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24. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_491/2020 vom 13. Juli 2020 | |
Regeste |
Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO; Anspruch auf Genugtuung bei ungerechtfertigtem Freiheitsentzug. |
Eine erhebliche Darstellung in den Medien kann auch ohne Namensnennung eine Persönlichkeitsverletzung darstellen. Sie ist grundsätzlich geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen (E. 2.6.1), ebenso die Verletzung des Beschleunigungsgebots (E. 2.6.2). | |
Sachverhalt | |
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B. Das Strafgericht Basel-Stadt sprach A. am 12. März 2018 der Ge hilfenschaft zur einfachen Körperverletzung, der Gehilfenschaft zur versuchten Nötigung und der Gehilfenschaft zur Beschimpfung schul dig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tages sätzen zu Fr. 30.- bei einer Probezeit von zwei Jahren und unter Anrechnung der ausgestandenen Haft von einem Tag. Zudem aufer legte es ihm eine Busse von Fr. 400.- .
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Auf Berufung von A. sprach ihn das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 6. Dezember 2019 von den Vorwürfen der Ge hilfenschaft zur einfachen Körperverletzung, der Gehilfenschaft zur versuchten Nötigung und der Gehilfenschaft zur Beschimpfung frei. Dessen Genugtuungsforderung von Fr. 500.- nebst Zins wies das Appellationsgericht ab.
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C. A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben, und es sei ihm eine Genugtu ung von Fr. 500.- nebst Zins zu 5 % seit 28. Juni 2015 zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zu rückzuweisen. Zudem ersucht A. um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt die Abweisung der Beschwerde und verzichtet im Übrigen auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Der Beschwerdeführer nahm sein Recht zur Replik wahr.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Abweisung seiner Genugtuungsforderung. Zur Begründung führt er zusammengefasst aus, diese sei aufgrund des erlittenen Freiheitsentzugs von knapp 24 Stunden, der Verletzung des Beschleunigungsgebots und der grossen Medienberichterstattung geschuldet. Eine rechtswidrige Haft im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO und eine Überhaft im Sinne von Art. 431 Abs. 2 StPO lägen nicht vor. Hingegen sei gestützt auf ![]() ![]() | 7 |
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Erwägung 2.3 | |
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Ein Anspruch auf Genugtuung im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO wird mithin regelmässig gewährt, wenn sich die beschuldigte Person ![]() ![]() | 10 |
Materiellrechtlich beurteilt sich der Genugtuungsanspruch nach Art. 28a Abs. 3 ZGB und Art. 49 OR (BGE 143 IV 339 E. 3.1 S. 341; Urteil 6B_1087/2017 vom 18. Januar 2018 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Genugtuung bezweckt den Ausgleich für erlittene immaterielle Unbill, indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder die Beeinträchtigung erträglicher gemacht wird. Bemessungskriterien sind vor allem die Art und Schwere der Verletzung, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen, der Grad des Verschuldens des Haftpflichtigen, ein allfälliges Selbstverschulden des Geschädigten sowie die Aussicht auf Linderung des Schmerzes durch die Zahlung eines Geldbetrags (BGE 141 III 97 E. 11.2 S. 98; BGE 132 II 117 E. 2.2.2 S. 119; je mit Hinweisen). Abzustellen ist auf einen Durchschnittsmassstab (ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 4. Aufl. 2013, N. 19a zu Art. 49 OR).
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Die Festlegung der Genugtuungssumme beruht auf der Würdigung sämtlicher Umstände und richterlichem Ermessen (Art. 4 ZGB). In dieses greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein. Es schreitet nur ein, wenn das Sachgericht grundlos von den in bewährter Lehre und Rechtsprechung anerkannten Bemessungsgrundsätzen abweicht, oder wenn Tatsachen berücksichtigt worden sind, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle spielen oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen worden sind, die in den Entscheid hätten einbezogen werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich unbillig bzw. als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 143 IV 339 E. 3.1 S. 342 f.; Urteile 6B_1342/2016 vom 12. Juli 2017 E. 4.2; 6B_53/2013 vom 8. Juli 2013 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 139 IV 243; 4A_373/2007 vom 8. Januar 2008 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 134 III 97; je mit Hinweisen).
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2.3.2 Zu einem Entschädigungsanspruch führt nicht erst die vom Zwangsmassnahmengericht angeordnete Untersuchungs- oder Sicherheitshaft, ![]() ![]() | 13 |
Im Falle einer ungerechtfertigten Inhaftierung erachtet das Bundesgericht grundsätzlich einen Betrag von Fr. 200.- pro Tag als angemessen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine höhere oder geringere Entschädigung rechtfertigen. In einem zweiten Schritt sind auch die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen wie die Dauer des Freiheitsentzugs, die Auswirkungen des Strafverfahrens auf die betroffene Person und die Schwere der ihr vorgeworfenen Taten etc. (vgl. BGE 143 IV 339 E. 3.1 S. 342; Urteile 6B_984/2018 vom 4. April 2019 E. 5.1; 6B_506/2015 vom 6. August 2015 E. 1.3.1; 6B_53/2013 vom 8. Juli 2013 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 139 IV 243; je mit Hinweisen).
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Hält die Vorinstanz fest, bei einem kurzen Freiheitsentzug komme ein Genugtuungsanspruch gestützt auf Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO nur in Frage, wenn der Freiheitsentzug ohne jeglichen Grund erfolgt sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Die vorschriftskonforme Festnahme, die sich später als ungerechtfertigt erwies, dauerte hier nicht nur wenige Stunden. Sie stellte wie ausgeführt nach Ablauf von drei Stunden einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers dar, der Entschädigungsansprüche zur Folge haben kann. Selbst wenn ein solcher Eingriff respektive ein dreistündiger Freiheitsentzug je nach den konkreten Umständen und bis zu einem gewissen Grad entschädigungslos hinzunehmen ist, gilt dies nicht für einen Freiheitsentzug von über 18 ˝ Stunden. Dieser ist mit einer polizeilichen Anhaltung, die kurzfristig die Bewegungsfreiheit beeinträchtigt und deshalb keinen Anspruch auf Entschädigung begründet (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], ![]() ![]() | 16 |
Vielmehr hatte der Beschwerdeführer eine Zwangsmassnahme hinzunehmen, die in Intensität und Dauer offensichtlich darüber hinausging. Bei der Beurteilung der Auswirkungen auf seine Persönlichkeit gilt es einem weiteren Moment Rechnung zu tragen. Der Beschwerdeführer stand im Verdacht, beim homophob motivierten Übergriff seiner Kollegen mitbeteiligt gewesen zu sein. Dies wurde ihm denn auch anlässlich seiner Befragung eröffnet ("Es besteht der Verdacht, dass Sie und Ihre Kollegen im Schützenmattpark gezielt nach Homosexuellen suchten, um diese zu provozieren und zu schlagen". Dieser Vorhalt von wesentlicher Schwere rechtfertigt zusammen mit der verhängten Zwangsmassnahme einen Entschädigungsanspruch.
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Erwägung 2.6 | |
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2.6.2 Die Vorinstanz stellt eine leichte bis mittlere Verletzung des Beschleunigungsgebots fest. Relativierend erwägt sie, der Beschwerdeführer habe einzig eine Verurteilung zu einer bedingten Geldstrafe oder zu einer Busse zu befürchten gehabt. Dieser Umstand ist hier ohne Bedeutung. Die mit dem Strafverfahren einhergehende Belastung lag nicht im Strafmass, sondern vielmehr in der Ungewissheit einer möglichen Verurteilung und damit in den erstinstanzlichen Schuldsprüchen der Gehilfenschaft zu verschiedenen Delikten. Darauf braucht nicht näher eingegangen zu werden. Die Vorinstanz wird im Rahmen der Neubeurteilung und des richterlichen Ermessens dieses Kriterium prüfen müssen. Sie wird darzulegen haben, ob die festgestellte Verletzung des Beschleunigungsgebots für die Bemessung des Genugtuungsanspruchs relevant ist oder nicht (zur Verletzung des Beschleunigungsgebots vgl. BGE 143 IV 49 E. 1.8.2 S. 61, BGE 143 IV 373 E. 1.3 f. S. 377 ff.; je mit Hinweisen). ![]() | 21 |
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