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5. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft und A. AG (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_56/2014 vom 16. Dezember 2014 | |
Regeste |
Rückweisung der Anklage an die Staatsanwaltschaft (Art. 329 Abs. 2 StPO); Beweisabnahme (Art. 343 StPO). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Per E-Mail vom 29. August 2006 teilte er Y. mit, er habe vom Geschäftsführer vernommen, dass man kurz davor wäre, eine Lizenz eines amerikanischen Unternehmens zu kaufen, mit dessen Gerät/Anlage man Langglasfaser-Material herstellen könne. Vom Leiter Anwendungstechnik wisse er, dass eine Zusammenarbeit mit H. beabsichtigt sei, um das Verarbeitungsverfahren für Langglasfaser-Material überhaupt einmal abzuklären.
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Per E-Mail vom 5. September 2006 teilte X. dem Y. mit, dass die A. AG - sofern er deren Geschäftsverhalten und Sparprogramme richtig deute - bei Dollar- und Yen-Währungen teilweise Kursabsicherungen vornehme.
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Per E-Mail vom 16. September 2006 an Y. beschrieb X. Langglasfaser-Muster, die er zufällig gesehen habe, insbesondere die Masse (Faserlänge und -dicke) im Vergleich zu normalen Werten. Weiter beschrieb er die Menge und Eigenschaften des festgestellten Glasbruches.
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B.
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B.a Die A. AG reichte am 23. Januar 2007 bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden Strafanzeige und Strafantrag gegen X. und Y. sowie weitere Personen wegen Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 StGB), eventualiter wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 273 StGB) und weiterer Delikte ein. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden leitete die Strafanzeige am 31. Januar 2007 an die Bundesanwaltschaft weiter, da die in Betracht fallende Straftat des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes unter die Bundesstrafgerichtsbarkeit fällt.
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Am 14. Februar 2007 eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren. Am 24. April 2008 eröffnete das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt die Voruntersuchung. Es beauftragte am 22. Dezember 2009 B. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Der Experte erstattete das Gutachten am 11. Februar 2010. Am 28. Dezember 2010 überwies das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt das Strafverfahren vor Abschluss der Voruntersuchung im Hinblick auf die neue Schweizerische Strafprozessordnung, die am 1. Januar 2011 in Kraft trat, an die Bundesanwaltschaft.
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Am 14. März 2012 erliess die Bundesanwaltschaft einen Strafbefehl gegen X. wegen mehrfacher Verletzung des Fabrikations- oder ![]() | 8 |
Die Bundesanwaltschaft erteilte am 23. August 2012 C. einen Gutachtensauftrag. Dieser reichte am 5. Oktober 2012 seine Expertise und am 10. Dezember 2012 ein Ergänzungsgutachten ein. Am 16. Januar 2013 überwies die Bundesanwaltschaft den Strafbefehl gegen X. vom 14. März 2012 ein weiteres Mal als Anklageschrift an das Bundesstrafgericht. Dieses erkannte, dass der als Anklage überwiesene Strafbefehl gegen X. im Sinne von Art. 356 Abs. 5 StPO ungültig ist und dass es weiterhin an einer rechtsgenügenden Untersuchung fehlt. Das Bundesstrafgericht verfügte daher am 5. Februar 2013 gestützt auf Art. 329 Abs. 2 StPO ein zweites Mal die Sistierung des Verfahrens und die Rückweisung an die Bundesanwaltschaft zur Durchführung eines gültigen und vollständigen Vorverfahrens.
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B.b Mit Strafbefehl vom 5. März 2013 verurteilte die Bundesanwaltschaft X. wegen Verrats von Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnissen (Art. 162 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 200.-.
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X. erhob Einsprache. Die Bundesanwaltschaft überwies am 21. März 2013 den Strafbefehl als Anklageschrift an das Bundesstrafgericht.
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C. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts, Einzelrichterin, sprach X. am 23. August 2013 (SK.2013.11) vom Vorwurf der Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 Abs. 1 StGB) in Bezug auf das E-Mail vom 5. September 2006 frei. Sie sprach ihn bezüglich der E-Mails vom 29. August 2006 und vom 16. September 2006 der mehrfachen Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 200.-, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Sie auferlegte ihm ![]() | 12 |
X. wird vorgeworfen, er habe dem Mitbeschuldigten Y. in den E-Mails vom 29. August und vom 16. September 2006 Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse der A. AG verraten.
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D. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, seine Verurteilung wegen mehrfacher Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses sei aufzuheben und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen und zu neuer Entscheidung an das Bundesstrafgericht, eventualiter an die Bundesanwaltschaft zurückzuweisen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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E. Das Bundesgericht hat das Bundesstrafgericht und die Parteien zu Vernehmlassungen eingeladen, beschränkt auf die Rüge der Verletzung des Anklagegrundsatzes.
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Das Bundesstrafgericht und die Bundesanwaltschaft beantragen die Abweisung der Beschwerde (auch) in diesem Punkt. Die A. AG hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, durch die Verfügung der Vorinstanz vom 5. Februar 2013 sei die Sache nicht nur zur Ergänzung oder Verbesserung der Anklage an die Bundesanwaltschaft zurückgewiesen worden, sondern vielmehr zur gesetzeskonformen Durchführung des Vorverfahrens unter Wahrung seiner Parteirechte. Grundlage seiner Schlusseinvernahme vom 5. Oktober 2011 seien im Wesentlichen die Gutachten B. gewesen. Diese seien jedoch durch ![]() | 21 |
1.5 Die Staatsanwaltschaft leitet das Vorverfahren, verfolgt Straftaten im Rahmen der Untersuchung, erhebt gegebenenfalls Anklage ![]() | 22 |
Hat die beschuldigte Person im Vorverfahren den Sachverhalt eingestanden oder ist dieser anderweitig ausreichend geklärt, so erlässt die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 352 Abs. 1 StPO einen Strafbefehl, wenn sie eine der in dieser Bestimmung genannten (Höchst-) Strafen für ausreichend hält. Der Strafbefehl enthält unter anderem den Sachverhalt, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird (Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO). Wird Einsprache erhoben, so nimmt die Staatsanwaltschaft die weiteren Beweise ab, die zur Beurteilung der Einsprache erforderlich sind (Art. 355 Abs. 1 StPO). Nach Abnahme der Beweise entscheidet die Staatsanwaltschaft über das weitere Vorgehen. Hält sie am Strafbefehl fest (Art. 355 Abs. 3 lit. a StPO), so überweist sie die Akten unverzüglich dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens. Der Strafbefehl gilt als Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO).
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Die Verfahrensleitung des Gerichts prüft gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO, ob (lit. a) die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind; (lit. b) die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind; (lit. c) Verfahrenshindernisse bestehen. Ergibt sich aufgrund dieser Prüfung oder später im Verfahren, dass ein Urteil zurzeit nicht ergehen kann, so sistiert das Gericht das Verfahren. Falls erforderlich, weist es die Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung an die Staatsanwaltschaft zurück (Art. 329 Abs. 2 StPO). Nach Eröffnung der Hauptverhandlung können das Gericht und die Parteien gemäss Art. 339 Abs. 2 StPO ![]() | 24 |
Erwägung 1.6 | |
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1.6.2 Umstritten ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und inwiefern das Gericht gestützt auf Art. 329 Abs. 2 StPO die Anklage zur ergänzenden Erhebung von Beweisen an die Staatsanwaltschaft zurückweisen kann. Die Meinungen im Schrifttum sind geteilt. Nach der einen Auffassung ist gestützt auf Art. 329 Abs. 2 StPO eine Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur Beweisergänzung unzulässig (ROOS/JEKER, a.a.O., S. 304; SCHMID, a.a.O., N. 1282; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 1423 ff.). Nach der andern Ansicht ist eine Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur ergänzenden Beweisabnahme gestützt auf Art. 329 Abs. 2 StPO in gewissen Fällen grundsätzlich zulässig (YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 23 zu Art. 329 StPO; ESTHER OMLIN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 19 zu Art. 308 StPO). Das Bundesgericht hat erkannt, dass aufgrund von Art. 329 Abs. 2 StPO die Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur Erhebung unverzichtbarer Beweise zulässig ist, wobei allerdings in Anbetracht von Art. 343 StPO ![]() | 26 |
Offenbar in der Sorge, dass die Gerichte allzu häufig Anklagen zur Beweisergänzung an die Staatsanwaltschaften zurückweisen könnten, anstatt die Beweise selber zu erheben, beantragte Nationalrat Suter in den Verhandlungen der eidgenössischen Räte den Erlass einer Bestimmung, wonach die Rückweisung zur Beweisergänzung nur zulässig ist, wenn der beschuldigten Person das rechtliche Gehör verweigert wurde oder soweit die Anklageschrift Behauptungen zum objektiven Sachverhalt aufstellt, für welche die Untersuchungsakten keine Grundlage enthalten. Der Nationalrat wies den Antrag auf Vorschlag des Bundesrates ab. Bundesrat Blocher wies darauf hin, dass durch Art. 344 des Entwurfs (entsprechend Art. 343 StPO) die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung gestärkt werde. Das Gericht könne nur noch in bestimmten Fällen davon absehen, Beweise in der Hauptverhandlung abzunehmen. Die Befürchtung, dass Hauptverhandlungen zu reinen Aktenprozessen würden, sei somit unbegründet. Würde ein Gericht versuchen, durch Rückweisung der Anklage zur Beweisergänzung an die Staatsanwaltschaft die Unmittelbarkeit zu unterlaufen, so würde es Art. 344 des Entwurfs (entsprechend Art. 343 StPO) verletzen, was im Rechtsmittelverfahren gerügt werden könnte (zum Ganzen AB 2007 N 1020 f.).
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Eine Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur Beweisergänzung ist somit nur ganz ausnahmsweise zulässig. Es ist Aufgabe des Gerichts, allenfalls neue Beweise zu erheben, unvollständig erhobene Beweise zu ergänzen und im Vorverfahren nicht ordnungsgemäss abgenommene Beweise nochmals zu erheben (Art. 343 StPO; siehe auch Art. 349 StPO).
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1.7 Die Vorinstanz wies mit Verfügung vom 5. Februar 2013 die Sache an die Bundesanwaltschaft zurück, damit diese unter anderem den Beschwerdeführer zu dem inzwischen eingegangenen Gutachten C. einvernehme. Die Bundesanwaltschaft sah davon ab. Im vorliegend angefochtenen Entscheid verzichtet die Vorinstanz auf eine erneute Rückweisung, obschon sie in ihrer Verfügung vom 5. Februar 2013 erwogen hatte, dass die Einvernahme der beschuldigten Person unter Gewährung der Verfahrensrechte Bestandteil der Ordnungsmässigkeit der Akten gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO sei. Dieses ![]() | 29 |
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