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Informationen zum Dokument  BGE 147 IV 465  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 4
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47. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Erben von A. sel. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_336/2021 vom 27. August 2021
 
 
Regeste
 
Art. 70 StGB; Art. 127 Abs. 1 StPO; Art. 35 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 OR; Einziehung von Vermögenswerten gegenüber den Erben der beschuldigten Person; Prozessvollmacht über den Tod hinaus.  
 
Sachverhalt
 
BGE 147 IV 465 (466)A. Das Grenzwachtkorps unterzog A. und dessen Fahrzeug am 29. September 2018 in St. Margrethen anlässlich von dessen Einreise in die Schweiz einer Kontrolle. Dabei stellte es unter dem Fahrersitz verstecktes, mit Kokain kontaminiertes Bargeld in der Höhe von EUR 15'000.- sowie rezeptpflichtige Medikamente, für welche A. kein Rezept mitführte, sicher. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, eröffnete in der Folge eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Verdachts der Geldwäscherei und des Vergehens gegen das Heilmittelgesetz.
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B. Am 26. November 2019 teilte die Rechtsvertreterin von A., Rechtsanwältin Magda Zihlmann, dem Untersuchungsamt Altstätten mit, dass A. kürzlich verstorben sei. Das Untersuchungsamt Altstätten stellte das Strafverfahren gegen A. daraufhin mit Verfügung vom 9. Dezember 2020 ein (Dispositiv-Ziff. 1). Gleichzeitig verfügte es die Einziehung des beschlagnahmten Bargeldes von EUR 15'000.- (Dispositiv-Ziff. 2). Die Verfügung vom 9. Dezember 2020 erwähnt im Rubrum als Partei A. sel. und als private Rechtsvertreterin Rechtsanwältin Magda Zihlmann. Die Zustellung des Entscheids erfolgte ausschliesslich an Rechtsanwältin Magda Zihlmann. Gemäss der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung kann gegen den Entscheid innert zehn Tagen Beschwerde im Sinne von Art. 393 ff. StPO erhoben werden. BGE 147 IV 465 (466)
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BGE 147 IV 465 (467)Auf die von Rechtsanwältin Magda Zihlmann gegen die Einziehung der EUR 15'000.- erhobene Beschwerde trat die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 10. Februar 2021 mangels Vollmacht nicht ein.
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C. Dagegen führt Rechtsanwältin Magda Zihlmann im Namen der noch nicht namentlich bekannten Erben von A. Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der Entscheid der Anklagekammer vom 10. Februar 2021 sowie die diesem zugrunde liegende Dispositiv-Ziff. 2 der Verfügung des Untersuchungsamtes Altstätten vom 9. Dezember 2020 seien aufzuheben und die sichergestellten Vermögenswerte seien unverzüglich auszuhändigen. Eventualiter sei die Sache zur Prüfung der Beschwerde an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Nichtigkeit von Dispositiv-Ziff. 2 der Verfügung vom 9. Dezember 2020 festzustellen. Rechtsanwältin Magda Zihlmann ersucht zudem um aufschiebende Wirkung und unentgeltliche Rechtspflege.
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D. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Stellungnahme.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 4
 
4.1 Gemäss Art. 127 Abs. 1 StPO können die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und die anderen Verfahrensbeteiligten zur Wahrung ihrer Interessen einen Rechtsbeistand bestellen. Eine Vollmacht erlischt grundsätzlich mit dem Tod des Vollmachtgebers (Art. 35 Abs. 1 OR). Sie kann gemäss Art. 35 Abs. 1 OR jedoch auch über den Tod hinaus erteilt werden (sog. transmortale Vollmacht). Die Gültigkeit der Vollmacht über den Tod hinaus kann sich gemäss Art. 35 Abs. 1 OR zudem aus der Natur des Geschäfts ergeben. Die für die Verfügungen von Todes wegen massgebenden besonderen Formvorschriften sind auf transmortale Vollmachten nach der herrschenden Lehre nicht anwendbar, weil es sich dabei nicht um ein Rechtsgeschäft von Todes wegen handelt (vgl. ZÄCH/KÜNZLER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 68 zu Art. 35 OR; DIETER ZOBL, Probleme im Spannungsfeld von Bank-, Erb- und Schuldrecht, AJP 2001 S. 1007 ff., 1009; ROLF WATTER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 7. Aufl. 2020, N. 8 zu Art. 35 OR).
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In Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Klienten und dem Anwalt greifen unter Vorbehalt von Sondervorschriften, wie sie sich BGE 147 IV 465 (467) BGE 147 IV 465 (468) namentlich aus dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) ergeben können, die Bestimmungen über den Auftrag im Sinne von Art. 394 ff. OR (vgl. etwa BGE 135 III 259 E. 2.1; Urteil 2C_1000/2020 vom 2. Juni 2021 E. 4.3.4). Der Auftrag erlischt, sofern nicht das Gegenteil vereinbart worden ist oder aus der Natur des Geschäfts hervorgeht, mit dem Tod des Auftraggebers (Art. 405 Abs. 1 OR). Falls das Erlöschen des Auftrages die Interessen des Auftraggebers gefährdet, so ist der Beauftragte verpflichtet, für die Fortführung des Geschäftes zu sorgen, bis die Erben des Auftraggebers in der Lage sind, es selbst zu tun (vgl. Art. 405 Abs. 2 OR).
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4.2 Prozessvollmachten über den Tod hinaus sind nach der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig (vgl. BGE 75 II 190 E. 1; 50 II 27 E. 1; Urteil 2C_498/2009 vom 28. August 2009 E. 2.1). Stirbt der Auftraggeber im Laufe des Prozesses und mangelt es an einer diesbezüglichen Vereinbarung, muss das Auftragsverhältnis in Beachtung des Vertrauensschutzprinzips nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre in Anwendung von Art. 35 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 OR auch wegen der Natur des Geschäfts fortbestehen, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, in welchem - nachdem die Erben ermittelt sind - abgeklärt ist, ob diese den Prozess fortzuführen gedenken und wer gegebenenfalls hierzu ermächtigt ist ( BGE 110 V 389 E. 2c; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2020, S. 354; ZÄCH/KÜNZLER, a.a.O., N. 43 und 52 zu Art. 35 OR; ALFRED KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, S. 377 Rz. 18.26; BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, S. 1234 Rz. 3143; vgl. auch BGE 132 III 222 für die Gültigkeit der Prozessvollmacht nach Eintritt der Handlungsunfähigkeit; offengelassen wurde in BGE 111 II 39 E. 1 und BGE 97 I 268 E. 4 der Einsatz von Vollmachten über den Tod hinaus im Grundbuchverkehr).
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Eine über den Tod hinaus erteilte Prozessvollmacht ist demnach nicht einfach unbeachtlich, nachdem diese Möglichkeit gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist und sich der Fortbestand der Prozessvollmacht nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur aus der Vereinbarung, sondern auch aus der Natur des Geschäfts ergeben kann (vgl. Art. 35 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 OR; BGE 110 V 389 E. 2c; vgl. oben). Sinn und Zweck einer transmortalen Vollmacht ist es u.a., die vermögensrechtliche Interessenwahrung nach dem Tod des Erblassers bis zur Ausstellung der Erbbescheinigung BGE 147 IV 465 (468) BGE 147 IV 465 (469) sicherzustellen, um so die Zeit bis zur Legitimation der Erben, die sehr lang sein kann, zu überbrücken (vgl. ZÄCH/KÜNZLER, a.a.O., N. 55 und 62 zu Art. 32 OR; ähnlich ZOBL, a.a.O., S. 1008). Darum geht es vorliegend.
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4.3 Die vorliegende Angelegenheit unterscheidet sich von den zuvor zitierten Entscheiden, welche generell oder für beschränkte Dauer vom Weiterbestand der Prozessvollmacht ausgehen (vgl. oben E. 4.2), als es nicht um ein hängiges (Zivil- bzw. Bundesverwaltungs-)Verfahren geht (vgl. zur Sistierung solcher Verfahren beim Tod der Partei bis zur Kenntnis der Erben: Art. 6 Abs. 2 und 3 BZP [SR 273] [i.V.m. Art. 4 VwVG; SR 172.021]; DANIEL SCHWANDER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/ Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 40 zu Art. 83 ZPO; Roger Weber, in: ZPO, Kurzkommentar, 3. Aufl. 2021, N. 10 zu Art. 126 ZPO; Julia Gschwend, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 4 zu Art. 126 ZPO). Vielmehr entschied das Untersuchungsamt Altstätten erst nach dem Tod des Erblassers über die Einziehung, welche sich wie dargelegt folglich nicht gegen den Erblasser, sondern gegen dessen Erben zu richten hat. Insoweit geht es vorliegend auch nicht um einen Fall eines Parteiwechsels. In dieser Konstellation erscheint es zum Schutz der einziehungsbetroffenen Erben - trotz der transmortalen Vollmacht des Erblassers - unabdingbar, dass die Erben von der Behörde, welche über die Einziehung zu befinden hat, über das Einziehungsverfahren nach Möglichkeit persönlich in Kenntnis gesetzt und aufgefordert werden, selber einen Rechtsbeistand zu bestimmen (welcher mit dem früheren Rechtsbeistand des Erblassers identisch sein kann), womit die Vollmacht des Erblassers über den Tod hinaus hinfällig wird bzw. im Falle eines Verzichts der Erben auf einen Rechtsbeistand als widerrufen zu gelten hat. Bis dahin behält die Vollmacht über den Tod hinaus jedoch grundsätzlich ihre Gültigkeit und der bevollmächtigte Rechtsanwalt kann sich darauf berufen, insbesondere wenn es wie vorliegend darum geht, sicherzustellen, dass die Behörde die einziehungsbetroffenen Erben persönlich in das Verfahren einbezieht.
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4.4 Rechtsanwältin Magda Zihlmann wurde mit der Vollmacht über den Tod hinaus vom 5. November 2018 angesichts des bei A. im Hinblick auf eine Einziehung nach Art. 70 StGB sichergestellten und beschlagnahmten Geldbetrages von EUR 15'000.- auch die Interessenwahrung in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit BGE 147 IV 465 (469) BGE 147 IV 465 (470) anvertraut. Das Untersuchungsamt Altstätten wäre wie dargelegt verpflichtet gewesen, die Erben von A. ausfindig zu machen, ihnen im Einziehungsverfahren die Parteirechte zu gewähren und sie aufzufordern, selbst einen Rechtsvertreter zu bestimmen. Rechtsanwältin Magda Zihlmann blieb, nachdem ihr der Einziehungsentscheid vom 9. Dezember 2020 eröffnet wurde, daher zu Recht nicht untätig. Vielmehr durfte und musste sie die zu ihren Gunsten unterzeichnete Vollmacht über den Tod hinaus und den ihr erteilten Auftrag dazu nutzen, um die Interessen der noch nicht namentlich bekannten Erben, für deren Ausfindigmachung in erster Linie das Untersuchungsamt Altstätten hätte besorgt sein müssen, zu wahren und die von ihr behauptete Nichtigkeit der Einziehung vom 9. Dezember 2020 bzw. deren fehlende Wirksamkeit gegenüber den Erben im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen. Die Vorinstanz trat auf die Beschwerde von Rechtsanwältin Magda Zihlmann zu Unrecht nicht ein, obschon sich diese auf eine gültige Vollmacht über den Tod hinaus berufen kann.
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Damit musste sich die Vorinstanz zwar nicht zur materiellen Zulässigkeit der Einziehung der EUR 15'000.- äussern. Sie hätte sich aber immerhin mit den sich stellenden prozessualen Fragen befassen und feststellen müssen, dass das Untersuchungsamt Altstätten die EUR 15'000.- zu Unrecht gegenüber einer verstorbenen und damit nicht mehr existierenden Partei, anstatt gegenüber deren Erben einzog und dass es verpflichtet gewesen wäre, die Erben vor der Einziehung ausfindig zu machen und diesen im Einziehungsverfahren die Parteirechte zu gewähren. Stattdessen stellt sich der angefochtene Entscheid fälschlicherweise auf den Standpunkt, die Einziehung der EUR 15'000.- sei mangels eines Rechtsmittels von Angehörigen im Sinne von Art. 382 Abs. 3 StPO gültig erfolgt.BGE 147 IV 465 (470)
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