BGE 146 IV 145 | |||
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14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz gegen A. (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_103/2019 vom 10. Januar 2020 | |
Regeste |
Art. 352 StPO, Art. 42 Abs. 4 StGB; Strafbefehlskompetenz der Staatsanwaltschaft. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Strafbefehl vom 11. August 2017 auferlegte die Staatsanwaltschaft Innerschwyz (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) A. wegen fahrlässiger Tötung und grober Verletzung von Verkehrsregeln eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 90.-, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, und eine Verbindungsbusse von Fr. 4'050.-. Für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse sprach die Staatsanwaltschaft eine Ersatzfreiheitsstrafe von 45 Tagen aus.
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Dagegen erhob A. am 25. August 2017 Einsprache.
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Am 25. Mai 2018 verurteilte die Einzelrichterin A. wegen fahrlässiger Tötung und grober Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 100.-, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, und zu einer Verbindungsbusse von Fr. 4'500.-. Die Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse setzte sie auf 45 Tage fest.
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C. Hiergegen erhob A. Berufung.
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Mit Beschluss vom 28. Januar 2019 hob das Kantonsgericht Schwyz (Strafkammer) das Urteil der Einzelrichterin von Amtes wegen auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen zur Weiterbehandlung an die Staatsanwaltschaft zurück (Dispositiv Ziffer 1). Es befand, die Staatsanwaltschaft habe im Strafbefehl die dafür gesetzlich vorgesehene Höchststrafe überschritten. Der Strafbefehl sei nichtig und damit auch das Urteil der Einzelrichterin. Die Staatsanwaltschaft werde, soweit erforderlich, das Vorverfahren neu durchzuführen und danach die Untersuchung mit einer ordentlichen Anklage bei der zuständigen Strafkammer des Bezirksgerichts abzuschliessen haben.
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D. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziffer 1 des Dispositivs des Beschlusses des Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur Durchführung des Berufungsverfahrens an dieses zurückzuweisen.
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(...)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen:
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2. | |
2.1 Hat die beschuldigte Person im Vorverfahren den Sachverhalt eingestanden oder ist dieser anderweitig ausreichend geklärt, so erlässt die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 352 StPO einen Strafbefehl, wenn sie, unter Einrechnung einer allfälligen zu widerrufenden bedingten Strafe oder bedingten Entlassung, eine der folgenden Strafen für ausreichend hält: a) eine Busse; b) eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen; c) ... ; d) eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten (Abs. 1). Jede dieser Strafen kann mit einer Massnahme nach den Artikeln 66 und 67e-73 StGB verbunden werden (Abs. 2). Strafen nach Absatz 1 Buchstaben b-d können miteinander verbunden werden, sofern die insgesamt ausgesprochene Strafe einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten entspricht. Eine Verbindung mit Busse ist immer möglich (Abs. 3).
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Die Vorinstanz hält dafür, in einem Strafbefehl könne zusätzlich zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen nur eine wegen einer Übertretung ausgesprochene Busse verhängt werden, nicht jedoch - wie hier - eine Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs. 4 StGB.
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Die Beschwerdeführerin wendet ein, diese Auffassung widerspreche dem klaren Wortlaut sowie Sinn und Zweck von Art. 352 Abs. 3 StPO.
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Mit der Verbindungsbusse soll im Bereich der Massendelinquenz die Möglichkeit geschaffen werden, eine spürbare Sanktion zu verhängen. Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, die Schnittstellenproblematik zwischen der gemäss Art. 105 Abs. 1 StGB stets unbedingten Busse für Übertretungen und der bedingten Geldstrafe für Vergehen zu entschärfen. Auf Massendelikte, die im untersten Bereich bloss mit Bussen geahndet werden, soll auch mit einer unbedingten Sanktion reagiert werden können, wenn sie die Schwelle zum Vergehen überschreiten. Insoweit, also im Bereich der leichteren Kriminalität, verhilft Art. 42 Abs. 4 StGB zu einer rechtsgleichen Sanktionierung. Die Verbindungsbusse trägt ferner dazu bei, das unter spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten eher geringe Drohpotential der bedingten Geldstrafe zu erhöhen. Dem Verurteilten soll ein Denkzettel verabreicht werden können, um ihm den Ernst der Lage vor Augen zu führen und zugleich zu zeigen, was bei Nichtbewährung droht (BGE 134 IV 1 E. 4.5. S. 8, BGE 134 IV 60 E. 7.3.1 S. 74 f. mit Hinweisen). Die bedingte Strafe und die Verbindungsbusse müssen in ihrer Summe schuldangemessen sein. Die Verbindungsbusse darf also zu keiner Straferhöhung führen (BGE 134 IV 1 E. 4.5.2 S. 8, BGE 134 IV 53 E. 5.2 S. 55 f.). Der Verbindungsbusse darf gegenüber der bedingten Strafe nur untergeordnete Bedeutung zukommen. Die Obergrenze beträgt grundsätzlich einen Fünftel (BGE 135 IV 188 E. 3.3 f. S. 189 ff.; BGE 134 IV 1 E. 4.5.2 S. 8 und E. 6.2 f. S. 16).
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2.4 Das Schrifttum hält einhellig dafür, dass Art. 352 Abs. 3 Satz 2 StPO auch die Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs. 4 StGB erfasst, diese also auch zusätzlich ausgesprochen werden kann, wenn die Grenze von 6 Monaten nach Art. 352 Abs. 3 Satz 1 StPO bereits ausgeschöpft ist (FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 352 StPO; CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 352 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 12 f. zu Art. 352 StPO; MARC THOMMEN, Kurzer Prozess - fairer Prozess?, 2013, S. 52; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2. Aufl. 2018, S. 540 N. 17009 Fn. 15; YVAN JEANNERET, Les procédures spéciales dans le Code de procédure pénale suisse, in: La procédure pénale fédérale, Renate Pfister-Liechti [Hrsg.], 2010, S. 147; MICHAEL DAPHINOFF, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2012, S. 50 f.; ANASTASIA FALKNER, in: Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Goldschmid und andere [Hrsg.], 2008, S. 345 f.).
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Die Gesetzesmaterialien stützen somit die Auffassung der Vorinstanz nicht. Daraus ergibt sich nicht, dass zwischen einer Verbindungs- und einer Übertretungsbusse zu unterscheiden wäre und der Gesetzgeber seinen Willen in Absatz 3 unzureichend zum Ausdruck gebracht hätte. Die Verbindungsbusse wurde mit Bundesgesetz vom 24. März 2006, in Kraft seit dem 1. Januar 2007, in das Strafgesetzbuch aufgenommen (AS 2006 3539). Dass es sie gibt, war den Räten bei den parlamentarischen Beratungen im Jahr 2007 somit bekannt. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Busse" in Art. 352 Abs. 3 Satz 2 StPO auch die Verbindungsbusse erfassen wollte.
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Dies bekräftigt Folgendes: Die Strafprozessordnung trat am 1. Januar 2011 in Kraft (AS 2010 1881, 2020). Mit Botschaft vom 4. April 2012 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes schlug der Bundesrat die Streichung von Art. 352 Abs. 3 Satz 2 StPO vor; dies, weil er die Verbindungsbusse in Art. 42 Abs. 4 StGB abschaffen und nur noch die Verbindungsgeldstrafe beibehalten wollte (BBl 2012 4754 und 4768). Das Parlament schaffte in der Folge die Verbindungsgeldstrafe ab und behielt die Verbindungsbusse bei. Art. 352 Abs. 3 Satz 2 StPO beliess es unverändert. Dies zeigt, dass diese letztere Bestimmung auf die Verbindungsbusse zugeschnitten ist.
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Mit der erwähnten Botschaft vom 4. April 2012 wollte der Bundesrat die Strafbefehlskompetenz der Staatsanwaltschaft zudem dahin einschränken, dass diese zwar weiterhin eine bedingte Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten hätte aussprechen können, eine unbedingte Freiheitsstrafe jedoch nur noch von höchstens 3 Monaten. Der Bundesrat trug damit der zunehmenden Kritik der Lehre am (zu) weiten Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens Rechnung (BBl 2012 4754 und 4768). Das Parlament lehnte auch diese Änderung ab. Es teilte die in der Lehre vorgebrachte Kritik somit nicht. Dies spricht zusätzlich gegen eine einschränkende Auslegung von Art. 352 Abs. 3 Satz 2 StPO, erst recht entgegen dem klaren Wortlaut.
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2.7 Für die unterschiedliche Behandlung der Busse in Art. 352 Abs. 3 StPO gibt es einen Grund. Art. 352 Abs. 1 lit. b StPO lässt eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen zu. Insoweit besteht gemäss Art. 36 Abs. 1 Satz 2 StGB ein Umwandlungssatz. Danach entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe. Ein derartiger Umwandlungssatz war auch bei aArt. 352 Abs. 1 lit. c StPO gegeben, der mit Wirkung ab 1. Januar 2018 aufgehoben wurde. Nach aArt. 352 Abs. 1 lit. c StPO konnte mit einem Strafbefehl auf gemeinnützige Arbeit von höchstens 720 Stunden erkannt werden. Gemäss aArt. 39 Abs. 2 StGB entsprachen vier Stunden gemeinnütziger Arbeit einem Tag Freiheitsstrafe. Bei einer Busse gibt es keinen derartigen Umwandlungssatz (TRECHSEL/BERTOSSA, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 2 zu Art. 106 StGB; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl. 2013, N. 3 zu Art. 106 StGB; anders noch der bis Ende 2006 in Kraft stehende aArt. 49 Abs. 3 StGB, wonach 30 Franken Busse einem Tag Haft entsprachen). Eine Gesamtsumme, wie sie Art. 352 Abs. 3 Satz 1 StPO vorsieht, kann insoweit deshalb nicht gebildet werden (SCHWARZENEGGER, a.a.O., N. 9 f. zu Art. 352 StPO). Zwar hätte der Gesetzgeber in Art. 352 Abs. 3 StPO bei der Busse auf die Ersatzfreiheitsstrafe, die gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung auszusprechen ist, abstellen können. Hätte er dies gewollt, hätte er Art. 352 Abs. 3 StPO jedoch anders formuliert, etwa wie folgt: "Strafen nach Absatz 1 können miteinander verbunden werden, sofern die insgesamt ausgesprochene Strafe einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten entspricht. Bei der Busse ist insoweit die gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB ausgesprochene Ersatzfreiheitsstrafe massgeblich."
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Schlechthin unhaltbar ist es, wenn die Vorinstanz die Nichtigkeit des Strafbefehls vom 11. August 2017 annimmt. Eine fehlerhafte Verfügung ist nichtig, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird (BGE 145 IV 197 E. 1.3.2 S. 201 mit Hinweisen). Von einem offensichtlichen oder leicht erkennbaren schweren Mangel des Strafbefehls vom 11. August 2017 kann keine Rede sein, nachdem dieser dem klaren Gesetzeswortlaut und der einhelligen Lehre entspricht.
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