BGE 145 IV 190 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
21. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1237/2018 vom 15. Mai 2019 | |
Regeste |
Art. 30 Abs. 1, Art. 33 und 110 Abs. 4 StGB; Art. 10 Abs. 3, Art. 76 ff., 120 und 304 Abs. 1 StPO; Protokollierung des mündlichen Strafantrags; Beweis des gültigen Strafantrags; Desinteresse des Geschädigten am Strafverfahren. |
Ob ein gültiger Strafantrag vorliegt, ist vom Staat zu beweisen (E. 1.5.1). Der Verzicht auf die Stellung als Privatkläger gilt nicht als Rückzug des Strafantrags im Sinne von Art. 33 StGB. Wird der Strafantrag nicht ausdrücklich zurückgezogen, ist das Strafverfahren trotz Desinteresse des Geschädigten fortzusetzen (E. 1.5.2). | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a Das Bezirksgericht Winterthur sprach X. am 7. Dezember 2017 des banden- und gewerbsmässigen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 und 3 Abs. 2 StGB), der mehrfachen Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB), des mehrfachen, teilweise versuchten Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB, teilweise i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), des versuchten Betrugs (Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), der Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB) und des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 42 Monaten und ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an. Es verpflichtete X. zudem, insgesamt neun Privatklägern (Geschädigten und Versicherungen), unter solidarischer Haftung mit allfälligen Mittätern, Schadenersatzzahlungen zu leisten, wobei es vier Privatkläger im Mehrbetrag auf den Zivilweg verwies. Zwei Privatkläger verwies es vollumfänglich auf den Zivilweg. X. erhob gegen dieses Urteil Berufung.
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A.b Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 3. September 2018 das erstinstanzliche Urteil im Schuld- und Strafpunkt, soweit angefochten. Im Zivilpunkt hiess es die Berufung teilweise gut, indem es zwei zusätzliche Privatkläger auf den Zivilweg verwies und die Schadenersatzansprüche zweier weiterer Privatkläger betragsmässig kürzte. Im Übrigen bestätigte es die erstinstanzlich zugesprochenen Schadenersatzforderungen.
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B. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die Schuldsprüche wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung seien aufzuheben und das Verfahren sei insofern mangels gültiger Strafanträge einzustellen. Er wendet sich zudem gegen die Strafzumessung und beantragt, er sei zu einer Freiheitsstrafe von lediglich 14 Monaten zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen:
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1. (...) | |
Erwägung 1.3 | |
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Seit Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 sind Form und Adressat des Strafantrags in Art. 304 Abs. 1 StPO geregelt. Danach ist der Strafantrag bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder der Übertretungsstrafbehörde schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben. Der Gesetzgeber wollte den Geschädigten folglich ermöglichen, ihren Strafantrag wahlweise schriftlich oder mündlich zu stellen.
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Fraglich ist, was im Falle eines mündlichen Strafantrags unter einem Protokoll im Sinne von Art. 304 Abs. 1 StPO zu verstehen ist bzw. ob damit ein Protokoll im Sinne von Art. 76 ff. StPO gemeint ist.
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1.3.3 Die StPO regelt das Strafverfahren (vgl. Art. 1 Abs. 1 StPO), welches mit dem Vorverfahren beginnt. Das Vorverfahren besteht aus dem Ermittlungsverfahren der Polizei und der Untersuchung der Staatsanwaltschaft (Art. 299 Abs. 1 StPO). Das Vorverfahren wird durch die Ermittlungstätigkeit der Polizei oder die Eröffnung einer Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet (Art. 300 Abs. 1 lit. a und b StPO). Bei Straftaten, die nur auf Antrag verfolgt werden, wird ein Vorverfahren gemäss Art. 303 Abs. 1 StPO erst eingeleitet, wenn der Strafantrag gestellt wurde.
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Die Protokollierungsvorschriften von Art. 76 ff. StPO beziehen sich ausdrücklich auf die Protokollierung von Parteiaussagen, von mündlichen Entscheiden der Behörden sowie von anderen, nicht schriftlich durchgeführten Verfahrenshandlungen (vgl. Art. 76 Abs. 1 StPO). Die Bestimmungen betreffen demnach Verfahrens- und Einvernahmeprotokolle, welche zu erstellen sind, wenn zumindest ein Vorverfahren eröffnet wurde. Dies ist im Zeitpunkt des Strafantrags in der Regel gerade nicht der Fall. Die Vorschriften der StPO über die Befragung von Personen gelangen erst zur Anwendung, wenn ein Verdacht auf eine strafbare Handlung besteht. Zuvor darf die Polizei zumindest im Kanton Zürich eine Person ohne die Beachtung besonderer Formvorschriften zu Sachverhalten befragen, wenn dies für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist (§ 24 Abs. 1 und 2 des Polizeigesetzes des Kantons Zürich vom 23. April 2007 [PolG/ZH; LS 550.1]). Naheliegend ist daher, dass es sich beim Protokoll im Sinne von Art. 304 Abs. 1 StPO nicht zwingend um ein Verfahrens- oder Einvernahmeprotokoll gemäss Art. 76 ff. StPO handeln muss, da der Strafantrag vor der Eröffnung eines Vorverfahrens zu erfolgen hat, die Art. 76 ff. StPO jedoch die Protokollierung im Strafverfahren betreffen.
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Die Protokollierungspflicht gemäss Art. 304 Abs. 1 StPO soll sicherstellen, dass auch ein mündlicher Strafantrag schriftlich festgehalten, d.h. dokumentiert ist. Sollen Geschädigte den Strafantrag bei der Polizei - wie in Art. 304 Abs. 1 StPO vorgesehen - wahlweise schriftlich oder mündlich stellen können, ist die Bestimmung dahingehend auszulegen, dass der mündliche Strafantrag auch in einem Polizeirapport protokolliert werden kann. Wenn in Art. 304 Abs. 1 StPO von Protokoll die Rede ist, kann damit folglich auch ein Polizeirapport als Protokoll im weiteren Sinne gemeint sein.
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1.4.1 Gemäss Art. 76 Abs. 2 StPO müssen die protokollführende Person, die Verfahrensleitung und die allenfalls zur Übersetzung beigezogene Person die Richtigkeit des Protokolls bestätigen. Die Bestimmung ist auf Verfahrens- und Einvernahmeprotokolle im Sinne von Art. 76 Abs. 1 StPO zugeschnitten, nicht jedoch auf Polizeirapporte. Art. 76 Abs. 2 StPO verlangt zudem lediglich, dass das Protokoll "als richtig bestätigt" wird.
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Auch Art. 304 Abs. 1 StPO selber statuiert keine Pflicht zur Unterschrift des Protokolls. Eine solche ist von Bundesrechts wegen daher nicht zwingend. Ein Polizeirapport, in welchem vermerkt ist, dass ein Strafantrag gestellt wurde, ist vielmehr auch ohne Unterschrift als Urkunde im Sinne von Art. 110 Abs. 4 StGB zu qualifizieren (siehe zur Urkundenqualität von Polizeirapporten etwa Urteile 6B_685/2010 vom 4. April 2011 E. 3.1; 6S.703/1993 vom 18. März 1994 E. 3; vgl. auch BGE 142 IV 289 E. 3.1 S. 297; BGE 93 IV 49 E. III.2.a S. 55 f.). Entscheidend ist, dass der Verfasser bzw. der Aussteller des Polizeirapports erkennbar ist (ausführlich zum Erfordernis der Erkennbarkeit des Ausstellers: MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 38 ff. zu Art. 110 StGB). Sofern dies nicht gesetzlich vorgesehen ist, muss eine Urkunde nicht zwingend die Unterschrift des Ausstellers enthalten. Es reicht aus, wenn die Person des Ausstellers aus dem Text aufscheint bzw. aus dem Inhalt der Urkunde und den Umständen ihrer Ausgabe oder Verwendung objektiv bestimmbar ist (BOOG, a.a.O., N. 45 zu Art. 110 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Besonderer Teil, Bd. II, 7. Aufl. 2013, § 35 N. 20; DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Delikte gegen die Allgemeinheit, 5. Aufl. 2017, S. 143 f.; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 52 zu Art. 251 StGB).
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Nicht verlangt wird, dass nebst dem rapportierenden Polizeibeamten auch weitere Personen die Richtigkeit des Polizeirapports bzw. Protokolls bestätigen. Nicht erforderlich ist insbesondere, dass die Anzeige erstattende Person das Protokoll unterzeichnet (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 304 StPO; LANDSHUT/BOSSHARD, in: Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 304 StPO; RIEDO/BONER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N. 17 zu Art. 304 StPO).
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Erwägung 1.5 | |
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Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, drei Geschädigte hätten ausdrücklich erklärt, sich nicht als Privatkläger am Strafverfahren beteiligen zu wollen. Dies mag zutreffen. Der Beschwerdeführer vermischt damit jedoch den Strafantrag mit der Privatstrafklage. Bei Ersterem handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung; ohne Strafantrag darf der Staat kein Strafverfahren führen (Art. 303 Abs. 1 StPO; BGE 141 IV 205 E. 6.1 S. 213; BGE 129 IV 305 E. 4.2.3 S. 311; RIEDO, a.a.O., N. 21 ff. vor Art. 30 StGB). Bei Letzterem geht es um die Frage, ob die geschädigte Person nebst der die Anklage vertretenden Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 16 Abs. 2 StPO) als Straf- oder Zivilklägerin im Strafverfahren im Sinne von Art. 118 ff. StPO auftritt. Der Verzicht auf die Stellung als Privatkläger (vgl. Art. 120 StPO) gilt nicht als Rückzug des Strafantrags im Sinne von Art. 33 StGB (BGE 138 IV 248 E. 4.2.1 S. 252). Wird der Strafantrag nicht ausdrücklich zurückgezogen, ist das Strafverfahren trotz Desinteresse des Geschädigten fortzusetzen (MAZZUCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. I, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 118 und N. 3 zu Art. 120 StPO).
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Im vom Beschwerdeführer erwähnten Dossier 16 (Geschädigter B.) blieb es beim versuchten Diebstahl. Dem Geschädigten kamen keine Gegenstände abhanden. Jedoch entstand beim Versuch, in die Liegenschaft einzudringen, ein Sachschaden. Aus dem vom Beschwerdeführer zitierten Schreiben von B. geht nur hervor, dass sich der Geschädigte nicht als Privatkläger am Verfahren beteiligen wollte ("Ich bin der Meinung, dass ich zwar Geschädigter bin, aber auf meine Rechte als Privatkläger verzichtet habe"). B. war folglich damit einverstanden, dass gegen den Beschwerdeführer ein Strafverfahren geführt wird, in welchem er grundsätzlich Rechte als Geschädigter hätte geltend machen können. Er verzichtete lediglich darauf, sich persönlich am Strafverfahren zu beteiligen. Dieser Verzicht auf die Stellung als Privatkläger gilt nicht als Rückzug des Strafantrags.
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Bezüglich des vom Beschwerdeführer erwähnten Dossiers 20 (Geschädigter C.), das ebenfalls einen versuchten Diebstahl betraf, wurde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung bereits erstinstanzlich eingestellt. Darauf braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden.
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1.5.4 Anhaltspunkte, dass in den Polizeirapporten wahrheitswidrig rapportiert wurde, die Geschädigten hätten Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung gestellt, liegen damit nicht vor. Die Vorinstanz ging zu Recht von gültigen Strafanträgen aus. Sie war entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers nicht verpflichtet, durch Einvernahmen oder schriftliche Stellungnahmen abzuklären, ob die Geschädigten tatsächlich Strafantrag gestellt haben. Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.
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