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9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Swissmedic (Schweizerisches Heilmittelinstitut) gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_771/2011 vom 11. Dezember 2012 | |
Regeste |
Ende der Verfolgungsverjährung mit Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils (Art. 97 Abs. 3 StGB). |
Unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, nach deren Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt, sind nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen (Änderung der Rechtsprechung; E. 1.5). | |
Sachverhalt | |
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B.
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B.a Die Swissmedic bestrafte X. mit Strafbescheiden vom 18. und 19. März 2009 wegen Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG) mit Bussen von Fr. 2'000.- respektive Fr. 800.-.
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X. erhob Einsprache. Die Swissmedic behandelte diese auf Antrag der Einsprecherin gemäss Art. 71 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) als Begehren um Beurteilung durch das Strafgericht. Das Einspracheverfahren, also der Erlass einer Strafverfügung (Art. 70 VStrR) auf Einsprache (Art. 67 VStrR) der Gebüssten gegen den Strafbescheid (Art. 64 VStrR), wurde mithin übersprungen.
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B.b Das Bezirksstrafgericht der Saane sprach X. mit Urteil vom 20. November 2009 vom Vorwurf der Übertretung des Heilmittelgesetzes (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG) frei.
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Gegen dieses Urteil erhob die Swissmedic Berufung mit den Anträgen, X. sei der mehrfachen vorsätzlichen, eventuell der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b [eventuell auch i.V.m. Art. 87 Abs. 3] HMG) schuldig zu sprechen.
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C. Die Swissmedic führt mit Eingabe vom 23. November 2011 Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, X. sei der mehrfachen vorsätzlichen, eventuell der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz im Sinne von Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b (eventuell auch i.V.m. Art. 87 Abs. 3) HMG schuldig zu sprechen und zu Bussen von Fr. 2'000.- und Fr. 800.- zu verurteilen. Die Swissmedic stellt zudem Anträge betreffend die Verteilung der Verfahrenskosten in den verschiedenen Verfahrensstadien.
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Aus den Erwägungen: | |
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Gemäss Art. 98 StGB beginnt die Verjährung (a.) mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Tätigkeit ausführt; (b.) wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt; (c.) wenn das strafbare Verhalten dauert, mit dem Tag, an dem dieses Verhalten aufhört. Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen, so tritt die Verjährung nicht mehr ein (Art. 97 Abs. 3 StGB). Diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich aArt. 71 und aArt. 70 Abs. 3 StGB in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001 (AS 2002 2993 und 3146), welche zur Zeit der vorliegend inkriminierten Handlungen in Kraft waren. Die Bestimmungen über den Beginn und das Ende der Verjährung gelten gemäss Art. 104 StGB auch für ![]() | 11 |
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Erwägung 1.3 | |
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1.3.2 Übertretungen gemäss Heilmittelgesetz verjähren entgegen der sich aus Art. 87 Abs. 5 HMG i.V.m. Art. 333 Abs. 6 lit. b StGB (respektive aArt. 333 Abs. 5 lit. b StGB) ergebenden Regelung nicht in zehn Jahren, sondern in sieben Jahren, da die Verjährungsfrist für Übertretungen im Sinne eines Spezialgesetzes vernünftigerweise nicht länger sein kann als die Verjährungsfrist für Vergehen im Sinne desselben Spezialgesetzes (Urteil 6B_374/2008 vom 27. November 2008 E. 5; siehe auch BGE 134 IV 328 E. 2.1). Soweit im Urteil 6B_5/2010 ![]() | 14 |
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1.4.1 Nach Art. 97 Abs. 3 StGB respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen ![]() | 17 |
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Diese Auffassung ist in einem Teil des Schrifttums auf Kritik gestossen. Danach ist erst das erstinstanzliche Erkenntnis im gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff., Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) zu qualifizieren. Zur Begründung wird ausgeführt, dass Entscheide der Verwaltung und somit auch Strafverfügungen keine Urteile seien, da sie nicht von einem Gericht erlassen würden und nicht mit einem Rechtsmittel, sondern mit einer blossen Einsprache anzufechten seien. Zudem könne das Verwaltungsstrafverfahren gänzlich entfallen, wenn das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme für gegeben halte (siehe Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 VStrR). Ausserdem könne das Verwaltungsstrafverfahren zumindest teilweise übersprungen werden, wenn die Verwaltung die Einsprache gegen den Strafbescheid auf Antrag oder mit Zustimmung des Einsprechers als Begehren um gerichtliche Beurteilung durch das Strafgericht behandle (Art. 71 VStrR) und somit keine Strafverfügung (Art. 70 VStrR) erlassen werde (RIEDO/ZURBRÜGG, Der Jetlag dauert an oder Neue Unwägbarkeiten im Recht der strafrechtlichen Verjährung, AJP 2009 S. 372 ff., 377 f.).
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1.4.3 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass entgegen dieser Meinungsäusserung im Schrifttum nicht erst das erstinstanzliche ![]() | 20 |
1.4.4 Das Bundesgericht hatte sich in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4 nicht mit der Konstellation der hier vorliegenden Art zu befassen, in ![]() | 21 |
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In den Fällen, in welchen das Einspracheverfahren übersprungen wird (Art. 71 VStrR), ist somit nicht der Strafbescheid (Art. 64 VStrR), sondern der erstinstanzliche Gerichtsentscheid im gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff., Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu qualifizieren, nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintritt.
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In BGE 134 IV 328 E. 2.1 erwog das Bundesgericht, es stelle sich die Frage, ob unter "Urteilen" im Sinne der zitierten Bestimmung nur Verurteilungen oder auch Freisprüche und Verfahrenseinstellungen zu verstehen sind. Der Wortlaut der Bestimmung lasse beides zu. Die Verjährung bezwecke aus verschiedenen prozessualen und materiell-strafrechtlichen Gründen, die Strafverfolgung nach Ablauf einer bestimmten Zeit einzustellen. Mit einem Freispruch werde festgestellt, dass der Angeklagte wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht verurteilt werden kann. Es widerspräche jeder Logik, an diese Feststellung die Rechtsfolge zu knüpfen, dass der Freigesprochene wegen eben dieser Vorwürfe zeitlich unbegrenzt weiter verfolgt werden könne, weil die beurteilte Straftat nicht mehr verjähre. Unter "erstinstanzlichen Urteilen" im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB seien daher ausschliesslich verurteilende Erkenntnisse zu verstehen. Das Bundesgericht hat diese Auffassung in der Folge mehrfach bestätigt (BGE 135 IV 196 E. 2.1; Urteile 6B_983/2010 vom 19. April 2011 E. 4.2.1; 6B_819/2010 vom 3. Mai 2011 E. 4.3). Im Urteil 6B_242/2011 vom 15. März 2012 (wiedergegeben in SJ 2012 I S. 313 ff.) erwog es, BGE 134 IV 328 E. 2.1 habe klar zum Ausdruck gebracht, dass ![]() | 27 |
In der Lehre sind die Meinungen geteilt. Nach der einen Auffassung sind unter "Urteilen" im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB beziehungsweise aArt. 70 Abs. 3 StGB nur verurteilende Erkenntnisse zu verstehen (ALAIN MACALUSO, forumpoenale 5/2009 S. 278 f.; GILBERT KOLLY, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 61 zu Art. 97 StGB). Nach der andern Ansicht fallen darunter auch freisprechende Urteile (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377; CHRISTIAN DENYS, Prescription de l'action pénale, les nouveaux art. 70, 71, 109 et 333 al. 5 CP, SJ 2003 II 49 ff., 54 f.; VINCENT MAENDLY, La prescription, in: La nouvelle partie générale du Code pénal suisse, Kuhn/Moreillon/Viredaz/Bichovsky [Hrsg.], 2006, S. 375 ff., 378; BERNARD BERTOSSA, SJ 2012 I 316).
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Gegen die in BGE 134 IV 328 E. 2.1 begründete Rechtsprechung werden Einwände und Bedenken in verschiedener Hinsicht vorgebracht. Bei grammatikalischer Auslegung von Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) sei selbstverständlich auch ein freisprechendes Erkenntnis ein "Urteil" im Sinne dieser Bestimmung. Die Auffassung des Bundesgerichts, der Wortlaut der Bestimmung sei nicht eindeutig und lasse auch die Auslegung zu, dass nur verurteilende Erkenntnisse als "Urteile" zu qualifizieren seien, sei unhaltbar und schlechterdings falsch. Dies ergebe sich auch mit Blick auf den französischen und den italienischen Gesetzeswortlaut, worin von ![]() | 29 |
1.5.2 Eine Änderung der Rechtsprechung lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt wurde (BGE 137 III 352 E. 4.6; BGE 136 III 6 E. 3; BGE 135 I 79 E. 3, je mit Hinweisen).
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Die in BGE 134 IV 328 E. 2.1 begründete Rechtsprechung zu der am 1. Oktober 2002 in Kraft getretenen Bestimmung, wonach die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (aArt. 70 Abs. 3 StGB, Art. 97 Abs. 3 StGB), ist nach erneuter, eingehender Prüfung aus nachstehenden Gründen dahingehend zu ändern, dass unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne dieser Bestimmung nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen sind.
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Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 137 IV 180 E. 3.4; BGE 136 III 283 E. 2.3.1; BGE 135 II 78 E. 2.2; BGE 131 III 314 E. 2.2, je mit Hinweisen).
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1.5.5 Die Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen etc.) hält unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung fest, dass nach dem damals geltenden Recht die Verfolgungsverjährung entweder mit dem Ablauf der Verjährungsfrist oder mit der Ausfällung eines verurteilenden Erkenntnisses, welches in Rechtskraft erwuchs und nur mit einem ausserordentlichen Rechtsmittel angefochten werden konnte, zu laufen aufhörte. Das Ende der Verjährung hänge demnach von der Ausgestaltung des kantonalen Rechtsweges ab und variiere somit von Kanton zu Kanton. Ein Hauptproblem liege zudem darin, dass die Verjährung noch im Rechtsmittelverfahren eintreten könne. Der Entwurf sehe daher vor, dass die Verjährung definitiv ende, sobald ein erstinstanzliches Urteil ergangen sei. Gegenüber der Gefahr, dass einem Rechtsmittelverfahren durch die Verjährungsbestimmungen keine zeitlichen Grenzen mehr gesetzt seien, bleibe dem Angeschuldigten der Schutz durch das Verzögerungsverbot und das Beschleunigungsgebot. Wichtig sei, dass die Verurteilten, die auf ein Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid verzichten, nicht benachteiligt sein sollen gegenüber den Verurteilten, welche das ![]() | 36 |
Die Botschaft des Bundesrates enthält somit Passagen, die ausdrücklich auf die Lage der von der ersten Instanz verurteilten Person hinweisen. Die Probleme und Ungereimtheiten, die sich insoweit aus dem alten Recht und der diesbezüglichen Rechtsprechung ergaben, sollten durch die neue Bestimmung beseitigt werden. In der Botschaft finden sich jedoch auch Passagen, aus denen sich ergibt, dass der Gesetzgeber neben dem kantonalen Rechtsmittelverfahren betreffend erstinstanzliche verurteilende Erkenntnisse im Besonderen auch das kantonale Rechtsmittelverfahren im Allgemeinen im Auge hatte. Die Botschaft sieht ein Hauptproblem des damals geltenden Rechts "zudem" darin, "dass die absolute Verjährung noch im Rechtsmittelverfahren eintreten kann" (Botschaft, a.a.O., S. 2134 Ziff. 216.11). Dieses Risiko bestand nach dem alten Recht und der diesbezüglichen Rechtsprechung nicht nur in den Fällen, in denen die erstinstanzlich verurteilte Person das ihr zur Verfügung stehende ordentliche Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche verurteilende Erkenntnis ergriff. Es bestand ganz allgemein auch bei erstinstanzlichen Freisprüchen, da diesfalls nach der Rechtsprechung zum alten Recht die Verjährung - unabhängig von der Rechtsnatur des zur Verfügung stehenden Rechtsmittels - weiterlief und daher im Rechtsmittelverfahren eintreten konnte. Zur Beseitigung dieser Risiken soll gemäss den Ausführungen in der Botschaft die Verjährung definitiv enden, sobald "ein erstinstanzliches Urteil" ergangen ist. Zwar fällt auf, dass in der Botschaft weder explizit von freisprechenden Urteilen die Rede ist noch die langjährige, in der Lehre weitgehend unangefochtene Rechtsprechung zum alten Recht thematisiert wird, wonach bei freisprechenden Urteilen die Verjährung unabhängig von dem dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel weiterläuft. Dass diesbezügliche Hinweise in der Botschaft fehlen, lässt jedoch keine zwingenden Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers zu. Die Botschaft enthält keine Ausführungen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers abweichend vom klaren Gesetzeswortlaut die Verjährung nur mit verurteilenden und nicht auch mit freisprechenden erstinstanzlichen Erkenntnissen zu laufen aufhört. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von aArt. 70 Abs. 3 StGB beziehungsweise ![]() | 37 |
Die Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2012 zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Verlängerung der Verfolgungsverjährung) hält mehrfach unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 3 StGB fest, dass die Verfolgungsverjährung seit der Revision des Verjährungsrechts im Jahr 2002 nicht mehr erst mit der Ausfällung eines formell rechtskräftigen Entscheids, sondern bereits mit der Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils zu laufen aufhört, womit sich das Problem relativ kurzer Verjährungsfristen entschärfe (BBl 2012 9253 ff., 9260 Ziff. 1.1.4, 9266 Ziff. 1.3.2). In der Botschaft ist nicht davon die Rede, dass dies nur für verurteilende erstinstanzliche Erkenntnisse gilt, und es wird auch nicht auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesgerichts hingewiesen.
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Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 97 Abs. 3 StGB kann zu einer Ungleichbehandlung führen etwa in Fällen, in denen von zwei mitbeschuldigten Personen erstinstanzlich die eine verurteilt und die andere freigesprochen wird und in der Folge beide mitbeschuldigten Personen von der Rechtsmittelinstanz freigesprochen werden. Trotz übereinstimmender Freisprüche durch die Rechtsmittelinstanz läuft die Verfolgungsverjährung nur für die erstinstanzlich freigesprochene Person weiter, während sie für die andere Person zufolge der erstinstanzlichen Verurteilung nicht läuft.
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1.5.7 Dass die Verjährung auch mit erstinstanzlichen freisprechenden Entscheiden zu laufen aufhört, bedeutet entgegen einer Bemerkung in BGE 134 IV 328 E. 2.1 nicht, dass die beschuldigte Person wegen Vorwürfen, von welchen sie freigesprochen wurde, zeitlich unbegrenzt weiterverfolgt werden kann. Wenn das freisprechende ![]() | 41 |
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Nach der schweizerischen Strafprozessordnung, in Kraft seit 1. Januar 2011, ist die Revision wegen neuer Tatsachen oder neuer Beweismittel sowohl zugunsten als auch zu Ungunsten der beschuldigten Person zulässig (siehe Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO). Die Revision zugunsten der beschuldigten Person kann auch nach Eintritt der Verjährung verlangt werden (Art. 410 Abs. 3 StPO). Bis zu welchem Zeitpunkt die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person möglich ist, ist in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt. Aus Art. 410 Abs. 3 StPO ergibt sich e contrario, dass eine solche Revision nur verlangt werden kann, wenn die beschuldigte Person lebt und die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1320 zu Art. 417 Abs. 3). Die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person kann mit anderen Worten beantragt werden, solange für die Straftat, welche der beschuldigten Person im Revisionsbegehren vorgeworfen wird, die Verjährungsfrist noch nicht verstrichen ist. Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob nach der Ausfällung des zu revidierenden Urteils die Verjährung weiterlief oder aber zu laufen aufhörte und daher nicht mehr eintreten kann. Massgebend ist vielmehr, ob im Zeitpunkt des Revisionsbegehrens die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Verjährung beginnt mit der inkriminierten Tat, und die Dauer der Verjährungsfrist bestimmt sich aufgrund der Strafe, die für die inkriminierte Tat angedroht wird.
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1.5.9 Zusammenfassend ergibt sich Folgendes. Art. 97 Abs. 3 StGB (vormals aArt. 70 Abs. 3 StGB) erfasst nach dem Gesetzestext in den drei Amtssprachen erstinstanzliche Urteile und somit nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende erstinstanzliche Erkenntnisse. Es bestehen keine sachlichen Gründe, vom klaren Wortlaut abzuweichen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem auch aus der Botschaft des Bundesrates erkennbaren Zweck der Bestimmung, wonach im Rechtsmittelverfahren die Verjährung nicht mehr eintreten soll, ![]() | 44 |
1.5.10 Die Verjährungsfrist für die der Beschwerdegegnerin zur Last gelegten Übertretungen des Heilmittelgesetzes im Sinne von Art. 87 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 33 Abs. 2 HMG beträgt sieben Jahre (siehe E. 1.3.2 hievor). Im Zeitpunkt der Ausfällung des die Beschwerdegegnerin freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 war diese Frist seit den inkriminierten Handlungen, die im Dezember 2002, im Oktober 2004 und im Dezember 2004 begangen worden sein sollen, noch nicht verstrichen. Mit der Ausfällung des freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts hörte gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB die Verjährung zu laufen auf. Die Strafverfolgung ist somit nicht verjährt.
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