BGE 140 IV 181 | |||
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25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_19/2014 vom 28. Mai 2014 | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 263 ff. StPO; Art. 23 ff. VÜPF; Erhebung von E-Mails beim Anbieter von Fernmeldediensten ("Provider"). | |
Sachverhalt | |
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Mit Editionsverfügung vom 12. November 2013 forderte die Staatsanwaltschaft zwecks Klärung eines Tatmotivs die Y. AG (Anbieterin von Fernmeldediensten) auf, sämtliche vom Beschuldigten unter der Domain "z.ch" gespeicherten Daten, insbesondere den gesamten E-Mail-Verkehr des Kontos X.@z.ch, herauszugeben.
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Die Y. AG lehnte die Herausgabe der Daten ab, da dafür eine richterliche Genehmigung erforderlich sei.
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Am 10. Dezember 2013 ordnete die Staatsanwaltschaft die Überwachung des erwähnten E-Mail-Verkehrs an und ersuchte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau um deren Genehmigung.
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Am 11. Dezember 2013 trat der Einzelrichter des Zwangsmassnahmengerichts auf das Gesuch nicht ein. Er wies den dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zugewiesenen Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (im Folgenden: Dienst) an, die erhobenen Daten der Staatsanwaltschaft nicht herauszugeben. Die Y. AG wies er an, der Staatsanwaltschaft den E-Mail-Verkehr im Umfang der Editionsverfügung vom 12. November 2013 herauszugeben.
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B. Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Einzelrichters sei aufzuheben und die verfügte aktive E-Mail-Überwachung zu genehmigen. (...)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Die Vorinstanz erwägt, es gehe hier weder um eine Echtzeit-Überwachung nach Art. 24a VÜPF noch eine rückwirkende Überwachung nach Art. 24b VÜPF, weshalb auf das Genehmigungsgesuch nicht einzutreten sei. Die Y. AG habe die Daten des E-Mail-Verkehrs gestützt auf die Editionsverfügung der Beschwerdeführerin herauszugeben.
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Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei inzwischen der Auffassung, es gehe um eine Überwachungsmassnahme, weshalb die Vorinstanz auf ihr Gesuch hätte eintreten müssen.
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(...)
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Das verfassungsrechtliche Fernmeldegeheimnis schützt die Privatsphäre. Die Kommunikation mit fremden Mitteln wie Post und Telefon soll gegenüber Drittpersonen geheim erfolgen können. Immer wenn die Kommunikation durch einen Anbieter von Fernmeldediensten erfolgt, soll sie unter Achtung der Geheimsphäre vertraulich geführt werden können, ohne dass das Gemeinwesen Einblick erhält und daraus gewonnene Erkenntnisse gegen den Betroffenen verwendet. Dies gilt auch für den E-Mail-Verkehr über das Internet. Die Geheimsphäre der E-Mail-Benützer ist durch das Fernmeldegeheimnis verfassungsrechtlich geschützt (BGE 126 Ia 50 E. 6a S. 65 f. mit Hinweisen).
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Bei der Überwachung wird auf Daten heimlich zugegriffen in einem Zeitpunkt, da der Absender die Datenherrschaft aufgegeben und sie der Empfänger noch nicht erlangt hat (vgl. JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 171 f.). Dies stellt einen schweren Eingriff in die Privatsphäre dar. Da die Betroffenen davon nichts wissen, können sie sich dagegen rechtlich nicht unmittelbar wehren. Aus diesen Gründen stellt das Gesetz bei einer Überwachung erhöhte Anforderungen und verlangt es eine richterliche Genehmigung.
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Bei einem Brief liegt danach eine Überwachung vor, wenn ihn der Absender abgeschickt hat und die Behörden, bevor er beim Empfänger angekommen ist, darauf zugreifen. Der Brief wird so abgefangen.
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Ist der Brief beim Empfänger angekommen und befindet er sich damit in dessen Herrschaftsbereich, ist der Übertragungsvorgang abgeschlossen. Ein Abfangen ist nicht mehr möglich. Der Brief kann - wie jeder andere Gegenstand im Besitz des Empfängers - beschlagnahmt werden. Dasselbe gilt, wenn der Empfänger den Brief einem Dritten zur Aufbewahrung übergibt (THOMAS HANSJAKOB, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [im Folgenden: Kommentar BÜPF], 2006, N. 17 der Vorbemerkungen zum BÜPF; JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 159; DONATSCH/SCHMID, a.a.O.; AEPLI, a.a.O.; HEIMGARTNER, a.a.O., S. 177).
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2.5.2 Angekommen ist der Brief ebenso, wenn ihn der Postbote in den Briefkasten des Empfängers wirft. Zwar hat der Empfänger davon in der Regel keine unmittelbare Kenntnis. Der Brief befindet sich jedoch in seinem alleinigen Herrschaftsbereich. Was damit geschieht, bestimmt einzig der Empfänger. Der Übertragungsvorgang ist deshalb abgeschlossen (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 172; AEPLI, a.a.O., S. 18 Fn. 87).
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Der Abschluss des Kommunikationsvorgangs ist daher auf jenen Zeitpunkt festzulegen, in dem der Empfänger die alleinige Datenherrschaft erlangt. Das ist dann der Fall, wenn er das Postfach öffnet. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt einzig er, was mit dem Brief geschieht. Der Empfänger kann den Brief - ob geöffnet oder nicht - mitnehmen oder fortwerfen; er kann ihn aber auch im Postfach belassen und dort aufbewahren. Tut er Letzteres, kann der Brief im Postfach beschlagnahmt werden. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob der Empfänger den Brief zu Hause, bei der Post im Postfach oder bei einem anderen Dritten aufbewahrt. Greifen die Behörden auf einen Brief zu, den der Empfänger - wo auch immer - aufbewahrt, tun sie das nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs und nicht heimlich. Dies stellt keine Überwachungsmassnahme dar.
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Das E-Mail gelangt auf dem Server des Fernmeldedienstanbieters ("Provider") des Empfängers in dessen E-Mail-Konto. Dies entspricht dem Einlegen des Briefes in das Postfach. Der Empfänger erhält erst dann Kenntnis vom Eingang des E-Mails, wenn er sein Konto abruft, d.h. eine Verbindung mit dem Server des Providers herstellt und das E-Mail für ihn sichtbar macht. Dies entspricht dem Öffnen des Postfachs. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt allein der Empfänger, was mit dem E-Mail geschieht. Er kann es sofort löschen. Er kann es auf seine lokale Datenverarbeitungsanlage herunterladen und auf dem Server des Providers entfernen. Er kann das E-Mail aber auch auf dem Server des Providers belassen, womit er darauf weiterhin von überall her Zugriff hat. Belässt der Empfänger das E-Mail auf dem Server des Providers, bewahrt er es dort auf. Damit kann es wie der im Postfach belassene Brief beschlagnahmt werden. Es besteht kein Grund, das E-Mail, das der Empfänger auf dem Server seines Providers belässt und dort aufbewahrt, besser zu schützen als jenes, das er in seiner lokalen Datenverarbeitungsanlage oder sonst wo aufbewahrt (ebenso JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 179). Wie bei der Zustellung eines Briefes in das Postfach kann es bei alldem keine Rolle spielen, ob der Empfänger das E-Mail geöffnet hat, also auf das als ungelesen gekennzeichnete (häufig fett hervorgehobene) E-Mail geklickt hat, um den Inhalt zu lesen.
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Bevor der Empfänger sein E-Mail-Konto abgerufen hat, dauert der Datenübertragungsvorgang an. Auf die bis zu jenem Zeitpunkt auf dem Server des Providers gespeicherten E-Mails kann deshalb nur durch eine Überwachungsmassnahme gegriffen werden. Dabei handelt es sich um eine Echtzeit-Überwachung, da das E-Mail auf dem Weg vom Absender zum Empfänger heimlich abgefangen wird (ebenso TPF 2008 42, S. 43 unten; JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 174; HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 20 und dortige Fn. 27 der Vorbemerkungen zum BÜPF). Dieses Abfangen zeichnet nach der Begriffsumschreibung von Ziffer 3 Anhang VÜPF die Echtzeit-Überwachung aus. Damit darf vom Kommunikationsinhalt Kenntnis genommen werden. Dies im Gegensatz zur rückwirkenden Überwachung, mit der lediglich Randdaten erhoben werden dürfen, welche im Wesentlichen darüber Auskunft geben, wer wann mit wem Verbindung gehabt hat.
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Die abgerufenen E-Mails auf dem Server der Y. AG können - soweit sie dort noch vorhanden sind - beschlagnahmt werden. Die nicht abgerufenen E-Mails können unter den Voraussetzungen der Echtzeit-Überwachung erhoben werden (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 174; HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 20 der Vorbemerkungen zum BÜPF).
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Es besteht der dringende Verdacht einer vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) bzw. eines Mords (Art. 112 StGB). Die Schwere der Straftat rechtfertigt die Überwachung. Die bisherigen Ermittlungen sind, was die Klärung eines allfälligen Tatmotivs betrifft, erfolglos geblieben. Der Beschuldigte bestreitet die Tötung nicht, gibt aber an, sich daran nicht erinnern zu können. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in der Türkei seit Langem "nach Brauch" mit einer Landsfrau verheiratet ist, mit der er mehrere Kinder hat; ebenso dafür, dass er seine schweizerische Ehefrau beseitigte, nachdem diese sich von ihm scheiden lassen wollte, womit er insbesondere keine Aussicht auf eine erleichterte Einbürgerung mehr gehabt hätte. Die Klärung eines allfälligen Tatmotivs ist wichtig, da es bei einem Schuldspruch für die rechtliche Qualifikation der Tat bzw. die Strafzumessung von Bedeutung wäre.
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Erwägung 2.9 | |
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Vorkehren zum Schutz von Berufsgeheimnissen sind hier nicht erforderlich.
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Eine Anordnung zu Direktschaltungen erübrigt sich, da Art. 274 Abs. 4 lit. b StPO technisch überholt ist. In der Praxis sind heute alle Überwachungen Direktschaltungen (THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch und andere [Hrsg.], 2010, N. 12 zu Art. 274 StPO; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 11 zu Art. 274 StPO).
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Da es um ein schweres Verbrechen geht, rechtfertigt es sich, die Genehmigung für die Höchstdauer von 3 Monaten zu erteilen. Diese Dauer läuft ab dem Zeitpunkt der Überwachungsanordnung (HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 25 zu Art. 7 BÜPF), hier also bis zum 10. März 2014. Die Beschwerdeführerin wird vom Inhalt sämtlicher nicht abgerufener E-Mails, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem E-Mail-Konto des Beschuldigten eingegangen sind, Kenntnis nehmen dürfen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Einzelrichters des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember 2013 aufgehoben. Die Überwachung des Kontos X.@z.ch wird im Sinne der Erwägungen bewilligt. Im übrigen Umfang wird die Beschwerde abgewiesen und die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 12. November 2013 bestätigt. (...)
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