BGE 137 IV 305 | |||
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44. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1000/2010 vom 22. August 2011 | |
Regeste |
Art. 70 StGB; Art. 320 OR; Art. 14 und 15 BGSA; Einziehung; Schwarzarbeit. |
Zivilrecht und öffentliches Recht schützen die Lohnansprüche ausländischer Arbeitnehmer ohne fremdenrechtliche Arbeitsbewilligung (E. 3.3 und 3.4). Solche Lohnansprüche bzw. der entsprechend ausbezahlte Lohn sind strafrechtlich nicht einziehbar (E. 3.5). | |
Sachverhalt | |
A. X. wurde im Strafbefehl vom 18. September 2009 vorgeworfen, sich vom 4. März 1998 bis zu ihrer Verhaftung am 17. September 2009 in der Schweiz aufgehalten zu haben, obschon sie gewusst habe, dass mit Entscheid vom 29. Juni 2000 ihre Wegweisung aus der Schweiz mit einer Ausreisefrist bis zum 21. Februar 2001 verfügt worden sei. Sie habe nach Ablauf dieser Ausreisefrist bis zu ihrer Verhaftung jeweils von Montag bis Freitag, während ca. 4 bis 6 Stunden pro Tag, für verschiedene Auftraggeber in Zürich als Raumpflegerin mit einem Stundenlohn von Fr. 25.- bis Fr. 30.- gearbeitet, obschon sie gewusst habe, dass sie über die nötigen Bewilligungen nicht verfügte. Sie habe während ca. 102 Monaten monatlich ca. Fr. 2'400.- durch rechtswidrigen Arbeitserwerb verdient.
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X. wurde wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 115 Abs. 1 lit. b (rechtswidriger Aufenthalt) und lit. c (nicht bewilligte Erwerbstätigkeit) des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 60.- und einer Busse von Fr. 500.- bestraft.
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Das bei ihr sichergestellte Bargeld wurde im Betrag von Fr. 8'600.- beschlagnahmt, eingezogen und zur Deckung der Busse, der Verfahrenskosten und im Restbetrag zugunsten der Staatskasse verwendet.
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B. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte auf Einsprache hin am 15. Januar 2010 den Schuldspruch. Es setzte eine bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30.- fest, verwendete das sichergestellte Bargeld zur Kostendeckung und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
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Das Obergericht des Kantons Zürich stellte im Berufungsverfahren am 9. September 2010 fest, das bezirksgerichtliche Urteil sei im Schuld- und Strafpunkt (mit Ausnahme der Höhe des Tagessatzes) in Rechtskraft erwachsen. Die Tagessatzhöhe setzte es (unter Hinweis auf BGE 135 IV 180 E. 1.4) neu auf Fr. 10.- fest. Das sichergestellte Bargeld verwendete es zur Deckung der Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Strafverfahrens und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
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C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das obergerichtliche Urteil in den Ziff. 2-6 des Dispositivs (betreffend Kostenfolgen und Einziehung) aufzuheben, von der Einziehung des sichergestellten Bargelds abzusehen und die kantonalen Kosten neu zu verteilen, eventualiter die Sache zur Neuregelung der Kosten und Entschädigungen bzw. zur neuen Entscheidung in der Sache selbst an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Obergericht und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Die so genannte Ausgleichseinziehung beruht vor allem auf dem grundlegenden sozialethischen Gedanken, dass sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf (BGE 129 IV 107 E. 3.2). In BGE 125 IV 4 E. 2a/bb S. 7 hielt das Bundesgericht fest, es sei unbeachtlich, ob der Vermögensvorteil rechtlich oder bloss tatsächlich, direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sei (ebenso BGE 120 IV 365 E. 1d S. 367; Urteil 1S.5/2005 vom 26. September 2005 E. 7.4). Es führte weiter aus, auf die Unrechtmässigkeit der Vorteile dürfe aber nicht schon aufgrund der Tatbegehung selbst geschlossen werden. Der Vorteil müsse "in sich" unrechtmässig sein. Das sei beispielsweise nicht der Fall, wenn die fragliche Handlung objektiv nicht verboten sei, wie bei der Erlangung von Vermögenswerten durch vollendet untauglich versuchte Hehlerei. Soweit die Einnahmen aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammten, seien sie nicht Produkt einer strafbaren Handlung und damit nicht unrechtmässig. In diesem Umfang bestehe keine Grundlage für die Einziehung (a.a.O., E. 2b/bb S. 8).
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Nach dieser Rechtsprechung ist die Einziehung nicht zulässig, soweit die Einnahmen "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammen". Daher ist zunächst zu prüfen, ob die strafrechtliche Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge mit der Schweizerischen Rechtsordnung vereinbar ist. Die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs kann insoweit offenbleiben.
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Zivilrechtlich gilt eine gesetzliche Abschlussvermutung (Art. 320 Abs. 2 OR). Entscheidend für den Anspruch sind allein die objektiven Umstände, die im Interesse des sozialen Schutzes des Arbeitnehmers ipso iure zur Begründung des Einzelarbeitsvertrags mit allen seinen rechtlichen Konsequenzen führen, insbesondere der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 7 zu Art. 320 OR). Selbst bei Annahme der Ungültigkeit eines Einzelarbeitsvertrages treten die Rechtsfolgen grundsätzlich erst ex nunc ein, sobald Arbeit geleistet worden ist. Art. 320 Abs. 3 OR erscheint als lex specialis zu Art. 20 OR (STAEHELIN, a.a.O., N. 27 zu Art. 320 OR). Bei gutgläubiger Arbeitsleistung haben beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis dieses wegen Ungültigkeit des Vertrags aufgehoben wird (BGE 132 III 242 E. 4.2). Die Gutgläubigkeit wäre nur zu verneinen, wenn dem Arbeitnehmer positiv nachgewiesen werden könnte, dass er um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrages wusste (BGE 132 III 242 E. 4.2.5). Art. 320 Abs. 3 OR soll auch Ausländer schützen, die ohne gültige Arbeitsbewilligung gearbeitet haben und um den Mangel des Arbeitsvertrages wussten oder hätten wissen sollen (vgl. BGE 132 III 242 E. 4.2.4 mit Hinweisen). Es würde dem Schutzgedanken widersprechen, wenn sich "Schwarzarbeiter" nicht auf diese Bestimmung berufen könnten (ABEGG, a.a.O.). Nach der Lehre soll Art. 320 Abs. 3 OR ebenso zur Anwendung kommen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen von der Ungültigkeit des Vertrages wussten. Der Arbeitgeber soll nicht den Einwand der Bösgläubigkeit erheben können (GEISER/MÜLLER, Arbeitsrecht in der Schweiz, 2009, S. 103).
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Die Zivilrechtsordnung schützt somit den Lohnanspruch der Beschwerdeführerin (Art. 319 OR). Unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten stammen die sichergestellten Lohnbeträge "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft" (oben E. 3.1). Damit erscheint deren strafrechtliche Einziehung als unzulässig. Es handelt sich nicht um das Entgelt für ein strafbares Verhalten wie beispielsweise den Transport von Betäubungsmitteln.
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Die Art. 14 und 15 BGSA wurden von den Räten in das BGSA eingefügt. Bei der Beratung des Gesetzes im Nationalrat wurde zunächst ein Artikel 15a vorgeschlagen, wonach ausländischen Arbeitnehmern, die ohne Aufenthaltsbewilligung entdeckt werden und seit mindestens einem Jahr in der Schweiz arbeiten, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt werden soll, und zwar für eine Frist, innerhalb welcher sie ihre arbeitsvertraglichen und sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche geltend machen können. Dagegen wies der Kommissionssprecher darauf hin, die Arbeitnehmerseite habe mit der Feststellungsklage ein Instrument, um gegen illegal profitierende Arbeitgeber vorzugehen. Die Bestimmung wurde in der Abstimmung abgelehnt (AB 2004 N 1201 und 1204). Bei der Beratung des Klagerechts von gewerkschaftlichen Organisationen führte Bundesrat Deiss aus, dass dieses Institut im schweizerischen Recht weit verbreitet sei. Verliessen die Arbeiter das Land, seien sie nicht mehr in der Lage ihre Ansprüche geltend zu machen. Es sei aber ein wichtiges Element eines Gesetzes, das gegen die Schwarzarbeit kämpfen will (vgl. Art. 1 BGSA), jene Personen zu schützen, die durch solche Praktiken verletzt würden (AB 2004 N 1214 f.). Vom Ständerat wurden die Artikel 19a und 19b (entsprechend Art. 14 und 15 BGSA) in das Gesetz aufgenommen (AB 2004 S 933 f.). Der Nationalrat stimmte diesen Beschlüssen des Ständerates in der Folge zu (AB 2005 N 218).
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Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich das Bestreben des Gesetzgebers, ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ohne Arbeitsbewilligung arbeiten, in ihren arbeitsrechtlichen Ansprüchen und vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit zu schützen. Dies ist denn auch nach dem Wortlaut Sinn und Zweck von Art. 14 und 15 BGSA.
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Wie das Bundesgericht bereits in einem Entscheid aus dem Jahre 1985 ausgeführt hatte, ändert es nichts an der Gültigkeit des Arbeitsvertrags, dass Ausländer ohne Arbeitsbewilligung mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrags verwaltungsstrafrechtlichen Normen zuwiderhandeln (BGE 111 II 52 S. 54: "[...] expose une partie à une sanction de droit pénal administratif"). Allerdings ging es nach dieser Rechtsprechung nur um Ordnungsvorschriften mit relativ leichten administrativrechtlichen Sanktionen. Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit sollte vor allem zu einer systematischeren Bestrafung der Arbeitgeber führen. Es müsse sichergestellt werden, dass die Schwarzarbeit nicht als rentabel angesehen werde (BBl 2002 3607 und 3643 f.). In der Botschaft vom 8. März 2002 zu Art. 112 E-AuG (heute Art. 117 AuG, Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung) wird zwar die Möglichkeit der Einziehung von Vermögenswerten vorbehalten (BBl 2002 3833). Adressat der Strafnorm von Art. 117 AuG sind aber "Arbeitgeberin und Arbeitgeber", nicht die Arbeitnehmer. Ein ähnlicher Vorbehalt findet sich auch in der Botschaft zum BGSA (BBl 2002 3644). Diesen Hinweisen in den beiden Botschaften kommt keine weitergehende Tragweite zu. Sie verstehen sich von selbst. Art. 70 StGB über die Einziehung von Vermögenswerten ist immer anwendbar, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind.
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In der vorliegenden Konstellation erweisen sich die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts sowie von Art. 14 und 15 BGSA als spezialgesetzliche Normen und gehen der strafrechtlichen Einziehung gemäss Art. 70 StGB grundsätzlich vor. Bundesgesetze sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (Art. 190 BV). Das BGSA erweitert mit den Mitteln des öffentlichen Rechts den zivilrechtlichen Schutz ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Arbeitsbewilligung als schwächeren Vertragsparteien vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit, indem es im Rahmen eines Weg- oder Ausweisungsverfahrens nicht nur die Behörden verpflichtet, sie über ihre Rechte zu informieren, sondern gewerkschaftlichen Organisationen zusätzlich noch ein Klagerecht zur Durchsetzung ihrer Ansprüche aus Arbeitsvertrag oder aus einem faktischen Arbeitsverhältnis einräumt. Es widerspräche Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Gesetzgebung, in der Folge die gegebenenfalls klageweise durchgesetzten Lohnansprüche einzuziehen. Hingegen unterliegen diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neben der Weg- oder Ausweisung insbesondere der Strafnorm von Art. 115 AuG, die Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht.
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Neben zivil- und öffentlichrechtlichen Normen stehen somit auch Gesichtspunkte der Einheit der Rechtsordnung einer Einziehung entgegen. Es handelt sich demnach um eine bundesrechtlich normierte sozialpolitische Einschränkung des strafrechtlichen Einziehungsrechts. Wo dieser Schutzgedanke der schwächeren Vertragspartei nicht zum Tragen kommt, steht einer Einziehung grundsätzlich nichts mehr im Wege.
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