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11. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_780/2019 vom 17. August 2020 | |
Regeste |
Art. 34 Abs. 3 StPO; nachträgliche Gesamtstrafenbildung. |
Das Verfahren gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO ist ein Verfahren "sui generis", auf das die Vorschriften über "Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts" gemäss Art. 363 ff. StPO (sinngemäss) Anwendung finden, soweit Art. 34 Abs. 3 StPO keine abweichende Regelung enthält (E. 2.2.2). |
Art. 34 Abs. 3 StPO regelt nicht, wie die Gesamtstrafe zu bilden ist; dies ergibt sich ausschliesslich aus der jeweiligen materiell-rechtlichen Norm (Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49, Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB) (E. 2.2.3). |
Gegenstand des Nachverfahrens gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO ist ausschliesslich, die unterlassene Gesamtstrafenbildung durch Asperation der rechtskräftigen Strafen nachzuholen. Das Nachgericht hat weder die Rechtmässigkeit der früheren Verurteilungen noch die Angemessenheit der ausgesprochenen Strafen zu prüfen (E. 2.2.4 und 2.2.5). |
Die Vollzugsform (bedingt, teil- oder unbedingt) spielt für die Beurteilung der Gleichartigkeit der ausgesprochenen Strafen keine Rolle (E. 3.1-3.4). |
Die richterliche Fürsorgepflicht kann erfordern, die beschuldigte Person auf eine mögliche oder gesetzlich zwingende Änderung der Vollzugsform infolge der nachträglichen Gesamtstrafenbildung hinzuweisen und ihr die Möglichkeit einzuräumen, den gestellten Antrag zurückzuziehen (E. 3.6). | |
Sachverhalt | |
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Am 13. Dezember 2017 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau A. für Handlungen zwischen Juni und September 2011 wegen einfacher Körperverletzung und mehrfacher, teilweise versuchter Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren, unter Aufschub eines Strafteils von 24 Monaten, bei einer Probezeit von 2 Jahren. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.
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C. A. stellte mit Eingabe vom 27. März 2018 beim Obergericht des Kantons Zürich ein Gesuch um (nachträgliche) Gesamtstrafenbildung gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO. Das Obergericht sistierte das Verfahren mit Beschluss vom 14. Mai 2018 bis zum Abschluss des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens des Mittäters B.
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Nach teilweiser Gutheissung der Beschwerde von B. und Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung stellte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil (und Beschluss) vom 2. Oktober 2018 fest, dass das (erste) Berufungsurteil vom 9. März 2017 in Bezug auf A. in Rechtskraft erwachsen ist und beurteilte die Sache betreffend B. erneut. Dieses Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
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Am 9. Mai 2019 wies das Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch von A. um nachträgliche Gesamtstrafenbildung ab und auferlegte ihm die Verfahrenskosten.
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D. A. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Mai 2019 sei aufzuheben und es sei eine Zusatzstrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 auszufällen. Die im zürcherischen Verfahren erstandene Haft und der vorzeitige Strafvollzug seien an die Zusatzstrafe anzurechnen. Eventualiter seien die obergerichtlichen Urteile vom 9. März 2017 und vom 13. Dezember 2017 aufzuheben und es sei eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren auszufällen, auf die der bisherige Freiheitsentzug aus beiden Verfahren anzurechnen sei. Subeventualiter sei ![]() ![]() | 7 |
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf Stellungnahmen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Soweit die Vorinstanz (in ihrer Hilfserwägung) eine nachträgliche Gesamtstrafe bilde, gehe sie methodisch falsch vor und argumentiere widersprüchlich. Entgegen ihren (abstrakten) Rechtsausführungen, wonach im Verfahren nach Art. 34 Abs. 3 StPO keine erneute, vollständige Strafzumessung vorzunehmen sei, gewichte die Vorinstanz sämtliche (von ihr im eigenen Urteil) bereits beurteilten Strafen neu, um so auf eine (hypothetische) Gesamtstrafe von 9 Jahren zu kommen und zu behaupten, selbst unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips würde eine hypothetische Gesamtstrafe höher ausfallen als eine Kumulation der beiden Freiheitsstrafen der Ausgangsurteile. Die Vorinstanz hätte im Rahmen der nachzuholenden Gesamtstrafenbildung die von ihr ausgesprochene Freiheitsstrafe von 4 ˝ Jahren um die 3-jährige Freiheitsstrafe des Obergerichts des Kantons Aargau angemessen erhöhen müssen. Da es sich hierbei bereits um eine Gesamtstrafe handle, sei lediglich die dort ausgesprochene Einsatzstrafe von 2 ˝ Jahren zu asperieren und anzupassen, jedoch nicht die "Zusatzstrafen" für die weiteren Delikte. Auf die so auszusprechende Zusatz- oder Gesamtstrafe sei die in beiden Verfahren erstandene Haft anzurechnen. Gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO bestehe ein Anspruch auf Gesamtstrafenbildung. Ob ![]() ![]() | 11 |
Erwägung 1.2 | |
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Der Beschwerdeführer sei vorliegend zu einer unbedingten und einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Soweit ersichtlich, habe das Bundesgericht die Frage, ob Freiheitsstrafen bei unterschiedlicher Vollzugsform gleichartige Strafen seien, noch nicht behandelt. Es habe jedoch im Zusammenhang mit der Nichtbewährung einer bedingt entlassenen Person festgehalten, dass eine Gesamtstrafe nur gebildet werden könne, wenn sowohl hinsichtlich der neuen als auch der Reststrafe die Voraussetzungen des unbedingten Vollzugs gegeben seien. Träfen hingegen wie vorliegend eine teilbedingte und eine langjährige unbedingte Freiheitsstrafe zusammen, ergebe sich aus der ratio legis, dass die Strafen als ungleichartig betrachtet werden müssten und sich eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung verbiete. Das Nachgericht könne aufgrund der ![]() ![]() | 13 |
1.2.2 Hilfsweise erwägt die Vorinstanz, soweit trotz unterschiedlicher Vollzugsformen von gleichartigen Strafen auszugehen wäre, stelle Art. 34 Abs. 3 StPO eine Rechtsgrundlage dar, um auf rechtskräftige Urteile zurückzukommen, jedoch sei der Rechtskraft der Vorentscheide insoweit Rechnung zu tragen, als eine Korrektur in der Strafzumessung nur in dem Masse vorzunehmen sei, um die Umsetzung des Asperationsprinzips zu ermöglichen. Mithin gelte es einzig, die aufgrund getrennter Beurteilung erlittene Schlechterstellung aufzuheben, ohne jedoch eine neue, vollständige Strafzumessung vorzunehmen oder auch die verurteilte Person ungerechtfertigt zu bevorteilen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei die nachträgliche Gesamtstrafe nicht durch Asperation der beiden rechtskräftigen Strafen vorzunehmen, sondern es sei zunächst der Strafrahmen für das schwerste Delikt zu bestimmen und für dieses eine Einsatzstrafe festzusetzen, die sodann unter Einbezug sämtlicher übriger Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips (angemessen) zu erhöhen sei. Die von ihr (der Vorinstanz) beurteilte falsche Anschuldigung stelle das abstrakt schwerste Delikt dar. Die Strafzumessungserwägungen im Urteil vom 9. März 2017 seien nach wie vor zutreffend, weshalb eine hypothetische Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren für die von ihr (der Vorinstanz) beurteilten Straftaten angemessen erscheine. Diese sei aufgrund der vom Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 13. Dezember 2017 beurteilten Delikte angemessen zu erhöhen. Das Obergericht des Kantons Aargau habe für die Körperverletzung eine Einsatzstrafe von 2 ˝ Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt, weshalb die (hypothetische) Gesamtfreiheitsstrafe (der Vorinstanz) von 8 Jahren in Anwendung des Asperationsprinzips um 1 ˝ Jahre zu erhöhen sei. Zudem sei die mehrfache, teilweise versuchte Nötigung wie schon vom "Aargauer Obergericht" im Umfang von 6 Monaten straferhöhend zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der übrigen Strafzumessungsfaktoren (Täterkomponenten, Verletzung des Beschleunigungsgebots) ![]() ![]() | 14 |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
2.2.1 Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO ist systematisch im Kapitel über die Gerichtsstände eingeordnet, in das der Gesetzgeber mit Einführung der StPO die zuvor im StGB geregelten Vorschriften über die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Strafbehörden (aArt. 339 ff. StGB) praktisch unverändert übernommen hat (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1142 Ziff. 2.2.3.2; NAY/THOMMEN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 28 Vor Art. 340 StGB). Sinn und Zweck der zuvor im StGB geregelten prozessualen Vorschriften über die "Gerichtsstände" (respektive über die sachliche und örtliche Zuständigkeit) war es, einerseits das aufgrund kantonaler Regelungsbefugnis nicht oder nur unzureichend durchsetzbare prozessuale Vereinigungsprinzip des Strafverfahrens und andererseits eine einheitliche Anwendung der materiell-rechtlichen Strafzumessungsgrundsätze zu gewährleisten und somit der "als höchst unbillig empfundenen Häufung von Freiheitsstrafen, die von Gerichten verschiedener Kantone ausgesprochen wurden, ein Ende [zu] machen" (Botschaft vom 23. Juli 1918 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, BBl 1918 IV 80, 82; BGE 127 IV 135 E. 2e). Gelangt das Vereinigungsprinzip ausnahmsweise aus sachlichen (vgl. Art. 30 StPO) oder aus prozessualen Gründen (vgl. Art. 34 Abs. 2 StPO) nicht zur Anwendung, stellt Art. 34 Abs. 3 StPO sicher, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung von der verurteilten Person auch dann wirksam durchgesetzt werden können, wenn die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung durch das (letzte) Sachgericht ausser Betracht geblieben ist oder diese (aus prozessualen Gründen) ausnahmsweise nicht gebildet werden konnte, beispielsweise weil die frühere Verurteilung noch nicht rechtskräftig war, der Verurteilte ein (aussichtsreiches) Revisionsgesuch gestellt hat oder die Vorstrafenakten nicht zur ![]() ![]() | 16 |
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2.2.3 Als verfahrensrechtliches Pendant zu den materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesamstrafenbildung (Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49, Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB) regelt Art. 34 Abs. 3 StPO nicht, unter welchen Voraussetzungen und wie die Gesamtstrafe zu bilden ist. Dies bestimmt sich - wie bereits zuvor auch bei aArt. 344 Abs. 2 respektive aArt. 350 Ziff. 2 StGB, die insoweit auf Art. 49 StGB respektive aArt. 68 StGB verwiesen haben - ausschliesslich nach der jeweiligen materiell-rechtlichen Norm, die von den Sachgerichten nicht angewendet wurde, mit der Einschränkung, dass das Gericht im Verfahren nach Art. 34 Abs. 3 StPO eine Gesamtstrafe aus zwei bereits rechtskräftig festgesetzten Strafen (nach Aktenlage) bildet. War eine Gesamtstrafenbildung gemäss Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49, Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB durch das letzte Sachgericht nicht möglich und ist demnach auch nicht unterblieben, kann sie nicht über Art. 34 Abs. 3 StPO auf prozessualem Weg nachgeholt werden (so im Ergebnis auch: Urteil 6B_837/2019 vom 6. Dezember 2019 E. 1.2; vgl. zu aArt. 344 Abs. 2 respektive aArt. 350 Ziff. 2 StGB: BGE 129 IV 113 E. 1.1 und 1.3; Urteile 6B_944/2008 vom 22. April 2009 E. 2.2 f.; 6S.372/2001 ![]() ![]() | 18 |
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Erwägung 3 | |
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3.3 Vorliegend war aufgrund der Anordnung der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zur getrennten Verfahrens(fort)führung sowie infolge ergriffener und hängiger Rechtsmittel eine Gesamtstrafen- oder Zusatzstrafenbildung weder in einem der beiden erstinstanzlichen Verfahren noch durch die Vorinstanz oder das Obergericht des Kantons Aargau im Berufungsverfahren möglich. Mithin steht die Subsidiarität des Nachverfahrens gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Da dem Asperationsprinzip in der konkreten Prozesskonstellation letztmalig im Berufungsverfahren durch die Bildung einer Zusatzstrafe hätte Geltung verschafft werden können, ist die nachträgliche Gesamtstrafe gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 49 Abs. 2 StGB zu bilden (soweit ersichtlich wird die nachträgliche Gesamtstrafenbildung in der Literatur nur im Rahmen retrospektiver Konkurrenz erwähnt: vgl. u.a. JÜRG-BEAT ACKERMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 197 zu Art. 49 StGB; DONATSCH/TAG, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 9. Aufl. 2013, § 38 S. 411; FINGERHUTH/LIEBER, a.a.O., N. 14 zu Art. 34 StPO; BERNARD BERTOSSA, und [dessen Kommentierung wortwörtlich weiterführend] DAVID BOUVERAT, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011 und 2. Aufl. 2019, jeweils N. 5 zu Art. 34 StPO; MOREILLON/ ![]() ![]() | 23 |
Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Entscheids waren zudem die von der Vorinstanz und dem Obergericht des Kantons Aargau ausgesprochenen Strafen rechtskräftig.
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3.4 Die von der Vorinstanz unbedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 4 ˝ Jahren vom 9. März 2017 bzw. 2. Oktober 2018 und die teilbedingte Freiheitsstrafe von 3 Jahren des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 stellen trotz unterschiedlicher Vollzugsformen gleichartige und damit gesamtstrafenfähige Strafen im Sinne von Art. 34 Abs. 3 StPO dar (vgl. BGE 144 IV 217 E. 2.1; BGE 142 IV 265 E. 2.3.2; siehe auch: Botschaft vom 4. April 2012 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes [Änderungen des Sanktionenrechts] BBl 2012 4738 Ziff. 1.4.4). Dass (Geld- oder Freiheits-)Strafen aufgrund unterschiedlicher Vollzugsformen nicht zu ungleichartigen Strafen werden, ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Terminologie und Systematik (vgl. Art. 34, Art. 40 - Art. 46, Art. 49, Art. 62a und Art. 89 StGB). Bedingte, teilbedingte und vollziehbare Strafen stellen "verschiedene Varianten jeweils derselben Strafart" dar (JÜRG-BEAT ACKERMANN, a.a.O., N. 91 zu Art. 49 StGB; SCHNEIDER/GARRÉ, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Auflage 2019, N. 52 vor Art. 42 StGB; GÜNTHER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 5 N. 9). Dass im Falle der Nichtbewährung gemäss Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB die Gesamtstrafenbildung nur zulässig ist, wenn "aufgrund der neuen Straftat die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe erfüllt" sind, stellt eine zusätzliche Voraussetzung neben der Gleichartigkeit der Strafen dar und ist Ausdruck der gesetzgeberischen Prämisse, die Grundrechte des Täters nur so weit einzuschränken, als dies für die Erreichung des Strafzwecks erforderlich ist. ![]() ![]() | 25 |
Erwägung 3.5 | |
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Entgegen der Ansicht der Vorinstanz steht auch das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius), das mit Einschränkungen auch im Verfahren nach Art. 34 Abs. 3 StPO gilt, einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Das Asperationsprinzip soll gewährleisten, dass der Täter, der mehrere gleichartige Strafen verwirkt hat, nach einem einheitlichen Prinzip der Strafschärfung beurteilt wird, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden oder nicht (BGE 141 IV 61 E. 6.1.2 S. 67; BGE 138 IV 113 E. 3.4.1 S. 115 mit Hinweis). Allerdings handelt es sich bei der Gesamtstrafenbildung um ein zweiseitiges Instrumentarium, das sowohl Vorteile als auch Nachteile für den Täter haben kann. Während sich das Asperationsprinzip bei der Strafhöhe zwingend zugunsten der verurteilten Person auswirkt, ist dies bei der Vollzugsform häufig nicht der Fall, da diese sich bei Art. 49 Abs. 1 und 2 StGB anhand der (hypothetischen) Gesamtstrafe bestimmt (BGE 145 IV 377 E. 2.2; BGE 142 IV 265 E. 2.4.6; ACKERMANN, a.a.O., N. 177 zu Art. 49 StGB). Ob dies auch uneingeschränkt gilt, wenn einzelne der einzubeziehenden Strafen sich infolge Vollstreckung, Verjährung, Erlass respektive Bewährung vollständig erledigt haben und ob bei vollständiger Erledigung sämtlicher Strafen eine nachträgliche Gesamtstrafe noch gebildet werden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. ![]() | 27 |
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3.5.3 Demnach ist vorliegend im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die von der Vorinstanz ausgefällte Freiheitsstrafe von 4 ˝ Jahren, die mit der falschen Anschuldigung das Delikt mit der (abstrakt) höchsten Strafandrohung beinhaltet, in Anwendung des Asperationsprinzips mit der 3-jährigen Freiheitsstrafe des Obergerichts des Kantons Aargau angemessen zu erhöhen. Die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz halten vor Bundesrecht stand. Die Vorinstanz "beschränkt" die im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung von ihr vorzunehmende Asperation auf die vom Obergericht des Kantons Aargau festgesetzte Einsatzstrafe von 2 ˝ Jahren und berücksichtigt diese straferhöhend mit 1 ˝ Jahren (vgl. E. 2.2.5). Damit hält sie sich im Rahmen des ihr gemäss Art. 34 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 49 StGB zustehenden Ermessens. Dass die Vorinstanz die vom Obergericht des Kantons Aargau mit 6 Monaten straferhöhend berücksichtigten (aber leider nicht ausgewiesenen) Einzelstrafen der übrigen Delikte im Rahmen einer Gesamtschau nicht nochmals strafmindernd asperiert, ist nicht zu beanstanden und im Übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht gerügt. Insgesamt ![]() ![]() | 29 |
Da die nachträgliche Gesamtstrafenbildung der Vorinstanz sich nur in methodischer Hinsicht in Bezug auf die "Ausgangsstrafe/Grundstrafe" als rechtsfehlerhaft erweist und eine Korrektur vorliegend ohne Eingriff in das vorinstanzliche Ermessen möglich ist, erweist sich die Sache als spruchreif und kann endgültig zum Abschluss gebracht werden (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG). Eine Rückweisung zur neuen Beurteilung erfolgt nur noch im Hinblick auf die Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen (vgl. Urteile 6B_909/ 2019 vom 9. Juni 2020 E. 2.4; 6B_1031/2016 vom 23. März 2017 E. 9).
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3.6 In prozessualer Hinsicht ist anzumerken, dass soweit eine Änderung der Vollzugsform möglich oder gesetzlich zwingend erscheint, die richterliche Fürsorgepflicht es erfordern kann, die verurteilte Person auf die möglichen Konsequenzen des Antrags um nachträgliche Gesamtstrafenbildung aufmerksam zu machen und ihr die Möglichkeit einzuräumen, diesen zurückzuziehen. Erachtet das Gericht im Verfahren nach Art. 34 Abs. 3 StPO in Abweichung der Vorgerichte eine teil- oder unbedingte Strafe für möglich, obwohl ein bedingter oder teilbedingter Vollzug rechtlich möglich ist, unterliegt der Entscheid gesteigerten Begründungsanforderungen, der mit einem erhöhten Feststellungszwang korreliert und in der Regel eine Verhandlung mit persönlicher Anhörung der verurteilten Person gemäss Art. 365 Abs. 1 Satz 2 StPO erfordert. Bis zur Rechtskraft des ![]() ![]() ![]() | 31 |
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