![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
28. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_175/2016 vom 2. Mai 2016 | |
Regeste |
Strafbefehl; fiktive Zustellung (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO); Gültigkeit der Einsprache (Art. 356 Abs. 2 StPO); Wiederherstellung der Frist (Art. 94 StPO). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
B. Mit Eingabe vom 14. Oktober 2015 erhob Y. bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt Einsprache gegen den Strafbefehl. Sie machte geltend, sie habe weder den Strafbefehl noch die Abholungseinladung erhalten. Der Grund hiefür liege wohl darin, dass seit ihrer Heirat (am 21. Dezember 2007) ihr Briefkasten mit ![]() | 2 |
Für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft von einer rechtsgültigen Zustellung des Strafbefehls ausgehen sollte, verlangte Y. vorsorglich gestützt auf Art. 94 StPO die Wiederherstellung der Einsprachefrist. Es treffe sie schlicht überhaupt keine Schuld daran, dass sie gegen den Strafbefehl keine Einsprache erhoben habe. Y. ersuchte die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 356 Abs. 2 StPO, die Frage, ob eine gültige Einsprache vorliege, zusammen mit der Hauptsache dem erstinstanzlichen Gericht vorzulegen. Zudem ersuchte sie um Akteneinsicht.
| 3 |
C. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt wies das Wiederherstellungsgesuch mit Verfügung vom 22. Oktober 2015 ab. Gleichzeitig verfügte sie, dass Y. Akteneinsicht gewährt werde und dass die Verfahrensakten danach ohne weitere Mitteilung an das Strafgericht Basel-Stadt, Abteilung Einsprachen, überwiesen werden.
| 4 |
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, wies die von Y. gegen die Abweisung des Wiederherstellungsgesuchs erhobene Beschwerde am 3. Dezember 2015 ab.
| 5 |
D. Y. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt sei aufzuheben. Die Frist zur Einsprache gegen den Strafbefehl sei wiederherzustellen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 6 |
E. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen.
| 7 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
| 8 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Die Beschwerdeführerin erhob mit ihrer Eingabe vom 14. Oktober 2015 Einsprache gegen den Strafbefehl vom 4. Februar 2015. Sie ging davon aus, dass ihr der Strafbefehl erst am 8. Oktober 2015 ![]() | 9 |
Damit stellt sich die Frage, ob die Einsprache vom 14. Oktober 2015 gültig ist.
| 10 |
11 | |
2.3 Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als abgeholt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Bei eingeschriebenen Postsendungen gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als bei Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden. Sie gilt so lange, als der Empfänger ![]() | 12 |
13 | |
Ein nicht rechtsgültig zugestellter Entscheid entfaltet indessen keine Rechtswirkung; Fristen werden nicht ausgelöst. Einem Betroffenen kann folglich auch nicht vorgehalten werden, er habe eine Frist verpasst. Eine Wiederherstellung zufolge versäumter Fristen im Sinne von Art. 94 StPO fällt insoweit ausser Betracht. Denn von der Möglichkeit zur Ergreifung eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs kann selbstredend nur Gebrauch machen, wer einen Entscheid tatsächlich oder kraft Fiktion rechtsgültig erhalten hat (Urteile 6B_704/2015 vom 16. Februar 2016 E. 2.4; 6B_1155/2014 vom 19. August 2015 E. 2).
| 14 |
Die Frage nach der Wiederherstellung einer Frist zur Einsprache gegen einen Strafbefehl stellt sich mithin nur, wenn die Frist versäumt wurde. Dies setzt voraus, dass die Einsprachefrist gelaufen ist. Dies wiederum setzt voraus, dass der Strafbefehl rechtsgültig tatsächlich oder fiktiv zugestellt wurde. Gleichwohl ist die Frage ![]() | 15 |
16 | |
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt hat stattdessen zwar gemäss Ziff. 3 ihrer Verfügung vom 22. Oktober 2015 das Verfahren an das Strafgericht, Abteilung Einsprachen, weitergeleitet, doch hat sie, ohne den Entscheid des Strafgerichts betreffend die Gültigkeit der Einsprache vom 14. Oktober 2015 abzuwarten, über das von der Beschwerdeführerin (vorsorglich) eingereichte Gesuch um Wiederherstellung entschieden und dieses abgewiesen, worüber gar nicht entschieden werden müsste, wenn das erstinstanzliche Gericht die Einsprache vom 4. Oktober 2015 als gültig erachten würde.
| 17 |
Die Vorinstanz schützt dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft und weist die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiederherstellungsgesuchs ab. Richtigerweise hätte die Vorinstanz den Entscheid der Staatsanwaltschaft betreffend die Abweisung des Wiederherstellungsgesuchs aufheben und die Staatsanwaltschaft anweisen müssen, das Wiederherstellungsverfahren zu sistieren, bis das Strafgericht, Abteilung Einsprachen, über die Gültigkeit der Einsprache vom 14. Oktober 2015 entschieden hätte. (...)
| 18 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |