BGE 147 IV 205 | |||
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22. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021 | |
Regeste |
Art. 59 Abs. 4 StGB; Anordnung einer stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen nach rechtskräftiger Massnahmenaufhebung; Beginn der (Fünfjahres-)Frist. | |
Sachverhalt | |
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A.a Das Kreisgericht Wil verurteilte A. am 6. November 2012 wegen mehrfacher Vergewaltigung, Raubes, Sachbeschädigung, falscher Anschuldigung, versuchter Anstiftung zu falschem Zeugnis und mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Es sah von der Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme ab.
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A.b Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte mit Urteil vom 3. Dezember 2014 die erstinstanzlichen Schuldsprüche. Indessen verurteilte es A. zu einer Freiheitsstrafe von 50 Monaten sowie einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu Fr. 10.- und ordnete eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen an.
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B.
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B.a Das Sicherheits- und Justizdepartement (Amt für Justizvollzug) des Kantons St. Gallen (nachfolgend: SJD) lehnte am 30. Oktober 2017 das Gesuch von A. um bedingte Entlassung aus der stationären therapeutischen Massnahme ab und hob diese wegen Aussichtslosigkeit auf. Es ordnete vollzugsrechtliche Sicherheitshaft an. Zudem beantragte es dem Kantonsgericht, die nachträgliche Verwahrung von A. anzuordnen und die Sicherheitshaft zu bestätigen bzw. zu verlängern.
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B.b Das Kantonsgericht ordnete am 8. Dezember 2017 die Fortdauer der Sicherheitshaft an, veranlasste eine neue Begutachtung und führte nach Erstattung des neuen Gutachtens vom 3. Juli 2018 eine mündliche Verhandlung mit eingehender Befragung von A. durch. Am 2. Januar 2019 ergänzte der Sachverständige das Gutachten schriftlich.
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B.c Mit Entscheid vom 4. März 2019 ordnete das Kantonsgericht für A. eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen für die Dauer von drei Jahren an, worauf es die erstandene Sicherheitshaft von 490 Tagen anrechnete. Ferner entschied es, dass A. in Sicherheitshaft verbleibt.
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Am 8. Juli 2019 bewilligte das Kantonsgericht A. den Antritt des vorzeitigen Massnahmenvollzugs.
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Die gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid vom 4. März 2019 erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht am 16. Oktober 2019 ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 6B_796/2019).
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C.
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C.a Mit Verfügung vom 15. Mai 2020 lehnte das SJD das Gesuch von A. um bedingte Entlassung aus der stationären therapeutischen Massnahme ab und beantragte beim Kantonsgericht, die Massnahme sei um fünf Jahre zu verlängern.
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C.b Das Kantonsgericht verlängerte die stationäre therapeutische Massnahme am 19. August 2020 bis zum 30. Oktober 2022.
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E. Das Kantonsgericht beantragt in seiner Stellungnahme, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen lässt sich nicht vernehmen. A. hält in seiner Replik an seinen Anträgen fest.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 2.4 | |
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2.4.2 Die vorliegend zu beurteilende Ausgangslage unterscheidet sich insofern von den im vorgenannten Bundesgerichtsentscheid beurteilten Konstellationen, als die mit Sachurteil vom 3. Dezember 2014 angeordnete stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen am 30. Oktober 2017 rechtskräftig wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben und im darauffolgenden selbständigen nachträglichen Verfahren erneut eine Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet wurde. Zu beurteilen ist damit weder der Fristbeginn bei einer erstmaligen Anordnung der Massnahme noch bei deren Verlängerung. Die Argumente, die das Bundesgericht dazu bewogen, bei der erstmaligen Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 59 StGB für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen, sofern die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten wird, gelten jedoch auch für den Fall, in dem nach einer Massnahmenaufhebung und ausgestandener Sicherheitshaft wiederum eine Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet wird (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.6 S. 74 ff. mit Hinweisen). Auch sind die Erwägungen, die das Bundesgericht im vorgenannten Entscheid in Zusammenhang mit dem vorzeitigen Massnahmenvollzug gemacht hat, in der vorliegenden Konstellation für die Sicherheitshaft zwischen der Massnahmenaufhebung und der zweiten Massnahmenanordnung heranzuziehen: Befindet sich der Betroffene während des selbständigen nachträglichen Massnahmenverfahrens in Sicherheitshaft, hat das Gericht diese bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen in zeitlicher Hinsicht mitzuberücksichtigen; dies sowohl bei der Prüfung der Anordnung der Massnahme als auch im Zusammenhang mit einem Gesuch um Verlängerung derselben (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.6.1 S. 74 mit Hinweisen).
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Als Zwischenfazit ist Folgendes festzuhalten: Wird nach einer rechtskräftigen Massnahmenaufhebung eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen (Art. 59 StGB) angeordnet und wird die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten, ist für den Fristenlauf, wie bei der erstmaligen Massnahmenanordnung, auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Das steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.7.1 S. 76; BGE 142 IV 105 E. 5.6 S. 114 und E. 5.9 S. 118).
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auf den 4. März 2019 abzustellen. Damit wäre die Verlängerung zu früh erfolgt (vgl. Urteil 6B_1023/2018 vom 17. Januar 2019 E. 1.4). Allerdings stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, das Kantonsgericht, das beim Anordnungsentscheid aus dem gleichen Richtergremium bestand wie beim angefochtenen Verlängerungsentscheid, habe im Anordnungsentscheid die stationäre therapeutische Massnahme rechtskräftig bis zum 30. Oktober 2020 befristet. Der Beschwerdeführer bestreitet dies. Trifft das Vorbringen der Vorinstanz zu, könnte angesichts der Rechtskraft des Anordnungsentscheids auf die Frage des Fristbeginns bzw. die Befristung im vorliegenden Verfahren nicht mehr zurückgekommen werden.
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