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30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Dachverband Berner Tierschutzorganisationen gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und X. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_982/2017 vom 14. Juni 2018 | |
Regeste |
Art. 104 Abs. 2 StPO; weitere Behörde, der Parteirechte eingeräumt werden können. | |
Sachverhalt | |
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Die Einstellungsverfügung wurde dem Dachverband Berner Tierschutzorganisationen am 23. Dezember 2016 nachträglich mitgeteilt. Dieser erhob Beschwerde, mit dem Antrag, die Einstellungsverfügung sei aufzuheben und es sei ein Strafverfahren gegen X. wegen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz, begangen durch dauernde Weidehaltung von Rindvieh ohne geeigneten Witterungsschutz, durchzuführen.
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B. Das Obergericht des Kantons Bern trat mit Beschluss vom 7. Juli 2017 auf die Beschwerde des Dachverbands Berner Tierschutzorganisationen gegen die Einstellungsverfügung vom 12. Juli 2016 nicht ein.
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C. Der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen führt Beschwerde in Strafsachen. Er stellt den Antrag, Dispositiv-Ziffer 1 (Nichteintreten) des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht verlangt der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen, es sei auf die ![]() | 4 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Die Vorinstanz erwägt, es stelle sich die Frage, ob der Beschwerdeführer zur Ergreifung der Beschwerde legitimiert sei. Gemäss Art. 104 Abs. 2 StPO könnten Bund und Kantone weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen. Der Kanton Bern habe von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und in Art. 13 Abs. 3 des Kantonalen Landwirtschaftsgesetzes vom 16. Juni 1997 (KLwG/BE; BSG 910.1) bestimmt, dass der Regierungsrat eine Organisation oder Person bezeichne, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte als Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO volle Parteirechte zukomme. Gemäss Art. 4a Abs. 1 der Verordnung des Kantons Bern vom ![]() | 6 |
Die Vorinstanz führt weiter aus, es sei fraglich, ob die Regelung des Kantons Bern, wonach dem Beschwerdeführer als privatrechtlichem Verein im Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte volle Parteirechte eingeräumt werden, bundesrechtskonform sei. Aus dem Wortlaut von Art. 104 Abs. 2 StPO ergebe sich, dass nur Behörden Parteirechte gewährt werden können. Es sei davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber nicht ausdrücklich von Behörde, sondern beispielsweise von Organisation, Person oder Stelle gesprochen hätte, wenn er den Kantonen die Möglichkeit hätte offenlassen wollen, auch privaten Vereinigungen Parteistellung einzuräumen. Diese Annahme werde durch die Gesetzesmaterialien untermauert. Auch daraus ergebe sich, dass die Kantone nach dem Willen des Bundesgesetzgebers nur Behörden im engeren Sinn und nicht auch privaten Organisationen volle oder beschränkte Parteistellung einräumen können. Ebenso werde in der Literatur zu Art. 104 Abs. 2 StPO durchwegs von Behörden gesprochen und es werde gegenüber privaten Verbänden abgegrenzt, die keine Parteistellung hätten. Zusammengefasst ergebe sich somit aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts und der Materialien, dass nach dem Willen des Gesetzgebers privaten Organisationen im Strafprozess keine Parteirechte übertragen werden können. Der echte Vorbehalt von Art. 104 Abs. 2 StPO sei eingeschränkt zu verstehen. Der Bundesgesetzgeber habe mit Art. 104 Abs. 2 StPO abschliessend die Frage geregelt, wem nebst den Parteien gemäss Art. 104 Abs. 1 StPO Parteirechte eingeräumt werden können. In Anwendung von Art. 123 BV sei der Kanton Bern daher nicht befugt, die Parteirechte weitergehend resp. entgegen Art. 104 Abs. 2 StPO zu regeln. Da Privaten gemäss dem Willen des Bundesgesetzgebers keine Parteirechte eingeräumt werden könnten, dürften ![]() | 7 |
Die Vorinstanz hält sodann fest, Art. 13 Abs. 3 KLwG/BE i.V.m. Art. 4a und Art. 4b THV/BE liefen somit Art. 104 Abs. 2 StPO zuwider und würden keine gesetzliche Grundlage für die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers darstellen. Dieser sei durch die Tierschutzdelikte nicht unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Er könne deshalb auch nicht als Privatkläger Beschwerde erheben.
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1 Gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Die Einstellung des Verfahrens ![]() | 9 |
Art. 13 Abs. 3 KLwG/BE sieht vor, dass der Regierungsrat eine Organisation oder Person bezeichnet, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte als Behörde im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO volle Parteirechte zukommen. Gemäss Art. 4a Abs. 1 THV/BE wird der Dachverband Berner Tierschutzorganisationen (DBT) als kantonale Behörde bezeichnet, der in Strafverfahren betreffend Tierschutzdelikte Parteirechte zukommen. Der DBT steht in diesem Bereich unter der Aufsicht der Volkswirtschaftsdirektion und erstattet dieser jährlich Bericht über seine Tätigkeit (Art. 4a Abs. 2 THV/BE). Nach Art. 4a Abs. 3 THV/BE regelt eine Vereinbarung zwischen dem DBT und der VOL Einzelheiten der Aufgabenerfüllung und der Aufsicht. Gemäss Art. 4b Abs. 1 THV/BE hat der DBT im Rahmen von tierschutzrechtlichen Strafverfahren sämtliche Rechte einer Partei gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung. Ausgeschlossen ist die Anfechtung eines Entscheids hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion.
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Die Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und der VOL vom 21./27. Dezember 2010 gemäss Art. 4a Abs. 3 THV/BE bestimmt unter anderem, dass der Beschwerdeführer - soweit er als Behörde tätig ist - dem Gesetzmässigkeitsprinzip unterworfen ist (Art. 2a), die Grundrechte zu wahren hat (Art. 2b), dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers vom Kanton nicht abgegolten wird (Art. 2d), die Organe des Beschwerdeführers dem Amtsgeheimnis unterstellt sind (Art. 4a), der Beschwerdeführer dem Datenschutzgesetz untersteht (Art. 5a) und zur Aktenführung und -aufbewahrung verpflichtet ist (Art. 6). Gemäss Art. 7 übt die VOL die Aufsicht über die behördliche Tätigkeit des Beschwerdeführers aus. Dies betrifft namentlich die Einhaltung von Grundrechten, der allgemeinen Rechtsregeln und des Datenschutzes. Sie kann dem Beschwerdeführer diesbezüglich Weisungen erteilen. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer in inhaltlicher Hinsicht in der Ausübung seiner Parteirechte frei. Aufsichtsanzeigen betreffend die behördliche Tätigkeit des Beschwerdeführers werden durch die VOL behandelt. Art. 8 regelt die Berichterstattung: ![]() | 11 |
2.3.2 Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1 BV schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (BGE 138 I 468 E. 2.3.1, BGE 138 I 356 E. 5.4.2; BGE 137 I 31 E. 4.1; je mit Hinweisen). Um zu entscheiden, ob ein Konflikt zwischen einer bundesrechtlichen Bestimmung und einer kantonalen Norm vorliegt, sind diese Regeln vorerst auszulegen (BGE 138 I 356 E. 5.4.2 S. 361 mit Hinweis).
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Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen ![]() | 13 |
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In der Botschaft vom 14. Mai 2008 zur Volksinitiative "Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (Tierschutzanwalt-Initiative)" führt der Bundesrat aus, gemäss der neuen StPO hätten die Kantone die Möglichkeit, eine öffentliche Tieranwältin oder einen öffentlichen Tieranwalt einzusetzen, falls sie dies wünschten. Für die Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz könnten sie entweder spezialisierte Staatsanwaltschaften einsetzen oder einer Behörde, z.B. dem kantonalen Veterinäramt, Parteistellung gewähren. Die öffentliche Tieranwältin oder der öffentliche Tieranwalt müsse in einer Behörde eingebunden sein. Im Geltungsbereich der StPO hätten die Kantone keine Möglichkeit, "private" Tieranwältinnen oder Tieranwälte vorzusehen. Da die private Tieranwältin oder der private Tieranwalt keiner Behörde angegliedert sei, unabhängig handle und an keine Weisungen gebunden sei, übe sie oder er nicht die Tätigkeit einer "spezialisierten" Staatsanwaltschaft aus, die in Strafsachen alle belastenden und entlastenden Umstände ermittle. Würden somit private Tieranwältinnen und -anwälte mit der Vertretung der öffentlichen Interessen (Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz) beauftragt, würde ein Fremdkörper in die Strafprozessordnung aufgenommen (BBl 2008 4313 ff., insbesondere 4319 f. Ziff. 2.2 und 4324 ff. Ziff. 3.3.2 und 4).
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Den Materialien lässt sich somit entnehmen, dass in der eidgenössischen StPO explizit auf die Einrichtung einer Tieranwältin und eines Tieranwalts sowie auf die Einführung des Instruments des Verbandsbeschwerderechts verzichtet wurde. Sodann ist der Zweck von Art. 104 Abs. 2 StPO, die in einzelnen Kantonen geltenden Regelungen, wonach bestimmte Behörden bei Delikten in den jeweiligen Bereichen Rechtsmittel einlegen können, weiterzuführen. Gemäss den präzisierenden Ausführungen des Bundesrats zur Tierschutzanwalt-Initiative ist es den Kantonen im Geltungsbereich der StPO verwehrt, jemanden einzusetzen, der keiner Behörde angegliedert ist, ![]() | 18 |
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Da der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang mit dem Sportförderungsgesetz einer privatrechtlichen Stiftung Parteirechte nach Art. 104 Abs. 2 StPO einräumt, spricht die systematische Auslegung grundsätzlich ![]() | 20 |
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CHARLOTTE SCHODER befasst sich mit dem vorliegenden Fall und kommt nach eingehender Würdigung zum Schluss, die grammatikalische Auslegung von Art. 104 Abs. 2 StPO spreche für einen weiten Behördenbegriff im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts. Die Gesetzesmaterialien seien nicht eindeutig, jedoch stehe die Bewahrung der Organisationsautonomie der Kantone klar im Vordergrund. Dies spreche ebenfalls für eine weite Auslegung des Behördenbegriffs. Zudem lege der Bundesgesetzgeber selbst diesen Begriff ![]() | 22 |
2.5 Nach dem Gesagten ist insbesondere in Anbetracht des klaren gesetzgeberischen Willens sowie dem Sinn und Zweck der Norm (E. 2.4.2) der Begriff der Behörde nach Art. 104 Abs. 2 StPO grundsätzlich in einem eingeschränkten Sinn zu verstehen. Im Lichte der systematischen Auslegung kann dabei allerdings nicht massgebend sein, ob die Organisation öffentlichrechtlich oder privatrechtlich organisiert ist. Entscheidend ist vielmehr, (1) dass ihr die Erfüllung einer dem Gemeinwesen zustehenden öffentlichrechtlichen Aufgabe übertragen wurde, (2) dass ihr hierbei hoheitliche Befugnisse zukommen, (3) dass die Geschäfts- und Rechnungsführung für ihre öffentlichen Aufgaben unter staatlicher Aufsicht steht, mithin dass die Organisation genügend in das Gemeinwesen eingebunden ist und (4) dass ihre öffentlichrechtliche Tätigkeit durch den Staat abgegolten wird. Diese Kriterien vermag der Beschwerdeführer nicht zu erfüllen. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die VOL zwar die Aufsicht über die Tätigkeit des Beschwerdeführers ausübt, namentlich was die Einhaltung von Grundrechten, der allgemeinen Rechtsregeln sowie des Datenschutzes betrifft, und sie kann dem Beschwerdeführer diesbezüglich Weisungen erteilen. In inhaltlicher Hinsicht ist der Beschwerdeführer aber in der Ausübung seiner Parteirechte frei. Somit liegt keine hinreichende Einbindung des Beschwerdeführers in das Gemeinwesen vor bzw. ist nicht von einer genügenden staatlichen Aufsicht auszugehen. Ferner ist der Beschwerdeführer nicht befugt, hoheitlich zu verfügen und seine Tätigkeit wird auch nicht vom Kanton Bern abgegolten. Indem dieser dem Beschwerdeführer kantonalrechtlich Parteirechte nach Art. 104 Abs. 2 StPO einräumt, obwohl der Beschwerdeführer nicht vom Behördenbegriff im Sinne von Art. 104 Abs. 2 erfasst ist, verletzt der Kanton Bern Bundesrecht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ![]() | 23 |
Soweit der Beschwerdeführer schliesslich einwendet, es bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, eine spezialisierte Stelle zu schaffen, welche die Interessen des Tierschutzes unabhängig von der Staatsanwaltschaft in tierschutzrechtlichen Verfahren wahrnehme, ist darauf hinzuweisen, dass der Kanton Bern dieses wichtige Anliegen auch im Lichte der derogatorischen Kraft des Bundesrechts erfüllen kann, ohne dabei zwingend den Beschwerdeführer damit beauftragen zu müssen (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1113 f. Ziff. 1.5.4.3). Den Kantonen verbleibt ein Gestaltungsspielraum, der es ihnen ermöglicht, den kantonalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
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