BGE 139 IV 314 | |||
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49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_270/2013 vom 22. Oktober 2013 | |
Regeste |
Art. 188 Abs. 1 BV; Art. 1, 12 und 13 StPO; Art. 103 f. BGG; Beschwerde in Strafsachen der Staatsanwaltschaft gegen eine (umgehend vollzogene) Haftentlassung durch die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts. | |
Sachverhalt | |
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Am 2. Mai 2013 erhob X. Berufung.
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Mit Verfügung vom 22. Juli 2013 verlängerte die Präsidentin des Strafappellationshofs des Kantonsgerichts Freiburg die Sicherheitshaft um eine Woche, d.h. bis zum 29. Juli 2013, und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme.
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X. beantragte seine Freilassung, die Staatsanwaltschaft die Verlängerung der Sicherheitshaft bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens.
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Mit Verfügung vom 29. Juli 2013 ordnete die Präsidentin des Strafappellationshofes die Entlassung von X. aus der Sicherheitshaft am gleichen Tag an. Sie verpflichtete ihn, sich einmal wöchentlich bei der Polizeistelle seines Wohnsitzes zu melden. Sie erwog, zwar seien der dringende Tatverdacht und Fluchtgefahr gegeben. Die Haft sei jedoch nicht mehr verhältnismässig.
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B. Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung der Präsidentin des Strafappellationshofes sei aufzuheben und über X. Sicherheitshaft anzuordnen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung könne sie die Freilassung des Beschuldigten bei Nichtanordnung der Haft durch das Zwangsmassnahmengericht verhindern. Sie müsse dazu dem Zwangsmassnahmengericht die Beschwerde an die kantonale Beschwerdeinstanz sofort ankündigen und habe in der Folge drei Stunden Zeit zur Einreichung der Beschwerde. Dabei bleibe der Beschuldigte in Haft, bis die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz superprovisorisch über die vorläufige Fortdauer der Haft entscheiden könne. Das vom Bundesgericht umschriebene Vorgehen bei der Anfechtung des Zwangsmassnahmenentscheids müsse auch in der vorliegenden Konstellation gelten, wo die Staatsanwaltschaft gegen die Freilassung Beschwerde in Strafsachen erheben könne. Das habe die Vorinstanz nicht beachtet. Sie habe ihre Verfügung vom 29. Juli 2013 der Beschwerdeführerin gleichentags um 15.16 Uhr per Fax zugestellt. Ebenfalls noch am gleichen Tag, um 17.00 Uhr, sei der Beschwerdegegner aus der Haft entlassen worden. Die Beschwerdeführerin habe somit nicht drei Stunden Zeit gehabt zur Einreichung der Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag um aufschiebende Wirkung. Damit sei eine wirksame Wahrnehmung des Beschwerderechts der Beschwerdeführerin nach Art. 81 Abs. 1 BGG verhindert worden.
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Strafprozessuale Rechtsmittel haben nach Art. 387 StPO keine aufschiebende Wirkung. Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen der StPO oder Anordnungen der Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz. Diese trifft in Anwendung von Art. 388 StPO die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen. Hierzu gehört nach ausdrücklicher Vorschrift von Art. 388 lit. b StPO die Anordnung von Haft. Diese Bestimmungen sind grundsätzlich geeignet, die Untersuchungshaft während des Beschwerdeverfahrens betreffend die Haftentlassung aufrechtzuerhalten. Gewiss steht die lückenlose Weiterführung der Untersuchungshaft in einem gewissen Gegensatz zur Pflicht, die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet (Art. 226 Abs. 5 StPO). Dennoch ist es zur Gewährleistung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft erforderlich, die Freilassung des Beschuldigten aufzuschieben, bis die Beschwerdeinstanz über die Fortdauer der Haft während des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Art. 388 lit. b StPO wenigstens superprovisorisch entscheiden kann.
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Vor dem Hintergrund des Anspruchs des Beschuldigten auf unverzügliche Freilassung gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO muss die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde vor dem Zwangsmassnahmengericht indessen unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids ankündigen und im Anschluss daran schriftlich einreichen. In der Beschwerde sind auch die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen zu beantragen (Art. 388 StPO). Aus diesen Erfordernissen ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft in Verfahren nach Art. 225 Abs. 1 StPO persönlich vertreten sein muss und sich nicht mit schriftlichen Anträgen begnügen kann (vgl. Art. 225 Abs. 3 StPO). Die Ankündigung hat zur Folge, dass die Haft nach dem Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts bis zur sofortigen Beschwerdeerhebung durch die Staatsanwaltschaft fortbesteht. Um dem Erfordernis der unverzüglichen Beschwerdeerhebung im Anschluss an die Ankündigung nachzukommen, muss die Staatsanwaltschaft spätestens drei Stunden nach der Ankündigung beim Zwangsmassnahmengericht eine (wenigstens kurz) begründete Beschwerdeschrift einreichen und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragen. Diesfalls ist das Zwangsmassnahmengericht gehalten, den Beschuldigten weiter in Haft zu belassen und die Beschwerde mit dem Dossier und seiner allfälligen Stellungnahme verzugslos der Beschwerdeinstanz zu übermitteln.
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2.2.2 Ein analoges Verfahren sieht die Strafprozessordnung für die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil vor: Verfügt das Strafgericht die Freilassung des inhaftierten Beschuldigten, so kann die Staatsanwaltschaft bei ihm zu Händen der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts die Fortsetzung der Untersuchungshaft beantragen (Art. 231 Abs. 2 Satz 1 StPO). Diesfalls bleibt der Beschuldigte bis zum Entscheid der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts einstweilen in Haft (Art. 231 Abs. 2 Satz 2 StPO). Diese Regelung gilt sowohl bei einem Freispruch als auch bei einem Schuldspruch (Urteile 1B_525/2011 vom 13. Oktober 2011 E. 2.2 und 1B_600/2011 vom 7. November 2011 E. 2.1) und zielt ebenfalls auf eine wirksame Wahrnehmung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft ab; sie ermöglicht der Staatsanwaltschaft, die Freilassung eines Beschuldigten im Hinblick auf die Einleitung eines Berufungsverfahrens einstweilen zu verhindern. Voraussetzung ist auch in diesem Fall, dass die Staatsanwaltschaft die Haftbelassung unverzüglich beantragt, was regelmässig ihre Anwesenheit bei der Urteilseröffnung verlangt.
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Erwägung 2.3 | |
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2.3.2 Die Beschwerden nach dem Bundesgerichtsgesetz haben, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, keine aufschiebende Wirkung. Hingegen kann der Instruktionsrichter von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei darüber eine andere Anordnung treffen (Art. 103 BGG), allerdings erst nach Einreichung einer Beschwerde (vgl. ULRICH MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 8 und 28 zu Art. 103 BGG). Daraus ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft die Freilassung eines Beschuldigten im Anschluss an einen entsprechenden Entscheid des Berufungsgerichts in der Regel nicht verhindern kann. Der Beschwerdegegner war denn auch bei Eingang der Beschwerde in Strafsachen bereits aus der Haft entlassen worden. Damit war der angefochtene Haftentlassungsentscheid der Strafappellationshofpräsidentin vollzogen, die Frage eines Aufschubs stellt sich im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht nicht.
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Die vorsorgliche Massnahme bezweckt die Erhaltung des bestehenden Zustandes bzw. den Schutz bedrohter Interessen für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens; sie hat rein vorläufigen Charakter und fällt mit dem Endentscheid ohne weiteres dahin. Mit dem Entscheid über die vorsorgliche Massnahme soll der Endentscheid weder vorweggenommen noch präjudiziert werden. Gestützt auf ein Begehren um Erlass vorsorglicher Massnahmen kann daher in der Regel nicht das zugesprochen werden, was in der Hauptsache erreicht werden soll. So kann ein Beschwerdeführer, der gegen die Fortführung der gegen ihn verhängten Untersuchungs- oder Sicherheitshaft Beschwerde führt, in aller Regel nicht erreichen, dass er für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens vorläufig auf freien Fuss gesetzt wird (Urteil 1P.289/2004 vom 4. Juni 2004 E. 1). Umgekehrt ist auch die Staatsanwaltschaft, die gegen die Haftentlassung eines Untersuchungs- oder Sicherheitsgefangenen Beschwerde führt, grundsätzlich nicht in der Lage, über eine vorsorgliche Massnahme die sofortige Wiederinhaftierung des Entlassenen für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens zu erwirken. Ein solche Anordnung könnte jedenfalls nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Fällen in Betracht fallen, wenn dies zum Schutz von unmittelbar bedrohten, hochwertigen Interessen - etwa der öffentlichen Sicherheit bei gefährlichen Gewalttätern - unabdingbar ist. Vorliegend braucht auf die Voraussetzungen zur Annahme derartiger ausserordentlicher Fälle nicht näher eingegangen zu werden.
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Eine solche Ausnahmesituation, die eine sofortige vorläufige Wiederinhaftierung des wegen Betrugs und Vernachlässigung der Unterhaltspflicht verurteilten Beschwerdegegners rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.
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2.3.4 Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den Beschwerdegegner noch am Tag ihres Entscheids freigelassen hat, ohne der Beschwerdeführerin vorher Gelegenheit zu geben, dies mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht zu verhindern. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.
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