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54. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1226/2015 vom 5. August 2016 | |
Regeste |
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG; auf andere Weise einem andern verschaffen. | |
Sachverhalt | |
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B. Das Bezirksgericht Muri sprach X. am 2. Juli 2013 von den Vorwürfen des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises und der Nichtabgabe des Führerausweises trotz behördlicher Aufforderung frei. Es verurteilte ihn wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 i.V.m. aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG [AS 1975 1225]; Fassung in Kraft bis 30. Juni 2011) zu einer Freiheitsstrafe von 2 ˝ Jahren. Zudem erklärte es die gegen ihn vom Bezirksamt Muri bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 2 Monaten für vollziehbar.
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Auf Berufung von X. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft erhöhte das Obergericht des Kantons Aargau am 15. Oktober 2015 die Freiheitsstrafe auf 3 ˝ Jahre und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den sinngemässen Anträgen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und ihn von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei er für die Herstellung des Kontakts zwischen Y. und Z. mit einer bedingten Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten zu bestrafen, unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren. Es sei ihm eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.- zu bezahlen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid auf eine Stellungnahme.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägung 3 | |
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3.3 Art. 2 StGB bestimmt, welches Gesetz zur Anwendung kommt, wenn das zur Tatzeit geltende Gesetz im Zeitpunkt der ![]() | 9 |
Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, das heisst, nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen (BGE 142 IV 1 E. 2.4.1; BGE 141 III 195 E. 2.4; BGE 140 III 206 E. 3.5.4; je mit Hinweisen).
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3.3.1 Das Bundesgericht hat in einem obiter dictum zwar ausgeführt, in Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG werde das Anbieten, Verteilen, Verkaufen, Vermitteln oder Abgeben aus aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG durch die Tathandlung "veräussern" ersetzt (Urteil 6B_360/2011 vom 15. Dezember 2011 E. 2.2; kritischer Kommentar zum Entscheid PETER ALBRECHT, Strafbares Verpacken von Drogen, Digitaler Rechtsprechungskommentar [dRSK] 8. Februar 2012 Rz. 5 ff.). Es hat sich bisher aber nicht vertieft damit befasst, wie das Vermitteln nach der Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 20. März 2008 zu ahnden ist. Im Urteil 6B_518/2014 vom 4. Dezember 2014 konnte es diese Frage offenlassen (E. 10.5). Auch in den weiteren von der Vorinstanz angeführten Entscheiden hat das Bundesgericht nicht darüber befunden, ob bezüglich des Vermittelns das neue im Vergleich zum alten Betäubungsmittelgesetz milder ist (BGE 138 IV 100 E. 3.2 zum Anstaltentreffen zur Einfuhr von Betäubungsmitteln, Urteile 6B_13/2012 vom 19. April 2012 E. 1.3.1 zur Qualifikation als mengenmässig schwerer Fall und 6B_643/2012 vom 11. März 2013 E. 2.2 zur ![]() | 11 |
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Nach der Rechtsprechung hat jede der in aArt. 19 Ziff. 1 BetmG aufgeführten Handlungen die Bedeutung eines selbstständigen Straftatbestandes, so dass Täter ist, wer in eigener Person einen dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt (BGE 133 IV 187 E. 3.2; BGE 119 IV 266 E. 3a; BGE 118 IV 397 E. 2c).
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Die Materialien legen nahe, dass der Gesetzgeber das Vermitteln von Betäubungsmitteln nicht unerwähnt liess, weil er an dessen Strafbarkeit etwas ändern wollte. Anlässlich der Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 20. März 2008 wurde aArt. 19 Ziff. 1 BetmG in Art. 19 Abs. 1 BetmG terminologisch überarbeitet und besser strukturiert. Inhaltlich sollten - abgesehen von den in den Materialien erwähnten kleineren Anpassungen - keine Änderungen vorgenommen werden (Parlamentarische Initiative, Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes, Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 4. Mai 2006, BBl 2006 8573 ff., 8611 ![]() | 15 |
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Der Begriff "verschaffen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch, (a) beschaffen, besorgen, (b) dafür sorgen, dass jemand etwas zuteil wird, jemand etwas bekommt (was nicht ohne Weiteres erreichbar ist), jemandem zu etwas verhelfen (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011; GERHARD WAHRIG, Deutsches ![]() | 17 |
Vor der Teilrevision vom 20. März 2008 hatte das Verschaffen von Betäubungsmitteln, d.h. die Übergabe durch einen Mittelsmann (ALFRED SCHÜTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975, 1980, S. 117), neben den Tathandlungen der Abgabe und der Vermittlung gemäss aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG bloss eine geringe praktische Bedeutung. Beim Verschaffen nach bisherigem Recht ging es darum, dass sich jemand die Betäubungsmittel nicht selber, sondern anderen Personen verschafft (FINGERHUTH/TSCHURR, a.a.O., N. 80 zu Art. 19 BetmG; PETER ALBRECHT, Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes [Art. 19-28 BetmG], 2. Aufl. 2007, N. 71 zu Art. 19 BetmG). GUSTAV HUG-BEELI versteht unter Verschaffen nach neuem Recht das Zugänglichmachen oder das Einräumen der Sachherrschaft über Betäubungsmittel etwa durch einen Mittelsmann. Er subsumiert auch die Geldabgabe an eine süchtige Person, damit sich diese Drogen für den Eigenkonsum beschaffen kann, unter diese Tatbestandsvariante (HUG-BEELI, a.a.O., N. 498 und 500 zu Art. 19 BetmG). Ein Teil der Lehre ist der Meinung, dass derjenige, der verschafft, die Tatherrschaft über die Abgabe durch den Boten haben und diesem gegenüber verbindlich anordnen können muss, die Betäubungsmittel zu übergeben, was bei einem Vermittler nicht der Fall ist (MAURER, a.a.O., N. 21 zu Art. 19 BetmG; FIOLKA, a.a.O., S. 1275). BERNARD CORBOZ hingegen ist der Auffassung, die Formulierung "procure de toute autre manière" schliesse das im Gesetz nicht mehr ausdrücklich genannte Vermitteln, d.h. sämtliche Vermittlertätigkeit im Sinne der bisherigen Rechtsprechung (vgl. E. 3.3.2), mit ein (CORBOZ, a.a.O., N. 35 zu Art. 19 BetmG).
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3.4 Angesichts des klaren gesetzgeberischen Willens, das Betäubungsmittelgesetz mit der Teilrevision vom 20. März 2008 inhaltlich prinzipiell nicht zu ändern, kann die vom Gesetzgeber gewählte, relativ offene Formulierung "auf andere Weise einem andern verschafft" nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass nur derjenige ![]() | 19 |
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