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31. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1381/2017 vom 25. Juni 2018 | |
Regeste |
Art. 277 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1, Art. 278 StPO; Zufallsfund, absolute Unverwertbarkeit bei nicht genehmigter Überwachung. |
Dass vorliegend das Zwangsmassnahmengericht zu einem früheren Zeitpunkt die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs des Beschwerdeführers wegen derselben Straftatbestände genehmigte, ändert nichts am Ergebnis. Massgebend sind nicht die Straftatbestände, sondern die konkreten Straftaten (E. 1.4.2). |
Nicht zur Verwertung genehmigte Zufallsfunde sind absolut unverwertbar im Sinne von Art. 277 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO (E. 1.4.3). | |
Sachverhalt | |
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B. Gegen diesen Entscheid erhob X. Berufung und beantragte einen Freispruch von einigen Vorwürfen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG. In teilweiser Gutheissung der Berufung bestrafte ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 9. Oktober 2017 wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 367 Tagen. In einem Anklagepunkt sprach es ihn vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das BetmG frei.
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Das Obergericht hält bezüglich der vorliegend noch relevanten Anklagepunkte zusammengefasst für erwiesen, X. habe in der Zeit vom 20. Januar bis 11. März 2015 von A. mehrfach Kokain zwecks gewinnbringenden Weiterverkaufs erworben.
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei teilweise aufzuheben und er sei vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG teilweise freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Oktober 2017 hebt es auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.2 Die Vorinstanz erwägt, ab der ersten gegen den Beschwerdeführer ergangenen Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. Dezember 2012 seien seine Telefonnummern überwacht worden. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit einer weiteren Genehmigungsverfügung des Zwangsmassnahmengerichts gegen A. vom 8. Januar 2015 beträfen den gleichen Sachverhaltskomplex. Darüber hinaus seien den Beschwerdeführer belastende Zufallsfunde ohne Befristung bewilligt worden und damit verwertbar. Entsprechend sei es nicht erforderlich, im gleichen Rahmen später erneut eine Zufallsfundgenehmigung einzuholen. Dass die Überwachung seiner Telefonanschlüsse am 12. Juli 2013 beendet worden sei, ändere an dieser ![]() | 8 |
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Laut Art. 278 Abs. 2 StPO können Erkenntnisse über Straftaten einer Person, die in der Überwachungsanordnung keiner strafbaren Handlung beschuldigt wird, verwendet werden, wenn die Voraussetzungen für eine Überwachung dieser Person erfüllt sind. Die Staatsanwaltschaft ordnet u.a. in solchen Fällen personeller Zufallsfunde unverzüglich die Überwachung an und leitet das Genehmigungsverfahren ein (vgl. Art. 278 Abs. 3 StPO). Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet nach Art. 274 Abs. 2 StPO mit kurzer Begründung innert fünf Tagen. Diese Regelung für die Verwendung personeller Zufallsfunde beruht auf dem Grundsatz, dass nur jene Erkenntnisse aus einer Überwachung verwendet werden dürfen, welche auch dann hätten gewonnen werden können, wenn der Verdacht gegen eine andere Person schon zum Zeitpunkt der Überwachungsanordnung bestanden hätte (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1251 Ziff. 2.5.8.1).
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Wird der Post- und Fernmeldeverkehr überwacht, ist nicht nur das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre der Zielperson der Überwachungsanordnung tangiert, sondern zwangsläufig stets auch jenes ihrer Kommunikationspartner. Eine Genehmigung der Überwachung der Zielperson umfasst aber deswegen nicht gleichzeitig die Überwachung des Kommunikationspartners. Für die Frage, ob ein Zufallsfund vorliegt, ist nach dem klaren Wortlaut von Art. 278 ![]() | 11 |
Das Bundesgericht hat denn auch bereits in einem früheren Entscheid zu Art. 278 Abs. 2 StPO eine erneute Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts zur Verwendung der Erkenntnisse als notwendig erachtet, wenn sich anlässlich einer bereits genehmigten Überwachung eines Telefonanschlusses herausstellt, dass sich nebst der beschuldigten Person auch deren nicht in der Überwachungsanordnung aufgeführte Freundin aktiv an einem Betäubungsmittelhandel beteiligt. Dies gilt unabhängig davon, ob die beiden Personen demselben Drogenhändlerring angehören (Urteil 1B_211/2012 vom 2. Mai 2012 E. 2.2).
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Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Die Auffassung des Beschwerdeführers, es ergebe sich aus der gegen ihn von der Staatsanwaltschaft per 12. Juli 2013 aufgehobenen Überwachung, die Voraussetzungen einer solchen hätten nach diesem Datum nicht mehr vorgelegen, ist nicht nachvollziehbar. Dass die Staatsanwaltschaft mangels erfüllter Überwachungsvoraussetzungen den Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs nach Art. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober ![]() | 13 |
1.4.2 Die Rüge des Beschwerdeführers, es liege für die Verwertbarkeit der aus den Überwachungen nach dem 12. Juli 2013 resultierenden Erkenntnisse und damit implizit auch der Tatvorwürfe für den Zeitraum 20. Januar bis 11. März 2015 keine Genehmigung vor, ist indessen begründet. Die Vorinstanz stützt sich bei der Erstellung der einzelnen dem Beschwerdeführer in diesem Zeitraum vorgeworfenen Betäubungsmitteldelikte auf die Erkenntnisse der gegen A. im Rahmen der Aktionen "OPET" und "OPET 3" angeordneten Überwachungsmassnahmen. Aufschlussreich waren in erster Linie offenbar die aus dieser Überwachung gewonnenen Inhalte von Telefongesprächen und Textnachrichten zwischen A. und dem ![]() | 14 |
Auch in der ursprünglichen Überwachungsanordnung gegen A. vom 17. April 2014 betreffend qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Aktion "OPET") wird der Beschwerdeführer nicht beschuldigt. Dass dies in den weiteren Anordnungen bis zur genannten Verlängerung durch das Zwangsmassnahmengericht am 8. Januar 2015 der Fall war, lässt sich dem angefochtenen Entscheid und soweit ersichtlich auch den Akten nicht entnehmen. Folglich handelt es sich um Zufallsfunde nach Art. 278 Abs. 2 StPO, soweit aus den genannten Überwachungsmassnahmen Erkenntnisse über Straftaten des in der Überwachungsanordnung nicht beschuldigten Beschwerdeführers erlangt wurden. Für die Verwertung der Erkenntnisse über die Straftaten des Beschwerdeführers war deshalb eine Genehmigung erforderlich.
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Daran ändert entgegen dem Standpunkt der Vorinstanz ebenso wenig, dass das Zwangsmassnahmengericht bereits mit Verfügung vom 7. Dezember 2012 betreffend Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Aktion "FIDES" [z]) die Verwendung der aus derÜberwachung gegen die "neu beschuldigte unbekannte Person", genannt "C.", welche sich später als der Beschwerdeführer herausstellte, belastenden Erkenntnissen genehmigte. Das Zwangsmassnahmengericht genehmigte zwar die Verlängerung dieser Überwachungsmassnahme. Die Staatsanwaltschaft hob jedoch am 12. Juli 2013 die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Überwachung von zwei Mobiltelefonnummern wieder auf. Art. 278 Abs. 2 StPO stellt auf ![]() | 16 |
Im Zusammenhang mit der Genehmigungsverfügung vom 7. Dezember 2012 betreffend Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz bestand ferner ein Verdacht auf einen "Handel mit grossen Mengen von Betäubungsmitteln". Ein Hinweis auf gewerbsmässige Tätigkeit ist der Genehmigungsverfügung, dem entsprechenden Überwachungsantrag sowie dem Verwertungsgesuch der Staatsanwaltschaft hingegen nicht zu entnehmen. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den späteren und beschwerdegegenständlichen Delikten desgleichen keine gewerbsmässige Tätigkeit, sondern den Kauf einer Bruttomenge von mindestens 95 Gramm Kokain vor. Dieser Vorwurf fällt unter Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG (SR 812.121; Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen). Anders als etwa bei einer gewerbsmässigen Tätigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. c BetmG drängt sich bei diesem Vorwurf kein Kollektivdelikt auf, dessen nicht bekannte Einzeltaten im Gesamtdelikt aufgingen und das Vorliegen eines Zufallsfunds ausschliessen würden (vgl. dazu Urteil 6B_795/2014 vom 6. Januar 2015 E. 2.5 mit Hinweisen). Mithin wurde die Verwertung der Erkenntnisse der Taten des Beschwerdeführers im Zeitraum 19. Januar bis 11. März 2015 trotz entsprechender Notwendigkeit nicht genehmigt.
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1.4.3 Ob es sich bei Art. 278 Abs. 3 StPO um eine Gültigkeitsvorschrift handelt und ob Zufallsfunde ohne Genehmigung absolut unverwertbar sind, hat das Bundesgericht zuletzt offengelassen (Urteil 6B_795/2014 vom 6. Januar 2015 E. 2.6). aArt. 9 Abs. 3 BÜPF sah noch ein ausdrückliches Verwertungsverbot für rechtswidrig erlangte Zufallsfunde vor. Im Zuge der Überführung in die Strafprozessordnung veränderte der Gesetzgeber indessen diese Bestimmung. Art. 278 Abs. 4 StPO sieht lediglich noch vor, dass ![]() | 18 |
Nichts anderes ergibt sich bei Betrachtung der gesetzgeberischen Überführung der strafprozessualen Bestimmungen des BÜPF in die Schweizerische Strafprozessordnung. Die Botschaft schlug Änderungen nur dort vor, wo sie zur Integrierung notwendig waren, namentlich bei der Bezeichnung der Behörden und der Verfahrensabschnitte. Sodann wurde der Harmonisierung mit der Regelung anderer Zwangsmassnahmen, insbesondere der verdeckten Ermittlung, Beachtung geschenkt. Schliesslich sollten Unklarheiten und von der Lehre kritisierte Unzulänglichkeiten behoben werden, soweit sich diese Kritik als berechtigt erwies. Die Regelung für die Verwendung von Zufallsfunden wurde im Vergleich zu jener in aArt. 9 BÜPF zwar dennoch verändert, dies aber ausschliesslich im Sinne einer Verschärfung. Auf die betreffenden strengeren materiellen Voraussetzungen der Verwendung eines Zufallsfunds bei einer neu entdeckten Straftat gegen die Zielperson der Überwachung weist die ![]() | 19 |
1.5 Demzufolge ist die Beschwerde begründet. Die Vorinstanz, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird unter Ausserachtlassung der rechtswidrig erlangten Beweise zu beurteilen haben, ob auch die dem Beschwerdeführer im Zeitraum vom 20. Januar bis 11. März 2015 vorgeworfenen Straftaten rechtsgenüglich erstellt werden können.
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