BGE 145 IV 146 | |||
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15. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_932/2018 vom 24. Januar 2019 | |
Regeste |
Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49 StGB; Bildung einer Gesamtstrafe bei Widerruf der bedingten Strafe (Änderung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
A. X. wird vorgeworfen, ungefähr im August/September 2016 in Dietlikon von einem nicht näher bekannten Mann einen Sack mit einer unbestimmten Menge Kokaingemisch übernommen und dieses anschliessend an seinem Logisort in O. aufbewahrt zu haben. Die Betäubungsmittel seien teilweise zum Eigenkonsum, teilweise zur Inverkehrbringung bestimmt gewesen. Es sei indes nicht zur Veräusserung der Betäubungsmittel gekommen, da der Beschuldigte anlässlich einer Intervention der Stadtpolizei Zürich am 17. November 2016 in Zürich verhaftet und die Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.
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B. Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 12. Dezember 2017 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG (SR 812.121), der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. g in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG sowie der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von Art. 19a Ziff. 1 BetmG schuldig. Es bestrafte ihn - unter Anrechnung von 177 Tagen Haft - mit einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie einer Busse von Fr. 500.-. Das Bezirksgericht widerrief sodann eine von ihm selbst am 12. Januar 2016 bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 24 Monaten und verwies X. für 10 Jahre des Landes. Die von X. dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich am 19. Juni 2018 im Wesentlichen ab, wobei es die Dauer der Landesverweisung auf 8 Jahre senkte. Die Freiheitsstrafe von 16 Monaten sprach es als Zusatz zur widerrufenen Strafe aus.
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C. Mit seiner Beschwerde in Strafsachen verlangt X., das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf des Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz freizusprechen. Er sei demgegenüber wegen mehrfacher Übertretung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig zu sprechen und mit einer Busse von maximal Fr. 200.- zu bestrafen. Für die zu Unrecht erlittene Haft sei ihm eine Genugtuung im Betrag von Fr. 44'000.- zuzüglich Zins ab dem 14. Februar 2017 zu entrichten. Ferner ersucht X. um unentgeltliche Prozessführung. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Die Regelung der Nichtbewährung gemäss Art. 46 Abs. 1 StGB hat im Rahmen der jüngsten Revision des Sanktionenrechts eine Änderung erfahren. Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB in der Fassung, wie sie bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft stand (AS 2006 3472; Änderung des StGB [Änderungen des Sanktionenrechts] vom 19. Juni 2015, AS 2016 1249), lautete wie folgt:
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"Es [das Gericht] kann die Art der widerrufenen Strafe ändern, um mit der neuen Strafe in sinngemässer Anwendung von Artikel 49 eine Gesamtstrafe zu bilden."
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Das Bundesgericht gelangte in BGE 134 IV 241 nach einer Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte zur Auffassung, dass Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB im Gesetzgebungsverfahren hätte ersatzlos gestrichen werden müssen (a.a.O. E. 4.1 S. 243 f.). Es bezeichnete die vom Gesetzgeber gewählte Konzeption als wenig sachgerecht und beschränkte die Gesamtstrafenbildung auf Fälle, in welchen die bedingte Vorstrafe und die neue Strafe nicht gleichartig waren und das Gericht die Art der Vorstrafe änderte (a.a.O. E. 4.3 f. S. 245 f.). Später wurde zudem erkannt, dass es der ratio legis der Bestimmung widerspreche, eine (rechtskräftige) Vorstrafe zulasten des Verurteilten zu ändern. Das Verfahren nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sei somit nicht anwendbar, um eine Vorstrafe in eine schwerere Sanktion umzuwandeln (BGE 137 IV 249 E. 3.4.3 S. 254; vgl. zur Strafartänderung im Rahmen der Zusatzstrafenbildung BGE 142 IV 265 E. 2.4.2 S. 269; BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f.; BGE 137 IV 57 E. 4.3.1 S. 58; anders noch: BGE 133 IV 150 E. 5.2.1 S. 156; BGE 132 IV 102 E. 8.2 S. 105 mit Hinweisen). Die Bildung einer Gesamtstrafe war damit nur noch möglich, wenn eine früher bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt und anschliessend eine Gesamtgeldstrafe gebildet wurde. Solche Fälle dürften in der Praxis freilich selten in Betracht gezogen worden sein.
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"Sind die widerrufene und die neue Strafe gleicher Art, so bildet es [das Gericht] in sinngemässer Anwendung von Artikel 49 eine Gesamtstrafe."
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Die Bestimmung ist im Schrifttum nicht ohne Kritik aufgenommen worden (vgl. STEFAN HEIMGARTNER, in: StGB, JStG Kommentar, 20. Aufl. 2018, N. 1a ff. zu Art. 46 StGB; NIGGLI/MAEDER, Der Widerspenstigen Zähmung, oder viel Lärm um nichts? - Zur Revision der Revision des AT StGB, insbesondere Art. 46 Abs. 1 nStGB, in: Festschrift für Andreas Donatsch, 2017, S. 158 ff.). Kernfrage ist vorliegend, ob der neuen Fassung der Bestimmung ein gesetzgeberischer Wille zugrunde liegt, der auf eine materielle Rechtsänderung ausgerichtet ist.
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2.3.2 Zu prüfen ist sodann, ob die Materialien Aufschluss über die Auslegung von Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB geben. Gerade bei jüngeren Gesetzen stellen diese ein wichtiges Erkenntnismittel dar (BGE 142 II 399 E. 3.3 S. 403; BGE 139 III 78 E. 5.4.3 S. 85; BGE 137 V 167 E. 3.2 S. 170; je mit Hinweisen).
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Die neuerliche Änderung des Sanktionenrechts entsprang dem Bedürfnis, das mit der 2007 in Kraft getretenen Revision eingeführte Prinzip der Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe und ihr Ersatz durch alternative Sanktionen durch verschiedene Anpassungen rückgängig zu machen (Botschaft vom 4. April 2012 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Änderungen des Sanktionenrechts], BBl 2012 4721 ff.). Im bundesrätlichen Entwurf - wie schon im Vorentwurf - war aufgrund der Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafe lediglich vorgesehen, Art. 46 Abs. 1 Satz 3 StGB zu streichen. In der Folge schlug allerdings eine Mehrheit der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats die heute gültige Fassung vor. Als Grund für die vorgeschlagene Änderung wurde die bundesgerichtliche Rechtsprechung aufgeführt, die bei gleichartigen Strafen im Widerrufsfall keine Gesamtstrafenbildung zulasse. Mit der neuen Formulierung solle dies bei gleichartigen Strafen möglich sein (Protokoll der Sitzung der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats, Subkommission, vom 30. Mai 2013, S. 2 f.; Protokoll der Sitzung der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats vom 16. August 2013, S. 14). Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB wurde in der Folge in den parlamentarischen Beratungen ohne inhaltliche Diskussion angenommen (AB 2013 N 1607 ff.; AB 2014 S 640). Die Absicht des Gesetzgebers geht damit aus den Materialien mit aller Deutlichkeit hervor. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis der zu Art. 46 Abs. 1 StGB ergangenen und gefestigten Rechtsprechung ausdrücklich für die ursprünglich vorgesehene Konzeption der Gesamtstrafenbildung bei Widerruf ausgesprochen, wobei er sie nunmehr an das Erfordernis der Gleichartigkeit der Strafen knüpfte.
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2.3.3 In systematischer Hinsicht ist in Erinnerung zu rufen, dass Art. 62a und Art. 89 StGB eine ähnliche Regelung enthalten. Danach soll in Anwendung von Art. 49 StGB eine Gesamtstrafe gebildet werden, wenn auf Grund der neuen Straftat die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe erfüllt sind und diese mit einer zu Gunsten der Massnahme aufgeschobenen Freiheitsstrafe (Art. 62a Abs. 2 StGB) bzw. mit der durch den Widerruf vollziehbar gewordenen Reststrafe zusammentrifft (Art. 89 Abs. 6 StGB). Der Gesetzgeber übernahm damit die Gesamtstrafenbildung nach Art. 49 StGB für sämtliche Fälle der Nichtbewährung (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches, BBl 1999 2085 Ziff. 213.432). Durch die Bildung einer Gesamtstrafe aus widerrufener Strafe und der für das Probezeitdelikt ausgesprochenen Strafe würde die systematische Inkongruenz ausgemerzt.
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2.3.5 Als Auslegungsergebnis kann somit festgehalten werden, dass sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie der systematischen Stellung von Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB ergibt, dass das Gericht - die Gleichartigkeit der einzeln ausgesprochenen Strafen und den Widerruf der Vorstrafe vorausgesetzt - mit den früheren Taten und den während der Probezeit begangenen Taten eine Gesamtstrafe bilden muss. An der bisherigen Rechtsprechung kann folglich nicht festgehalten werden.
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2.4.2 Es erscheint nach dem Dargelegten sowie im Lichte einer kohärenten Rechtsprechung zweckmässig, bei der Gesamtstrafenbildung nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB auf die zu Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB entwickelte Methodik zurückzugreifen (BGE 135 IV 146 E. 2.4.1 S. 150; Urteil 6B_297/2009 vom 14. August 2009 E. 3.3). Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Gericht demnach methodisch von derjenigen Strafe als "Einsatzstrafe" auszugehen, die es für die während der Probezeit neu verübte Straftat nach den Strafzumessungsgrundsätzen von Art. 47 ff. StGB ausfällt. Anschliessend ist diese mit Blick auf die zu widerrufende Vorstrafe angemessen zu erhöhen. Daraus ergibt sich die Gesamtstrafe. Bilden die "Einsatzstrafe" für die neu zu beurteilenden Probezeitdelikte und die Vorstrafe ihrerseits Gesamtstrafen, kann das Gericht der bereits im Rahmen der jeweiligen Gesamtstrafenbildung erfolgten Asperation durch eine gemässigte Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung tragen (vgl. insofern auch BGE 142 IV 265 E. 2.4.4 S. 272 zu Art. 49 Abs. 2 StGB).
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2.5 Die Vorinstanz hält die Voraussetzungen für den Widerruf der vom Bezirksgericht Zürich am 12. Januar 2016 bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 24 Monaten angesichts der erneuten Delinquenz und der persönlichen Lebensumstände für erfüllt. Sie stellt zudem fest, dass sich der am 1. Januar 2018 in Kraft getretene Art. 46 Abs. 1 StGB als milderes Recht im Sinne von Art. 2 Abs. 2 StGB erweise. Alsdann bestimmt sie die zu widerrufende Freiheitsstrafe von 24 Monaten als "hypothetische Einsatzstrafe". In einem zweiten Schritt ermittelt sie für die während der Probezeit begangenen Delikte eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten, die sie im Umfang von mindestens 16 Monaten asperiert. Schliesslich zieht die Vorinstanz von der so ermittelten Gesamtstrafe von mindestens 40 Monaten die widerrufene Strafe ab. Sie spricht letztlich keine Gesamtstrafe, sondern eine "Zusatzstrafe" von 16 Monaten für die Probezeitdelikte aus und ordnet gleichzeitig den Widerruf der am 12. Januar 2016 bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 24 Monaten an. Dies entspricht nicht dem dargelegten methodischen Vorgehen. Die Vorinstanz wird die Strafzumessung erneut vornehmen müssen. Dabei wird sie in tatsächlicher Hinsicht auch den Umstand zu berücksichtigen haben, dass sich die Feststellung, wonach mindestens 18 Gramm Kokain für den Weiterverkauf bestimmt gewesen seien, als willkürlich erwiesen hat.
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