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7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Besondere Aufgaben gegen Kantonales Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_256/2015 vom 4. November 2015 | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 197 Abs. 2, Art. 269, Art. 270 lit. b, Art. 273 und Art. 274 Abs. 1 lit. b StPO. Rückwirkende Randdatenerhebung betreffend den Mobiltelefon-Anschluss eines Privatklägers. | |
Sachverhalt | |
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B. Gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichtes gelangte die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde vom 30. Juli 2015 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Genehmigung der rückwirkenden Überwachung. Eventualiter sei festzustellen, dass gar keine Genehmigung der Überwachungsmassnahme durch das kantonale Zwangsmassnahmengericht notwendig sei, wenn die Zustimmung des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses zur Randdatenerhebung vorliege.
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Das Zwangsmassnahmengericht hat am 11. August 2015 auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet. Das Bundesgericht urteilte am 4. November 2015 nach einer öffentlichen Beratung (Art. 58 und 59 BGG). Es weist die Beschwerde ab.
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Erwägung 4 | |
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4.2.3 Art. 270 lit. b StPO dient dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) von nicht mit der beschuldigten Person identischen Dritten. Dies ergibt sich deutlich aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Norm (BGE 138 IV 232 E. 5 S. 236, E. 6.2 S. 239; BGE 137 IV 340 E. 6 S. 349 ff.; Urteil 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5; je mit Hinweisen). Der von Art. 270 lit. b StPO angestrebte Privatsphärenschutz wird grundsätzlich hinfällig, wenn die betroffene Drittperson der behördlichen Überwachungsmassnahme ausdrücklich zustimmt bzw. sie sogar selber wünscht, weil sie (etwa im Falle von Privatklägern) ein eigenes Interesse an der Beweiserhebung hat. In solchen Fällen ist unter dem Gesichtspunkt ![]() | 8 |
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4.3.2 Auch rückwirkende Randdatenerhebungen nach Art. 273 StPO können nach dem Gesagten zu einem Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen (Art. 13 Abs. 1 BV) führen. Zwar werden hier keine Kommunikationsinhalte behördlich überwacht und erfolgt (im Gegensatz zur inhaltlichen Gesprächsüberwachung oder zur aktiven Randdatenerhebung in Echtzeit) keine geheime Untersuchungsmassnahme. Deswegen gilt der Eingriff nach der Praxis des ![]() | 11 |
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Erwägung 4.4 | |
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4.4.2 Die Strafuntersuchung richtet sich gegen den beschuldigten Polizisten. Diesem wird vorgeworfen, er habe den 15 Jahre alten Privatkläger anlässlich der polizeilichen Anhaltung vom 13. März 2015 (09.30 Uhr) mehrmals mit der Handfläche und der Faust geschlagen. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen hat der Privatkläger zwar bereits am 10. März 2015 einen Fahrradunfall erlitten, weswegen er am 11. März 2015 von seinem Arzt untersucht und geröntgt und am Nachmittag des 12. März 2015 am Mittelhandknochen der rechten Hand im Spital operiert wurde. Es bestehen jedoch ![]() | 14 |
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4.4.4 Bei gesamthafter Würdigung dieser Sachlage ist die Gesetzes- und Verhältnismässigkeit der streitigen Überwachungsmassnahme zu verneinen. Die Nichtgenehmigung des Überwachungsgesuches erweist sich im Ergebnis als bundesrechtskonform. Der Zwangsmassnahmenrichter hatte die Verhältnismässigkeit der Überwachungsmassnahme aufgrund der Aktenlage im Zeitpunkt seines Entscheides zu prüfen. Im Genehmigungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft die wesentlichen Verfahrensakten innert 24 Stunden seit Anordnung der Überwachung dem Zwangsmassnahmengericht ![]() | 16 |
4.5 Im Eventualstandpunkt macht die Staatsanwaltschaft noch geltend, bei Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung des Anschlussinhabers in die rückwirkende Randdatenerhebung sei gar keine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht nötig. Dieser Argumentation ist nicht zu folgen: Die oben dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen einer behördlich verfügten strafprozessualen Randdatenerhebung bei Dritten, insbesondere das richterliche Genehmigungserfordernis (Art. 273 Abs. 2 StPO), sind grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft sich um eine "Zustimmung" des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses bemüht hat. Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt werden (Art. 2 Abs. 2 StPO). Dies muss namentlich für strafprozessuale Überwachungen gelten (Art. 197 Abs. 1 lit. a StPO). Ausserdem ist der Untersuchungsgrundsatz zu beachten (Art. 6 Abs. 1 und Art. 311 Abs. 1 StPO). Dafür, dass der Gesetzgeber die strafprozessuale Randdatenerhebung bei Dritten in die freie und von Art. 269-273 StPO abweichende Disposition zwischen der Staatsanwaltschaft und betroffenen Anschlussinhabern hätte legen wollen, findet sich im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt. Wie der vorliegende Fall zeigt, empfiehlt es sich im Übrigen, dass die Staatsanwaltschaft eine allfällige schriftliche Zustimmung des von der rückwirkenden Randdatenerhebung betroffenen Dritten zusammen mit dem Genehmigungsgesuch beim Zwangsmassnahmengericht einreicht. (...)
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