BGE 140 IV 192 | |||
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27. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Uri (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_122/2014 vom 25. September 2014 | |
Regeste |
Art. 17 Abs. 1, Art. 352 ff. und 357 StPO; Verfahren vor den Übertretungsstrafbehörden. |
Die Staatsanwaltschaft, an welche die Einsprache von der Übertretungsstrafbehörde überwiesen wurde, war nicht befugt, über die Gültigkeit der Einsprache zu entscheiden. Dafür ist nach Art. 356 Abs. 2 StPO allein das erstinstanzliche Gericht zuständig (E. 1.4). | |
Sachverhalt | |
A. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Uri verurteilte X. mit Strafbefehl vom 26. Juni 2013 wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz zu einer Busse von Fr. 400.- und auferlegte ihr die Verfahrenskosten von Fr. 150.-. Der Strafbefehl wurde X. am 9. Juli 2013 mit eingeschriebener Sendung zugestellt. Mit E-Mail an die Sicherheitsdirektion vom 12. bzw. 15. Juli 2013 erhob der von ihr in Deutschland beigezogene Rechtsvertreter Einsprache gegen den Strafbefehl. Die Sicherheitsdirektion überwies die Einsprache am 30. Juli 2013 an die Staatsanwaltschaft des Kantons Uri. Die Staatsanwaltschaft trat am 27. August 2013 auf die Einsprache nicht ein.
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B. Das Obergericht des Kantons Uri wies die gegen die Nichteintretensverfügung gerichtete Beschwerde von X. am 16. Dezember 2013 ab.
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C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, auf die Einsprache einzutreten; eventualiter sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Akten zum Entscheid über die Gültigkeit der Einsprache dem zuständigen Einzelrichter zu überweisen. Zudem ersucht sie um aufschiebende Wirkung.
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Das Obergericht des Kantons Uri beantragt sinngemäss die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf die Einreichung einer Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Nach Art. 27 Abs. 1 der urnerischen Verordnung vom 14. Februar 1990 über den Strassenverkehr (RB 50.1311; nachfolgend: VSV) beurteilt die Sicherheitsdirektion Übertretungen im Strassenverkehr, bei denen in tatsächlicher und verschuldensmässiger Hinsicht einfache und leichte Verhältnisse vorliegen, keine Rechtsgüter erheblich verletzt wurden und nur auf Busse erkannt wird. Die Sicherheitsdirektion ist damit Übertretungsstrafbehörde im Sinne von Art. 17 Abs. 1 StPO. Es kommen ihr die Befugnisse der Staatsanwaltschaft zu (vgl. Art. 357 Abs. 1 StPO) und sie ist insbesondere berechtigt, Strafbefehle zu erlassen (Art. 352 Abs. 1 StPO).
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Art. 27 Abs. 3 VSV sieht vor, dass Strafverfügungen der Sicherheitsdirektion innert zehn Tagen seit der Zustellung bei der Staatsanwaltschaft angefochten werden können. Gestützt darauf ist die Staatsanwaltschaft auf die Einsprache der Beschwerdeführerin mit der Begründung, diese sei formungültig und bei der falschen Behörde eingereicht worden, nicht eingetreten.
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Die kantonalrechtliche Bestimmung von Art. 27 Abs. 3 VSV erweist sich als bundesrechtswidrig, da das Strafbefehlsverfahren in Art. 354 ff. StPO abschliessend geregelt ist. Hat der Kanton eine Übertretungsstrafbehörde eingesetzt und erlässt diese den Strafbefehl, tritt sie an die Stelle der Staatsanwaltschaft. Die Einsprache ist bei der Übertretungsstrafbehörde innert zehn Tagen schriftlich einzureichen (Art. 354 Abs. 1 StPO; in diesem Sinne auch die einhellige Lehre, vgl. GILLIÉRON/KILLIAS, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 8 ff. zu Art. 357 StPO; FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 4 zu Art. 357 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2013, N. 8 zu Art. 357 StPO; CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 19 zu Art. 357 StPO; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2013, N. 17042). Wird Einsprache erhoben, nimmt die Übertretungsstrafbehörde die weiteren Beweise ab, die zur Beurteilung erforderlich sind (Art. 355 Abs. 1 StPO). Sie entscheidet, ob sie am Strafbefehl festhält, das Verfahren einstellt, einen neuen Strafbefehl erlässt oder Anklage beim Gericht erhebt (Art. 355 Abs. 3 StPO; GILLIÉRON/KILLIAS, a.a.O., N. 10 zu Art. 357 StPO; RIKLIN, a.a.O., N. 5 und 12 zu Art. 357 StPO; SCHWARZENEGGER, a.a.O., N. 20 zu Art. 357 StPO; a.M. JEANNERET/KUHN, a.a.O., N. 17046, wonach die vierte Möglichkeit im Sinne von Art. 355 Abs. 3 lit. d StPO ausgeschlossen ist). Entschliesst sich die Übertretungsstrafbehörde, am Strafbefehl festzuhalten, überweist sie die Akten dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens (Art. 356 Abs. 1 StPO). Ist die Gültigkeit der Einsprache umstritten, entscheidet darüber nicht die Staatsanwaltschaft bzw. die Übertretungsstrafbehörde, sondern das erstinstanzliche Gericht (Art. 356 Abs. 2 StPO). Die Strafprozessordnung lässt gegen den Strafbefehl nur den Rechtsbehelf der Einsprache zu; eine "Anfechtung" des von einer Übertretungsstrafbehörde erlassenen Strafbefehls bei der Staatsanwaltschaft ist nicht vorgesehen.
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1.4 Die Staatsanwaltschaft war nicht befugt, über die Gültigkeit der Einsprache zu entscheiden; dafür ist allein das erstinstanzliche Gericht zuständig. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri vom 16. Dezember 2013 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird der Sicherheitsdirektion die Möglichkeit einzuräumen haben, über das weitere Vorgehen im Sinne von Art. 355 Abs. 1 und 3 lit. a-d StPO zu entscheiden. Hält diese am Strafbefehl nach Art. 355 Abs. 3 lit. a StPO fest, wird das erstinstanzliche Gericht über die Gültigkeit des Strafbefehls und der Einsprache zu befinden haben. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzutreten.
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