übertretungen (Art. 87 HMG).  
 
Sachverhalt
 
BGE 135 IV, 37 (38)A.
1
A.a Das Kreisgericht Rorschach, 1. Abteilung, sprach X. am 9. Dezember 2005 des gewerbsmässigen Vergehens und der gewerbsmässigen Übertretung gegen das Heilmittelgesetz, der gewerbsmässigen Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz, des mehrfachen Exhibitionismus, des mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie der Hinderung einer Amtshandlung schuldig. Es verurteilte ihn, teilweise als Zusatzstrafe zum Entscheid des Bezirksgerichts Rorschach vom 14. November 1999, zu einer (unbedingt vollziehbaren) Gefängnisstrafe von 15 Monaten, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 30 Tagen, sowie zu einer Busse von 5000 Franken. Zudem ordnete es eine ambulante psychotherapeutische Behandlung während des Strafvollzugs an.
2
Gegen dieses Urteil erhoben X. Berufung und die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen Anschlussberufung.
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A.b Das Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, sprach X. am 29. Oktober 2007 des gewerbsmässigen Vergehens gegen das Heilmittelgesetz (begangen durch Handel mit "Viagra" in der Zeit von Januar bis Oktober 2002), der gewerbsmässigen Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz, des mehrfachen Exhibitionismus, des mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie der Hinderung einer Amtshandlung schuldig. Es sprach ihn in Abweichung vom erstinstanzlichen Urteil frei von den Anklagen des gewerbsmässigen Vergehens gegen das Heilmittelgesetz (angeblich begangen durch Handel mit anderen Arzneimitteln als "Viagra") und des Exhibitionismus betreffend vier Vorfälle. Es verurteilte ihn zu einer (unbedingt vollziehbaren) Freiheitsstrafe von 16 Monaten und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 20.-, unter Anrechnung von 30 Tagen BGE 135 IV, 37 (39)Untersuchungshaft, und ordnete in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids eine ambulante Massnahme an.
4
B. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, er sei vom Vorwurf des gewerbsmässigen Vergehens gegen das Heilmittelgesetz im Sinne von Art. 86 Abs. 2 HMG sowie vom Vorwurf der Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) freizusprechen und das Verfahren wegen mehrfachen Exhibitionismus sei gestützt auf Art. 194 Abs. 2 StGB einzustellen. Er sei der qualifizierten Übertretung des Heilmittelgesetzes gemäss Art. 87 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 HMG, der Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz sowie des mehrfachen Hausfriedensbruchs schuldig zu sprechen und hiefür mit einer Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen zu Fr. 20.-, eventualiter mit einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten zu bestrafen, jeweils unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer angemessenen Probezeit. Im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr sei ihm der teilbedingte Strafvollzug zu gewähren. Der Vollzug einer allfälligen unbedingten Freiheitsstrafe sei zugunsten der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung aufzuschieben. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne dieser Anträge an das Kantonsgericht St. Gallen zurückzuweisen.
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C. Das Kantonsgericht St. Gallen hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Schweizerische Heilmittelinstitut (Swissmedic) stellt den Antrag, die Beschwerde gegen die Verurteilung wegen Vergehens gegen das Heilmittelgesetz im Sinne von Art. 86 Abs. 1 HMG sei abzuweisen.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
 
Erwägung 2.4
 
2.4.1 Die in Art. 86 des Heilmittelgesetzes vom 15. Dezember 2000 (HMG; SR 812.21) aufgeführten Vergehenstatbestände sind gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates zum Heilmittelgesetz als Gefährdungsdelikte zu qualifizieren, und zwar als konkrete Gefährdungsdelikte. Im Gegensatz zum Verletzungsdelikt, bei welchem die Schädigung eines Rechtsgutes vorliegen muss, genügt beim konkreten Gefährdungsdelikt, dass das geschützte Rechtsgut gefährdet, d.h. die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung geschaffen oder erhöht wird. Gemäss den weiteren Ausführungen in der Botschaft bildet BGE 135 IV, 37 (40)also die Gefährdung zusammen mit den einzelnen Tatbestandsvarianten von Art. 86 Abs. 1 lit. a-g HMG den objektiven Tatbestand dieser Bestimmung. Falls eine der in Absatz 1 genannten Tatbestandsvarianten erfüllt ist, ohne dass die Gesundheit von Menschen gefährdet wird, kommt Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG zur Anwendung (Botschaft des Bundesrates zum Heilmittelgesetz, BBl 1999 S. 3453 ff., 3562). Der objektive Tatbestand von Art. 86 Abs. 1 HMG ist mithin nur erfüllt, wenn durch ein Verhalten im Sinne von Abs. 1 lit. a-g die Gesundheit von Menschen konkret gefährdet wird. Zwischen dem Verhalten und der Gefährdung der Gesundheit muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Die vorausgesetzte konkrete Gefährdung der Gesundheit von Menschen ist ein Teil des objektiven Tatbestands und hat eine selbständige Bedeutung. Die Gefährdung ergibt sich nicht gleichsam automatisch aus der Vornahme einer der in Art. 86 Abs. 1 lit. a-g HMG genannten Handlungen, was auch aus Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG e contrario hervorgeht. Wird durch die Vornahme einer der in Art. 86 Abs. 1 HMG genannten Handlungen nicht die Gesundheit von Menschen gefährdet, dann ist lediglich der objektive Tatbestand einer Übertretung im Sinne von Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG erfüllt (BENEDIKT F. SUTER, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, Art. 86 HMG N. 4 und 8). Den objektiven Vergehenstatbestand von Art. 86 Abs. 1 HMG erfüllt nicht schon, wer unter Missachtung von Bestimmungen Arzneimittel abgibt, die geeignet sind, Menschen allgemein oder Angehörige von bestimmten Risikogruppen in ihrer Gesundheit zu gefährden. Erforderlich ist vielmehr, dass durch die vorschriftswidrige Abgabe von Arzneimitteln tatsächlich Menschen konkret in ihrer Gesundheit gefährdet werden.
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2.4.2 Die Erfüllung des objektiven Tatbestands von Art. 86 HMG kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit der Erwägung begründet werden, dass "die Wahrscheinlichkeit", dass es "bei einer erheblichen Anzahl" der vom Beschwerdeführer wahllos belieferten Vielzahl von Kunden "aufgrund der gesundheitlichen Konstellation zu ernsthaften Komplikationen hätte kommen können", "sehr gross" gewesen sei und daher "eine sehr nahe konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung" bestanden habe. "Viagra" ist als solches, wie auch die Vorinstanz festhält, nicht gesundheitsgefährdend. Eine Gefahr für die Gesundheit besteht nur unter gewissen Voraussetzungen, mithin bei bestimmten Risikogruppen. Der Vergehenstatbestand im Sinne von Art. 86 HMG kann daher objektiv nur erfüllt sein, wenn und soweit der Beschwerdeführer "Viagra"-Tabletten an BGE 135 IV, 37 (41)Personen lieferte, für welche die Einnahme dieses Produkts aus diesem oder jenem Grunde riskant war. Eine Gefährdung der Gesundheit von Menschen im Sinne von Art. 86 HMG kann nicht damit begründet werden, dass sich unter den zahlreichen Kunden wahrscheinlich auch Personen befanden, die einer Risikogruppe angehörten. Der Vergehenstatbestand im Sinne von Art. 86 HMG ist nicht schon erfüllt, wenn die Wahrscheinlichkeit (quasi die "Gefahr") besteht, dass Menschen in ihrer Gesundheit konkret gefährdet werden, sondern nur, wenn tatsächlich bestimmte Menschen in ihrer Gesundheit gefährdet worden sind. Massgebend ist nicht, was alles hätte geschehen können, sondern einzig, was sich tatsächlich ereignet hat (siehe BGE 123 IV 128 E. 2a). Aus der Vielzahl der Kunden, welche der Beschwerdeführer wahllos mit "Viagra"-Tabletten belieferte, lässt sich sodann nicht der Schluss ziehen, dass darunter tatsächlich auch Personen waren, die einer Risikogruppe angehörten, für welche somit die Einnahme von "Viagra" eine Gefahr für die Gesundheit darstellte. Soweit die Vorinstanz aus der Vielzahl der wahllos belieferten Kunden allenfalls einen gegenteiligen Schluss zieht, beruht dieser nicht auf Beweiswürdigung, sondern auf einer blossen Vermutung.
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Erwägung 2.4.3
 
2.4.3.1 Das Schweizerische Heilmittelinstitut geht in seiner Vernehmlassung ebenfalls davon aus, dass der Vergehenstatbestand im Sinne von Art. 86 HMG die konkrete Gefährdung der Gesundheit von Menschen voraussetzt, wobei die konkrete Gefährdung eines einzigen Menschen genüge. Diese Gefährdung sei gegeben, wenn Männer mit Risikofaktoren "Viagra"-Tabletten konsumieren, auch wenn dadurch nicht bei jedem Angehörigen einer Risikogruppe zwangsläufig Komplikationen aufträten. Wenn "Viagra"-Tabletten an eine grosse Zahl von Konsumenten abgegeben würden, deren Alter und Gesundheitszustand unbekannt seien, dann sei die Wahrscheinlichkeit, dass sich darunter auch Männer befänden, bei welchen Komplikationen auftreten könnten, als sehr hoch einzustufen. Daher habe die nahe Möglichkeit einer Gefahr bestanden und sei der objektive Vergehenstatbestand im Sinne von Art. 86 Abs. 1 HMG erfüllt.
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Die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit einer Gefährdung der Gesundheit reicht indessen gemäss den vorstehenden Erwägungen (E. 2.4.2) zur Erfüllung des objektiven Vergehenstatbestands nicht aus.
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2.4.3.2 Das Schweizerische Heilmittelinstitut weist in seiner Vernehmlassung zudem auf verschiedene Umstände hin, die seines BGE 135 IV, 37 (42)Erachtens zusätzlich eine konkrete Gefahr begründeten. Die Quelle, aus welcher der Beschwerdeführer die "Viagra"-Tabletten bezogen habe, sei unbekannt. Ob bei der Herstellung des Arzneimittels sämtliche Anforderungen an die Sicherheit und die Hygiene erfüllt worden seien, lasse sich daher nicht beurteilen; die fehlende Nachweismöglichkeit gehe zu Lasten des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer habe die "Viagra"-Tabletten aus der Sekundär- und aus der Primärverpackung genommen und in Minigrip-Säcklein abgepackt. Durch dieses Vorgehen, das als Herstellungsvorgang zu qualifizieren sei, habe die Gefahr einer Verunreinigung bestanden und sei zudem den Abnehmern die Information betreffend das Haltbarkeits- bzw. Ablaufdatum des Arzneimittels vorenthalten worden. Ausserdem bestehe bei dieser Verpackungsform - aus psychologischer Sicht - zusätzlich ein erhöhtes Risiko der Überdosierung.
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Wie es sich damit verhält, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Dem Beschwerdeführer wurden die genannten Umstände im kantonalen Verfahren nicht vorgehalten, und es wurde ihm von der Vorinstanz nicht vorgeworfen, dass er (auch) durch die Umverpackung und die Abgabeform eine (zusätzliche) konkrete Gefahr für die Abnehmer geschaffen habe. Dem Beschwerdeführer wurde im kantonalen Verfahren einzig zur Last gelegt, dass er das verschreibungspflichtige Arzneimittel "Viagra" wahllos an eine Vielzahl von ihm unbekannten Kunden geliefert habe, weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass es bei einer erheblichen Anzahl von Kunden aufgrund der gesundheitlichen Konstellation zu ernsthaften Komplikationen hätte kommen können, sehr gross gewesen sei. Mit diesen Argumenten kann indessen die konkrete Gefährdung der Gesundheit von Menschen nicht begründet werden.
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Die Sache ist daher in diesem Punkt in Gutheissung der Beschwerde an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird prüfen, ob sich unter den vom Beschwerdeführer von Januar bis Oktober 2002 mit "Viagra"-Tabletten belieferten Kunden Menschen befanden, die einer Risikogruppe angehörten und für welche daher die Einnahme von "Viagra"-Tabletten eine Gefährdung der Gesundheit darstellte. BGE 135 IV, 37 (43)Nur unter dieser Voraussetzung und insoweit ist der objektive Vergehenstatbestand im Sinne von Art. 86 HMG erfüllt, und zwar nach den insoweit zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz auch, wenn der Beschwerdeführer seinen Erstkunden die Packungsbeilage zugestellt haben sollte, in welcher über die Risiken und Nebenwirkungen von "Viagra" informiert wird. Soweit die vom Beschwerdeführer mit "Viagra"-Tabletten belieferten Personen nicht zu einer Risikogruppe gehörten beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe nicht festgestellt werden kann, ist mangels einer erwiesenen konkreten Gefährdung von Menschen lediglich der objektive Tatbestand von Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG erfüllt.
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