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43. Auszug aus dem Urteil vom 19. Mai 1972 i.S. Aiello gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | |
Regeste |
Art. 76 und 77 KUVG. |
- Schätzung der Invalidität: |
- - bei Schädigung eines paarigen Organs, insbesondere einer Niere (Erw. 2 und 3); |
- - bei mehreren, von demselben Versicherungsfall herrührenden Schädigungen; Grad der Gesamtinvalidität (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Giuseppe Aiello liess beim Versicherungsgericht des Kantons Luzern beschwerdeweise beantragen, es sei ihm eine Rente wegen 60%iger Invalidität zuzusprechen.
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Die Vorinstanz holte beim Chirurgen Dr. M. ein Gutachten ein. Der Experte schätzte die Erwerbsunfähigkeit auf 55%, die sich aus folgenden Faktoren zusammensetze: 30% für die Wirbelsäulenfraktur, 20% für den Verlust der Niere und 5% für die Folgen der Radiusfraktur.
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Der kantonale Richter vertrat die Meinung, dass im vorliegenden Fall bei der Invaliditätsschätzung auf die medizinischtheoretische Invalidität abgestellt werden müsse, weil Giuseppe Aiello in Italien nur sporadisch arbeite und die wirtschaftliche Invalidität deshalb nicht massgebend sei. Die Vorinstanz folgte der gutachtlichen Schätzung bezüglich der Folgen der Wirbelsäulen- und Radiusfraktur, erachtete jedoch die Folgen des Nierenverlustes mit 10% als angemessen berücksichtigt, da ![]() | 4 |
C.- Mit der gegen diesen Entscheid erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte beantragen, es sei ihm "eine Invalidenrente auf der Basis einer Invalidität von 55% zuzuerkennen". Die SUVA müsse bei Verlust eines paarigen Organs auch das Risiko späteren Verlustes des andern paarigen Organs abgelten. Der Verlust einer Niere sei deshalb mit einem Invaliditätsgrad von 20% zu bewerten. Im übrigen würden sich die drei Körperschädigungen potenzieren, so dass es durchaus am Platze wäre, "einen Invaliditätssatz anzunehmen, welcher über die blosse Addition der für einzelne Unfallfolgen gerechtfertigten Invaliditätssätze hinausgeht".
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Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Nachdem der Gerichtsexperte im Zusammenhang mit der Radiusfraktur eine Osteochondromatose diagnostiziert hat, rechtfertigt es sich, dem kantonalen Richter auch darin zu folgen, dass die Beschwerden im Handgelenk eine zusätzliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit im Ausmass von 5% bedeuten. Zwar ist die Beeinträchtigung an sich geringfügig; sie könnte, für sich allein, kaum einen Rentenanspruch begründen. In Verbindung mit der durch den Wirbelsäulenschaden bedingten Schonungsbedürftigkeit erscheint sie für einen Bauhandlanger allerdings als erheblich, weshalb sie mit berücksichtigt werden muss.
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In der Militärversicherung dagegen darf bei Schädigung eines paarigen Organs das Risiko einer spätern Schädigung des andern Organs in der Berechnung der Rente nicht berücksichtigt werden; dafür geht bei späterer Schädigung des zweiten Organs der gesamte Schaden zu Lasten der Militärversicherung (Art. 25 Abs. 4 MVG). Diese unterschiedliche rechtliche Behandlung der Schädigung paariger Organe in der Militärversicherung einerseits und in der Unfallversicherung anderseits basiert aber - entgegen der Auffassung, welche in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertreten wird - nicht darauf, dass in diesen beiden Rechtsgebieten differenzierte Invaliditätsbegriffe gelten. Der Rechtsbegriff der Invalidität bedeutet die durch einen versicherten Gesundheitsschaden verursachte dauernde oder während längerer Zeit bestehende durchschnittliche Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem für den Versicherten in Betracht fallenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. Wesentlich dabei ist, dass er Fragen erwerblicher Art beantwortet. Dies gilt in der obligatorischen Unfallversicherung in gleicher Weise wie bei der Militärversicherung und der Invalidenversicherung (EVGE 1967 S. 23; die gemäss MVG rechtserhebliche Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität berührt den allgemeingültigen Begriff der Invalidität nicht). So ist namentlich das Risiko späteren Verlustes auch des zweiten paarigen Organs ![]() | 11 |
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Der Beschwerdeführer möchte nun die erwerblichen Auswirkungen einseitigen Nierenverlustes nicht nur im Rahmen des für diese Schädigungen geltenden Durchschnittsansatzes von 10-15%, sondern mit 20% bewertet wissen. Dazu macht ergeltend, dassdie SUVA ihre Leistungen gemäss Art. 91 KUVG gewiss nicht nur um 10% kürze, wenn bei einem Unfall festgestellt würde, dass der Versicherte schon vorher eine Niere verloren hat. Die im gegenwärtigen Fall vorliegenden Verhältnisse können indessen nicht mit einem für die Leistungskürzung erheblichen Sachverhalt verglichen werden. Bei der Anwendung von Art. 91 KUVG wird ein tatsächlich bestehender Zustand berücksichtigt und bewertet. Beim Verlust des einen paarigen Organs hat man es dagegen hinsichtlich des andern mit einem Risiko zu tun, also mit einer Gefahr, die sich möglicherweise in der Zukunft einmal realisiert, vielleicht aber auch nicht verwirklicht. Dass dieses künftige Risiko eine andere Bewertung erfordert, liegt auf der Hand. Es ist, wie bereits erwähnt, in den Durchschnittsansätzen bereits berücksichtigt.
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Hingegen rechtfertigt es sich, im vorliegenden Fall die durch den Nierenverlust bedingte Invalidität - für sich allein betrachtet - mit 15% zu bewerten (das Risiko des Verlustes ![]() | 14 |
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Im Zusammenhang mit Art. 94 Abs. 2 KUVG über das Zusammentreffen von Invalidenrenten aus verschiedenen, durch die SUVA gedeckten Unfällen hat das Eidg. Versicherungsgericht in seinem Urteil vom 7. April 1970 i.S. Arlotta erklärt:
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"Das ganze Mass der Invalidität braucht keineswegs der Summe der aus den verschiedenen Unfällen sich ergebenden Invaliditätsgrade zu entsprechen. Würden die einzelnen Ansprüche nicht vereinigt und die betreffenden Invaliditäten einfach addiert, so könnte sich leicht ein Resultat ergeben, welches der tatsächlichen Gesamtinvalidität nicht gerecht würde. Ein einzelner Körperschaden wirkt sich nämlich in Verbindung mit andern Körperschäden (z.B. bei paarigen Organen) oft stärker aus, als wenn er allein bleibt. Andererseits könnte die blosse Addition der Invaliditätsgrade bei der Schädigung verschiedenartiger Organe auch ein zu hohes Resultat zeitigen (vgl. EVGE 1941 S. 18/19 und 1956 S. 97)."
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Vgl. dazu auch MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, S. 274. Diese Überlegungen gelten nicht nur für die Schätzung der Gesamtinvalidität aus verschiedenen versicherten Unfällen, welche gemäss Art. 94 Abs. 2 KUVG die Festsetzung einer einheitlichen Rente bedingen. Sie gelten sinngemäss auch für die ![]() | 18 |
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, dass sich die drei vorhandenen Schädigungen in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen potenzieren würden: die Nierenschädigung lege eine allgemeine Schonung nahe, die WirbelsäulenschädigungverhinderedieArbeitin Beugestellung, unddie Handgelenkverletzung erschwere Arbeiten, die manuelle Geschicklichkeit erfordern. Daher würde es sich rechtfertigen, die Gesamtinvalidität höher als das Ergebnis aus der Addition der drei Invaliditäten zu veranschlagen.
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An sich ist nicht auszuschliessen, dass die Folgen einer Radiusfraktur, zusammen mit andern Behinderungen, erwerblich schwerer wiegen, als wenn sie alleinige Körperschädigung wäre. Voraussetzung wäre jedoch, dass sie für sich allein betrachtet einigermassen ins Gewicht fallen würde. Letzteres trifft im vorliegenden Fall nicht zu: die aus der Radiusfraktur resultierende erwerbliche Beeinträchtigung ist - wie bereits ausgeführt - geringfügig und würde - für sich allein - kaum die Gewährung einer Invalidenrente rechtfertigen. Sie wird erst bedeutsam im Hinblick auf die andern beiden - erwerblich gravierenden - Körperschädigungen, und nur in diesem Zusammenhang kann sie bei der Invaliditätsschätzung überhaupt berücksichtigt werden.
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Bezüglich der Wirbelsäulen- und der Nierenschädigung ist der SUVA darin beizupflichten, dass die durch den Wirbelsäulenschaden bedingte Schonung den Beschwerdeführer gleichzeitig vor schädlichen körperlichen Überanstrengungen bewahrt, denen er sich infolge des Nierenverlustes zu enthalten habe. Jede der beiden Behinderungen wirkt sich also in erwerblicher Hinsicht nicht voll aus.
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Aus diesen Überlegungen ergäbe die blosse Addition der drei gesondert bewerteten Invaliditäten eine zu hohe Gesamtinvalidität. Eine Reduktion ist daher am Platz. Wenn die Vorinstanz zu einer Gesamtinvalidität von 45% gelangt ist, so wird damit dem Erfordernis dieser Reduktion Rechnung getragen, so dass der angefochtene Ermessensentscheid im Resultat nicht zu beanstanden ist.
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b) Der Invaliditätsgrad von 45% erscheint aber auch aus folgenden Überlegungen als den Verhältnissen angemessen: Wohl ist der Beschwerdeführer, der über keine berufliche Vorbildung ![]() | 23 |
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