BGE 144 IV 240 | |||
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30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Dachverband Berner Tierschutzorganisationen gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und X. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_982/2017 vom 14. Juni 2018 | |
Regeste |
Art. 104 Abs. 2 StPO; weitere Behörde, der Parteirechte eingeräumt werden können. | |
Sachverhalt | |
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Die Einstellungsverfügung wurde dem Dachverband Berner Tierschutzorganisationen am 23. Dezember 2016 nachträglich mitgeteilt. Dieser erhob Beschwerde, mit dem Antrag, die Einstellungsverfügung sei aufzuheben und es sei ein Strafverfahren gegen X. wegen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz, begangen durch dauernde Weidehaltung von Rindvieh ohne geeigneten Witterungsschutz, durchzuführen.
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B. Das Obergericht des Kantons Bern trat mit Beschluss vom 7. Juli 2017 auf die Beschwerde des Dachverbands Berner Tierschutzorganisationen gegen die Einstellungsverfügung vom 12. Juli 2016 nicht ein.
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C. Der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen führt Beschwerde in Strafsachen. Er stellt den Antrag, Dispositiv-Ziffer 1 (Nichteintreten) des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht verlangt der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen, es sei auf dieErhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten und es sei die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern zur Stellungnahme einzuladen.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Die Vorinstanz erwägt, es stelle sich die Frage, ob der Beschwerdeführer zur Ergreifung der Beschwerde legitimiert sei. Gemäss Art. 104 Abs. 2 StPO könnten Bund und Kantone weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen. Der Kanton Bern habe von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und in Art. 13 Abs. 3 des Kantonalen Landwirtschaftsgesetzes vom 16. Juni 1997 (KLwG/BE; BSG 910.1) bestimmt, dass der Regierungsrat eine Organisation oder Person bezeichne, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte als Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO volle Parteirechte zukomme. Gemäss Art. 4a Abs. 1 der Verordnung des Kantons Bern vom 21. Januar 2009 über den Tierschutz und die Hunde (THV/BE; BSG 916.812) werde der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen (DBT) als kantonale Behörde bezeichnet, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte Parteirechte zukommen. Der DBT stehe in diesem Bereich unter der Aufsicht der Volkswirtschaftsdirektion [nachfolgend: VOL] und erstatte dieser jährlich Bericht über seine Tätigkeit (Art. 4a Abs. 2 THV/BE). Nach Art. 4a Abs. 3 THV/BE regle eine Vereinbarung zwischen dem DBT und der VOL Einzelheiten der Aufgabenerfüllung und der Aufsicht. Gemäss Art. 4b Abs. 1 THV/BE habe der DBT im Rahmen von tierschutzrechtlichen Strafverfahren sämtliche Rechte einer Partei gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung.
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Die Vorinstanz führt weiter aus, es sei fraglich, ob die Regelung des Kantons Bern, wonach dem Beschwerdeführer als privatrechtlichem Verein im Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte volle Parteirechte eingeräumt werden, bundesrechtskonform sei. Aus dem Wortlaut von Art. 104 Abs. 2 StPO ergebe sich, dass nur Behörden Parteirechte gewährt werden können. Es sei davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber nicht ausdrücklich von Behörde, sondern beispielsweise von Organisation, Person oder Stelle gesprochen hätte, wenn er den Kantonen die Möglichkeit hätte offenlassen wollen, auch privaten Vereinigungen Parteistellung einzuräumen. Diese Annahme werde durch die Gesetzesmaterialien untermauert. Auch daraus ergebe sich, dass die Kantone nach dem Willen des Bundesgesetzgebers nur Behörden im engeren Sinn und nicht auch privaten Organisationen volle oder beschränkte Parteistellung einräumen können. Ebenso werde in der Literatur zu Art. 104 Abs. 2 StPO durchwegs von Behörden gesprochen und es werde gegenüber privaten Verbänden abgegrenzt, die keine Parteistellung hätten. Zusammengefasst ergebe sich somit aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts und der Materialien, dass nach dem Willen des Gesetzgebers privaten Organisationen im Strafprozess keine Parteirechte übertragen werden können. Der echte Vorbehalt von Art. 104 Abs. 2 StPO sei eingeschränkt zu verstehen. Der Bundesgesetzgeber habe mit Art. 104 Abs. 2 StPO abschliessend die Frage geregelt, wem nebst den Parteien gemäss Art. 104 Abs. 1 StPO Parteirechte eingeräumt werden können. In Anwendung von Art. 123 BV sei der Kanton Bern daher nicht befugt, die Parteirechte weitergehend resp. entgegen Art. 104 Abs. 2 StPO zu regeln. Da Privaten gemäss dem Willen des Bundesgesetzgebers keine Parteirechte eingeräumt werden könnten, dürften solche auch nicht kantonalgesetzlich auf sie übertragen werden, indem private Vereinigungen als Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO bezeichnet werden resp. unter Verweis auf den allgemeinen staats- bzw. verwaltungsrechtlichen Behördenbegriff argumentiert werde, auch Private, die mit der Wahrnehmung öffentlicher Interessen betraut worden seien, würden eine Behörde darstellen. Dadurch werde der bundesgesetzgeberische Wille unterlaufen. Der Beschwerdeführer sei ein privatrechtlicher Verein. Die VOL übe zwar die Aufsicht über dessen Tätigkeit aus, namentlich was die Einhaltung von Grundrechten, der allgemeinen Rechtsregeln und des Datenschutzes betreffe, und sie könne dem Beschwerdeführer auch diesbezüglich Weisungen erteilen. In inhaltlicher Hinsicht sei dieser indes in der Ausübung seiner Parteirechte frei. Angesichts dessen könne nicht von einer genügenden Einbindung des Beschwerdeführers in eine Behörde resp. einer hinreichenden staatlichen Aufsicht ausgegangen werden. Dieser stelle keine Behörde im Rechtssinne dar. Bei einer formalen Betrachtungsweise würden jene Instanzen als Behörden gelten, die hoheitlich zu verfügen befugt seien. Der Beschwerdeführer habe keine Verfügungskompetenz. Er handle nicht hoheitlich und seine Tätigkeit werde nicht vom Kanton abgegolten. Die Geldmittel des Beschwerdeführers würden durch Jahresbeiträge der Mitglieder und durch Beiträge Dritter beschafft. Eine Behörde müsse finanziell unabhängig sein und eine Gesamtoptik wahren; dies sei angesichts der Finanzierungssituation des Beschwerdeführers nicht sichergestellt. Da dieser keine Behörde im Rechtssinne sei, könne ihm der Kanton Bern gestützt auf Art. 104 Abs. 2 StPO auch keine Parteirechte einräumen. Alleine der Umstand, dass der Beschwerdeführer kantonalrechtlich dazu ermächtigt werde, Parteirechte im Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte wahrzunehmen, mache ihn nicht zu einer Behörde.
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Die Vorinstanz hält sodann fest, Art. 13 Abs. 3 KLwG/BE i.V.m. Art. 4a und Art. 4b THV/BE liefen somit Art. 104 Abs. 2 StPO zuwider und würden keine gesetzliche Grundlage für die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers darstellen. Dieser sei durch die Tierschutzdelikte nicht unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Er könne deshalb auch nicht als Privatkläger Beschwerde erheben.
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1 Gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Die Einstellung des Verfahrens können die Parteien innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 322 Abs. 2 StPO). Parteien sind gemäss Art. 104 Abs. 1 StPO: (lit. a) die beschuldigte Person; (lit. b) die Privatklägerschaft; (lit. c) im Haupt- und Rechtsmittelverfahren: die Staatsanwaltschaft. Nach Art. 104 Abs. 2 StPO können Bund und Kantone weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen.
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Art. 13 Abs. 3 KLwG/BE sieht vor, dass der Regierungsrat eine Organisation oder Person bezeichnet, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte als Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO volle Parteirechte zukommen. Gemäss Art. 4a Abs. 1 THV/BE wird der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen (DBT) als kantonale Behörde bezeichnet, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte Parteirechte zukommen. Der DBT steht in diesem Bereich unter der Aufsicht der Volkswirtschaftsdirektion und erstattet dieser jährlich Bericht über seine Tätigkeit (Art. 4a Abs. 2 THV/BE). Nach Art. 4a Abs. 3 THV/BE regelt eine Vereinbarung zwischen dem DBT und der VOL Einzelheiten der Aufgabenerfüllung und der Aufsicht. Gemäss Art. 4b Abs. 1 THV/BE hat der DBT im Rahmen von tierschutzrechtlichen Strafverfahren sämtliche Rechte einer Partei gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung. Ausgeschlossen ist die Anfechtung eines Entscheids hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion.
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Die Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und der VOL vom 21./27. Dezember 2010 gemäss Art. 4a Abs. 3 THV/BE bestimmt unter anderem, dass der Beschwerdeführer - soweit er als Behörde tätig ist - dem Gesetzmässigkeitsprinzip unterworfen ist (Art. 2a), die Grundrechte zu wahren hat (Art. 2b), dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers vom Kanton nicht abgegolten wird (Art. 2d), die Organe des Beschwerdeführers dem Amtsgeheimnis unterstellt sind (Art. 4a), der Beschwerdeführer dem Datenschutzgesetz untersteht (Art. 5a) und zur Aktenführung und -aufbewahrung verpflichtet ist (Art. 6). Gemäss Art. 7 übt die VOL die Aufsicht über die behördliche Tätigkeit des Beschwerdeführers aus. Dies betrifft namentlich die Einhaltung von Grundrechten, der allgemeinen Rechtsregeln und des Datenschutzes. Sie kann dem Beschwerdeführer diesbezüglich Weisungen erteilen. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer in inhaltlicher Hinsicht in der Ausübung seiner Parteirechte frei. Aufsichtsanzeigen betreffend die behördliche Tätigkeit des Beschwerdeführers werden durch die VOL behandelt. Art. 8 regelt die Berichterstattung: Der Beschwerdeführer erstattet der VOL jährlich Bericht über seine Tätigkeit. Der Bericht enthält, (*) Angaben zum Verband, zu den Organen inkl. allfälliger Mutationen, (*) Kriterien, die für den Beschwerdeführer für eine Teilnahme an Strafverfahren massgebend sind, (*) Bericht über die behördliche Tätigkeit, namentlich über die Anzahl Fälle mit Möglichkeit zur Teilnahme insgesamt, die Anzahl Fälle, in denen effektiv Parteirechte ausgeübt wurden, die Anzahl Fälle, in denen auf die Ausübung der Parteirechte verzichtet wurde und in welchem Stadium der Verzicht erfolgte, die ergriffenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel sowie die Ergebnisse dieser Fälle, die Angaben zu einem allfälligen Beizug eines Rechtsbeistands durch den Beschwerdeführer, (*) eine Würdigung der Tätigkeit und der Erfahrungen, (*) finanzieller Aufwand und Ertrag betreffend die behördliche Tätigkeit.
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2.3.2 Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1 BV schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (BGE 138 I 468 E. 2.3.1, BGE 138 I 356 E. 5.4.2; BGE 137 I 31 E. 4.1; je mit Hinweisen). Um zu entscheiden, ob ein Konflikt zwischen einer bundesrechtlichen Bestimmung und einer kantonalen Norm vorliegt, sind diese Regeln vorerst auszulegen (BGE 138 I 356 E. 5.4.2 S. 361 mit Hinweis).
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Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 143 IV 122 E. 3.2.3; BGE 142 IV 401 E. 3.3, BGE 142 IV 105 E. 5.1, 1 E. 2.4.1; BGE 141 III 195 E. 2.4; BGE 139 IV 62 E. 1.5.4; je mit Hinweisen).
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2.4.2 Die bundesrätliche Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts äussert sich unter dem Obertitel "Nicht vorgesehene strafprozessuale Instrumente" unter anderem zu den Gründen, weshalb auf die Einrichtung eines Tieranwalts verzichtet wurde. Die Vollzugs- und Organisationsautonomie der Kantone bleibe in einer vereinheitlichten Strafprozessordnung grundsätzlich erhalten. Eine wirksame Wahrnehmung der Rechte der Tiere im Prozess könne auf verschiedene Weise verwirklicht werden. Neben der Einrichtung eines Tieranwalts nach Zürcher Muster sei an die Möglichkeit zu denken, bei den Strafverfolgungsbehörden eine entsprechende Spezialisierung vorzusehen. Denkbar sei weiter, bestimmten kantonalen Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren hätten, im Strafverfahren die Rechte einer Partei einzuräumen. Die vereinheitlichte Strafprozessordnung lasse für beides Raum. Daher scheine es nicht angezeigt, gesamtschweizerisch die Einführung eines Tieranwalts im Sinne der Zürcher Regelung vorzuschreiben (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1113 f. Ziff. 1.5.4.3). Bei der Beratung des Entwurfs ging der Ständerat nicht auf die Problematik ein. Der Nationalrat prüfte im Plenum einen Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen, der die obligatorische Einführung eines öffentlichen Tierschutzanwalts vorsah. Dieser Antrag wurde mit 79 gegen 78 Stimmen abgelehnt (AB 2007 N 951). Weiter hält die bundesrätliche Botschaft fest, Art. 102 Abs. 2 E-StPO (heute Art. 104 Abs. 2 StPO) knüpfe an die in einzelnen Kantonen vorhandenen Regelungen an, wonach beispielsweise die Fürsorge-, Sozial- oder Umweltschutzbehörden bei Delikten in den jeweiligen Bereichen Rechtsmittel einlegen können. Die Frage, ob neben den Behörden auch Vereinigungen, die sich dem Schutz allgemeiner Interessen verpflichtet haben (beispielsweise Umwelt- oder Tierschutzverbände oder Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Rassismus widmen), Verfahrensrechte oder Parteistellung zuzugestehen sei, sei Gegenstand zweier parlamentarischer Vorstösse gewesen. Es werde darauf verzichtet, Verbänden Parteistellung einzuräumen. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu den beiden Motionen (Motion Schwaab und Motion Mugny) ausgeführt habe, sei im Straf- und Strafprozessrecht, anders als in Rechtsgebieten, die eine Verbandslegitimation kennen, mit der Staatsanwaltschaft eine Behörde tätig, die allgemeine, überindividuelle Rechte zu wahren und den Strafanspruch von Amtes wegen durchzusetzen habe. Die Einführung von Verfahrensrechten für solche Verbände würde im Übrigen den im schweizerischen Strafverfahrensrecht herrschenden Grundsatz durchbrechen, dass als Parteien im Prinzip nur die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und der verfolgende Staat zugelassen seien. Die Zulassung weiterer Parteien hätte eine wesentliche Erschwerung des Verfahrens zur Folge, die mit den dadurch erzielten Vorteilen in einem Missverhältnis stünde (BBl 2006 1163 Ziff. 2.3.1.1; ebenso der Begleitbericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, Juni 2001, S. 83).
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In der Botschaft vom 14. Mai 2008 zur Volksinitiative "Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (Tierschutzanwalt-Initiative)" führt der Bundesrat aus, gemäss der neuen StPO hätten die Kantone die Möglichkeit, eine öffentliche Tieranwältin oder einen öffentlichen Tieranwalt einzusetzen, falls sie dies wünschten. Für die Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz könnten sie entweder spezialisierte Staatsanwaltschaften einsetzen oder einer Behörde, z.B. dem kantonalen Veterinäramt, Parteistellung gewähren. Die öffentliche Tieranwältin oder der öffentliche Tieranwalt müsse in einer Behörde eingebunden sein. Im Geltungsbereich der StPO hätten die Kantone keine Möglichkeit, "private" Tieranwältinnen oder Tieranwälte vorzusehen. Da die private Tieranwältin oder der private Tieranwalt keiner Behörde angegliedert sei, unabhängig handle und an keine Weisungen gebunden sei, übe sie oder er nicht die Tätigkeit einer "spezialisierten" Staatsanwaltschaft aus, die in Strafsachen alle belastenden und entlastenden Umstände ermittle. Würden somit private Tieranwältinnen und -anwälte mit der Vertretung der öffentlichen Interessen (Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz) beauftragt, würde ein Fremdkörper in die Strafprozessordnung aufgenommen (BBl 2008 4313 ff., insbesondere 4319 f. Ziff. 2.2 und 4324 ff. Ziff. 3.3.2 und 4).
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Den Materialien lässt sich somit entnehmen, dass in der eidgenössischen StPO explizit auf die Einrichtung einer Tieranwältin und eines Tieranwalts sowie auf die Einführung des Instruments des Verbandsbeschwerderechts verzichtet wurde. Sodann ist der Zweck von Art. 104 Abs. 2 StPO, die in einzelnen Kantonen geltenden Regelungen, wonach bestimmte Behörden bei Delikten in den jeweiligen Bereichen Rechtsmittel einlegen können, weiterzuführen. Gemäss den präzisierenden Ausführungen des Bundesrats zur Tierschutzanwalt-Initiative ist es den Kantonen im Geltungsbereich der StPO verwehrt, jemanden einzusetzen, der keiner Behörde angegliedert ist, unabhängig handelt und an keine Weisungen gebunden ist. Namentlich auch angesichts der in den Materialien erwähnten Alternativen zu einem Tieranwalt - Einrichtung einer spezialisierten Staatsanwaltschaft und Übertragung von Parteirechten an bestimmte kantonale Behörden - sowie den geäusserten Bedenken bezüglich der Einführung von Verfahrensrechten für Verbände, wonach der im Strafverfahrensrecht herrschende Grundsatz durchbrochen werde, dass als Parteien im Prinzip nur die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und der verfolgende Staat zugelassen seien und dass die Zulassung weiterer Parteien eine wesentliche Erschwerung des Verfahrens zur Folge hätte, die mit den dadurch erzielten Vorteilen in einem Missverhältnis stünde, liegt der Schluss nahe, dass der Begriff der Behörde in Art. 104 Abs. 2 StPO eingeschränkt auszulegen ist.
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Da der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang mit dem Sportförderungsgesetz einer privatrechtlichen Stiftung Parteirechte nach Art. 104 Abs. 2 StPO einräumt, spricht die systematische Auslegung grundsätzlich für einen weiten Behördenbegriff. Es gilt allerdings zu beachten, dass die Stiftung Antidoping Schweiz explizit als nationale Agentur mit einem spezifischen Leistungsauftrag gegründet wurde, der staatlichen Aufsicht unterstellt und auch in finanzieller Hinsicht nicht unabhängig ist.
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CHARLOTTE SCHODER befasst sich mit dem vorliegenden Fall und kommt nach eingehender Würdigung zum Schluss, die grammatikalische Auslegung von Art. 104 Abs. 2 StPO spreche für einen weiten Behördenbegriff im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts. Die Gesetzesmaterialien seien nicht eindeutig, jedoch stehe die Bewahrung der Organisationsautonomie der Kantone klar im Vordergrund. Dies spreche ebenfalls für eine weite Auslegung des Behördenbegriffs. Zudem lege der Bundesgesetzgeber selbst diesen Begriff weit aus, indem er privaten Verwaltungsträgern Parteirechte nach Art. 104 Abs. 2 StPO einräume. Die systematische Auslegung spreche für einen weiten Behördenbegriff im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts. Vor diesem Hintergrund sei zu schliessen, dass Art. 104 Abs. 2 StPO ein weiter Behördenbegriff im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts zugrunde liege. Die Kantone seien demnach befugt, privaten Verwaltungsträgern gestützt auf Art. 104 Abs. 2 StPO strafprozessuale Parteirechte zur Vertretung öffentlicher Interessen im Strafverfahren einzuräumen (CHARLOTTE SCHODER, Tierschutzorganisationen als Behörden mit Parteistellung im Strafprozess, Jusletter 20. November 2017, insbesondere Rz. 32).
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2.5 Nach dem Gesagten ist insbesondere in Anbetracht des klaren gesetzgeberischen Willens sowie dem Sinn und Zweck der Norm (E. 2.4.2) der Begriff der Behörde nach Art. 104 Abs. 2 StPO grundsätzlich in einem eingeschränkten Sinn zu verstehen. Im Lichte der systematischen Auslegung kann dabei allerdings nicht massgebend sein, ob die Organisation öffentlichrechtlich oder privatrechtlich organisiert ist. Entscheidend ist vielmehr, (1) dass ihr die Erfüllung einer dem Gemeinwesen zustehenden öffentlichrechtlichen Aufgabe übertragen wurde, (2) dass ihr hierbei hoheitliche Befugnisse zukommen, (3) dass die Geschäfts- und Rechnungsführung für ihre öffentlichen Aufgaben unter staatlicher Aufsicht steht, mithin dass die Organisation genügend in das Gemeinwesen eingebunden ist und (4) dass ihre öffentlichrechtliche Tätigkeit durch den Staat abgegolten wird. Diese Kriterien vermag der Beschwerdeführer nicht zu erfüllen. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die VOL zwar die Aufsicht über die Tätigkeit des Beschwerdeführers ausübt, namentlich was die Einhaltung von Grundrechten, der allgemeinen Rechtsregeln sowie des Datenschutzes betrifft, und sie kann dem Beschwerdeführer diesbezüglich Weisungen erteilen. In inhaltlicher Hinsicht ist der Beschwerdeführer aber in der Ausübung seiner Parteirechte frei. Somit liegt keine hinreichende Einbindung des Beschwerdeführers in das Gemeinwesen vor bzw. ist nicht von einer genügenden staatlichen Aufsicht auszugehen. Ferner ist der Beschwerdeführer nicht befugt, hoheitlich zu verfügen und seine Tätigkeit wird auch nicht vom Kanton Bern abgegolten. Indem dieser dem Beschwerdeführer kantonalrechtlich Parteirechte nach Art. 104 Abs. 2 StPO einräumt, obwohl der Beschwerdeführer nicht vom Behördenbegriff im Sinne von Art. 104 Abs. 2 erfasst ist, verletzt der Kanton Bern Bundesrecht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verstösst eine derartige Auslegung nicht gegen die kantonale Organisationsautonomie. Zwar wahrt der Bund die Eigenständigkeit der Kantone und belässt ihnen ausreichend eigene Aufgaben und beachtet ihre Organisationsautonomie (vgl. Art. 47 BV). Er belässt den Kantonen gemäss Art. 46 Abs. 3 BV möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung. Allerdings dürfen die Kantone keine Vorschriften aufstellen, die dem Recht des Bundes widersprechen. Gemäss Art. 123 Abs. 1 und 2 BV ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts Sache des Bundes. Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Unter Beachtung dieser Schranken sind die Kantone in der Ausgestaltung ihres Prozessrechts frei. Dagegen sind sie vom Erlass von Vorschriften ausgeschlossen, welche die Verwirklichung des Bundesrechts verunmöglichen oder seinem Sinn und Geist widersprechen. Wenn sie dies dennoch tun, verstossen sie gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts.
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Soweit der Beschwerdeführer schliesslich einwendet, es bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, eine spezialisierte Stelle zu schaffen, welche die Interessen des Tierschutzes unabhängig von der Staatsanwaltschaft in tierschutzrechtlichen Verfahren wahrnehme, ist darauf hinzuweisen, dass der Kanton Bern dieses wichtige Anliegen auch im Lichte der derogatorischen Kraft des Bundesrechts erfüllen kann, ohne dabei zwingend den Beschwerdeführer damit beauftragen zu müssen (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1113 f. Ziff. 1.5.4.3). Den Kantonen verbleibt ein Gestaltungsspielraum, der es ihnen ermöglicht, den kantonalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
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