BGE 143 IV 425 | |||
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52. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1019/2016 vom 24. Mai 2017 | |
Regeste |
Art. 15a, 15b Abs. 2, Art. 95 Abs. 1 lit. b und c und Abs. 2 SVG; Art. 24a Abs. 1, Art. 24b Abs. 1, Art. 30, 35 und 35a Abs. 1 Verkehrszulassungsverordnung (VZV); Voraussetzungen und Pflicht der Behörden zur Erteilung des definitiven Führerausweises nach Ablauf der Probezeit; Anwendungsbereich der Strafbestimmungen von Art. 95 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 SVG. |
Art. 95 Abs. 1 lit. c SVG gelangt auf den Motorfahrzeugführer zur Anwendung, dessen Führerausweis auf Probe mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, verfallen ist. Art. 95 Abs. 2 SVG soll nach seiner ratio legis demgegenüber die Säumnis des Motorfahrzeugführers bestrafen, die Weiterbildungskurse zu besuchen und den unbefristeten Führerausweis zu beantragen. Die Bestimmung ist nicht anwendbar, wenn die Behörde den definitiven Führerausweis zu Unrecht nicht ausstellte (E. 1.5). | |
Sachverhalt | |
A. Das Bezirksgericht Meilen sprach X. am 2. Oktober 2015 des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b und e sowie Abs. 2 SVG), des Fahrens ohne Bewilligung (Art. 96 Abs. 1 lit. c SVG i.V.m. Art. 80 Abs. 1 lit. a VZV) und des Vergehens gegen das Waffengesetz (Art. 33 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 4 lit. d, Art. 8 Abs. 1 und Art. 12 WG) schuldig. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 50.- und einer Busse von Fr. 500.-.
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B. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte auf Berufung von X. am 7. Juli 2016 die Schuldsprüche wegen Überlassens eines Fahrzeugs an einen Lenker ohne Führerausweis nach Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG und Fahrens nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des auf Probe ausgestellten Führerausweises nach Art. 95 Abs. 2 SVG. Es erklärte X. zudem der fahrlässigen Widerhandlung gegen das Waffengesetz im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 i.V.m. Art. 4 lit. d, Art. 8 Abs. 1 und Art. 12 WG schuldig. Von den Vorwürfen des Fahrens trotz Entzugs des Führerausweises und des Fahrens ohne Bewilligung sprach es ihn frei. Es bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 30.- und einer Busse von Fr. 300.-.
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Das Obergericht hält folgende Sachverhalte für erwiesen:
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X. lenkte am 24. Juli 2014 in Stallikon einen Personenwagen, obwohl ihm der Führerausweis auf Probe am 11. Februar 2014 in Italien abgenommen und dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich zugestellt worden war, wobei der Führerausweis auf Probe abgelaufen war. Ebenfalls am 24. Juli 2014 überliess er A. einen Personenwagen zum Umparkieren auf einem Firmengelände, obschon dieser nicht über den erforderlichen Führerausweis verfügte, was X. wusste. Am 9. März 2012 führte er zudem einen Teleskop-Schlagstock in einem Fach in der Beifahrertüre seines Personenwagens mit.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 7. Juli 2016 sei aufzuheben und er sei von sämtlichen Vorwürfen freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Stellungnahme.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Juli 2016 teilweise auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Im Übrigen weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen: | |
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1.1 Die Vorinstanz erwägt, unbestritten sei, dass der Beschwerdeführer am 24. Juli 2014 einen Personenwagen lenkte. Dieser habe gewusst, dass sein Führerausweis auf Probe abgelaufen war. Er habe im fraglichen Zeitpunkt von den Behörden telefonisch die Auskunft erhalten, dass er nicht fahren dürfe. Die behördliche Auskunft über den Bestand der Fahrberechtigung habe erst nach der Mail-Korrespondenz seines Anwalts mit der Teamleiterin der Abteilung Administrativmassnahmen beim Strassenverkehrsamt vom 30. Oktober 2015 vorgelegen, d.h. mehr als ein Jahr nach dem fraglichen Vorfall. Die Auskunft habe sich zudem auf die Anfrage des Verteidigers bezogen, ob davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer ab dem 1. November 2015 an seine Einsätze fahren dürfe. Dieser habe den objektiven und subjektiven Tatbestand von Art. 95 Abs. 2 SVG erfüllt. Es bestünden weder Rechtfertigungs- noch Schuldausschlussgründe.
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1.3 Aus den Akten geht hervor, dass der Führerausweis auf Probe des Beschwerdeführers am 25. Februar 2014 ablief. Am 31. Oktober 2014 teilte das Strassenverkehrsamt diesem mit, dass ihm der unbefristete Führerausweis ausgestellt werde. Der Beschwerdeführer war daher nach Ablauf des Führerausweises auf Probe während mehreren Monaten ohne Führerausweis, dies obschon in der Schweiz für die betreffende Zeit kein Führerausweisentzug erfolgte (vgl. zur Wirkung eines im Ausland verfügten Fahrverbots etwa BGE 141 II 256 E. 2.3 S. 258; BGE 128 II 133 E. 4a S. 136; siehe auch BGE 133 II 331). Das Strassenverkehrsamt verzichtete im Schreiben vom 31. Oktober 2014 vielmehr ausdrücklich auf einen vorsorglichen Entzug des Führerausweises; es behielt sich Administrativmassnahmen jedoch für den Fall vor, dass es in Italien wegen des Verkehrsunfalls vom 11. Februar 2014 zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers kommen sollte.
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Zu prüfen ist daher zunächst, ob das Strassenverkehrsamt mit der Erteilung des definitiven Führerausweises zuwarten durfte.
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Erwägung 1.4 | |
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1.4.2 Der definitive bzw. unbefristete Führerausweis wird erteilt, wenn die Probezeit abgelaufen ist und der Inhaber des Führerausweises auf Probe die vorgeschriebenen Weiterbildungskurse besucht hat (Art. 15b Abs. 2 SVG; Art. 24b Abs. 1 Satz 1 VZV). Der Nachweis der Teilnahme an den Weiterbildungskursen erfolgt mit der Bescheinigung auf dem Gesuchsformular nach Anhang 4a VZV (vgl. Art. 24b Abs. 1 Satz 2 VZV; siehe auch Art. 27d VZV). Die kantonale Behörde kann den Gesuchsteller von der Pflicht zur Einreichung der Bescheinigung befreien, wenn ihr der Kursveranstalter elektronisch bestätigt, dass der Gesuchsteller beide Kurstage besucht hat (Art. 24b Abs. 1 Satz 3 VZV, in Kraft seit 1. Januar 2014). Die Behörde muss demnach den definitiven Führerausweis erteilen, wenn die Probezeit abgelaufen ist, der Führerausweis auf Probe nicht nach Art. 15a Abs. 4 SVG verfallen ist, der Inhaber die vorgeschriebenen Weiterbildungskurse besucht hat und er formell um die Erteilung ersucht hat bzw. wenn der Kursveranstalter den Besuch der Weiterbildungskurse im Sinne von Art. 24b Abs. 1 Satz 3 VZV bestätigt hat. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat der Betroffene einen Rechtsanspruch auf Erteilung des definitiven Führerausweises ab dem Tag nach Ablauf der Probezeit (vgl. PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, N. 4 f. zu Art. 15b SVG; siehe auch JÜRG BICKEL, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 2 zu Art. 15b SVG).
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1.4.4 Der Beschwerdeführer hatte demnach grundsätzlich einen Anspruch auf Ausstellung des definitiven Führerausweises ab dem Tag nach Ablauf der Probezeit, vorausgesetzt, dass er die Weiterbildungskurse rechtzeitig besuchte und das Gesuch um Erteilung des definitiven Führerausweises (falls erforderlich) rechtzeitig einreichte. Hätte sich dies aus Gründen der Verkehrssicherheit aufgedrängt, wäre diesem der Führerausweis vorsorglich zu entziehen gewesen. Dies hätte die im Vergleich zu Art. 95 Abs. 2 SVG einschneidenderen strafrechtlichen Konsequenzen von Art. 95 Abs. 1 SVG nach sich gezogen, wenn er sich trotzdem ans Steuer gesetzt hätte. Die Untätigkeit des Strassenverkehrsamtes rechtfertigte sich daher weder mit Blick auf den Rechtsanspruch auf Ausstellung des definitiven Führerausweises noch aus Gründen der Verkehrssicherheit.
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Selbst wenn ein Verfall des Führerausweises auf Probe zu beurteilen gewesen wäre, hätte das Strassenverkehrsamt mit der Ausstellung des definitiven Führerausweises nicht einfach zuwarten dürfen. Vielmehr wäre der Führerausweis falls notwendig auch für diesen Fall vorsorglich zu entziehen gewesen. Der mit dem definitiven Entzug allenfalls einhergehende Verfall des Führerausweises (Art. 15a Abs. 4 SVG und Art. 35a Abs. 1 VZV) wäre alsdann auch eingetreten, wenn dem Beschwerdeführer zwischenzeitlich der definitive Ausweis erteilt worden wäre (Art. 35a Abs. 1 Satz 2 VZV).
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Der Beschwerdeführer beanstandet daher zu Recht, das Strassenverkehrsamt hätte bis zur (vorläufigen) Klärung seiner Rolle im Strassenverkehrsunfall in Italien vom 11. Februar 2014 nicht einfach während Monaten untätig bleiben dürfen. Er stellte sich zudem zutreffend auf den Standpunkt, die mündliche Auskunft, er dürfe nicht fahren, komme keinem Entzug des Führerausweises gleich.
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Erwägung 1.5 | |
1.5.1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. c SVG bestraft, wer ein Motorfahrzeug führt, obwohl der Führerausweis auf Probe verfallen ist. Nach Art. 95 Abs. 2 SVG wird mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft, wer ein Motorfahrzeug führt, obwohl die Gültigkeitsdauer des Führerausweises auf Probe abgelaufen ist. Art. 95 Abs. 1 lit. c SVG gelangt zur Anwendung, wenn der Führerausweis auf Probe mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG und Art. 35a VZV verfallen ist (vgl. Parlamentarische Initiative vom 22. April 2010, Änderung Strassenverkehrsgesetz, Bericht der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates, BBl 2010 3917 ff., 3922 zu Art. 95 Ziff. 1bis; ADRIAN BUSSMANN, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 57 zu Art. 95 SVG). Art. 95 Abs. 2 SVG betrifft demgegenüber das blosse Ignorieren des Ablaufs der Gültigkeitsdauer des Führerausweises auf Probe (BUSSMANN, a.a.O., N. 74 zu Art. 95 SVG; a.M. HANS GIGER, SVG, Kommentar, 8. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 95 SVG, welcher die beiden gesetzgeberischen Regelungen als unklar und daher als ungültig erachtet; kritisch zur gesetzlichen Regelung auch WEISSENBERGER, a.a.O., N. 7 zu Art. 95 SVG). Der Inhaber eines Führerausweises auf Probe ist wie erwähnt verpflichtet, während der Probezeit Weiterbildungskurse zu besuchen (vgl. oben E. 1.4.1 f.). Unterlässt er dies und wurde ihm daher kein definitiver Führerausweis ausgestellt, macht er sich nach Art. 95 Abs. 2 SVG strafbar, wenn er nach Ablauf des Führerausweises auf Probe ein Fahrzeug führt. Die im Vergleich zu Art. 95 Abs. 1 SVG mildere Strafandrohung von Art. 95 Abs. 2 SVG von Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen trägt dem Umstand Rechnung, dass die Betroffenen zwar die Probezeit, nicht aber die Weiterbildungskurse absolviert haben. Solche Lenker gefährden die übrigen Verkehrsteilnehmenden potenziell weniger als Personen, die keine Fahrausbildung absolviert bzw. die Führerprüfung nicht bestanden haben oder deren Führerausweis auf Probe infolge begangener Widerhandlungen verfallen ist (BBl 2010 3922 zu Art. 95 Ziff. 1bis ). Art. 95 Abs. 2 SVG gelangt zudem zur Anwendung, wenn der Inhaber des Führerausweises auf Probe zwar die Weiterbildungskurse besuchte, jedoch das nach Art. 24b Abs. 1 Satz 2 VZV und Anhang 4a VZV erforderliche Gesuch nicht einreichte (vgl. WEISSENBERGER, a.a.O., N. 5 zu Art. 15b SVG und N. 7 zu Art. 95 SVG; BUSSMANN, a.a.O., N. 79 zu Art. 95 SVG; a.M. CÉDRIC JEAN MIZEL, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de conduire, 2015, S. 649 f., wonach sich nicht nach Art. 95 Abs. 2 SVG strafbar macht, wer die Weiterbildungskurse während der Probezeit besucht hat und es lediglich unterlässt, rechtzeitig um die Erteilung des definitiven Führerausweises zu ersuchen).
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1.5.2 Dass der Beschwerdeführer die Weiterbildungskurse nicht besuchte oder es unterliess, rechtzeitig das erforderliche Gesuch um Erteilung des definitiven Führerausweises zu stellen, kann dem angefochtenen Entscheid nicht entnommen werden. Diesem wird einzig angelastet, er hätte während der Untätigkeit des Strassenverkehrsamtes, welches weder einen definitiven Führerausweis ausstellte noch über die Voraussetzungen für einen Führerausweisentzug befand, kein Fahrzeug führen dürfen. Ein solches Verhalten fällt nicht unter den Straftatbestand von Art. 95 Abs. 2 SVG. Dieser soll nach seiner ratio legis die Säumis bestrafen, die Weiterbildungskurse zu besuchen und den unbefristeten Führerausweis zu beantragen. Nicht angehen kann es, auch völlig andere Verhaltensweisen darunter zu subsumieren, die einzig auf die unrechtmässige Verweigerung des definitiven Führerausweises zurückzuführen sind. Hinzu kommt, dass der definitive Führerausweis vorliegend schliesslich ausgestellt wurde. Die Vorinstanz legt nichts dar, das darauf hindeuten könnte, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des definitiven Führerausweises nicht bereits unmittelbar nach Ablauf der Probezeit erfüllt waren. Sie brachte den Straftatbestand von Art. 95 Abs. 2 SVG folglich zu Unrecht zur Anwendung. Offenbleiben kann damit, ob der Ausstellung des definitiven Führerausweises wie vom Beschwerdeführer behauptet bloss deklaratorische Bedeutung zukommt.
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