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44. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1000/2010 vom 22. August 2011 | |
Regeste |
Art. 70 StGB; Art. 320 OR; Art. 14 und 15 BGSA; Einziehung; Schwarzarbeit. |
Zivilrecht und öffentliches Recht schützen die Lohnansprüche ausländischer Arbeitnehmer ohne fremdenrechtliche Arbeitsbewilligung (E. 3.3 und 3.4). Solche Lohnansprüche bzw. der entsprechend ausbezahlte Lohn sind strafrechtlich nicht einziehbar (E. 3.5). | |
Sachverhalt | |
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X. wurde wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 115 Abs. 1 lit. b (rechtswidriger Aufenthalt) und lit. c (nicht bewilligte Erwerbstätigkeit) des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 60.- und einer Busse von Fr. 500.- bestraft.
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Das bei ihr sichergestellte Bargeld wurde im Betrag von Fr. 8'600.- beschlagnahmt, eingezogen und zur Deckung der Busse, der Verfahrenskosten und im Restbetrag zugunsten der Staatskasse verwendet.
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B. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte auf Einsprache hin am 15. Januar 2010 den Schuldspruch. Es setzte eine bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30.- fest, verwendete das sichergestellte Bargeld zur Kostendeckung und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
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Das Obergericht des Kantons Zürich stellte im Berufungsverfahren am 9. September 2010 fest, das bezirksgerichtliche Urteil sei im Schuld- und Strafpunkt (mit Ausnahme der Höhe des Tagessatzes) in Rechtskraft erwachsen. Die Tagessatzhöhe setzte es (unter Hinweis auf BGE 135 IV 180 E. 1.4) neu auf Fr. 10.- fest. Das sichergestellte Bargeld verwendete es zur Deckung der Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Strafverfahrens und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
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C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das obergerichtliche Urteil in den Ziff. 2-6 des Dispositivs (betreffend Kostenfolgen und Einziehung) aufzuheben, von der Einziehung des sichergestellten Bargelds abzusehen und die kantonalen Kosten neu zu verteilen, eventualiter die Sache zur Neuregelung der Kosten und Entschädigungen bzw. zur neuen Entscheidung in der Sache selbst an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Obergericht und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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3.1 Die so genannte Ausgleichseinziehung beruht vor allem auf dem grundlegenden sozialethischen Gedanken, dass sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf (BGE 129 IV 107 E. 3.2). In BGE 125 IV 4 E. 2a/bb S. 7 hielt das Bundesgericht fest, es sei unbeachtlich, ob der Vermögensvorteil rechtlich oder bloss tatsächlich, direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sei (ebenso BGE 120 IV 365 E. 1d S. 367; Urteil 1S.5/2005 vom 26. September 2005 E. 7.4). Es führte weiter aus, auf die Unrechtmässigkeit der Vorteile dürfe aber nicht schon aufgrund der Tatbegehung selbst geschlossen werden. Der Vorteil müsse "in sich" unrechtmässig sein. Das sei beispielsweise nicht der Fall, wenn die fragliche Handlung objektiv nicht verboten sei, wie bei der Erlangung von Vermögenswerten durch vollendet untauglich versuchte Hehlerei. Soweit die Einnahmen aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammten, seien sie ![]() | 12 |
Nach dieser Rechtsprechung ist die Einziehung nicht zulässig, soweit die Einnahmen "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammen". Daher ist zunächst zu prüfen, ob die strafrechtliche Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge mit der Schweizerischen Rechtsordnung vereinbar ist. Die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs kann insoweit offenbleiben.
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Zivilrechtlich gilt eine gesetzliche Abschlussvermutung (Art. 320 Abs. 2 OR). Entscheidend für den Anspruch sind allein die objektiven Umstände, die im Interesse des sozialen Schutzes des Arbeitnehmers ipso iure zur Begründung des Einzelarbeitsvertrags mit allen seinen rechtlichen Konsequenzen führen, insbesondere der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 7 zu Art. 320 OR). Selbst bei Annahme der Ungültigkeit eines Einzelarbeitsvertrages treten die Rechtsfolgen grundsätzlich erst ex nunc ein, sobald Arbeit geleistet worden ist. Art. 320 Abs. 3 OR erscheint als lex specialis zu Art. 20 OR (STAEHELIN, a.a.O., N. 27 zu Art. 320 OR). Bei gutgläubiger Arbeitsleistung haben beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, ![]() | 16 |
Die Zivilrechtsordnung schützt somit den Lohnanspruch der Beschwerdeführerin (Art. 319 OR). Unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten stammen die sichergestellten Lohnbeträge "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft" (oben E. 3.1). Damit erscheint deren strafrechtliche Einziehung als unzulässig. Es handelt sich nicht um das Entgelt für ein strafbares Verhalten wie beispielsweise den Transport von Betäubungsmitteln.
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Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich das Bestreben des Gesetzgebers, ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ohne Arbeitsbewilligung arbeiten, in ihren arbeitsrechtlichen Ansprüchen und vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit zu schützen. Dies ist denn auch nach dem Wortlaut Sinn und Zweck von Art. 14 und 15 BGSA.
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Wie das Bundesgericht bereits in einem Entscheid aus dem Jahre 1985 ausgeführt hatte, ändert es nichts an der Gültigkeit des Arbeitsvertrags, dass Ausländer ohne Arbeitsbewilligung mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrags verwaltungsstrafrechtlichen Normen zuwiderhandeln (BGE 111 II 52 S. 54: "[...] expose une partie à une sanction de droit pénal administratif"). Allerdings ging es nach dieser Rechtsprechung nur um Ordnungsvorschriften mit relativ leichten ![]() | 22 |
In der vorliegenden Konstellation erweisen sich die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts sowie von Art. 14 und 15 BGSA als spezialgesetzliche Normen und gehen der strafrechtlichen Einziehung gemäss Art. 70 StGB grundsätzlich vor. Bundesgesetze sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (Art. 190 BV). Das BGSA erweitert mit den Mitteln des öffentlichen Rechts den zivilrechtlichen Schutz ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Arbeitsbewilligung als schwächeren Vertragsparteien vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit, indem es im Rahmen eines Weg- oder Ausweisungsverfahrens nicht nur die Behörden verpflichtet, sie über ihre Rechte zu informieren, sondern gewerkschaftlichen Organisationen zusätzlich noch ein Klagerecht zur Durchsetzung ihrer Ansprüche aus Arbeitsvertrag oder aus einem faktischen Arbeitsverhältnis einräumt. Es widerspräche Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Gesetzgebung, in der Folge die gegebenenfalls klageweise durchgesetzten Lohnansprüche einzuziehen. Hingegen unterliegen diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neben der Weg- oder Ausweisung insbesondere der Strafnorm von Art. 115 AuG, die Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht.
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Neben zivil- und öffentlichrechtlichen Normen stehen somit auch Gesichtspunkte der Einheit der Rechtsordnung einer Einziehung entgegen. Es handelt sich demnach um eine bundesrechtlich normierte ![]() | 24 |
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