BGE 99 V 98 | |||
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33. Urteil vom 27. Juli 1973 i.S. G. gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | |
Regeste |
Rentenrevision (Art. 41 IVG). | |
Sachverhalt | |
A.- Der 1938 geborene, ledige G. leidet an Schizophrenie, die sich seit 1964 in wechselndem Masse auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit auswirkt. Entsprechend der schwankenden Gesundheits- und Einkommensverhältnisse richtete die Invalidenversicherung dem Versicherten ab 1. März 1965 abwechselnd eine ganze Rente während 19 Monaten, eine halbe während 9 Monaten, eine ganze während 23 Monaten, eine halbe während 4 Monaten und schliesslich - bis Ende April 1972 - eine ganze Rente während 31 Monaten aus. Insgesamt erhielt der Beschwerdeführer somit während 73 Monaten eine ganze und während 13 Monaten eine halbe Invalidenrente. Mit Verfügung vom 21. April 1972 wurde die Rente auf Ende April 1972 aufgehoben. Beim entsprechenden Beschluss ging die Invalidenversicherungs-Kommission davon aus, dass der Versicherte seit Februar 1971 in der Firma X arbeitete und dort ein Jahreseinkommen von Fr. 15 400.-- erzielte. Im Vergleich zum Normaleinkommen eines kaufmännischen Angestellten von rund Fr. 25 000.-- ergebe sich ein Invaliditätsgrad von nurmehr 39%; ein Härtefall liege nicht vor.
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B.- Eine gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde wurde vom Versicherungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 30. Juni 1972 mit gleicher Begründung abgewiesen.
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C.- Mit rechtzeitiger Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Vater des Versicherten die Zusprechung einer halben Rente, da sein Sohn über 50% invalid sei. Dessen Einkommen liege unter der Hälfte des hypothetischen Einkommens von Fr. 25 000.--, da er nicht eine normale Arbeitszeit einhalten könne.
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Während sich die Ausgleichskasse eines bestimmten Antrages enthält, trägt das Bundesamt für Sozialversicherung auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Gewährung einer halben Rente für die Zeit nach dem 30. April 1972 an. Es liege eine Schubkrankheit vor, bei welcher der durchschnittliche Invaliditätsgrad aus einer längeren Beobachtungszeit (zwei Jahre) zu bestimmen sei.
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D.- Nachträglich reicht die Invalidenversicherungs-Kommission verschiedene zusätzliche Aktenstücke ein, aus denen sich ergibt, dass seit Frühjahr 1972 wiederum vermehrt psychische Störungen aufgetreten sind. Vom 4. Mai bis 14. Juni 1972war der Versicherte vollarbeitsunfähig, anschliessend 50% und vom 8. Juni bis 12. Oktober 1972 hielt er sich in einer Nervenklinik auf. Am 7. Mai 1973 nahm er die Arbeit in der Firma X zu einem Monatslohn von Fr. 860.-- in reduziertem Masse wieder auf.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Art. 29 Abs. 1 IVG bestimmt, dass der Rentenanspruch entsteht, "sobald der Versicherte mindestens zur Hälfte bleibend erwerbsunfähig geworden ist oder während 360 Tagen ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich zur Hälfte arbeitsunfähigwarund weiterhin mindestens zur Hälfte erwerbsunfähig ist". Für die Frage des Anspruchsbeginns ist somit entscheidend, ob der Versicherte eine voraussichtlich bleibende Erwerbsunfähigkeit (Variante 1 des Art. 29 Abs. 1 IVG) oder eine längere Zeit dauernde Krankheit (Variante 2 des Art. 29 Abs. 1 IVG) aufweist. Bleibende Erwerbsunfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis dann anzunehmen, wenn ein weitgehend stabilisierter, im wesentlichen irreversibler Gesundheitsschaden vorliegt, welcher die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voraussichtlich dauernd in rentenbegründendem Ausmass beeinträchtigen wird. Als relativ stabil geworden kann ein ausgesprochen labil gewesenes Leiden nur dann betrachtet werden, wenn sich sein Charakter deutlich in der Weise geändert hat, dass vorausgesehen werden kann, in absehbarer Zeit werde keine praktisch erhebliche Wandlung mehr erfolgen (BGE 97 V 245, ZAK 1971 S. 466).
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Laufende Renten sind für die Zukunft zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben, wenn sich der Invaliditätsgrad eines Rentners in einer für den Anspruch erheblichen Weise ändert (Art. 41 IVG). Die Revision erfolgt von Amtes wegen oder auf Gesuch hin, wobei die Regeln des Art. 29 Abs. 1 IVG über den Beginn des Rentenanspruchs sinngemäss anwendbar sind (Art. 88bis Abs. 1 IVV). Demnach darfin Fä'Ilen, die nach Variante 2 des Art. 29 Abs. 1 IVG zu beurteilen sind, die ganze Rente nur dann aufgehoben werden, wenn der Versicherte während 360 Tagen ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich weniger als zur Hälfte arbeitsunfähig war und weiterhin weniger als zur Hälfte erwerbsunfähig ist. Die ganze Rente ist aufeine halbe zu reduzieren, wenn der Versicherte während der genannten Wartezeit weniger als zu 2/3, aber mindestens zur Hälfte arbeitsunfähig war und weiterhin in diesem Ausmasse erwerbsunfähig ist.
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Wie das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung vom 9. November 1972 zutreffend darlegt, vermag die geltende Regelung der Invaliditätsbemessung bei Schubkrankheiten nicht durchwegs zu befriedigen. Bei diesen Leiden lösen sich Perioden der Arbeitsfähigkeit und solche der vollen oder teilweisen Arbeitsunfähigkeit oft kurzfristig ab. Beurteilt man dabei die sich ablösenden Perioden einzeln nach Variante 2 des Art. 29 Abs. 1 IVG, so wird man der tatsächlichen Beeinträchtigung häufig nicht gerecht. Der Versicherte ist unter Umständen dauernd vom Genuss einer Rente ausgeschlossen, wenn die einzelnen, die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Krankheitsschübe regelmässig weniger als 360 Tage andauern. Ein befriedigendes Ergebnis lässt sich für die revisionsweise Beurteilung des Rentenanspruches in Fällen von Schubkrankheiten nur erreichen, wenn auf die durchschnittliche Beeinträchtigung während eines längeren Zeitabschnittes abgestellt wird. Es wird damit vermieden, dass die Rente einzig deshalb herabgesetzt oder aufgehoben werden muss, weil die auflängere Sicht erhebliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von kurzen Perioden gesteigerter Erwerbsfähigkeit unterbrochen wird. Im übrigen bleibt dahingestellt, ob und in welcher Form diese Praxis auch auf die erstmalige Beurteilung des Rentenanspruchs anzuwenden ist.
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Am 21. April 1972, als die angefochtene Verfügung erlassen wurde, arbeitete der Versicherte annähernd in vollem Umfange in der Firma X. Rund 14 Tage später musste er die Arbeit jedoch erneut für längere Zeit aufgeben. Eine Tätigkeit in beschränktem Ausmasse konnte offenbar erst wieder im Mai 1973 aufgenommen werden.
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Für die richterliche Beurteilung eines Falles sind zwar grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsverfügung massgebend. Tatsachen, die sich erst später verwirklichen, sind jedoch insoweit zu berücksichtigen, als sie mit dem Streitgegenstand in engem Sachzusammenhang stehen und geeignet sind, die Beurteilung im Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beeinflussen (EVGE 1968 S. 16, ZAK 1970 S. 611).
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Sowohl der bisherige Verlauf des Leidens wie auch die in den Akten enthaltenen ärztlichen Angaben lassen auf eine ungünstige Prognose hinsichtlich der künftigen Erwerbsfähigkeit des Versicherten schliessen. Auch im Zeitpunkt des Verfügungserlasses musste daher mit erneuter Arbeitsunfähigkeit gerechnet werden. Jedenfalls aber hätte die Verwaltung, sofern sie von der unmittelbar bevorstehenden Periode der vollen Erwerbsunfähigkeit Kenntnis gehabt hätte, dies bei der Beurteilung des Rentenanspruches berücksichtigen müssen. Da dieser Sachverhalt die prognostische Beurteilung des Falles im Zeitpunkt der Verwaltungsverfügung betrifft, ist er im Beschwerdeverfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht nach dem oben Gesagten in die Beurteilung des Rentenanspruches mit einzubeziehen.
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Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im massgebenden Zeitpunkt zu über 2/3 erwerbsunfähig war. Er hat demnach Anspruch auf Weiterausrichtung der ganzen Rente ab Mai 1972. Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer selbst nur die Ausrichtung einer halben Invalidenrente beantragt hat. Nach Art. 132 lit. c OG kann das Eidg. Versicherungsgericht über die Parteibegehren hinausgehen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der vorinstanzliche Entscheid und die Verwaltungsverfügung vom 21. April 1972 aufgehoben.
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