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13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_442/2011 vom 4. Januar 2012 | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2, Art. 222, 224 ff., 388 lit. b und Art. 393 StPO; Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtanordnung der Untersuchungshaft durch das Zwangsmassnahmengericht. | |
Sachverhalt | |
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Am 16. Juli 2011 führte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft mit X. die Hafteröffnungseinvernahme durch. Gleichentags beantragte sie dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Landschaft die Anordnung von Untersuchungshaft für die vorläufige Dauer von drei Monaten.
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Am 18. Juli 2011, um 12.15 Uhr, wies das Zwangsmassnahmengericht den Antrag der Staatsanwaltschaft ab und entliess X. unverzüglich und unabhängig vom Einlegen eines Rechtsmittels gleichentags, spätestens um 12.30 Uhr, aus der Haft.
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Die von der Teilnahme an der Verhandlung des Zwangsmassnahmengerichts dispensierte Staatsanwaltschaft erfuhr von der Entlassung von X. am 18. Juli 2011 um 14.21 Uhr.
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Mit Beschwerde vom 19. Juli 2011 gelangte die Staatsanwaltschaft an das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit folgenden Anträgen:
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"1. Es sei der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 18. Juli 2011 aufzuheben.
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2. Es sei für die vorläufige Dauer von drei Monaten die Untersuchungshaft anzuordnen.
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3. (...)
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4. Es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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6. (...)."
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Mit Verfügung vom 20. Juli 2011 räumte der Präsident des Kantonsgerichts, Abteilung Strafrecht, dem Zwangsmassnahmengericht und X. Frist ein bis zum 25. Juli 2011 zur Stellungnahme zu den Anträgen 4 und 5 der Staatsanwaltschaft.
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Nach Eingang der Stellungnahmen des Zwangsmassnahmengerichts und von X. wies der Kantonsgerichtspräsident mit Verfügung vom 27. Juli 2011 die Anträge 4 und 5 der Staatsanwaltschaft ab.
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B. Die Staatsanwaltschaft führt mit Eingabe vom 29. August 2011 Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass der Kantonsgerichtspräsident mit Erlass der Verfügung vom 27. Juli 2011 eine Rechtsverzögerung begangen habe. Die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten sei aufzuheben, soweit dieser den Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft für die Dauer des Verfahrens abgewiesen habe, und die Sache zur neuerlichen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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C. Das Kantonsgericht beantragt mit Eingabe vom 6. September 2011 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Es weist darauf hin, dass es die Beschwerde der Staatsanwaltschaft in der Sache selber mit Beschluss vom gleichen Tag abgewiesen hat. (...)
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Das Bundesgericht schreibt die Beschwerde als gegenstandslos ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.2 Die angefochtene Verfügung stellt einen Zwischenentscheid nach Art. 93 BGG dar. Die Vorinstanz hat es abgelehnt, den Beschwerdegegner für die Dauer des Beschwerdeverfahrens in Haft zu versetzen. Damit bestand die Gefahr der Erschwerung oder gar Vereitelung des Strafverfahrens, da der Beschwerdegegner die von der Staatsanwaltschaft geltend gemachte Flucht-, Kollusions- und ![]() | 19 |
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2. Ausser der Gegenstandslosigkeit steht noch ein anderer Grund der materiellen Behandlung der Beschwerde entgegen: Rekurriert die Staatsanwaltschaft nach einem abschlägigen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts bei der Beschwerdeinstanz und verlangt sie - superprovisorisch oder provisorisch - die Inhaftierung des Beschuldigten, so kann sie einen (für sie) negativen Massnahmenentscheid nach Art. 388 lit. b StPO (SR 312.0) - sei er superprovisorisch oder provisorisch - nicht beim Bundesgericht anfechten. Denn vor Bundesgericht würde diesfalls die gleiche Rechtsfrage anhängig gemacht, die vor der Beschwerdeinstanz noch zum (definitiven) Entscheid ansteht, und dies nicht während eines nicht absehbaren, unbestimmten Zeitraums, sondern nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben sofort, d.h. innert wenigen Tagen. Bei dieser prozessualen Konstellation würde ein Weiterzug des Massnahmenentscheids an das Bundesgericht zu einer doppelten, konkurrierenden Zuständigkeit verschiedener Gerichtsinstanzen für die gleiche Streitfrage mit der Gefahr unkoordinierter und widersprüchlicher Entscheide und von Verfahrensverzögerungen führen. Dies verstiesse gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Einheit und Widerspruchsfreiheit des Verfahrens (Art. 9 BV; BGE 117 Ib 35 E. 3e S. 39) sowie gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO). Hinzu käme, dass das Bundesgericht auf diese Weise aufgerufen würde, auf provisorischem Weg als erste gerichtliche Instanz die Inhaftierung eines Beschuldigten anzuordnen, was mit seiner Rolle als höchstes Gericht des Landes kaum vereinbar wäre und einer sinnvollen Gerichtsorganisation und Aufgabenteilung zuwiderliefe. Überdies müsste die Beurteilung eines ![]() | 21 |
Erwägung 3 | |
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Das Bundesgericht hat dazu festgehalten, dass eine beschuldigte Person gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO unverzüglich freizulassen ist, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet. Dieses Recht auf unverzügliche Freilassung ergibt sich aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), ![]() | 24 |
Strafprozessuale Rechtsmittel haben nach Art. 387 StPO keine aufschiebende Wirkung. Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen der StPO oder Anordnungen der Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz. Diese trifft in Anwendung von Art. 388 StPO die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen. Hierzu gehört nach ausdrücklicher Vorschrift von Art. 388 lit. b StPO die Anordnung von Haft. Diese Bestimmungen sind grundsätzlich geeignet, die Untersuchungshaft während des Beschwerdeverfahrens betreffend die Haftentlassung aufrechtzuerhalten. Gewiss steht die lückenlose Weiterführung der Untersuchungshaft in einem gewissen Gegensatz zur Pflicht, die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet (Art. 226 Abs. 5 StPO; BGE 137 IV 237 E. 2.2 S. 241). Dennoch ist es zur Gewährleistung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft erforderlich, die Freilassung des Beschuldigten aufzuschieben, bis die Beschwerdeinstanz über die Fortdauer der Haft während des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Art. 388 lit. b StPO wenigstens superprovisorisch entscheiden kann (BGE 137 IV 237 E. 2.4 S. 244).
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3.3 Vor dem Hintergrund des Anspruchs des Beschuldigten auf unverzügliche Freilassung gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO muss die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde vor dem Zwangsmassnahmengericht unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids ankündigen und im Anschluss daran schriftlich einreichen. In der Beschwerde sind auch die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen zu beantragen (Art. 388 StPO). Aus diesen Erfordernissen ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft in Verfahren nach Art. 225 Abs. 1 StPO persönlich vertreten sein muss und sich nicht mit schriftlichen Anträgen begnügen kann ![]() | 26 |
Wie die Behörden bei der Beurteilung von Haftverlängerungsgesuchen (vgl. Art. 227 StPO) und Haftentlassungsbegehren (vgl. Art. 228 StPO) vorzugehen haben, ist im vorstehenden Zusammenhang nicht zu erörtern.
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3.4 Nach dem Eingang der Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz hat deren Verfahrensleitung - wie das Bundesgericht bereits ausgeführt hat (BGE 137 IV 237 E. 2.4 f. S. 245) - die erforderlichen Anordnungen im Sinne von Art. 388 StPO zu erlassen. Solche Anordnungen müssen aus Gründen der Dringlichkeit meist ohne Anhörung der betroffenen Person als superprovisorische Verfügung ergehen. Sie sind anschliessend nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zu bestätigen oder zu ändern. Eine von der Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids, aber vor der tatsächlichen Entlassung des Beschuldigten eingereichte Beschwerde hat somit zur Folge, dass die Untersuchungshaft vorläufig weiterbesteht, bis die zuständige Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz ![]() | 28 |
Eine längere Fortdauer der Haft kann sich in begründeten Ausnahmefällen wie beispielsweise an Wochenenden ergeben. Um solche Situationen zu vermeiden, empfiehlt sich, dass das Zwangsmassnahmengericht Haftentlassungsentscheide an Vortagen von arbeitsfreien Tagen möglichst am Vormittag trifft. Danach kann die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde noch rechtzeitig einreichen, damit die Beschwerdeinstanz am selben Tag gestützt auf ein entsprechendes Gesuch der Staatsanwaltschaft aufgrund der Akten über die Anordnung der Haft superprovisorisch entscheiden kann (Art. 388 lit. b StPO).
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Das Zwangsmassnahmengericht entschied am 18. Juli 2011 um 12.15 Uhr, der Beschwerdegegner werde gleichentags spätestens um 12.30 Uhr entlassen, was dann auch geschah. Die Staatsanwaltschaft war in der Verhandlung nicht vertreten und damit auch nicht in der Lage, sofort eine Beschwerde anzukündigen und dadurch eine einstweilige Haftverlängerung zu bewirken. Der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts gelangte ihr erst um 14.21 Uhr des 18. Juli 2011 zur Kenntnis. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beschwerdegegner bereits seit ca. zwei Stunden in Freiheit. Erst am 19. Juli 2011 erhob die Staatsanwaltschaft bei der Vorinstanz Beschwerde und beantragte die aufschiebende Wirkung. Damals gab es aber bereits nichts mehr aufzuschieben; es hätte gegebenenfalls eine neue Haftanordnung ergehen müssen. Über eine derartige Massnahme entschied die Vorinstanz schliesslich auch nicht superprovisorisch, ![]() | 31 |
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