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42. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1346/2017 vom 20. September 2018 | |
Regeste |
Art. 11 Abs. 1, Art. 319 Abs. 1, Art. 320 Abs. 4 StPO; Teileinstellung des Verfahrens; Grundsatz "ne bis in idem". | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a A. reichte am 10. November 2014 gegen X. Strafantrag wegen Nötigung sowie Drohung ein, konstituierte sich als Privatkläger und machte Zivilansprüche geltend.
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A.b Die Staatsanwaltschaft 3 des Kantons Luzern erklärte X. mit Strafbefehl vom 24. Februar 2015 der Nötigung für schuldig, bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 80.- sowie einer Busse von Fr. 800.-, auferlegte ihm die Verfahrenskosten sowie eine Entschädigung für A. und verwies diesen mit seiner Zivilforderung auf den Zivilweg. Dabei ging die Staatsanwaltschaft zusammengefasst davon aus, X. habe sich am 20. August 2014, zwischen 08.00 und 09.00 Uhr, in das Büro der B. AG in C. begeben und der am Empfang anwesenden D. gesagt, er werde Herrn E. und die Geschäftsleitung erschiessen, wenn er nicht bis spätestens um 17.00 Uhr von Herrn A. oder jemandem von der Geschäftsleitung zurückgerufen werde. Dadurch habe er D. in Angst und Schrecken versetzt. Diese habe A. und einen weiteren Mitarbeiter über die Drohung informiert. A. und einer seiner Mitarbeiter hätten X. gleichentags zurückgerufen. Dieser habe mit seinem Verhalten D. dazu genötigt, unverzüglich jemanden von der Geschäftsleitung zu einem Anruf an ihn zu bewegen. Ebenfalls habe er A. dazu bewegt, ihn gleichentags zurückzurufen.
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A.c Im gleichen Strafbefehl stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Drohung ohne separate Kostenfolge in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO ein, da A. durch die Drohung von X. gemäss eigenen Angaben nicht in Angst oder Schrecken versetzt worden sei. Sie wies darauf hin, dass A. gegen die Teileinstellung betreffend Drohung innert 10 Tagen Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz erheben könne.
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A.d Auf Einsprache von X. hin erliess die Staatsanwaltschaft am 17. Juli 2015 einen neuen Strafbefehl mit geringfügig angepasstem Anklagesachverhalt, aber gleichem Schuldspruch und gleicher Bestrafung. Sie hielt fest, dass dieser Strafbefehl jenen vom 24. Februar 2015 ersetze, mit Ausnahme der teilweisen Verfahrenseinstellung. Diese Teileinstellung blieb unangefochten.
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A.e Am 28. Juli 2015 erhob X. erneut Einsprache, woraufhin die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl festhielt und die Akten dem Bezirksgericht zur Beurteilung überwies.
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Das Kantonsgericht Luzern stellte am 13. Juni 2017 die Rechtskraft des Freispruchs fest und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Hauptpunkt, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei von den Vorwürfen der Nötigung und der versuchten Nötigung freizusprechen. Er ersucht darum, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zu gewähren.
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D. Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde und verzichtet unter Verweis auf das angefochtene Urteil auf eine Vernehmlassung. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt in ihrer Stellungnahme zur Beschwerde, dieser sei die aufschiebende Wirkung nicht zu gewähren, und sie sei abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das Urteil des Kantonsgerichts Luzern auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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1.2 Die Vorinstanz gelangt gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts 6B_1056/2015 vom 4. Dezember 2015 zum Schluss, die ![]() | 13 |
Erwägung 1.3 | |
1.3.1 Die Staatsanwaltschaft verfügt die Einstellung des Verfahrens (Art. 319 Abs. 1 StPO), wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Mit der Einstellung schliesst die Staatsanwaltschaft das Verfahren ab. Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO). Einer erneuten strafrechtlichen Verfolgung wegen der gleichen Tat stehen die materielle Rechtskraft der Einstellung und der Grundsatz "ne bis in idem" entgegen (BGE 143 IV 104 E. 4.2 S. 110; Urteile 6B_654/2017 vom 27. Februar 2018 E. 2.3; 6B_653/2013 vom 20. März 2014 E. 3.1 mit Hinweisen). Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren vollständig oder teilweise einstellen (vgl. Art. 319 Abs. 1 StPO). Von einer teilweisen Einstellung spricht man, wenn einzelne Komplexe eines Verfahrens zu einer Anklageerhebung führen oder durch einen Strafbefehl beurteilt, andere Komplexe des Verfahrens hingegen mit einer Einstellung abgeschlossen werden. Eine solche Teileinstellung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn mehrere Lebensvorgänge oder Taten im prozessualen Sinn zu beurteilen sind, die einer separaten Erledigung zugänglich sind. Soweit es sich hingegen lediglich um eine andere rechtliche Würdigung ein und desselben Lebensvorgangs handelt, scheidet eine teilweise ![]() | 14 |
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Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Der vorliegend zur Anzeige gebrachte Lebenssachverhalt besteht zusammengefasst in einem am 20. August 2014 zwischen 08.00 und 09.00 Uhr zwischen dem Beschwerdeführer und D. beim Empfang der B. AG geführten Gespräch. Obwohl im Strafbefehl der der Teileinstellung wegen Drohung zugrunde liegende Sachverhalt nicht ![]() | 16 |
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1.4.3 Zwar blieb kein Raum für eine Teileinstellung, dennoch ist sie nicht einfach unbeachtlich oder inexistent. Wie in der Lehre zutreffend argumentiert wird, kennt das Strafprozessrecht in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation einzig die Anfechtbarkeit und die Nichtigkeit der Teileinstellungsverfügung (vgl. JÜRG-BEAT ACKERMANN, Unzulässige Teileinstellung bei gleichem Lebenssachverhalt - von unzulässiger Eröffnung, Teileinstellung und Nichtigkeit, forumpoenale 1/2017 S. 48). Fehlerhafte amtliche Verfahrenshandlungen ![]() | 18 |
Es wird vorliegend nicht in Frage gestellt, dass der unterzeichnende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft 3 des Kantons Luzern sachlich, örtlich und funktionell für den Erlass der Teileinstellungsverfügung zuständig war. Auch wurde der Strafbefehl beziehungsweise die darin enthaltene Teileinstellung vom stellvertretenden Oberstaatsanwalt visiert. Dabei wurde "lediglich" nicht berücksichtigt, dass kein Raum für eine Teileinstellung des Verfahrens besteht, da es sich nur um eine andere rechtliche Würdigung ein und desselben Lebensvorgangs handelt. Die Staatsanwaltschaft hat das Recht falsch angewandt. Obwohl die Einstellung in den Strafbefehl integriert war, kann nicht von einem offensichtlichen oder leicht erkennbaren Mangel gesprochen werden. Kommt hinzu, dass im Bereich des Strafrechts die Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung ist. Nach der Rechtsprechung kann es deshalb nicht angehen, allenfalls noch nach Jahren ein unangefochten gebliebenes und in formelle Rechtskraft erwachsenes Strafurteil nichtig zu erklären (Urteile 6B_968/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 1.4; 6B_744/2008 vom 23. Januar 2009 E. 1.3). Gleiches hat für freisprechende Urteile und Einstellungen zu gelten, die gemäss Art. 320 Abs. 4 StPO einem freisprechenden Endentscheid gleichkommen (vgl. ACKERMANN, a.a.O., S. 48). Nimmt man Nichtigkeit einer in Rechtskraft erwachsenen Einstellungsverfügung an und lässt eine (erneute) strafrechtliche Beurteilung desselben Lebenssachverhalts zu, wird dadurch die Beständigkeit eines rechtskräftigen verfahrenserledigenden Entscheids unterlaufen und ![]() | 19 |
Unbehelflich ist auch der von der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin angeführte Umstand, dass dem Beschwerdeführer aufgrund des Schuldspruchs wegen Nötigung und der Einstellung wegen Drohung im gleichen Strafbefehl klar sein musste, dass das Verfahren betreffend der ihm vorgeworfenen Äusserungen nicht eingestellt, sondern weitergeführt wurde. Das mag zwar grundsätzlich zutreffen, ändert jedoch nichts daran, dass im gleichen Dokument - fälschlicherweise - zwei prozessuale Erkenntnisse über den gleichen Sachverhalt ergingen, wovon nur eines - die Verfahrenseinstellung - in Rechtskraft erwuchs. Da keine Nichtigkeit vorliegt und die Einstellung nicht angefochten wurde, wurde damit der staatliche Strafanspruch durch einen Fehler der Staatsanwaltschaft getilgt; dass der Fehler für den Beschwerdeführer allenfalls erkennbar war, ändert nichts daran, dass die mit der materiellen Rechtskraft einer Einstellungsverfügung verbundene Sperrwirkung die Tat unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt erfasst (vgl. ACKERMANN, a.a.O., S. 50).
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1.4.4 Nach dem Gesagten wurde der Lebenssachverhalt, der Gegenstand des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens bildete, rechtskräftig eingestellt. Die Sperrwirkung der rechtskräftigen (Teil-)Einstellung steht einer Verurteilung wegen (versuchter) Nötigung entgegen. Es liegt daher ein Verfahrenshindernis im Sinne von Art. 329 Abs. 1 lit. c und Art. 339 Abs. 2 lit. c StPO vor, weshalb die Vorinstanz das Strafverfahren wegen (versuchter) Nötigung in Anwendung von Art. 379 i.V.m. Art. 329 Abs. 4 StPO hätte einstellen müssen. Die Verurteilung des Beschwerdeführers verstösst gegen den Grundsatz "ne bis in idem".
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