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62. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_510/2016 vom 13. Juli 2017 | |
Regeste |
Art. 405 und 406 StPO; Einverständnis der Parteien zum schriftlichen Berufungsverfahren; Form der Zustimmung; Präzisierung der Rechtsprechung. | |
Sachverhalt | |
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B. Auf Berufung von X. hin sprach ihn das Obergericht des Kantons Aargau am 17. März 2016 in einem Punkt frei, bestätigte im Übrigen den Schuldspruch und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 ˝ Jahren sowie einer Busse von Fr. 1'000.-, als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 3. Juni 2014. Es verfügte die Herausgabe des verwendeten Fahrzeugs.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei teilweise freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung bzw. Durchführung eines mündlichen Berufungsverfahrens an das Obergericht zurückzuweisen.
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Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 13. Juli 2017 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 2.1 | |
2.1.1 Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich (Art. 405 Abs. 1 StPO). Schriftliche Berufungsverfahren sollen nach der Absicht des Gesetzgebers die Ausnahme bleiben (Urteil 6B_622/2014 ![]() | 7 |
2.1.2 Art. 406 StPO ist als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet. Die Bestimmung entbindet das Berufungsgericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob der Verzicht auf die öffentliche Verhandlung auch mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 7.2; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 ff. zu Art. 406 StPO; ders., Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1567 S. 702; MARLČNE KISTLER VIANIN, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 406 StPO). Die angeschuldigte Person hat im Strafverfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anspruch auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung. Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden Garantie auf ein faires Verfahren (BGE 128 I 288 E. 2 S. 290 ff.; BGE 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f.; je mit Hinweisen).
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Die Art der Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen hängt von den Besonderheiten des konkreten Verfahrens ab. Es ist insbesondere unter Beachtung des Verfahrens als Ganzem und der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob vor einer Berufungsinstanz eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) muss selbst ein Berufungsgericht mit freier Kognition hinsichtlich Tat- und Rechtsfragen nicht in allen Fällen eine Verhandlung durchführen, da auch andere Gesichtspunkte wie die Beurteilung der Sache innert angemessener Frist ![]() | 9 |
Erwägung 2.2 | |
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Die Formulierung in der strittigen Verfügung ist weder unklar noch missverständlich. Von einem unbefangenen Durchschnittsleser war angesichts des klaren Wortlauts, namentlich des dritten Satzes der Verfügung, wonach eine mündliche Verhandlung nur auf Verlangen durchgeführt werde, eine Mitteilung oder allenfalls eine Nachfrage zu erwarten, wenn er ein mündliches Verfahren gewünscht hätte. Dies gilt umso mehr für den Beschwerdeführer, welcher bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten war. Er hat aber keine mündliche Verhandlung verlangt, sondern im Gegenteil die von der Verfahrensleitung gesetzte Frist zur Ergänzung seiner schriftlichen Berufungsbegründung genutzt. Dabei nahm er gar ausdrücklich auf die strittige Verfügung Bezug, ohne diese aber zu kritisieren. Er hat sich somit vorbehaltlos auf das schriftliche Verfahren eingelassen. Dies geschah zudem offensichtlich in Kenntnis der Sachlage sowie der Konsequenzen. Die Vorinstanz durfte daher von ![]() | 11 |
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2.2.3 Selbst wenn im Übrigen von einer unklaren oder widersprüchlichen Formulierung der Verfügung vom 24. November 2015 auszugehen wäre, müsste dies nicht zwangsläufig zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Rückweisung an die Vorinstanz führen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Bundesgericht diesen Schluss im Urteil 6B_266/2012 vom 22. Juni 2012 E. 2 nicht gezogen. Ob eine Rückweisung zu erfolgen hat, hängt vielmehr von den konkreten Umständen ab. Namentlich davon, ob der Adressat den Sinn der Verfügung trotz ihrer allfälligen ![]() | 13 |
Das vom Beschwerdeführer genannte Urteil 6B_939/2014 vom 11. Juni 2015 E. 1.3.1 führt zu keinem anderen Ergebnis. Darin hat das Bundesgericht zwar eine Formulierung in einer Verfügung als problematisch bezeichnet, die mit der hier zur Diskussion stehenden weitgehend identisch ist und wonach ohne gegenteilige Mitteilung der Parteien vom Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ausgegangen werde. Es hat aber auch daraus nicht den Schluss gezogen, dass das vorinstanzliche Urteil deswegen aufgehoben werden müsse. Das Bundesgericht hat diese Frage offengelassen und die Notwendigkeit einer Berufungsverhandlung aus einem anderen, hier nicht gegebenen Grund bejaht.
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2.2.4 Nach dem Vorstehenden ist von einer gültigen Zustimmung des Beschwerdeführers zum schriftlichen Verfahren und Verzicht auf eine mündliche Berufungsverhandlung auszugehen. Dass die Anwesenheit des Beschwerdeführers im vorinstanzlichen Verfahren erforderlich gewesen wäre (Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO), behauptete resp. behauptet er nicht. Darauf ist nicht einzugehen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 99 E. 1.7.1; BGE 140 III 115 E. 2). Die Beschwerde ist insoweit abzuweisen.
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