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54. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und B. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_323/2021 vom 11. August 2021 | |
Regeste |
Art. 139 Abs. 2, Art. 164 Abs. 1 und 2, Art. 177 Abs. 2 StPO; Abklärungen zum Vorleben und den persönlichen Verhältnissen von Zeugen. | |
Sachverhalt | |
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B. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt sprach A. mit Urteil vom 11. November 2020 in teilweiser Gutheissung seiner Berufung der einfachen Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Von einer fakultativen Landesverweisung sah es ab.
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Das Appellationsgericht hält für erwiesen, dass A. B. am 28. Januar 2017 im C. Club in Basel am Hinterkopf eine Haut- und Weichteildurchtrennung zufügte, indem er einen gläsernen Gegenstand mit einer gewissen Heftigkeit von hinten aus einer Distanz von ca. 3 bis 4 Schritten gegen dessen Kopf warf.
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C. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Appellationsgerichts vom 11. November 2020 sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand freizusprechen. Es sei ihm für den erlittenen Freiheitsentzug eine Genugtuung von mindestens Fr. 4'000.- und für den erlittenen Erwerbsausfall Schadenersatz von mindestens Fr. 3'000.- auszurichten. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, er habe die ihn belastenden Zeugen D., E. und F. nicht fragen dürfen, ob gegen sie je ein Strafverfahren wegen falscher Zeugenaussage, falscher Anschuldigung oder ![]() ![]() | 6 |
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1 Ob und inwieweit Abklärungen zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu tätigen sind, ist in Art. 164 Abs. 1 und 2 sowie Art. 177 Abs. 2 StPO geregelt. Gemäss Art. 164 Abs. 1 StPO werden das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Zeugen nur abgeklärt, soweit dies zur Prüfung seiner Glaubwürdigkeit erforderlich ist. Bestehen Zweifel an der Urteilsfähigkeit oder liegen Anhaltspunkte für psychische Störungen vor, so kann die Verfahrensleitung eine ambulante Begutachtung der Zeugin oder des Zeugen anordnen, wenn die Bedeutung des Strafverfahrens und des Zeugnisses dies rechtfertigt (Art. 164 Abs. 2 StPO). Nach Art. 177 Abs. 2 StPO ![]() ![]() | 8 |
2.3.2 Art. 164 Abs. 1 StPO dient dem Schutz der Persönlichkeit von Zeuginnen und Zeugen. Die gemäss Art. 161 StPO bei der Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu beachtende Zurückhaltung muss zumindest ebenso gelten für Zeuginnen und Zeugen, gegen die ja kein Tatverdacht besteht (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1196 Ziff. 2.4.3.1 zu Art. 161 E-StPO). Art. 164 Abs. 1 StPO ist Ausfluss der allgemeinen Fürsorgepflicht, welche sich auch auf den Schutz des Persönlichkeits- und Ehrbereichs des Zeugen erstreckt (BÄHLER, a.a.O., N. 1 zu Art. 164 StPO). Dass Abklärungen zum Vorleben und zu den persönlichen Verhältnissen des Zeugen nur mit Zurückhaltung vorzunehmen sind, rechtfertigt sich, da der Zeuge nicht beschuldigte Person ist und der ständig latenten Gefahr entgegenzuwirken ist, dass Zeugen zu Beschuldigten gemacht werden (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO] [nachfolgend: Praxiskommentar], 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 164 StPO). Der Zeuge hat Anspruch auf eine ![]() ![]() | 9 |
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Daraus folgt, dass Abklärungen zum Vorleben und zu den persönlichen Verhältnissen im Sinne von Art. 164 Abs. 1 StPO nicht bereits dann notwendig sind, wenn Zweifel an der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen, sondern nur, wenn diese Zweifel auch geeignet sind, sich auf die konkrete Beweiswürdigung, d.h. die ![]() ![]() | 11 |
2.3.4 Der Kreis der Abklärungen, welche im Rahmen von Art. 164 Abs. 1 i.V.m. Art. 177 Abs. 2 StPO zur Glaubwürdigkeit des Zeugen zu tätigen sind, ist nicht abschliessend umschrieben. Das Ermessen des Justizorgans ist insofern insbesondere durch die Untersuchungsmaxime (vgl. Art. 6 StPO) begrenzt (DONATSCH, a.a.O., N. 16 zu Art. 177 StPO). Zulässig sind nur Erhebungen bezüglich der Glaubwürdigkeit, nicht aber anderer persönlicher Umstände wie etwa dem allgemeinen Lebenswandel (SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, a.a.O., N. 2 zu Art. 164 StPO). Die Befragung und allfällige andere Erhebungen (z.B. der Beizug von Akten gestützt auf Art. 194 StPO) betreffend Vorleben und persönliche Verhältnisse müssen sich auf allgemeine Fragen zu dieser Thematik beziehen und mit dem Ziel erfolgen, allfällige Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit des ![]() ![]() | 12 |
2.4 Die Vorinstanz weist im angefochtenen Entscheid zutreffend darauf hin, dass die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage nicht die Beweisverwertung, sondern die Beweiswürdigung betrifft. Art. 164 Abs. 1 StPO enthält weder eine Gültigkeits- noch eine Ordnungsvorschrift. Über die Generalfrage betreffend die Beziehungen des Zeugen zu den Parteien (Art. 177 Abs. 2 StPO) hinausgehende Abklärungen zum Vorleben und den persönlichen Verhältnissen des Zeugen sind wie dargelegt vielmehr nur zu tätigen, wenn dies für die Beweiswürdigung notwendig ist (vgl. dazu auch DONATSCH, a.a.O., N. 16 zu Art. 177 StPO). Zeugeneinvernahmen, die unvollständig sind (vgl. Art. 177 Abs. 2 StPO), sowie zu Unrecht unterlassene anderweitige Beweiserhebungen zwecks Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen (vgl. Art. 164 Abs. 1 StPO) sind im Berufungsverfahren nachzuholen (vgl. Art. 389 Abs. 2 lit. b StPO). Selbst wenn gewisse ergänzende Beweiserhebungen zum Vorleben und zu den persönlichen Verhältnissen im Sinne von Art. 164 Abs. 1 StPO ausnahmsweise nicht mehr möglich sein sollten, weil ein Zeuge beispielsweise verstorben oder nicht mehr auffindbar ist, führt dies grundsätzlich nicht zur Unverwertbarkeit der Zeugenaussage aus formellen Gründen, sondern es bleibt eine Frage der Beweiswürdigung, ob auf die Zeugenaussage dennoch abgestellt werden kann (vgl. dazu BGE 140 IV 196 E. 4.4.5; Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 7.3.2, nicht publ. in: BGE 143 IV 214 , für die gerichtliche Befragung im Sinne von Art. 343 Abs. 3 StPO; siehe ![]() ![]() | 13 |
Erwägung 2.5 | |
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2.5.2 Die Vorinstanz schliesst die Personen aus der Gruppe der Zeugen aufgrund der räumlichen Distanz zum Opfer als Täter im angefochtenen Entscheid willkürfrei aus. Bei D., E. und F. handelt es sich somit um Zufallszeugen, d.h. um Personen, die zufällig am Tatort anwesend waren und die Tat bzw. damit zusammenhängende Umstände als Unbeteiligte beobachtet haben. Die Vorinstanz legt zudem dar, die drei Zeugen hätten im Wesentlichen übereinstimmende Aussagen zum Täter gemacht. Eine Absprache zwischen den Zeugen oder Gründe für eine Belastung des Beschwerdeführers wider besseres Wissen verneint sie. Selbst wenn gegen einen der Zeugen in einem anderen Zusammenhang jemals ein Strafverfahren wegen eines Rechtspflegedelikts eröffnet oder dieser gar wegen einer solchen Straftat verurteilt worden wäre, wofür der Beschwerdeführer jedoch keine Anhaltspunkte liefert, ist nicht ersichtlich, dass und weshalb sich dies in Berücksichtigung der gesamten Beweislage zugunsten des Beschwerdeführers auswirken müsste. In der Lehre wird zwar verschiedentlich die Auffassung vertreten, ein früheres Strafverfahren gegen einen Zeugen wegen falscher Zeugenaussage ![]() ![]() ![]() | 15 |
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