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5. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau und C. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_727/2020 vom 28. Oktober 2021 | |
Regeste |
Art. 117 StGB; Art. 26 Abs. 2 HMG; fahrlässige Tötung (Freispruch), Sorgfaltspflichtverletzung. |
Die Geheimhaltungspflicht des Arztes verbietet jede Weitergabe des Geheimnisses an Dritte. Sie schützt die Persönlichkeit des Patienten und bleibt nach Abschluss der Behandlung bestehen (E. 2.4.3). Im Allgemeinen kann der Arzt davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen Patienten zu tun hat, weshalb er sich grundsätzlich auf dessen Angaben verlassen darf (E. 2.7.2). |
Im vorliegenden Fall hatte der Arzt eine Erstanamnese vorgenommen, die Frage nach einer Antibiotika-Allergie abgeklärt und die Patientin aufgefordert, ihm die medizinischen Akten zu bringen. Als diese ausblieben, hakte er nach und bat seine Patientin, ihm diese Unterlagen "dringend" nachzureichen. Damit ist der Arzt den gebotenen Abklärungspflichten und seiner Sorgfaltspflicht hinreichend nachgekommen. Für ihn ergab sich weder aus dem Gesetz noch aus den anerkannten Regeln der Branche eine Pflicht, selber aktiv zu werden und die von der Patientin nicht wahrgenommene Beschaffung ihrer früheren Krankenakten zu übernehmen (E. 2.8). | |
Sachverhalt | |
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C. wird vorgeworfen, dass er gewusst habe oder zumindest hätte wissen müssen, dass Cefuroxim bei einer Penicillinallergie nicht verschrieben werden dürfe. Er habe pflichtwidrig unvorsichtig gehandelt, indem er D.A. Cefuroxim verschrieben habe, obschon er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen hätte wissen müssen, dass sie auf dieses Medikament allergisch reagieren würde und diese allergische Reaktion zum Tod führen könnte.
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B. Die Präsidentin des Strafgerichts Kulm sprach C. mit Urteil vom 22. November 2018 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Sie wies die Adhäsionsklage von A.A. und B.A. ab.
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Auf Berufung von A.A. und B.A. hin sprach das Obergericht des Kantons Aargau C. am 11. Mai 2020 ebenfalls von Schuld und Strafe frei. Es wies die Zivilklage von A.A. und B.A. ab.
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C. A.A. und B.A. führen Beschwerde in Strafsachen und beantragen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Mai 2020 sei aufzuheben und C. sei wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen. Er sei zu verpflichten, B.A. eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 20'000.- und A.A. eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 15'000.-, jeweils nebst Zins zu 5 % seit 21. Mai 2015 (als Solidarschuldner mit G.), zu bezahlen. A.A. und B.A. ersuchen zudem um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Mit Verfügung vom 14. Juli 2020 wies das Bundesgericht das Gesuch von A.A. um unentgeltliche Rechtspflege bzw. um Erlass des Kostenvorschusses ab. In Bezug auf B.A. verzichtete es ![]() ![]() | 6 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.3.3 Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Dies ist der Fall, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 145 IV 154 E. 2.1; BGE 143 IV 138 E. 2.1; je mit Hinweis). Fehlen solche, kann sich der Vorwurf der Fahrlässigkeit auf allgemein anerkannte Verhaltensregeln privater oder halbprivater Vereinigungen (BGE 127 IV 62 E. 2d; Urteil 6B_958/2020 vom 22. März 2021 E. 3.3.2; je mit Hinweis) oder auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz stützen (BGE 145 IV 154 E. 2.1; BGE 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen). Denn einerseits begründet nicht jeder Verstoss gegen eine gesetzliche oder für bestimmte Tätigkeiten allgemein anerkannte Verhaltensnorm den Vorwurf der Fahrlässigkeit, und andererseits ![]() ![]() | 11 |
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Welche Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes zu stellen sind, ist eine Rechtsfrage; zum Sachverhalt gehört hingegen die Frage, ob eine allgemein anerkannte Berufsregel existiert, welches der Zustand des Patienten war und wie sich die ärztliche Handlung abgespielt hat (BGE 133 III 121 E. 3.1; Urteile 6B_63/2020 vom 10. März 2021 E. 3.3.2; 6B_170/2017 vom 19. Oktober 2017 E. 2.3; je mit Hinweisen).
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2.3.5 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und die Behebung des ![]() ![]() | 14 |
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1; BGE 142 II 206 E. 2.5; je mit Hinweisen).
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Erwägung 2.4 | |
2.4.1 Das Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) soll zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier gewährleisten, dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden (Art. 1 Abs. 1 HMG). Nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 des Heilmittelgesetzes müssen bei der Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden. Ein Arzneimittel darf nur verschrieben werden, wenn der Gesundheitszustand der Konsumentin oder des Konsumenten beziehungsweise der Patientin oder des Patienten bekannt ist (Art. 26 Abs. 2 HMG). Der Begriff der Verschreibung wird vom Bundesgesetzgeber nicht (näher) definiert. Gemäss der Lehre folgt die Verschreibung dem Erstellen der therapeutischen Vereinbarung und wird der individuellen Situation des Patienten (Dosis, Anzahl, Intervalle sowie Art der Anwendung) angepasst (vgl. BGE 142 II 80 E. 2.1 mit Hinweis auf GIGER/SAXER/WILDI/FRITZ, Arzneimittelrecht, 2013, S. 12 f.). Die Lehre folgert aus Art. 26 Abs. 2 HMG, dass die Vitaldaten des Patienten, sein Gesundheitszustand, Allergien, Arzneimittelunverträglichkeiten sowie das Interaktionspotential mit anderen Wirkstoffen bzw. Arznei- und Nahrungsmitteln dem verschreibenden Arzt bekannt sein müssen (vgl. BGE 142 II 80 E. 2.1 mit Hinweisen auf GIGER/SAXER/WILDI/FRITZ, a.a.O., S. 12 f.; URS ![]() ![]() | 16 |
Das Abgabesystem des Heilmittelgesetzes beruht im Interesse der Arzneimittelsicherheit und des Patientenschutzes auf einer Fachberatung durch entsprechende Hinweise im Rahmen der Verschreibung und der Abgabe; die Abgabe an die Konsumenten soll - abgesehen von Fällen der Selbstdispensation, der Abgabe in Notfällen und der Anwendung am Patienten während der Behandlung - erst nach zweifacher Kontrolle durch Fachpersonen in Anwendung ihrer jeweiligen anerkannten Wissenschaften erfolgen. Dabei hat der Apotheker grundsätzlich nach den Vorgaben der ärztlichen Verschreibung zu handeln. Er hat sich indessen bei der das Rezept ausstellenden Person über die Richtigkeit zu vergewissern, wenn er nach den Umständen an der medizinischen Indikation des verschriebenen Arzneimittels zweifeln muss. In diesem Sinne sieht Art. 26 Abs. 1 HMG vor, dass der Apotheker die ärztliche Verschreibung kontrollieren und allfällige Unstimmigkeiten in Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt bereinigen muss (BGE 142 II 80 E. 2.2; BGE 140 II 520 E. 3.2; Urteil 9C_397/2009 vom 16. Oktober 2009 E. 4.3; je mit Hinweisen; HEIDI BÜRGI, in: Basler Kommentar HMG, a.a.O., N. 11 f. zu Art. 24 HMG und N. 10 ff. zu Art. 26 HMG; zur Doppelkontrolle bzw. dem 4-Augenprinzip siehe auch die Regeln der Guten Abgabepraxis für Heilmittel vom 14. September 2009, Ziff. 20.3.4.5 S. 12 f. und Ziff. 20.3.6.2 S. 16).
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Nach der Untersuchung und dem Stellen der Diagnose muss der Arzt auch die Indikation für eine bestimmte Heilbehandlung oder diagnostische Untersuchung stellen. Der Arzt hat die im Einzelfall richtige Therapie zu wählen und darauf zu achten, dass keine Unverträglichkeiten (Kontraindikation) bestehen (FELLMANN, a.a.O., S. 123 f.; AEBI-MÜLLER UND ANDERE, a.a.O., S. 51). Häufige Fehler bei der Festlegung der Therapie betreffen die falsche Wahl von Medikamenten bzw. die (unverträgliche) Kombination von Medikamenten. Entscheidend kommt es dabei darauf an, ob die ungünstige Wirkungsweise (Kontraindikation) bzw. Unverträglichkeit im Zeitpunkt der Applikation erkennbar war oder nicht (HAUSHEER/JAUN, Unsorgfältige ärztliche Behandlung - Arzthaftung, in: Haftung und Versicherung, Weber/Münch [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, Rz. 19.23).
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2.4.3 Gemäss Präambel regelt die Standesordnung der FMH vom 12. Dezember 1996 die Beziehungen des Arztes und der Ärztin zu ihren Patienten und Patientinnen, zu ihren Kollegen und Kolleginnen sowie das Verhalten in der Öffentlichkeit und gegenüber den Partnern im Gesundheitswesen. Die Standesordnung der FMH sieht in Art. 11 Abs. 3 vor, dass das Patientengeheimnis auch gegenüber Kollegen und Kolleginnen gilt. Bei der Zusammenarbeit von mehreren Ärzten oder Ärztinnen (Konsilien, Überweisung, Einweisung etc.) darf das Einverständnis der Patienten und Patientinnen zur Weitergabe der medizinisch erheblichen Informationen in der ![]() ![]() | 21 |
Die Geheimhaltungspflicht des Arztes verbietet jede Weitergabe des Geheimnisses an Dritte. Sie verlangt sogar besondere Vorkehrungen zum Schutz des Geheimnisses. Der Arzt ist beispielsweise verpflichtet, die Krankengeschichte des Patienten den Augen Unberufener zu entziehen und sie sicher zu verwahren. Geheim zu halten sind selbstverständlich auch alle Ergebnisse der Untersuchungen des Arztes, vorab die Diagnose, aber auch deren Grundlagen. Die Geheimhaltungspflicht schützt die Persönlichkeit des Patienten. Er allein hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er seine Angelegenheiten Dritten offenbaren will. Die Geheimhaltungspflicht bleibt nach Abschluss der Behandlung bestehen. Liegt die Einwilligung des Patienten zur Offenbarung der Geheimnisse vor, ist deren Preisgabe durch den Arzt jederzeit zulässig. Soweit die Offenbarung geheimer Tatsachen zur erfolgreichen Erfüllung des Auftrags notwendig ist, kann der Arzt in der Regel von einer stillschweigenden Einwilligung des Patienten ausgehen. Der Arzt darf daher den Spezialisten in sein Wissen einweihen, den er mit Zustimmung des Patienten zur Behandlung hinzuzieht (FELLMANN, a.a.O., S. 129 ff.). Die Pflicht zur Führung einer Krankengeschichte ist Teil der Pflicht zur sorgfältigen Behandlung. Sie hat vor allem bei einem Arztwechsel oder bei der Zusammenarbeit mehrerer Ärzte Bedeutung. Bei einem Arztwechsel kann der Patient verlangen, dass der neue Arzt vom bisherigen Arzt eine Kopie der Krankengeschichte erhält (FELLMANN, a.a.O., S. 136 und 139).
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2.5 Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner am 12. Mai 2014 in seiner Arztpraxis eine Erstanamnese seiner neuen Patientin, D.A., durchgeführt hat. Im persönlichen Gespräch mit ihr hat er insbesondere die Frage nach einer Antibiotika-Allergie abgeklärt und sie aufgefordert, frühere Krankenakten zu bringen. Anlässlich dieses Gesprächs überliess D.A. ihrem neuen Hausarzt zwar ![]() ![]() | 23 |
Ferner steht fest, dass der Beschwerdegegner am 21. Mai 2015 die richtige Diagnose (akute Bronchitis) gestellt und seiner Patientin ein Medikament verschrieben hat, das (unter Vorbehalt von Unverträglichkeiten) grundsätzlich zur Behandlung der diagnostizierten Krankheit geeignet war. Insbesondere war die Antibiose (d.h. ein Antibiotikum) als Behandlungsmittel richtig. Im Zeitpunkt der Verschreibung des Medikaments Cefuroxim hatte der Beschwerdegegner weder Kenntnis vom Austrittsbericht des Spitals U. vom April 2009 (Hinweis auf Allergien) noch vom Notfallbericht desselben Spitals (Hinweis auf einen anaphylaktischen Schock). Ferner wusste er nicht, dass das Patientendossier in der Apotheke E. einen Hinweis auf die Unverträglichkeit in Bezug auf das verschriebene Cefuroxim und andere Heilmittel enthielt, wozu er auch keinen Zugang hatte. Der Beschwerdegegner besass jedoch den Marcoumarpass (Ausweis für orale Antikoagulation). Dieser Ausweis enthielt indessen keine direkten bzw. klaren Hinweise auf Allergien. Zum Zeitpunkt der Verschreibung des Medikaments Cefuroxim verfügte der Beschwerdegegner über die weitere Information, dass seine Patientin an einem polyallergischen Asthma bronchiale mit rezidivierenden Infektexazerbationen, einer Sensibilisierung auf Pollen und Tierhaare sowie an einer Kontrastmittelallergie litt. Aus den ihm im Verschreibungszeitpunkt vorliegenden Informationen ergaben sich keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko resp. eine Überempfindlichkeit auf Penicillin und Cefuroxim.
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Weiter ist vorliegend nicht bestritten, dass der Beschwerdegegner mit D.A. einen hausärztlichen Behandlungsvertrag abgeschlossen und ihr gegenüber eine Garantenstellung inne hatte.
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In dem von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachten vom 19. September 2017 hält Prof. Dr. med. H. zunächst einige einführende Grundlagen fest. Demzufolge sei ein Asthma bronchiale durch anfallsweise Verkrampfung der Bronchien charakterisiert und führe zu vermehrter Bildung von zähem Schleim, was zu Atemnot, hörbarem Atemgeräusch und Hustenattacken führe. Bei sehr ![]() ![]() | 26 |
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Erwägung 2.7 | |
2.7.1 Die Beschwerdeführer rügen, der Beschwerdegegner habe die Einträge auf dem Marcoumarpass (Ausweis für orale Antikoagulation) überhaupt nicht beachtet oder habe ihnen keine Bedeutung zugemessen. Bei sorgfältiger Berufsausübung hätte er den in diesem ![]() ![]() | 28 |
Die Rüge ist unbegründet. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, ist es naheliegend, dass der Beschwerdegegner den Marcoumarpass gesehen hat. Weiter steht ausser Frage, dass der Marcoumarpass nicht ein Allergiepass ist, dass dieser Pass im konkreten Fall keinen direkten bzw. klaren Hinweis auf Allergien enthielt und dass Hinweise auf unverträgliche Medikamente auf einem Marcoumarpass nicht typisch sind. Damit erwägt die Vorinstanz zu Recht, dass selbst wenn dem Beschwerdegegner der Marcoumarpass zur Verfügung stand, er die darauf aufgeführten Medikamente nicht als Hinweis auf Unverträglichkeiten auf Antibiotika interpretieren musste, insbesondere auch weil die Patientin die Frage nach Antibiotika-Allergien explizit verneint hatte und auf dem Pass keinerlei Hinweise auf den Grund der Medikamentenabgabe (Unverträglichkeit) angebracht war.
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Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Der Arzt kann im Allgemeinen davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen Patienten zu tun hat (vgl. LANDOLT/HERZOG-ZWITTER, Arzthaftungsrecht, 2015, Rz. 945). Prof. Dr. med. H. hält im Gutachten abschliessend zwar fest, es lasse sich nicht nachvollziehen, inwiefern die Patientin selbst über ihre "Allergien" informiert gewesen sei. Hinweise, dass ihre "Allergien" bei ihr offenbar selbst ein Thema gewesen seien, seien der Marcoumarpass und die Einträge im Apothekencomputer. Die Patientin habe diverse Unverträglichkeitsreaktionen auf mehrere Medikamente erlitten, die von Laien häufig als "Allergien" bezeichnet würden. Somit sei es nachvollziehbar, dass die Patientin selbst angesichts der häufigen Verschreibung und Einnahme von Medikamenten über ihre verschiedenen Allergien zu wenig sicher Bescheid gewusst habe, um eine zuverlässige Information geben zu können. Diese Würdigung des Gutachters bedeutet entgegen der Meinung der Beschwerdeführer indessen nicht, dass der Beschwerdegegner im Zeitpunkt der Verschreibung des fraglichen Medikaments wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich nicht ![]() ![]() | 31 |
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2.8 Schliesslich rügen die Beschwerdeführer, der Beschwerdegegner habe ihre Mutter über ein Jahr lang alle zwei Wochen behandelt, ohne über sämtliche medizinischen Akten zu verfügen. Erhalte ein Hausarzt nicht die vollständigen medizinischen Akten einer Patientin mit einer solchen Krankengeschichte wie ihre Mutter, obwohl er sie zweimal darum gebeten habe, ihm die entsprechenden Unterlagen zu bringen, sei es seine Pflicht, diese medizinischen Vorakten ![]() ![]() | 33 |
Auch in diesem Punkt erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdegegner eine Erstanamnese vorgenommen und im persönlichen Gespräch mit D.A. insbesondere auch die Frage nach einer Antibiotika-Allergie abgeklärt und sie aufgefordert, ihm die weiteren früheren medizinischen Akten zu bringen. Als diese ausblieben, hakte er bei einer späteren Konsultation, etwa einen Monat später, nochmals nach und bat seine Patientin, ihm diese Unterlagen "dringend" nachzureichen. Damit ist der Beschwerdegegner den gebotenen Abklärungspflichten und seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht hinreichend nachgekommen. Auch den gutachterlichen Ausführungen lässt sich nichts anderes entnehmen. Gemäss Gutachten wird die Frage nach der früheren Einnahme und Verträglichkeit von Medikamenten bei einer Neu- und Erstverschreibung gestellt. Dies insbesondere bei Substanzgruppen der Antibiotika und der Schmerzmittel/NSAID, die nicht selten zu Überempfindlichkeitsreaktionen führen können. Allergische Reaktionen, seien sie vom Patienten berichtet, vom behandelnden Arzt selbst beobachtet oder durch einen Facharzt abgeklärt worden, würden üblicherweise in der Krankengeschichte in einer separaten Rubrik oder vorne auf dem Titelblatt aufgeführt. Die Abgabe eines Allergiepasses an den Patienten werde empfohlen. Anlässlich der vorinstanzlichen Verhandlung wurde der Sachverständige u.a. gefragt, ob die Verschreibung von Cefuroxim den ärztlichen Regeln der Kunst entsprochen habe, wenn dem Arzt keine Antibiotika-Allergie bekannt gewesen sei, dieser jedoch gewusst habe, dass die Patientin an einem polyallergischen Asthma bronchiale mit rezidivierenden Infektexazerbationen sowie an einer Sensibilisierung auf Pollen und Tierhaare leide, und ihm ausserdem der Marcoumarpass vorgelegen habe, auf dem verschiedene Medikamente aufgeführt gewesen seien. Der Gutachter antwortete im Wesentlichen, die Patientin habe Asthma gehabt. Sie habe ein Infekt gehabt und die Indikation für eine Antibiose habe bestanden. ![]() ![]() | 34 |
Dass D.A. anlässlich der Erstkonsultation erklärte, sie werde die aktuellen Berichte ihrer früheren Hausärztin noch aushändigen, kann mit den Beschwerdeführern zwar so verstanden werden, dass sie nichts dagegen hatte oder gar wünschte, dass der Beschwerdegegner als ihr neuer Hausarzt umfassende Aktenkenntnis erhalten sollte. Gleichwohl ergab sich für den Beschwerdegegner weder aus dem Gesetz noch aus den anerkannten Regeln der Branche, wie der Standesordnung der FMH, vorliegend eine Pflicht, selber aktiv zu werden und die von der Patientin - trotz mehrmaliger Aufforderung - nicht wahrgenommene Beschaffung ihrer früheren Krankenakten zu übernehmen. Dass er diese Unterlagen ohne grossen Aufwand bei der ihm namentlich bekannten früheren Hausärztin hätte beziehen können, vermag nichts daran zu ändern. Gleich verhält es sich bezüglich des Umstands, dass der Beschwerdegegner D.A. über ein Jahr lang etwa alle zwei Wochen behandelte, zumal die Häufigkeit bzw. Anzahl der Behandlungen durch die Tatsache relativiert wird, dass die Blutverdünnung eine regelmässige Kontrolle des INR-Werts verlangt. Die Besprechung dieses Werts und die Festlegung der neuen Marcoumareinnahme erfolgt in der Regel im Rahmen einer routinemässigen Konsultation.
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Die Rüge der Verletzung von Art. 26 Abs. 2 HMG erweist sich nach dem Dargelegten als unbegründet.
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