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19. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. und Mitb. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_571/2011 vom 24. Mai 2012 | |
Regeste |
Art. 251 Ziff. 1 StGB; Falschbeurkundung (inhaltlich unwahre Rechnungen). |
Im Verhältnis zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger sind Rechnungen nur unter besonderen Umständen Urkunden, da sie in der Regel blosse Behauptungen des Ausstellers über die vom Empfänger geschuldete Leistung enthalten (E. 2.4.2). |
Der Rechnungsaussteller kann sich der Falschbeurkundung strafbar machen, wenn die inhaltlich unwahre Rechnung nicht nur Rechnungsfunktion hat, sondern objektiv und subjektiv in erster Linie als Beleg für die Buchhaltung der Rechnungsempfängerin bestimmt ist, die damit verfälscht wird. Eine objektive Zweckbestimmung als Buchhaltungsbeleg muss angenommen werden, wenn der Rechnungsaussteller mit der buchführungspflichtigen Rechnungsempfängerin bzw. deren Organen oder Angestellten zusammenwirkt und auf deren Geheiss oder Anregung hin oder mit deren Zustimmung eine inhaltlich unwahre Rechnung erstellt, die als Buchhaltungsbeleg dient (E. 2.4.3 und 3.1). In subjektiver Hinsicht muss der Rechnungsaussteller zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die abgeänderte Rechnung als Beleg für die Buchhaltung der Rechnungsempfängerin bestimmt ist und die Buchhaltung damit verfälscht werden soll (E. 3.2.1-3.2.3). Die Bereicherungsabsicht ist zu bejahen, wenn der Rechnungsaussteller in der Absicht handelt, der Rechnungsempfängerin oder deren Organen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen (E. 3.2.4). | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Urteil vom 29. April 2010 erkannte das Amtsgericht Olten-Gösgen D. und C. der Urkundenfälschung und A., B. sowie E. der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig. Vom Vorwurf der Gehilfenschaft zum Steuerbetrug sprach es sie frei. Es verurteilte sie je zu bedingten Geldstrafen zwischen 10 und 60 Tagessätzen.
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Auf Beschwerden von A., B., C., D. und E. hin sprach das Obergericht des Kantons Solothurn diese am 29. Juni 2011 von der angeklagten einfachen bzw. mehrfachen Urkundenfälschung frei. Der erstinstanzliche Freispruch vom Vorwurf der Gehilfenschaft zum Steuerbetrug erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
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C. Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts vom 29. Juni 2011 aufzuheben und die Sache zur Verurteilung wegen (mehrfacher) Urkundenfälschung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D. Das Obergericht und die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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E. Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 24. Mai 2012 an einer öffentlichen Sitzung beraten und die Beschwerde gutgeheissen.
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Aus den Erwägungen: | |
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1.1 Die Vorinstanz führt aus, die Rechnungen seien insofern falsch gewesen, als die von den Beschwerdegegnern tatsächlich ![]() | 8 |
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Wenn eine Privatperson einer Aktiengesellschaft eine Rechnung stelle, müsse einer im Geschäftsleben tätigen Person klar sein, dass die Rechnung als Buchhaltungsbeleg diene. Alle Beschwerdegegner seien sich offensichtlich bewusst gewesen, dass ihre Rechnungen für die Buchhaltung bestimmt gewesen seien und mit den inhaltlich unwahren Rechnungen ein falscher Buchhaltungsbeleg erstellt werden sollte. Dies sei der Grund für die verlangte Änderung des Rechnungstextes durch F. gewesen. Nicht weiter führe die Erwägung der Vorinstanz, die Beschwerdegegner hätten nicht gewusst, ob F. die Buchhaltung der G. AG auch manipuliere. Eventualvorsatz reiche aus. Ein solcher sei vorliegend naheliegend. Auch hätten die Rechnungen tatsächlich Eingang in die Buchhaltung gefunden. Einem Buchhaltungsbeleg komme gemäss BGE 129 IV 130 nicht erst mit der Verbuchung Urkundencharakter zu.
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Erwägung 2 | |
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Die Urkundenfälschung im engeren Sinne erfasst das Herstellen einer unechten Urkunde, deren wirklicher Aussteller mit dem aus ihr ersichtlichen Urheber nicht identisch ist. Demgegenüber betrifft die Falschbeurkundung die Errichtung einer echten, aber unwahren Urkunde, bei der der wirkliche und der in der Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Die Falschbeurkundung erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche wird nur angenommen, wenn dem Schriftstück eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat ihm daher ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Das ist der Fall, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten, die gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserungen genügen dagegen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben verlässt (BGE 132 IV 12 E. 8.1; BGE 131 IV 125 E. 4.1; BGE 129 IV 130 E. 2.1; je mit Hinweisen).
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Rechnungen sind nach ständiger Rechtsprechung in der Regel keine Urkunden (BGE 131 IV 125 E. 4.2; BGE 121 IV 131 E. 2c; BGE 117 IV 35; BGE 88 IV 33). Eine erhöhte Glaubwürdigkeit und damit eine Urkundenqualität von Rechnungen kann sich ausnahmsweise aus dem konkreten Verwendungszweck ergeben. Die Rechtsprechung bejaht dies, wenn Rechnungen im Zollverkehr als Beleg für die Richtigkeit der Angaben in der Zollanmeldung verwendet werden (BGE 96 IV 150 E. 2a; Urteil 1A.253/2002 vom 28. Januar 2003 E. 2.2). Eine Urkunde liegt zudem vor, wenn dem Aussteller eine garantenähnliche Stellung zukommt bzw. wenn dieser in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Empfänger steht. Dies wurde etwa bezüglich eines Arztes gegenüber der Krankenkasse angenommen (BGE 103 IV 178 E. IV).
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Eine garantenähnliche Stellung hat nach der Rechtsprechung auch der bauleitende Architekt, der die Pflicht zur ordnungsgemässen Prüfung der Schlussabrechnung übernommen hat. Die von diesem visierte und als richtig bestätigte Unternehmerrechnung ist eine Urkunde (BGE 119 IV 54 E. 2). Gleiches gilt, wenn Rechnungen im Rahmen eines hierfür beim Rechnungsempfänger vorgesehenen Rechnungskontrollverfahrens nach einer materiellen Prüfung mit einem Prüfungsvermerk versehen werden (BGE 131 IV 125 E. 4.5; Urteil 6B_916/2008 vom 21. August 2009 E. 9, nicht publ. in: BGE 135 IV 198). Der schriftlich als richtig bescheinigten Rechnung kommt nach der Rechtsprechung als sogenannte zusammengesetzte Urkunde erhöhte Glaubwürdigkeit zu (BGE 131 IV 125 E. 4.2; Urteil 6B_916/2008 vom 21. August 2009 E. 9.5 und 9.6).
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Unabhängig davon werden Rechnungen zu Urkunden, wenn sie als Buchhaltungsbelege Eingang in die kaufmännische Buchhaltung finden. Die kaufmännische Buchführung und ihre Bestandteile (Belege, Bücher, Buchhaltungsauszüge über Einzelkonten, Bilanzen oder Erfolgsrechnungen) sind kraft Gesetzes (Art. 957 OR) bestimmt und ![]() | 17 |
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Ist die Rechnung objektiv und subjektiv als Beleg für die kaufmännische Buchhaltung bestimmt, verfasst der Täter mit der inhaltlich unwahren Rechnung auch einen inhaltlich unwahren Buchhaltungsbeleg (BGE 118 IV 35 E. 3b/cc; BGE 115 IV 225 E. 2e; vgl. oben E. 2.2.1). Eine Urkundenfälschung begeht namentlich, wer als (Mit-)Verantwortlicher für die Buchhaltung der rechnungsstellenden Gesellschaft eine inhaltlich unwahre Rechnung erstellt, die als Bestandteil der eigenen Buchhaltung erscheint (BGE 118 IV 35 E. 3; BGE 117 IV 35 E. 2c; BGE 115 IV 225 E. 2; vgl. auch STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. II, 6. Aufl. 2008, N. 41 S. 169). Darüber hinaus wurde eine Zweckbestimmung von Rechnungen als ![]() | 20 |
Erwägung 2.4 | |
2.4.1 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Urkundenfälschung wurde im Schrifttum verschiedentlich kritisiert. Für eine weitere Auslegung des Tatbestands der Urkundenfälschung sprach sich namentlich NIKLAUS SCHMID aus, der die Beweiseignung von Rechnungen bejaht, wenn diese beim Aussteller oder Empfänger als Buchhaltungsbelege Bestandteil der Buchhaltung werden. Massgebend ist nach SCHMID, ob der Aussteller der Rechnung mit dem Wissen handelt, dass diese im Rahmen einer Buchführung Beweisfunktion erlangt und nicht, ob die Rechnung tatsächlich in eine Buchhaltung integriert wird (vgl. NIKLAUS SCHMID, Fragen der Falschbeurkundung bei Wirtschaftsdelikten, ZStrR 95/1978 S. 306 f.). Eine ähnliche Auffassung vertritt LUCREZIA GLANZMANN-TARNUTZER, wonach eine strafbare Falschbeurkundung anzunehmen ist, wenn eine falsche Rechnung Bestandteil der kaufmännischen Buchhaltung einer der beteiligten Parteien, d.h. des Rechnungsausstellers oder des Rechnungsempfängers wird. Ausserhalb des kaufmännischen Bereichs soll die Erstellung einer falschen Rechnung demgegenüber grundsätzlich nicht als Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 StGB zu ahnden sein (vgl. LUCREZIA GLANZMANN-TARNUTZER, Art. 251 StGB und die Erstellung einer inhaltlich falschen Rechnung, AJP 2002 S. 770 und 773). Die Beschwerdeführerin beruft sich massgeblich auf GLANZMANN-TARNUTZER. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach Rechnungen selbst im Verkehr mit buchführungspflichtigen ![]() | 21 |
Nach einer anderen Lehrmeinung ist der Umstand, dass eine inhaltlich falsche Rechnung möglicherweise als Beleg in die Buchhaltung des Adressaten eingeht, demgegenüber kein taugliches Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Falschbeurkundung und straffreier schriftlicher Lüge (vgl. HANS VEST, Probleme des Urkundenstrafrechts, AJP 2003 S. 886; HEINZ OTTIGER, Treten an Ort bei der Falschbeurkundung, forumpoenale 1/2010 S. 46 ff.; MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 56 zu Art. 251 StGB; in diesem Sinne auch STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., N. 41 S. 169; BERNARD CORBOZ, Le faux dans les titres, ZBJV 131/1995 S. 551 f.).
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Soweit die Beschwerdeführerin eine Urkundenfälschung bereits mit der Begründung annimmt, die Beschwerdegegner hätten ihre Rechnungen an eine buchführungspflichtige Gesellschaft adressiert, kann ihr nicht gefolgt werden.
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Steht ein solches Zusammenwirken des Rechnungsausstellers mit dem Rechnungsempfänger fest, ist die inhaltlich unwahre Rechnung aufgrund ihrer Zweckbestimmung als Buchhaltungsbeleg eine Urkunde. Täter (und nicht bloss Gehilfe) im Sinne von Art. 251 StGB kann daher auch sein, wer einen falschen Buchhaltungsbeleg erstellt, ohne selber für die Buchhaltung verantwortlich zu sein. Ist die Zweckbestimmung einer Rechnung als Buchhaltungsbeleg zu bejahen, entsteht die inhaltlich unwahre Urkunde bereits mit deren Erstellung und nicht erst mit der Verbuchung in der Buchhaltung der Rechnungsempfängerin (vgl. BGE 129 IV 130 E. 3.2 und 3.3).
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Erwägung 3 | |
3.1 Die Beschwerdegegner verfassten auf Geheiss von F. inhaltlich unwahre Rechnungen, welche dieser der Geschäftsbuchhaltung der G. AG zugrunde legte. Die Beschwerdegegner erstellten nicht nur Rechnungen, sondern auch Buchhaltungsbelege. Diese waren inhaltlich unwahr, da darin andere als die tatsächlich erfolgten Leistungen in Rechnung gestellt wurden. Damit wurde der Eindruck erweckt, es handle sich um geschäftliche Auslagen der G. AG. Mit den inhaltlich unwahren Rechnungen wurde die Buchhaltung der G. AG verfälscht, da private Auslagen als geschäftsbedingt ausgewiesen wurden und der Gewinn der G. AG damit geschmälert wurde. Durch die ![]() | 27 |
Anzufügen bleibt, dass den Beschwerdegegnern grundsätzlich nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass sie die Rechnungen an die G. AG anstatt an F. persönlich adressierten. Die Rechnungen geben diesbezüglich die Erklärung von F. wieder. Tritt dieser gegenüber den Beschwerdegegnern nicht persönlich, sondern als Organ der G. AG auf, erscheint darin die Gesellschaft als Vertragspartnerin. Vorliegend waren die Rechnungen jedoch unwahr, da geschäftliche Auslagen der G. AG vorgetäuscht wurden.
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Erwägung 3.2 | |
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