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43. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Obergericht des Kantons Zürich, Zwangsmass- nahmengericht (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_132/2020 / 1B_184/2020 vom 18. Juni 2020 | |
Regeste |
Art. 269, Art. 269ter, Art. 280 lit. b StPO; Software-basierter Keylogger als Überwachungsgerät. |
Mittels Keyloggern können einzig Tastatureingaben aufgezeichnet und ausgeleitet werden. Ganzheitliche Kommunikationsinhalte, wie dies bei GovWare (Art. 269ter StPO) möglich ist, können hingegen nicht abgefangen und weitergeleitet werden. Zudem wird, anders als bei GovWare, auch kein Informatikprogramm in ein Datenverarbeitungssystem eingeschleust (E. 5.2). | |
Sachverhalt | |
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Aus diversen angeordneten und vom Zwangsmassnahmengericht des Obergerichts des Kantons Zürich genehmigten geheimen Überwachungsmassnahmen (insbesondere aus der visuellen Überwachung des Innenraums des Wohnmobils von A. sowie der Überwachung der E-Mail-Adresse "...") geht gemäss der Staatsanwaltschaft hervor, dass A. mit seinen Mittätern, Lieferanten und Abnehmern schriftlich - insbesondere per E-Mail - kommuniziere, wobei die Kommunikation verschlüsselt sei, weshalb gestützt auf die angeordnete und genehmigte Überwachung nur Randdaten, jedoch keine unverschlüsselten Inhaltsdaten erhältlich gemacht werden könnten. Aus den angeordneten Überwachungsmassnahmen, insbesondere aus der visuellen Überwachung sowie dem Einsatz der verdeckten Ermittlung gehe weiter hervor, dass A. das Betriebssystem "N." verwende, welches sich auf einem oder mehreren USB-Sticks befinde und welches darauf ausgerichtet sei, die Anonymität des jeweiligen Benutzers zu wahren, indem das Betriebssystem dafür sorge, dass nicht die Festplatte des jeweiligen Computers benutzt werde, sondern einzig der Arbeitsspeicher, welcher beim Herunterfahren des Systems jeweils automatisch gelöscht werde, womit verhindert werde, dass Spuren bzw. Daten auf dem jeweiligen Computer hinterlassen würden.
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Um weitere Erkenntnisse über den Umfang des Drogenhandels von A. sowie dessen bisherige oder allfällig neue Mitarbeiter und Betäubungsmittellieferanten und die Beziehungen der diversen Personen untereinander und deren Rolle im Drogenhandel zu klären, ist es gemäss Staatsanwaltschaft notwendig, an die Daten und zu diesem Zweck an die durch A. verwendeten Passwörter zu gelangen. Dafür sei die Aufzeichnung seiner Tastatureingaben an seinem Laptop notwendig, was durch einen sog. Keylogger bewerkstelligt werden könne.
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Mit Verfügung vom 6. Februar 2020 ordnete die Staatsanwaltschaft die Überwachung aller Tastatureingaben von A. bei Verwendung des ![]() ![]() | 4 |
B. Am 24. März 2020 ersuchte die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Aktion "B." das Zwangsmassnahmengericht um Verlängerung diverser technischer Überwachungen und der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Echtzeitüberwachung) sowie um Verlängerung der vom Zwangsmassnahmengericht mit Entscheid vom 10. Februar 2020 nicht genehmigten Überwachung mittels Keyloger. Das Zwangsmassnahmengericht genehmigte mit Verfügung vom 26. März 2020 die Verlängerung der akustischen Überwachung, der optischen Überwachung im Sitzbereich sowie der Standortidentifikation des Wohnmobils von A., hingegen verweigerte es die Genehmigung der optischen Überwachung mittels Keylogger. Dagegen erhob die Oberstaatsanwaltschaft mit Eingabe vom 9. April 2020 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht (1B_184/2020).
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
3. Vorliegend ist unbestritten, dass der für die Anordnung einer geheimen Überwachungsmassnahme dringende Tatverdacht einer Katalogtat vorliegt (im Sinne von Art. 269 Abs. 1 lit. a-b und Abs. 2 lit. a und f i.V.m. Art. 281 Abs. 4 StPO), nämlich von qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 2 BetmG [SR 812.121]) und qualifizierter Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 2 StGB). Der Tatverdacht kann sich grundsätzlich auch gegen noch unbekannte Täterschaft richten (vgl. BGE 137 IV 340 E. 6.2-6.5 S. 350 f.). Auch die Subsidiarität der Überwachungsmassnahme (Art. 269 Abs. 1 lit. c StPO) wird von der Beschwerdeführerin ausreichend und überzeugend dargetan. Sie hat nachvollziehbar ausgeführt, es kämen keine anderen Untersuchungsmassnahmen in Frage, um an die Passwörter zu gelangen. Die Installation einer leistungsstarken Kamera oder der Einsatz eines konventionellen ![]() ![]() | 8 |
Erwägung 4 | |
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4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe sich in ihrer Nichtgenehmigung der Überwachung nicht mit dem Argument auseinandergesetzt, wonach nicht die Beschaffenheit, sondern die Art und Weise der Einsetzung eines Überwachungsinstruments für dessen Qualifikation als Gerät im Sinne von Art. 280 StPO ausschlaggebend sei. Die Wirkweise der von ihr angeordneten Installation des software-basierten Keyloggers sei absolut identisch mit derjenigen ![]() ![]() | 10 |
Erwägung 5 | |
5.1 Beim Keylogger handelt es sich um eine Soft- oder Hardware, die in der Lage ist, die Tastatureingaben eines Users auf dem Rechner zu protokollieren, um so insbesondere die Eingabe von Passwörtern aufzeichnen bzw. ermitteln zu können. In der Literatur wird praktisch einhellig die Auffassung vertreten, dass Keylogger unter Art. 280 lit. b StPO zu subsumieren sind (vgl. EUGSTER/KATZENSTEIN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 28 zu Art. 280 StPO; RIEDO/FIOLKA/NIGGLI, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, 2011, N. 2067; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO] [nachfolgend: Praxiskommentar], 3. Aufl. 2018, N. 9 zu Art. 280 StPO, wohl auch THOMAS HANSJAKOB, Überwachungsrecht der Schweiz, Kommentar zu Art. 269 ff. StPO und BÜPF, 2018, N. 413). HANSJAKOB hielt 2014 noch fest, es gehe seiner Ansicht nach zu weit, wenn man wie SCHMID (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, a.a.O., N. 9 zu Art. 280 StPO) auch Keylogger unter Art. 280 lit. b StPO subsumiere, da lit. b das Aufzeichnen von Vorgängen, die Gegenstand einer Beobachtung sein können, meine (vgl. HANSJAKOB, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 15 zu Art. 280 StPO). 2017 hielt er ![]() ![]() | 11 |
In der erwähnten Literatur wird dabei nicht zwischen mechanischen bzw. physischen und software-basierten Keyloggern unterschieden. Einzig SCHMID spricht teilweise von "Geräten zur Messung von Funkwellen von Computern ausserhalb von Wohnungen, sogenanntes W-Land-Scannen oder Keylogger", die unter Art. 280 lit. b StPO fallen würden (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, a.a.O., N. 9 zu Art. 280 StPO). Demgegenüber spricht er im Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts nur von der "Messung von Funkwellen von Computern ausserhalb von Wohnungen, sogenanntes W-Land-Scannen oder Keylogger" und verzichtet auf den Begriff des Geräts (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 1166). Die Behauptung der Vorinstanz, in der Literatur würden nur Geräte unter Art. 280 lit. b StPO subsumiert und es werde nicht von einer zu installierenden Software gesprochen, trifft folglich nicht zu.
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Eine wie von der Vorinstanz vorgenommene Unterscheidung zwischen einem mechanischen, d.h. einem eigentlichen "Gerät" und einem software-basierten Keylogger ergibt denn auch keinen Sinn. Zwar spricht Art. 280 lit. b StPO tatsächlich von Überwachungsgeräten, worunter gemäss dem üblichen Sprachgebrauch grundsätzlich ein physischer bzw. mechanischer Gegenstand verstanden wird. Allerdings führt die Beschwerdeführerin zu Recht aus, nicht die Beschaffenheit des Keyloggers sei vorliegend ausschlaggebend für dessen Qualifikation als Gerät im Sinne von Art. 280 StPO, sondern die Art und Weise der Einsetzung. Soweit die Wirkweise des software-basierten Keyloggers, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, absolut identisch ist und nicht über jene eines mechanischen Keyloggers hinausgeht, kann es nicht darauf ankommen, ob ein (kleiner) physischer Gegenstand (inkl. Softwarekomponente), der zwischen der Tastatur und dem Rechner zu montieren ist, sämtliche Tastatureingaben aufzeichnet oder ob die Eingaben gestützt auf eine Software gelesen werden, die sich vorliegend via Upload auf dem USB-Stick zwischen das Betriebssystem und die Tastatur schaltet. Sinn und Zweck der beiden Keyloggers ist derselbe und eine künstliche Unterscheidung einzig aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit bzw. Installation rechtfertigt sich nicht. Der ![]() ![]() | 13 |
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Darüber hinaus wird mit dem auf einen USB-Stick hochgeladenen software-basierten Keylogger auch nicht ein Informatikprogramm in ein Datenverarbeitungssystem eingeschleust. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht darauf hingewiesen hat, handelt es sich nämlich bei USB-Sticks nicht um Verarbeitungssysteme (vgl. PHILIPPE WEISSENBERGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 10 zu Art. 143bis StGB), weshalb Art. 269ter StPO auch insofern nicht zur Anwendung gelangen kann. Die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz zu Art. 143bis StGB sind folglich unbehelflich.
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Im Übrigen wäre jedoch die Überwachung mittels Keylogger selbst dann zu genehmigen, wenn davon auszugehen wäre, dass tatsächlich Art. 269ter StPO vorliegend die zutreffende rechtliche Grundlage bilden würde. Denn die Voraussetzungen zur Anordnung einer Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten gemäss ![]() ![]() | 16 |
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5.4 Die Beschwerdeführerin hat schliesslich in ihrer Beschwerde vom 9. April 2020 nachvollziehbar dargelegt, weshalb die technische Überwachung mittels Keylogger einstweilen bis zum 1. Juli 2020 zu verlängern sei. Ihre Ausführungen, wonach sich der Tatverdacht gegen A. während der Überwachungsperiode weiter erhärtet habe, sind überzeugend. Sie begründet sodann klar, dass Passwörter erfahrungsgemäss regelmässig geändert würden und für das Entsperren von passwortgeschützten Geräten, Daten oder Applikationen stets das aktuelle Passwort benötigt werde. Dieses Passwort werde man nur anhand von Eingaben, die A. zeitlich nahe an seiner Verhaftung getätigt haben werde, erhältlich machen können. Da der Zeitpunkt der Verhaftung gegenwärtig noch offen ist, ist die technische Überwachung mittels Keylogger einstweilen, wie von der Beschwerdeführerin beantragt, bis zum 1. Juli 2020 zu verlängern. ![]() | 18 |
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