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9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden und A. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_773/2017 vom 21. Februar 2018 | |
Regeste |
Art. 85 Abs. 2 StPO; Form der Zustellung. | |
Sachverhalt | |
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Die Staatsanwaltschaft Obwalden sprach A. mit Strafbefehl vom 26. September 2016 der Nötigung sowie der Sachentziehung schuldig. A. erhob Einsprache gegen den Strafbefehl.
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Mit Verfügung vom 5. Januar 2017 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen A. ein. Gegen die Einstellungsverfügung erhob X. am 19. Januar 2017 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Obwalden.
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B. Das Obergericht trat am 24. Mai 2017 auf die Beschwerde nicht ein, auferlegte Y., dem Rechtsanwalt von X., die Kosten des Beschwerdeverfahrens und verpflichtete ihn, A. eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- zu bezahlen. Das Gesuch von X. um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wies es ab.
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C. X. und Y. führen Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der vorinstanzliche Beschluss sei aufzuheben. Die Sache sei zur materiellen Beurteilung der Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung und zur Neubeurteilung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Der Beschwerdeführer 1 macht geltend, die Staatsanwaltschaft habe die Einstellungsverfügung vom 5. Januar 2017 mit A-Post Plus verschickt. Die Sendung sei seinem damaligen Rechtsvertreter, dem Beschwerdeführer 2, am Samstag, 7. Januar 2017, ins Postfach gelegt worden. Dessen Kanzlei bleibe samstags geschlossen. Das Postfach sei folglich erst am Montag, 9. Januar 2017, geleert worden. Am 19. Januar 2017 habe der Beschwerdeführer 2 für den Beschwerdeführer 1 beim Obergericht Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung erhoben. Die Vorinstanz gehe fälschlicherweise davon aus, die 10-tägige Rechtsmittelfrist habe am Sonntag, 8. Januar 2017, zu laufen begonnen. Sie habe daher die Beschwerde vom 19. Januar 2017 als verspätet erachtet. Damit verletze sie Bundesrecht (Art. 85 Abs. 2 StPO). Gemäss Art. 85 Abs. 2 StPO hätten Zustellungen durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu erfolgen. Die Einhaltung der gesetzlichen Zustellungsformen sei Gültigkeitserfordernis. Der Adressat müsse daher nicht damit rechnen, dass eine Zustellung an einem arbeitsfreien Samstag ins Postfach als fristauslösender Moment gelte. Da bei der Zustellung mit A-Post Plus vom Empfänger keine Empfangsbestätigung eingeholt werde und ebenso wenig sichergestellt sei, dass die Inempfangnahme durch eine gemäss Art. 85 Abs. 3 StPO berechtigte Person erfolge, stelle der Versand der Einstellungsverfügung mit A-Post Plus eine Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO dar. Sinn und Zweck des Zusatzes "auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung" bestehe nicht einzig darin, die Zustellung der entsprechenden Sendungen nachweisen zu können. In diesem Fall würde Art. 85 StPO nichts regeln, was nicht ohnehin gelten würde. Denn selbst wenn das anwendbare Verfahrensrecht keine Zustellvorschriften enthalte, müsse die Behörde die Zustellung nachweisen. Die Vorinstanz berücksichtige mit ihrer Auslegung einzig die Interessen der Behörden am Nachweis der erfolgten Zustellung. Diese Sichtweise schenke dem Umstand zu wenig Beachtung, dass eine mangelhafte Zustellung für den Adressaten keine nachteiligen Rechtswirkungen wie beispielsweise einen Fristablauf zur Folge haben dürfe. Mit der Regelung von Art. 85 Abs. 2 StPO habe man sicherstellen wollen, dass der ![]() | 7 |
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2.3.1 Bei der Versandmethode A-Post Plus wird der Brief mit einer Nummer versehen und ähnlich wie ein eingeschriebener Brief mit A-Post spediert. Im Unterschied zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird aber der Empfang durch den Empfänger nicht quittiert. Die Zustellung wird vielmehr elektronisch erfasst, wenn die Sendung in das Postfach oder in den Briefkasten des Empfängers gelegt wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt dem Eintrag, welcher die Post in ihrem Erfassungssystem vornimmt, nicht die Eigenschaft einer Empfangsbestätigung zu, da sich mangels Quittierung dem Track & Trace-Auszug nicht entnehmen lässt, ob tatsächlich jemand die Sendung behändigt hat und um wen es sich dabei handelt, geschweige denn, dass sie tatsächlich zur Kenntnis genommen worden ist (BGE 142 III 599 E. 2.2 mit Hinweisen). Die ![]() | 10 |
2.3.2 Eine Zustellung ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ungeachtet der Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO auch dann gültig erfolgt, wenn die Kenntnisnahme des Empfängers auf andere Weise bewiesen werden kann und die zu schützenden Interessen des Empfängers (Informationsrecht) gewahrt werden (vgl. BGE 142 IV 125 E. 4.3; Urteile 1B_41/2016 vom 24. Februar 2016 E. 2.2; 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Entscheidend ist, ab welchem Zeitpunkt von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden kann. Die Vorinstanz verweist diesbezüglich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach Sendungen in der Regel als zugestellt gelten, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt sind. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Empfänger die Sendung tatsächlich in Empfang nimmt (BGE 142 III 599 E. 2.4.1; BGE 122 I 139 E. 1; je mit Hinweisen). Die genannten Entscheide äussern sich allerdings nicht zur Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf Fälle anwendbar ist, für die der Gesetzgeber besondere Zustellvorschriften aufgestellt hat. Gleiches gilt für die weiteren, von der Vorinstanz genannten Entscheide (Urteile 2C_1126/2014 vom 20. Februar 2015 und 2C_430/2009 vom 14. Januar 2010). Wendete man die erwähnte Rechtsprechung auch auf Art. 85 StPO an, wäre in der Tat nicht ersichtlich, worin - im Vergleich zu den allgemeingültigen Regeln betreffend den Nachweis der Eröffnung - der zusätzliche Gehalt der Bestimmung bestehen soll. Der vorinstanzlichen Rechtsauffassung kann auch deshalb nicht gefolgt werden, da sie dem Grundsatz zuwiderläuft, dass dem Adressaten aus einer gesetzwidrigen Zustellung kein Nachteil erwachsen darf. So müsste ein Empfänger, welcher weder vom Inhalt der Sendung Kenntnis hat, noch um die Tatsache weiss, dass überhaupt eine Zustellung erfolgt ist, hinnehmen, dass er die Rechtsmittelfrist verpasst oder diese massgeblich verkürzt wird, während bei einer ordnungsgemässen Zustellung mittels Einschreiben der Betroffene die Abholung der Sendung bewusst bis zum siebten Tag hinauszögern könnte, ohne dass die Frist verkürzt würde. Dies kann nicht die Meinung des Gesetzgebers gewesen sein. Zudem trägt die vorinstanzliche Rechtsauslegung dem Umstand zu wenig Rechnung, dass strafrechtliche Entscheide für die Betroffenen weitreichende Folgen zeitigen können, die StPO allerdings häufig nur kurze, 10-tägige Rechtsmittelfristen vorsieht (vgl. Art. 322 Abs. 2, Art. 354 Abs. 1, Art. 396 Abs. 1 und Art. 399 Abs. 1 StPO). Es ist daher zentral, dass der Betroffene seine Rechte ![]() | 11 |
2.3.3 Der Beschwerdeführer 2 nahm am Montag, 9. Januar 2017, sowohl von der Zustellung als auch vom Inhalt des Entscheides Kenntnis. Nach dem Gesagten begann die 10-tägige Rechtsmittelfrist (Art. 322 Abs. 2 StPO) am 10. Januar 2017 zu laufen und endete am 19. Januar 2017. Indem die Vorinstanz die Beschwerde vom 19. Januar 2017 als verspätet erachtet, verletzt sie Bundesrecht.
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