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33. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1031/2019 vom 1. September 2020 | |
Regeste |
Art. 2 Abs. 1, Art. 49 Abs. 2 und Art. 66a sowie Art. 66b StGB; strafrechtliches Rückwirkungsverbot in Bezug auf die neuen Bestimmungen über die Landesverweisung; Wiederholungsfall; retrospektive Konkurrenz bei Landesverweisung. |
Ein Wiederholungsfall nach Art. 66b StGB ist ab der Rechtskraft des Urteils bis zum Ablauf der Dauer der Landesverweisung sowie nach dem Ablauf der Dauer einer ersten Landesverweisung möglich (E. 3.5.1). |
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zum Zusammentreffen zweier altrechtlicher Landesverweisungen sind diese nicht kumulativ, sondern nach dem Absorptionsprinzip zu vollziehen (E. 3.6.1). Das Bundesgericht berücksichtigt die Rechtsprechung zu aArt. 55 StGB unter dem Titel von Art. 66a StGB (E. 3.6.2). Die heutige Landesverweisung ist als Institut des Strafrechts und nach der Intention des Gesetzgebers primär als sichernde Massnahme zu verstehen. Somit steht weiterhin nicht der Straf- sondern vielmehr der Massnahmecharakter im Vordergrund. Es besteht kein Anlass, von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Zusammentreffen zweier altrechtlicher Landesverweisungen gemäss BGE 117 IV 229 abzuweichen. Demnach gelangt nicht das Kumulations- sondern das Absorptionsprinzip zur Anwendung. Das heisst, dass die im Zeitpunkt des neuen Urteils weniger lange dauernde in der längeren Landesverweisung aufgeht (E. 3.7). | |
Sachverhalt | |
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B. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach A. mit Urteil vom 3. Juni 2019 der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG schuldig. Vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Waffengesetz sprach es ihn frei. Der Schuldspruch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, die Freisprüche vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG und vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Waffengesetz betreffend Soft-Air-Pistole sowie die Abweisung des Antrags betreffend Ausschreibung im SIS erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Das Obergericht bestrafte A. mit einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 8 Monaten, als Zusatzstrafe zum Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 5. März 2019 und mit einer Busse von Fr. 1'500.-. Es nahm davon Vormerk, dass die mit Strafbefehl des Untersuchungsamts Gossau/SG vom 27. Januar 2017 ausgefällte bedingte Geldstrafe mit Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 5. März 2019 rechtskräftig widerrufen worden sei. Schliesslich verwies es A. ebenfalls für 6 Jahre des Landes.
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Das Obergericht hält bezüglich der vorliegend noch relevanten Anklagepunkte zusammengefasst für erwiesen, dass sich A. am 8. April 2016 um ca. 22.30 Uhr in seiner Pizzeria mit B. getroffen und das bevorstehende Kokaingeschäft (Kauf von ca. 500 g Kokaingemisch) besprochen habe. Er habe ca. Anfang Mai 2016 zum Zweck des Weiterverkaufs an Dritte ca. 1 kg Kokaingemisch (etwa 690 g Reinsubstanz) an B. verkauft. Am 22. Mai 2016 habe er sich zu ihm an dessen Logisort begeben, um die offenen Schulden für die vorerwähnten Betäubungsmittel einzuziehen. Weiter habe A. am 22. Juni 2016 von C. und D. in seiner Pizzeria zum Zwecke des Weiterverkaufs an Dritte etwa 1 kg Kokaingemisch (ca. 810 g Reinsubstanz) übernommen bzw. gekauft. Die beiden Verkäufer hätten das Kokain zuvor in Zürich geholt, um es gemeinsam nach U. zu transportieren. Das gelieferte Kokain habe aus einer durch C. und B. zuvor in Holland organisierten und am 14. Juni 2016 in die Schweiz eingeführten ![]() ![]() | 3 |
C. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, er sei vom Vorwurf des Drogenhandels von Schuld und Strafe freizusprechen und mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 5. März 2019 zu bestrafen. Eventualiter sei er zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten als Zusatzstrafe zum vorerwähnten Urteil zu verurteilen. Von einer Landesverweisung sei abzusehen. Eventualiter sei er für ein Jahr des Landes zu verweisen, als Zusatzlandesverweisung zum Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 5. März 2019.
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D. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
3.1 Der Beschwerdeführer macht bei der Anordnung der Landesverweisung geltend, Art. 49 Abs. 2 und Art. 66a StGB seien verletzt. Die Drogenverkäufe etc. hätten sich vor Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Oktober 2016 abgespielt. Weil die bei ihm gefundenen Betäubungsmittel ebenfalls davor erworben worden seien, sei Art. 66a StGB nicht anwendbar. Von einer Landesverweisung sei daher abzusehen. Das Kreisgericht St. Gallen verweise ihn mit Urteil vom ![]() ![]() | 7 |
Erwägung 3.2 | |
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3.2.3 Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet. Der Beschwerdeführer wurde der qualifizierten Widerhandlung gegen ![]() ![]() | 10 |
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Erwägung 3.5 | |
3.5.1 Art. 66b StGB sieht unter der Marginalie "c. Gemeinsame Bestimmungen. Wiederholungsfall" vor, dass die neue Landesverweisung auf 20 Jahre auszusprechen ist, wenn jemand, nachdem gegen ihn eine Landesverweisung angeordnet worden ist, eine neue ![]() ![]() | 13 |
Gemäss Botschaft ist ein Wiederholungsfall möglich, solange eine Person mit einer strafrechtlichen Landesverweisung "belegt" ist, d.h. ab der Rechtskraft des Urteils bis zum Ablauf der Dauer der Landesverweisung. Ein Wiederholungsfall soll auch nach dem Ablauf der Dauer einer ersten Landesverweisung möglich sein. Reist ein Täter vor Ablauf der ersten Landesverweisung widerrechtlich in die Schweiz ein und begeht erneut Delikte, die eine Landesverweisung zur Folge haben, werden die Landesverweisungen nicht kumulativ, sondern nach dem Absorptionsprinzip vollzogen. Das heisst, dass die im Zeitpunkt des neuen Urteils weniger lange dauernde in der längeren Landesverweisung aufgeht. Im Wiederholungsfall dauert die Landesverweisung also stets 20 Jahre (Botschaft, a.a.O., S. 6031; gl. M. STEPHAN SCHLEGEL, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, Wohlers/Godenzi/Schlegel [Hrsg.], 4. Aufl. 2020, N. 1 zu Art. 66b StGB; CARLO BERTOSSA, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 3 zu Art. 66b StGB; STEFAN HEIMGARTNER, in: StGB/JStG, Kommentar, Andreas Donatsch [Hrsg.], 20. Aufl. 2018, N. 3 zu Art. 66b StGB; DUPUIS UND ANDERE, a.a.O., N. 2 zu Art. 66b StGB).
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Erwägung 3.6 | |
3.6.1 Bereits gemäss der mit Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des StGB am 1. Januar 2007 aufgehobenen Bestimmung von aArt. 55 StGB konnte der Richter den Ausländer, der zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt worden war, für 3 bis 15 Jahre aus dem Gebiet der Schweiz verweisen (bei Rückfall konnte die Verweisung auf Lebenszeit ausgesprochen werden). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung qualifizierte die Landesverweisung als ![]() ![]() | 16 |
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu aArt. 55 StGB sind in mehreren Urteilen verhängte Landesverweisungen nicht kumulativ, sondern nach dem Absorptionsprinzip zu vollziehen. Begründet wird diese Ansicht damit, dass der Massnahmecharakter im Vordergrund stehe. So sei mit der Vollstreckung der längeren bzw. der einen von zwei gleich langen Verweisungen jeweils auch der Zweck der anderen - nämlich die Sicherung der in der Schweiz lebenden Bevölkerung vor dem ausländischen Straftäter für die im Urteil festgelegte Zeitspanne - erreicht (BGE 117 IV 229 E. 1b S. 230 und E. 1c/cc S. 232; BÉATRICE KELLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2003, N. 55 zu aArt. 55 StGB).
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Massgeblich für die Frage, ob eine unzulässige reformatio in peius vorliegt, ist das Dispositiv (BGE 144 IV 35 E. 3.1.1 S. 44; BGE 142 IV 129 E. 4.5 S. 136; BGE 139 IV 282 E. 2.6 S. 289; je mit Hinweis). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung geht von einer weiten Auslegung des in der StPO verankerten Verschlechterungsverbots aus. Danach ist Art. 391 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht nur bei einer Verschärfung der Sanktion, sondern auch bei einer härteren rechtlichen ![]() ![]() | 20 |
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Indem die Vorinstanz ihre sechsjährige Landesverweisung bewusst kumulativ zur fünfjährigen des Kreisgerichts aussprach, wollte sie den Beschwerdeführer nicht nur für sechs, sondern für (insgesamt) elf Jahre des Landes verweisen. In ihrem Dispositiv kommt dies aber nicht zum Ausdruck. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat keine Beschwerde erhoben. Die Anordnung der ![]() ![]() ![]() | 22 |
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