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3. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1320/2020 vom 12. Januar 2022 | |
Regeste |
Art. 184 Abs. 3 StPO; Gehörsanspruch betreffend sachverständige Person und Gutachterfragen; Verzicht. |
Art. 184 Abs. 3 Satz 1 StPO konkretisiert den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Eine Verletzung dieses Anspruchs kann durch die nachträgliche Gewährung von Akteneinsicht in den Gutachterauftrag und das Gutachten geheilt werden. Bringt die beschuldigte Person nach Einsicht in den Gutachterauftrag und das Gutachten keine Ausstandsgründe oder Anmerkungen zu den Gutachterfragen resp. Ergänzungsfragen vor, ist von einem Verzicht auf eine Stellungnahme zur sachverständigen Person und den Gutachterfragen auszugehen (E. 5.5.2). | |
Sachverhalt | |
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B. Gegen das Urteil des Kreisgerichts St. Gallen erhob A. Berufung. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und B. reichten Anschlussberufungen ein.
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Das Kantonsgericht St. Gallen stellte mit Entscheid vom 7. Juli 2020 fest, dass mehrere Ziffern des erstinstanzlichen Entscheiddispositivs nicht angefochten und damit rechtskräftig seien. Dies betrifft insbesondere die verfügte Teileinstellung, diverse Freisprüche, die Einziehung sichergestellter Gegenstände, die Verwendung des sichergestellten Bargelds und Zivilforderungen (inkl. Anerkennung der Genugtuungsforderung von C., der Schadenersatzforderung der Q. und weiterer Zivilforderungen sowie Bezahlung einer Genugtuung an D.). Nebst dem erklärte das Kantonsgericht verschiedene ![]() ![]() | 3 |
Von den Vorwürfen des Raubes im Zusammenhang mit dem Anklagesachverhalt 1.1.1 ("Hotel P.") sowie der versuchten vorsätzlichen Tötung, des versuchten qualifizierten Raubes und der Sachbeschädigung (Anklagesachverhalt 1.5.1 "N. Abtwil") sprach das Kantonsgericht A. frei. Es befand ihn für schuldig des mehrfachen Raubes (Anklagesachverhalte 1.3.1 "N. Wil" und 1.4.1 "R. Tankstellenshop Wil"), des qualifizierten Raubes unter Mitführen einer Waffe (Anklagesachverhalt 1.2.1 "O. AG Tankstellenshop Bronschhofen") sowie des qualifizierten Raubes mit besonderer Gefährlichkeit (Anklagesachverhalt 1.6.1 "E.").
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A. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten, dies unter Anrechnung der bereits erstandenen Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs, einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 10.- und einer Busse von Fr. 400.- verurteilt. Weiter wurde eine stationäre therapeutische Massnahme angeordnet. Das Kantonsgericht verpflichtete A., B. eine Genugtuung von Fr. 3'000.- zu bezahlen und verwies dessen Zivilforderung im Mehrbetrag auf den Zivilweg. Schliesslich regelte es die Kosten- und Entschädigungsfolgen.
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C. A. führt Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 7. Juli 2020 sei in Bezug auf die Dispositiv-Ziffern 4-15 und 19 (Schuldsprüche, ![]() ![]() | 6 |
Eventualiter sei er der mehrfachen Sachbeschädigung und der unberechtigten Verwendung eines Fahrrades (Anklagesachverhalte 1.11.1 "Gefängnis Appenzell" und 1.12.1 "Gefängnis St. Gallen"), der Hinderung einer Amtshandlung, der mehrfachen Verletzung von Verkehrsregeln und des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Verweigerung, Entzugs oder Aberkennung des Ausweises (Anklagesachverhalt 1.9.1 "Flucht nach Raub auf E."), des zusätzlichen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Verweigerung, Entzugs oder Aberkennung des Ausweises (Anklagesachverhalte 1.19.1 und 1.20.1) sowie der mehrfachen Widerhandlungen gegen das WG (Anklagesachverhalte 1.17.1 und 1.18.1) für schuldig zu befinden und angemessen zu bestrafen. Betreffend mehrfacher Raub (Anklagesachverhalte 1.3.1 "N. Wil" und 1.4.1 "R. Tankstellenshop Wil"), qualifizierter Raub unter Mitführen einer Waffe (Anklagesachverhalt 1.2.1 "O. AG Tankstellenshop Bronschhofen"), qualifizierter Raub mit besonderer Gefährlichkeit, fahrlässige schwere Körperverletzung und Sachbeschädigung (Anklagesachverhalt 1.6.1 "E."), qualifizierte einfache Körperverletzung, Raufhandel, Freiheitsberaubung und Hausfriedensbruch (Anklagesachverhalt 1.7.1 "Chur") sowie Drohung, Nötigung, mehrfache grobe Verletzung der Verkehrsregeln und Führen eines Motorfahrzeugs trotz Verweigerung, Entzug oder Aberkennung des Ausweises (Anklagesachverhalt 1.8.1 "Bütschwil") sei er von Schuld und Strafe freizusprechen. ![]() | 7 |
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Subeventualiter sei das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 7. Juli 2020 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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A. ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
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Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 5 | |
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5.3 Gemäss Art. 182 StPO ziehen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte eine oder mehrere sachverständige Personen bei, wenn sie nicht über die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die zur Feststellung oder Beurteilung eines Sachverhalts erforderlich sind. Als Sachverständige können natürliche Personen ernannt werden, die auf dem betreffenden Fachgebiet die erforderlichen ![]() ![]() | 15 |
5.4 Im Untersuchungsbericht der Kantonspolizei St. Gallen, Abteilung forensische Chemie und Technologie, vom 21. Februar 2014 wurden im Auftrag der Staatsanwaltschaft eine Bestimmung des vom Täter beim Raubüberfall auf den Tankstellenshop der O. AG in Bronschhofen verwendeten Waffentyps sowie ein Abgleich mit der in der Wohnung des Beschwerdeführers sichergestellten Munition vorgenommen. Die Staatsanwaltschaft verfügte offensichtlich nicht über das nötige Fachwissen, um diese Fragen ohne Beizug von Sachverständigen zu beantworten. Der fragliche Untersuchungsbericht stellt somit ein Gutachten dar, welches den formellen Anforderungen von Art. 182 ff. StPO zu genügen hat (vgl. Urteil 6B_619/2014 vom 4. November 2014 E. 1.3). Die Verfasser des Berichts sind Mitarbeiter des forensisch-naturwissenschaftlichen Dienstes der Kantonspolizei St. Gallen und damit nach Art. 40 lit. c des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO/SG; sGS 962.1) amtliche Sachverständige. Die Strafprozessordnung sieht nicht vor, dass der aus Art. 184 Abs. 3 StPO fliessende Gehörsanspruch der Parteien bei amtlichen Sachverständigen entfallen würde. Folglich ist den Parteien auch vor der Einholung eines Gutachtens bei einem amtlichen Sachverständigen Gelegenheit einzuräumen, sich zu dessen Person und den Gutachterfragen vernehmen zu lassen (so auch ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 35 ![]() ![]() | 16 |
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5.5.2 Art. 184 Abs. 3 Satz 1 StPO konkretisiert den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör nach Art. 107 Abs. 1 lit. d StPO und Art. 29 Abs. 2 BV (vgl. BGE 144 IV 69 E. 2.2 mit Hinweisen). Sein Sinn und Zweck besteht darin, dass die Parteien frühzeitig Gelegenheit erhalten sollen, allfällige Ausstandsgründe vorzubringen ![]() ![]() | 19 |
Gemäss unangefochten gebliebenen und für das Bundesgericht nach Art. 105 Abs. 1 BGG verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde dem Beschwerdeführer am 21. März und am 14. Oktober 2014 vollständige Akteneinsicht gewährt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihm der Untersuchungsbericht vom 21. Februar 2014 mitsamt den Gutachterfragen, den Antworten und den Personen der Sachverständigen bekannt und er hätte die Möglichkeit gehabt, nachträglich Ausstandsgründe geltend zu machen oder Ergänzungsfragen zu stellen. Damit kann eine allfällige Gehörsverletzung als noch im Untersuchungsverfahren geheilt gelten. Dies gilt umso mehr, als den Parteien lediglich ein Mitspracherecht, jedoch kein Anspruch auf Bestellung eines bestimmten Sachverständigen und auf bestimmte Fragen zusteht (DONATSCH, a.a.O., N. 36 zu Art. 184 StPO; VUILLE, a.a.O., N. 17 zu Art. 184 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 13 zu Art. 184 StPO; HEER, a.a.O., N. 22 und 24 zu Art. 184 StPO) und eine etwaige Gehörsverletzung somit nicht schwer wiegen würde. Dass er die nachträgliche Äusserungsmöglichkeit genutzt und namentlich Ablehnungsgründe gegen die Experten oder Anmerkungen zu den Gutachterfragen vorgebracht hätte, bringt der Beschwerdeführer nicht vor. Vielmehr berief er sich im Berufungsverfahren, wie aus seinen Ausführungen geschlossen werden kann, erstmals auf die Unverwertbarkeit des Untersuchungsberichts, wobei er in genereller Weise das Fehlen der formellen Voraussetzungen nach Art. 182 ff. StPO beanstandete und keine konkreten Beweisanträge stellte. Vor diesem Hintergrund ist von einem Verzicht auf eine Stellungnahme zu den Sachverständigen und den an diese zu richtenden Fragen auszugehen (siehe auch BGE 144 IV 69 E. 2.5; ![]() ![]() ![]() | 20 |
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