BGE 139 IV 98 | |||
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14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_481/2012 vom 22. Januar 2013 | |
Regeste |
Art. 273 Abs. 3 StPO; Art. 14 Abs. 4 BÜPF; rückwirkende Internet-Teilnehmeridentifikation (IP-Adresse), Sechsmonats-Frist. | |
Sachverhalt | |
A. Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt eine Strafuntersuchung gegen unbekannte Täterschaft wegen des Verdachts von Sexualdelikten (insbesondere Kinderpornographie). Am 13. August 2012 verfügte sie die rückwirkende Teilnehmeridentifikation eines Internetanschlusses (IP-Adresse) für den Zeitraum vom 2. Juni bis 20. Juli 2011. Mit Entscheid vom 17. August 2012 wies das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau ein entsprechendes Bewilligungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. August 2012 ab.
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B. Gegen den Nichtbewilligungsentscheid gelangte die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde vom 27. August 2012 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Genehmigung der rückwirkenden Teilnehmeridentifikation für den verfügten Zeitraum. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
4.1 Besteht der dringende Verdacht, ein Verbrechen oder Vergehen (oder eine Übertretung nach Art. 179septies StGB) sei begangen worden, und sind die Voraussetzungen nach Art. 269 Abs. 1 lit. b und c StPO erfüllt, so kann gemäss Art. 273 StPO die Staatsanwaltschaft Auskunft verlangen: a. darüber, wann und mit welchen Personen oder Anschlüssen die überwachte Person über den Post- oder Fernmeldeverkehr Verbindung hat oder gehabt hat; b. über Verkehrs- und Rechnungsdaten (Abs. 1). Die Anordnung bedarf der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht (Abs. 2). Auskünfte nach Absatz 1 können unabhängig von der Dauer der Überwachung und bis 6 Monate rückwirkend verlangt werden (Abs. 3). Art. 14 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; SR 780.1) bestimmt für die strafrechtliche Verfolgung von Internetdelikten Folgendes: "Wird eine Straftat über das Internet begangen, so ist die Internet-Anbieterin verpflichtet, der zuständigen Behörde alle Angaben zu machen, die eine Identifikation des Urhebers oder der Urheberin ermöglichen".
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4.4 Die Vorinstanz stellt sich allerdings auf den Standpunkt, die sechsmonatige Frist von Art. 273 Abs. 3 StPO sei abgelaufen. Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Ansicht, die Sechsmonats-Regel stelle keine "Gültigkeitsvorschrift" für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Randdatenerhebung dar. Zwar seien die Fernmeldedienstanbieter (Provider) rechtlich nicht verpflichtet, die Daten länger als sechs Monate zu speichern. Falls die untersuchungsrelevanten Daten beim Internet-Provider noch vorhanden sind, könne jedoch auch eine zeitlich weiter zurückreichende nachträgliche Teilnehmeridentifikation zulässig und geboten sein.
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4.6 Die Möglichkeit, den Post- und Fernmeldeverkehr zu überwachen, wurde eingeführt, damit eine wirksame Strafverfolgung auch in Zeiten gewährleistet ist, in denen sich Straftäter zur Vorbereitung und Durchführung von Delikten moderner Kommunikationsmittel bedienen. Mit der Sechsmonats-Regel von Art. 273 Abs. 3 StPO wird einerseits sichergestellt, dass rückwirkende Überwachungen nicht beliebig lange dauern können. Anderseits wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Fernmeldedienstanbieter (gemäss Art. 12 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 BÜPF) verwaltungsrechtlich nicht verpflichtet sind, die Randdaten länger als sechs Monate zu speichern (vgl. THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO;nachfolgend: Kommentar StPO], 2010, N. 13zu Art. 273 StPO). Die zur Rechnungsstellung der Anbieter gegenüber ihrer Kundschaft benötigten Daten dürfen demgegenüber (gemäss Art. 80 der Verordnung vom 9. März 2007 über Fernmeldedienste [FDV; SR 784.101.1]) grundsätzlich länger aufbewahrt werden.
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4.8 Die Rechtsnatur der Frist von 6 Monaten nach Art. 273 Abs. 3 StPO ist umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Frist sei streng einzuhalten, selbst wenn die Anbieterin auch über ältere Daten verfügen sollte (vgl. MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu Art. 273 StPO). Andere Autoren erachten die Frist als blosse Ordnungsvorschrift (vgl. BACHER/ZUFFEREY, in: Commentaire Romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 7 zu Art. 273 StPO). Beide Auffassungen dürften so nicht zutreffen. Vielmehr dürfte Art. 273 Abs. 3 StPO dahin auszulegen sein, dass diese Bestimmung (unter den Voraussetzungen von Art. 273 Abs. 1 StPO) in jedem Fall und ohne weitere Begründung die rückwirkende Erhebung bis 6 Monate erlaubt und, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen, auch für einen längeren Zeitraum (vgl. ähnlich auch HANSJAKOB, Kommentar StPO, a.a.O., N. 14 zu Art. 273 StPO, der die Frist von 6 Monaten "bei gewissen Konstellationen" nicht streng handhaben will). Wie es sich damit verhält, braucht hier jedoch nicht vertieft zu werden. Im vorliegenden Fall wird eine über das Internet begangene Straftat untersucht. Insoweit kommt Art. 14 Abs. 4 BÜPF zur Anwendung. Diese Bestimmung geht dem Art. 273 Abs. 3 StPO als "lex specialis" vor. Art. 14 Abs. 4 BÜPF sieht keine zeitliche Befristung für die rückwirkende Erhebung von Daten vor. Die von der Beschwerdeführerin am 13. August 2012 verfügte rückwirkende Teilnehmeridentifikation ist daher zulässig. Dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf Art. 14 Abs. 4 BÜPF beruft, ist belanglos, da das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anwendet (Art. 106 Abs. 1 BGG).
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