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54. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_217/2015 vom 5. November 2015 |
Personal Unblocking Key (PUK); Art. 269 und 272 StPO. |
Inhalt des Gutachtensauftrags, Hinweis auf die Straffolgen eines falschen Gutachtens (Art. 184 Abs. 2 lit. f StPO); dauernd bestellte oder amtliche Sachverständige (Art. 183 Abs. 2 StPO). |
Lebenslängliche Verwahrung (Art. 64 Abs. 1bis StGB); besonders schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität (Art. 64 Abs. 1bis lit. a StGB); sexuelle Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB). |
Verbot der Folter oder unmenschlicher Strafen (Art. 3 EMRK); Recht auf Freiheit, Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs, Überprüfung durch das Gericht (Art. 5 Ziff. 4 EMRK). | |
Sachverhalt | |
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A.a X. beging in der Zeit von April 1978 bis Juni 1979 drei Notzuchtsdelikte, für welche er mit Entscheid des Amtsgerichts Oberhasli vom 17. Juni 1980 zu einer unbedingt vollziehbaren Zuchthausstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde. Er verübte zwischen Januar und Oktober 1983 insgesamt 13 Notzuchtsdelikte, wobei es in fünf Fällen beim Versuch blieb. Dabei fiel er seine Opfer meist in den frühen Morgenstunden jeweils in Garagen oder Einstellhallen mit einem Würgegriff an und erzwang auf diese Weise den Geschlechtsverkehr. Für diese Straftaten wurde X. mit Urteil des Kriminalgerichts Luzern vom 11. Januar 1985 zu einer Zuchthausstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Verwahrung angeordnet, welche in einem Gutachten von Dr. C. vom 17. Juli 1984 empfohlen worden war. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte mit Urteil vom 8. Juli 1986 die Zuchthausstrafe von sieben Jahren, ordnete aber anstelle der Verwahrung eine vollzugsbegleitende Therapie an. Während eines Hafturlaubs im September 1987 würgte und bedrohte X. eine junge Frau. Am 19. Dezember 1988 wurde X. mit einer Probezeit von drei Jahren bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Zwischen dem 3. Juni 1989 und dem 18. Januar 1990 beging er acht Notzuchtsdelikte (worunter drei Versuche). In fünf dieser acht Fälle mischte er den Opfern von diesen unbemerkt das Hypnotikum Rohypnol ins Getränk, um sie willen- und wehrlos zu machen und sie in diesem Zustand zu sexuellen Handlungen zu missbrauchen. X. wurde am 29. Januar 1990 festgenommen. In der Folge gelang ihm ![]() ![]() | 2 |
Für die Zeit vom 7. Juni 2011 bis zum 27. Juli 2011 wurde X. wegen Rückenbeschwerden ein Kuraufenthalt in einem Reha-Zentrum gewährt. In Umsetzung des Verwaltungsgerichtsentscheids vom 25. Oktober 2010 hiessen die Vollzugs- und Bewährungsdienste Luzern mit Entscheid vom 18. August 2011 die Versetzung von X. in das Wohnexternat unter bestimmten Auflagen gut, wobei das Electronic Monitoring vorbehalten blieb. X. bezog am 9. August 2011 eine Wohnung in Basel.
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A.b Am 9. Oktober 2011 nahm X. in seiner Wohnung in Basel sexuelle Handlungen an beziehungsweise mit A. vor, die er zuvor zu diesem Zweck durch heimliche Beimischung einer hypnotisierenden oder schlafinduzierenden Substanz, möglicherweise Dormicum, in ein Getränk zum Widerstand unfähig gemacht hatte. In gleicher Weise verging sich X. in der Nacht vom 15./16. Februar 2012 in seiner Wohnung in Basel zum Nachteil von B., wobei in diesem Fall feststeht, dass er das Mittel Dormicum eingesetzt hatte. B. erstattete am 16. Februar 2012 Strafanzeige und stellte Strafantrag. Im Fall von B. wurden Spuren gesichert und diesbezügliche Gutachten erstellt.
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B. Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt sprach - den uneingeschränkt schuldfähigen - X. mit Urteil vom 5. Juli 2013 der mehrfachen sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB) und der einfachen Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu 4 ˝ Jahren Freiheitsstrafe, unter Anrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft seit dem 16. Februar 2012. Es ordnete an, dass ![]() | 5 |
X. erklärte Berufung.
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Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte mit Urteil vom 10. Dezember 2014 den erstinstanzlichen Entscheid.
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C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 10. Dezember 2014 sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde.
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Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.3 Die Staatsanwaltschaft kann unter den in Art. 269 Abs. 1 lit. a-c StPO genannten Voraussetzungen zur Verfolgung der in ![]() | 13 |
Art. 269 ff. StPO regeln "geheime" Überwachungsmassnahmen (siehe die Überschrift des 8. Kapitels). Die Massnahmen greifen in das Post- und das Fernmeldegeheimnis ein. Die Informationen sind lediglich während des Transports, d.h. in der Übermittlungsphase, nicht aber ausserhalb des Transportweges durch Art. 269 ff. StPO geschützt (MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 22 zu Art. 269 StPO). Mitteilungen wie Telefongespräche auf Ton- und Datenträgern (etwa auf Mobiltelefonen gespeicherte Informationen), die sich schon beim Empfänger oder Dritten befinden, sind dort nicht nach Art. 269 ff. StPO geschützt. Sie können in Anwendung von Art. 246 ff. StPO im Rahmen von Durchsuchungen von Aufzeichnungen ermittelt werden (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1139).
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"PUK" bedeutet Personal Unblocking Key. Mit diesem elektronischen Schlüssel kann der programmierte PIN-Code einer SIM-Karte übersteuert werden, womit das Auslesen der Daten von dieser Karte ermöglicht wird. Der PUK gehört nicht zu den Verkehrsdaten, die den Fernmeldeverkehr betreffen und dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, sondern zu den Bestandesdaten, die unabhängig von einem bestimmten Fernmeldeverkehr vorhanden sind. Die staatsanwaltliche Aufforderung zur Herausgabe des PUK-Codes bedarf nicht der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht (THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 272 StPO; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 1197; anderer Auffassung : Entscheid des Präsidenten der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 7. April 2006, TPF 2006 254; JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., N. 27 zu Art. 269 StPO; SCHMID, a.a.O., N. 1144 Fn. 489, welche die Erhebung von PUK-Codes zu SIM-Karten als genehmigungspflichtige Überwachungsmassnahme qualifizieren).
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(...)
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Erwägung 3 | |
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Als Sachverständige können natürliche Personen ernannt werden, die auf dem betreffenden Fachgebiet die erforderlichen besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen (Art. 183 Abs. 1 StPO). Bund und Kantone können für bestimmte Gebiete dauernd bestellte oder amtliche Sachverständige vorsehen (Art. 183 Abs. 2 StPO). Dazu zählen beispielsweise die Rechtsmedizinischen Institute von Universitäten (IRM) beziehungsweise ihre Mitarbeiter. Die Strafprozessordnung sieht nicht vor, dass für die dauernd bestellten oder amtlichen Sachverständigen im Sinne von Art. 183 Abs. 2 StPO etwa in Bezug auf die Belehrung gemäss Art. 184 Abs. 2 lit. f StPO über die ![]() | 21 |
Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt abzuweisen.
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Erwägung 4 | |
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Der Beschwerdeführer macht wie im kantonalen Berufungsverfahren geltend, die Voraussetzungen der lebenslänglichen Verwahrung gemäss Art. 64 Abs. 1bis StGB seien in seinem Fall nicht erfüllt.
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4.2 Das Gericht ordnet gemäss Art. 64 Abs. 1bis StGB die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen ![]() | 25 |
a. Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beinträchtigen wollen.
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b. Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht.
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c. Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.
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Der Beschwerdeführer hat die Straftat der sexuellen Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB begangen. Dieses Delikt ist eine Katalogtat gemäss Art. 64 Abs. 1bis StGB und kann daher Anlass für eine lebenslängliche Verwahrung sein. Erforderlich ist aber zudem, dass darüber hinaus die in Art. 64 Abs. 1bis lit. a-c StGB genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind.
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Die Vorinstanz folgt dieser Einschätzung der ersten Instanz. Der Beschwerdeführer habe die beiden Opfer durch das heimliche ![]() | 32 |
4.3.2 Der Beschwerdeführer wendet ein, die sexuelle Nötigung im Sinne des Grundtatbestands gemäss Art. 189 Abs. 1 StGB stelle nicht per se eine besonders schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität des Opfers im Sinne von Art. 64 Abs. 1bis lit. a StGB dar. Eine solche besonders schwere Beeinträchtigung werde allenfalls durch eine - vorliegend unstreitig nicht gegebene - qualifizierte sexuelle Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 3 StGB bewirkt, wonach der Täter mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft wird, wenn er grausam handelt, namentlich eine gefährliche Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand verwendet. Das Erfordernis der besonders schweren Beeinträchtigung setze zudem einen diesbezüglichen Vorsatz des ![]() | 33 |
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4.3.4 Art. 64 Abs. 1bis lit. a StGB setzt voraus, dass der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person "besonders schwer" ("particulièrement grave"; "particolarmente grave") beeinträchtigte oder beeinträchtigen wollte. Ob einzelne Katalogtaten diese Voraussetzung in jedem Falle eo ipso erfüllen, kann hier dahingestellt bleiben. Die Katalogtat der sexuellen ![]() | 35 |
Das Opfer B. war zufolge der Verwendung des Schlafmittels Dormicum durch den Beschwerdeführer während mehreren Stunden betäubt. Darin liegt keine besonders schwere Beeinträchtigung der physischen Integrität. Die erste Instanz hat die Betäubung für mehrere Stunden zu Recht als einfache Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB qualifiziert und den Beschwerdeführer vom Anklagevorwurf der versuchten schweren Körperverletzung freigesprochen, was unangefochten blieb.
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Da die beiden Opfer zufolge der Wirkung des ihnen vom Beschwerdeführer heimlich verabreichten Schlafmittels betäubt waren, erlebten sie nicht bewusst mit, was der Beschwerdeführer ihnen im Einzelnen antat, und wissen sie dies auch heute noch nicht. Die Vorinstanz sieht darin mit der ersten Instanz einen Umstand, welcher die Verarbeitung der Ereignisse erschwere und ein zusätzliches Trauma darstelle. Ob aus der Sicht des Opfers ein Sexualdelikt, das es zufolge Betäubung nicht bewusst miterlebt, im Ergebnis prinzipiell schwerer wiegt als ein Sexualdelikt, welches es in vollem Bewusstsein erdulden muss, ist zweifelhaft, kann aber dahingestellt bleiben. Auch bei einer Schändung (Art. 191 StGB), welche der Täter dadurch begeht, dass er eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, weiss das zufolge Betäubung widerstandsunfähige Opfer nicht, was ihm geschehen ist. Die Schändung ist indessen keine Katalogtat im Sinne von Art. 64 Abs. 1bis StGB und kann daher nicht Anlass für eine lebenslängliche Verwahrung bilden. Angesichts dessen kann es nicht in Betracht kommen, die besondere Schwere der Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität im Sinne von Art. 64 Abs. 1bis lit. a StGB gerade damit zu begründen, dass das Opfer die an ihm verübte Tat nicht bewusst miterlebt habe und daher sein Leben lang nicht verarbeiten könne.
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In Bezug auf die sexuelle Nötigung zum Nachteil von A. sind hinsichtlich der vorgenommenen sexuellen Handlungen keine ![]() | 38 |
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Die Beschwerde ist in diesem Punkt gutzuheissen.
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4.3.6 Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob die lebenslängliche Verwahrung gegen das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK) verstösst, wie der Beschwerdeführer geltend macht. Offenbleiben kann daher auch, ob die Frage der Vereinbarkeit der lebenslänglichen Verwahrung mit Art. 3 und/oder Art. 5 Ziff. 4 EMRK bereits mit Beschwerde gegen die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung aufgeworfen werden kann (in diesem Sinne Entscheid Nr. 66069/09 des EGMR Vinter und andere gegen Grossbritannien vom 9. Juli 2013, § 122) oder erst dann, wenn der Verurteilte die Strafe verbüsst hat, sich im Vollzug der lebenslänglichen Verwahrung befindet und um Entlassung ersucht (in diesem Sinne STEFAN TRECHSEL mit Hinweis auf ein Urteil des Bezirksgerichts Weinfelden, forumpoenale 2012 S. 138 ff., 143 f.).
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