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Informationen zum Dokument  BGE 140 IV 188  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 1
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26. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_262/2014 vom 16. Dezember 2014
 
 
Regeste
 
Art. 9 Abs. 1, Art. 325 Abs. 1 lit. f, Art. 353 Abs. 1 lit. c und Art. 356 Abs. 1 StPO; Anklagegrundsatz; Inhalt und Funktion des Strafbefehls.  
 
Sachverhalt
 
BGE 140 IV, 188 (189)A. Mit Strafbefehl vom 1. November 2012 warf die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Berner Jura-Seeland, X. "Ungenügende Rücksichtnahme beim Rechtsabbiegen, Mangelnde Aufmerksamkeit, sowie Unterlassen der Zeichenabgabe beim Rechtsabbiegen als Lenker eines PW's und dadurch Verursachen eines Verkehrsunfalls mit Verletzten" vor und verurteilte ihn wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 400.-. Hiergegen erhob X. Einsprache.
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B. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Sache an das Regionalgericht Berner Jura-Seeland, welches X. am 3. Mai 2013 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung "durch Nichtbeherrschen des Fahrzeuges bzw. mangelnder Aufmerksamkeit, Nichtgewähren des Vortrittes beim Überqueren Radstreifen an Velofahrer und Unterlassen der Zeichengabe beim Rechtsabbiegen" zu einer Übertretungsbusse von Fr. 400.- verurteilte.
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Die hiergegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern am 11. Februar 2014 ab und bestätigte in Anwendung des Verbots der "reformatio in peius" die Busse.
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei von sämtlichen Anklagevorwürfen freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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BGE 140 IV, 188 (190)Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern haben auf Vernehmlassungen verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
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Nach dem Anklagegrundsatz (Art. 9 Abs. 1 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens und dient der Information der beschuldigten Person (Umgrenzungs- und Informationsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind (BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. mit Hinweisen).
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Nach Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO enthält der Strafbefehl insbesondere den Sachverhalt, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird. Die Sachverhaltsumschreibung muss den Anforderungen an eine Anklage genügen. Das heisst, es bedarf einer konzisen, aber dennoch genauen Beschreibung des dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalts (CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 3 zu Art. 353 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CCP, Code de procédure pénale, 2013, N. 4 zu Art. 353 StPO).
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Die Anklageschrift bezeichnet u.a. möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Die Fixierung des Anklagesachverhalts dient zunächst einmal der Umsetzung des Anklagegrundsatzes, indem dadurch der BGE 140 IV, 188 (191)Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung abschliessend bestimmt und der beschuldigten Person eine effektive Verteidigung gewährleistet wird. Eine möglichst genaue und umfassende Umschreibung des massgeblichen Sachverhalts ist im Strafbefehl aber auch wegen des Verbots der doppelten Strafverfolgung ("ne bis in idem", Art. 11 StPO) erforderlich. Erwächst der Strafbefehl in Rechtskraft, muss anhand des darin festgehaltenen Anklagesachverhalts geprüft werden können, ob eine bereits beurteilte Strafsache vorliegt (MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 6 zu Art. 353 StPO; SABINE GLESS, Der Strafbefehl, in: Schweizerische Strafprozessordnung und Schweizerische Jugendstrafprozessordnung, Marianne Heer [Hrsg.], 2010, S. 41 ff., S. 59).
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1.5 Aus der Doppelfunktion des Strafbefehls ergibt sich, dass die Sachverhaltsumschreibung im Strafbefehl den an eine Anklageschrift gestellten Ansprüchen vollumfänglich genügen muss. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung gilt dies unbesehen um die Frage, wie komplex sich der Sachverhalt erweist oder welche Art von Delikten zur Diskussion steht. Auch bei einfach gelagerten Übertretungsstraftatbeständen muss aus dem Strafbefehl ersichtlich sein, welcher konkrete Lebenssachverhalt zur Verurteilung ge-führt hat bzw. (im Fall der Einsprache) zur Anklage gebracht wird. Der von der Vorinstanz angerufene Würdigungsvorbehalt (Art. 344 StPO) ändert daran nichts, da sich dieser nur auf eine von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung bezieht und eine nicht ordnungsgemäss erstellte Anklage nicht zu ersetzen oder zu ergänzen vermag.
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1.6 Der vorliegende Strafbefehl weist nicht den gesetzlich vorgesehenen Inhalt auf und genügt den Anforderungen an eine Anklageschrift nicht. Es findet sich darin keine Umschreibung des Anklagevorwurfs im Sinne eines realen Lebenssachverhalts. Vielmehr beschränkt sich die Staatsanwaltschaft darauf, die angeblich missachteten Verkehrsregeln aufzuzählen und gestützt darauf Anklage wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu erheben. Aus dem Strafbefehl ergibt sich weder, welche konkreten Tathandlungen oder -unterlassungen dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden, noch welche Folgen sich daraus ergeben sollen. Es ist nicht bekannt, wo genau und wie sich der Unfall nach Auffassung der Staatsanwaltschaft abgespielt haben soll, welche Fahrzeuge beteiligt gewesen und wer wie schwer verletzt bzw. geschädigt worden sein soll.
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BGE 140 IV, 188 (192)Wie das Bundesgericht bereits im Urteil 6B_848/2013 vom 3. April 2014 E. 1.3.1 festgehalten hat, muss aus dem Strafbefehl selbst ersichtlich sein, welcher konkrete Lebensvorgang zur Beurteilung steht. Es genügt nicht, dass sich der Sachverhalt aus den Akten ergibt oder den Anforderungen des Anklagegrundsatzes erst Rechnung getragen wird, wenn Einsprache erfolgt. Fehlt es aber an einem in der Anklageschrift hinreichend umschriebenen Lebenssachverhalt, sind die Voraussetzungen für eine gerichtliche Überprüfung nicht gegeben. Das Gericht hat die Anklage gegebenenfalls zur Ergänzung oder Berichtigung zurückzuweisen (Art. 329 Abs. 2 Satz 1 StPO). Da das Gericht bei der Beurteilung an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt gebunden ist (vgl. Art. 350 Abs. 1 StPO), kann es diesen nicht anhand der im Strafbefehl abstrakt aufgeführten Gesetzesnormen, die auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebenssachverhalten Anwendung finden, anhand der Akten selbst erstellen.
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