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16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_387/2012 vom 24. Januar 2013 | |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK; Art. 113 Abs. 1, Art. 130, 132 Abs. 1 lit. a und Art. 133 Abs. 2 StPO; amtliche und notwendige Verteidigung; Vorschlagsrecht des Beschuldigten betreffend die Person des amtlichen Verteidigers; Verbot des Selbstbelastungszwangs. |
Bei notwendiger Verteidigung setzt die Bestellung eines Offizialverteidigers, dessen Kosten vom Staat (vorläufig) zu bevorschussen sind, keinen Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit des Beschuldigten voraus. Dass die Vorinstanz das gesetzliche Vorschlagsrecht bei der Ernennung des Offizialverteidigers davon abhängig macht, dass der Beschuldigte der Staatsanwaltschaft seine finanziellen Verhältnisse offenlegt und der erbetene Verteidiger ihn dazu aktiv anhalten muss, hält vor dem Bundesrecht nicht stand (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Schreiben vom 13. Juli 2011 teilte der erbetene Verteidiger der Staatsanwaltschaft mit, dass er (mangels Kostendeckung für seine Bemühungen) gezwungen sei, das private Mandat sofort niederzulegen. Gleichzeitig stellte er (...) das Gesuch, er sei als amtlicher Verteidiger einzusetzen. Am 22. Juli 2011 forderte die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten auf, eine neue Wahlverteidigung zu bestimmen. Mit Schreiben vom 28. Juli 2011 teilte der Beschuldigte ![]() | 2 |
C. Mit Verfügung vom 20. Januar 2012 bestellte die Staatsanwaltschaft erneut den erwähnten anderen Anwalt als amtlichen Verteidiger, mit Wirkung ab diesem Datum. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, am 10. April 2012 ab.
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D. Gegen den Beschluss des Kantonsgerichts vom 10. April 2012 gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Die Staatsanwaltschaft sei zudem anzuweisen, den vom Beschwerdeführer gewünschten Anwalt als (neuen) amtlichen Verteidiger zu bestellen. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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1.1 Der blosse Umstand, dass es sich bei einem Offizialverteidiger nicht (oder nicht mehr) um den Wunsch- bzw. Vertrauensanwalt des Beschuldigten handelt, schliesst eine wirksame und ausreichende Verteidigung nicht aus. Die Ablehnung eines Gesuchs des Beschuldigten um Auswechslung des Offizialverteidigers begründet daher in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil im Sinne des Gesetzes (BGE 135 I 261 E. 1.2 S. 263; BGE 126 I 207 E. 2b S. 211; Urteile 1B_197/2011 vom 14. Juli 2011 E. 1.2; 1B_357/2010 vom 7. Januar 2011 E. 1.2.1-1.2.2; 1B_184/2009 vom 2. Juli 2009 ![]() | 8 |
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Das Bundesgericht hat im Urteil 1B_74/2008 vom 18. Juni 2008 E. 2 festgehalten, dass sich bereits aus Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK ein Anspruch ergibt, dass die Behörde bei der Ernennung des amtlichen Verteidigers die Wünsche des Angeschuldigten berücksichtigt (vgl. Urteil des EGMR Croissant gegen Deutschland vom 25. September 1992 § 29, in: EuGRZ 19/1992 S. 542). Diesen Anspruch hat der Bundesgesetzgeber in Art. 133 Abs. 2 StPO ausdrücklich geregelt. Der Bundesrat führt in der Botschaft zur Strafprozessordnung dazu aus, mit einer sachgerechten Auslegung der Bestimmung könne allfälligen Bedenken begegnet werden, wonach die Verfahrensleitung, insbesondere die Staatsanwaltschaft, versucht sein könnte, eine ihr genehme Verteidigung zu bestellen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1180 zu Art. 131). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist nicht auszuschliessen, dass das Ablehnen eines Wunsches des Beschuldigten nach einem bestimmten amtlichen Verteidiger einen nicht wieder gutzumachenden (rechtlichen) Nachteil bewirken kann (Urteil 1B_74/2008 vom 18. Juni 2008 E. 2).
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In der vorliegenden Angelegenheit ist ein drohender nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil zu bejahen. Er liegt darin, dass dem Wunsch des Beschuldigten nach einem Anwalt seines Vertrauens keine Rechnung getragen würde und damit die Gefahr einer Verletzung des grundrechtlichen Anspruchs des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Rechtsvertreter seiner Wahl (Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK) besteht (vgl. dazu E. 4-5 hiernach). Die Folgen einer ![]() | 11 |
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3. Der Beschwerdeführer rügt, die kantonalen Instanzen hätten ihm, entgegen seinem ausdrücklichen Willen, nicht den von ihm ![]() | 14 |
Erwägung 4 | |
4.1 Die beschuldigte Person ist berechtigt, in jedem Strafverfahren und auf jeder Verfahrensstufe einen Rechtsbeistand ihrer Wahl mit der Verteidigung zu betrauen (Art. 129 Abs. 1 StPO). Gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn bei notwendiger Verteidigung nach Art. 130 StPO die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung bestimmt oder der Wahlverteidigung das Mandat entzogen wurde oder sie es niedergelegt hat und die beschuldigte Person nicht innert Frist eine neue Wahlverteidigung bestimmt. Ein Fall notwendiger Verteidigung liegt insbesondere vor, wenn der beschuldigten Person eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme droht (Art. 130 ![]() | 15 |
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Erwägung 5 | |
5.1 Die Vorinstanz nennt als sachlichen Grund, weshalb hier ausnahmsweise vom Vorschlag des Beschuldigten abgewichen werden ![]() | 18 |
5.2 Die Frage der definitiven Auflage von Verteidigungskosten bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheides. Streitig ist, ob die Vorinstanz Art. 133 Abs. 2 StPO verletzte, indem sie vom Vorschlag des Beschwerdeführers auf Ernennung des erbeteten Verteidigers als Offizialverteidiger abwich. Hier war und ist unbestrittenermassen ein Fall der notwendigen Verteidigung (nach Art. 130 lit. b StPO) gegeben. Wenn der Beschuldigte seine finanzielle Bedürftigkeit (noch) nicht ausreichend dargelegt hat, kann dies zwar dazu führen, dass ihm am Ende des Verfahrens die Kosten der (vorläufig vom Staat zu bevorschussenden) Offizialverteidigung auferlegt werden könnten (vgl. Art. 135 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 lit. a StPO). Er ![]() | 19 |
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