BGE 141 IV 454 | |||
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57. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und A. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_316/2015 vom 19. Oktober 2015 | |
Regeste |
Art. 115 ff. StPO, Art. 133 StGB; Begriff des Geschädigten beim Raufhandel. |
Der Raufhandel gemäss Art. 133 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gibt es keine Geschädigten im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO, es sei denn, jemand werde als Folge der Begehung eines solchen Delikts konkret gefährdet (E. 2.3.2). |
Der Tatbestand des Raufhandels im Sinne von Art. 133 StGB schützt in erster Linie das öffentliche Interesse, Schlägereien zu verhindern, und in zweiter Linie das Individualinteresse der Opfer von solchen Schlägereien. Eine Person, die durch einen Raufhandel verletzt oder konkret gefährdet wird, ist Geschädigte im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO (E. 2.3.2). | |
Sachverhalt | |
A. Am 17. September 2013 fand frühmorgens vor dem Eingang des Club B. in C. eine Schlägerei statt. D. erlitt durch einen Messerstich eine schwere Hirnverletzung und verstarb wenige Stunden später. X. wird verdächtigt, D. getötet und kurz vorher E. ebenfalls mit einem Messer an der Schulter verletzt zu haben.
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A. wurde ursprünglich vorgeworfen, sich auf der Seite seiner Kollegen D. und E. an der Auseinandersetzung beteiligt zu haben. Im Laufe der Ermittlungen gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Berner Jura-Seeland, zur Überzeugung, dass A. am Raufhandel nicht beteiligt war, sondern lediglich versucht hatte, zwischen den Streitenden (X. und E.) zu schlichten.
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B. Am 26. September 2014 stellte die Staatsanwaltschaft das gegen A. geführte Verfahren mangels Tatverdachts ein. Sie nahm die Verfahrenskosten auf die Staatskasse, sprach A. eine Entschädigung für die anwaltlichen Aufwendungen und eine Genugtuung für die 17-tägige Untersuchungshaft zu.
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X. erhob gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde und machte geltend, D., E. und A. hätten ihn wegen einer vorangegangenen Auseinandersetzung zur Rechenschaft ziehen wollen. A. habe den entsprechenden Tatentschluss nicht nur mitgetragen, sondern sei auch präsent gewesen, als D. und E. auf ihn (X.) eingeschlagen hätten. Das Obergericht des Kantons Bern trat am 19. Februar 2015 auf die Beschwerde nicht ein.
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D. A. (Beschwerdegegner 2) beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten respektive diese sei abzuweisen. Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern haben auf Vernehmlassung verzichtet. Mit Eingabe vom 18. September 2015 nahm der Beschwerdeführer sein Recht zur Replik wahr.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt den angefochtenen Beschluss auf und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.3 | |
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Die Umschreibung der unmittelbaren Verletzung in eigenen Rechten geht vom Begriff des Rechtsgutes aus. Unmittelbar verletzt und geschädigt im Sinne von Art. 115 StPO ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsgutes ist. Im Zusammenhang mit Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist (BGE 140 IV 155 E. 3.2 S. 157 f.; BGE 139 IV 78 E. 3.3.3 S. 81 f.; BGE 138 IV 258 E. 2.2 und 2.3 S. 262 f.; je mit Hinweisen). Bei Straftaten gegen kollektive Interessen reicht es für die Annahme der Geschädigtenstellung im Allgemeinen aus, dass das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den Straftatbestand auch nur nachrangig oder als Nebenzweck geschützt wird (MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 21, 46 und 68 ff. zu Art. 115 StPO). Werden durch Delikte, die (nur) öffentliche Interessen verletzen, private Interessen auch, aber bloss mittelbar beeinträchtigt, so ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO (BGE 140 IV 155 E. 3.2 S. 158; BGE 138 IV 258 E. 2.3 S. 263; je mit Hinweisen).
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2.3.2 Beim Raufhandel im Sinne von Art. 133 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, obschon ein Erfolg eintreten muss. Dieser Verletzungserfolg ist objektive Strafbarkeitsbedingung (BGE 139 IV 168 E. 1.1.1 und E. 1.1.4 S. 170 ff.; BGE 137 IV 1 E. 4.2.2 S. 4; je mit Hinweisen; ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl. 2013, S. 79; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. I, 3. Aufl. 2010, N. 1 zu Art. 133 StGB; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, Besonderer Teil 1: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl. 2010, § 4 N. 17). Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gibt es keine Geschädigten im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO, es sei denn, jemand werde als Folge der Begehung eines solchen Delikts konkret gefährdet (BGE 138 IV 258 E. 3.1.2 S. 265 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer wurde nach seiner Darstellung durch die Auseinandersetzung verletzt respektive zumindest konkret gefährdet. Diese behauptete Beeinträchtigung erfolgte direkt durch die tätliche Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Elemente und ist unmittelbare Folge des fraglichen Raufhandels. Ihr Ausmass musste durch den Beschwerdeführer nicht im Detail dargelegt werden.
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Der Tatbestand des Raufhandels im Sinne von Art. 133 StGB (unter dem Ersten Titel des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches [Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben]) schützt primär das öffentliche Interesse, Schlägereien (unter mindestens drei Beteiligten) zu verhindern. In zweiter Linie schützt Art. 133 StGB das Individualinteresse der Opfer von solchen Schlägereien (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 6. Mai 2010, SB090515; vgl. auch STEFAN MAEDER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 7 f. zu Art. 133 StGB). Der Beschwerdeführer fällt mithin entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdegegners 2 unter den Schutzbereich der verletzten Strafnorm. Durch die behauptete Beteiligung des Beschwerdegegners 2 am Raufhandel wurde er unmittelbar betroffen. Er ist eine geschädigte Person in Bezug auf die von ihm vorgebrachte Verletzung respektive Gefährdung der körperlichen Integrität (Raufhandel), da er Träger des Rechtsgutes ist, welches durch die betreffende Strafnorm mitgeschützt wird. Auf die weiteren Erwägungen der Vorinstanz zum Angriff im Sinne von Art. 134 StGB muss nicht näher eingegangen werden.
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Der Beschwerdeführer hat sich unter Bezugnahme auf den Vorfall vom 17. September 2013 in dem gegen den Beschwerdegegner 2 und E. geführten Verfahren gültig als Privatkläger konstituiert. Seine Erklärung vom 12. November 2013 ist formgerecht (davon scheint auch die Vorinstanz auszugehen, welche den Beschwerdeführer im kantonalen Beschwerdeverfahren formal als Straf- und Zivilkläger bezeichnet). Die Beschwerdelegitimation auf kantonaler Ebene ist zu bejahen. Der Beschwerdeführer ist durch die Einstellungsverfügung beschwert und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an deren Aufhebung. Die Rüge ist begründet.
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